Medizinrecht

Tätigkeit einer psychoonkologischen Therapeutin im Krankenhaus

Aktenzeichen  L 16 BA 31/20

Datum:
26.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16812
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
KHEntG § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
SGB IV § 7 Abs. 1, § 7a

 

Leitsatz

1. Eine psychoonkologische Therapeutin, die Patienten eines Krankenhauses in den Räumen der Klinik ohne Kostenbeteiligung hieran und zu einem festen Stundenlohn behandelt und sich dabei den Strukturen des Krankenhausbetriebs unterwirft, ist abhängig beschäftigt.
2. Ein Indiz für abhängige Beschäftigung ist, dass das Krankenhaus auf die psychoonkologischen Leistungen der Therapeutin angewiesen war, um die Leistungen gegenüber den Krankenkassen abrechnen zu können. Auch waren die Leistungen der Therapeutin für eine Zertifizierung des Krankenhauses notwendig.
3. Die Krankenhausbehandlung ist eine einheitliche, komplexe Gesamtleistung. Auch bei den vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG) muss sichergestellt sein, dass die Gesamtverantwortung für die Behandlung in fachlich-medizinischer Hinsicht weiterhin beim Krankenhaus liegt. Diese regulatorischen Vorgaben sind bei der Gewichtung der Indizien zur Statusbeurteilung zu berücksichtigen.
4. In dem Dreiecksverhältnis “Patient – Leistungserbringer – gesetzliche Krankenkasse” kommt der Therapeutin auch bei weitgehend weisungsfreier Tätigkeit keine eigenständige rechtliche Stellung zu, wenn der gesamte organisatorische Rahmen vom Erstkontakt über die Behandlung im Krankenhaus bis zur Entlassung des Patienten und die Abrechnung der erbrachten Leistung in der Hand des Krankenhauses liegt.
5. Weisungsgebundenheit und Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation müssen zur Annahme einer Beschäftigung iSd § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht kumulativ vorliegen und stehen nicht in einem Rangverhältnis zueinander (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R, Rdnr. 29 juris).

Verfahrensgang

S 13 BA 58/18 2020-01-29 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.01.2020 ist zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die Klage weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft.
In der Sache führt die Berufung nicht zum Erfolg, da das Sozialgericht zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 19.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2018 abgewiesen hat. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beigeladene war im streitgegenständlichen Zeitraum in ihrer Tätigkeit für die Klägerin seit 01.07.2008 bis 13.11.2017 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung und in der Zeit vom 01.07.2008 bis 31.10.2014 in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung, da sie abhängig beschäftigt war.
Rechtsgrundlage für das Statusfeststellungsverfahren ist § 7a SGB IV. Die Beklagte entscheidet auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs. 2 SGB IV).
Im streitgegenständlichen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und § 25 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)) der Versicherungspflicht (und Beitragspflicht). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung war § 7 Abs. 1 SGB IV in seiner bis heute unverändert geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung; vgl. zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R, Rdnr. 21 juris; BSG, Urteil vom 31.03.2015 – B 12 KR 17/13 R, Rdnr. 15 juris; BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 12 KR 17/11 R, Rdnr. 23 juris; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 20.05.1996 – 1 BvR 21/96). Die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2012 – B 12 KR 24/10 R, Leitsatz und Rdnr. 25 ff juris).
Zur Feststellung des Gesamtbilds kommt den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zu. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist demnach zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 R 25/10 R, Rdnr. 16 juris).
Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Dazu haben Verwaltung und Gerichte zunächst deren Inhalt konkret festzustellen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgebend, soweit sie rechtlich zulässig sind. Erst auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R, Rdnr. 17 juris).
Nach den genannten Grundsätzen gelangt der Senat unter Abwägung aller Umstände, die für und gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen, zu der Überzeugung, dass die Beigeladene in der Zeit vom 01.07.2008 bis 13.11.2017 bei der Klägerin eine abhängige Beschäftigung ausgeübt hat und daher ab 01.07.2008 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat. Die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung endete wegen Bezugs der Altersvollrente ab 01.11.2014 gemäß §§ 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III am 31.10.2014.
Als entscheidend im Rahmen der Gesamtabwägung sieht der Senat unter Berücksichtigung der vertraglichen Vereinbarung und deren tatsächlicher Umsetzung die – auch durch die Vorgaben des Leistungserbringerrechts notwendige – Eingliederung der Beigeladenen in die betrieblichen Abläufe des Krankenhauses der Klägerin und das nur gering ausgeprägte Unternehmerrisiko der Beigeladenen an. Beide Merkmale prägen das Gesamtbild der Arbeitsleistung und sind gewichtige Merkmale für eine abhängige Beschäftigung. Geringere Bedeutung kommt der nur eingeschränkten Weisungsgebundenheit der Beigeladenen zu, da diese gerade bei Diensten höherer Art in den Hintergrund tritt.
Auch wenn die Klägerin und die Beigeladene im Rahmen des Kooperationsvertrages eine selbstständige Tätigkeit beabsichtigten, sprechen bereits Regelungen dieses Vertrags für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen. So sieht § 2 des Vertrags vor, dass zu den Leistungen der Therapeutin auch die Teilnahme an Teamsitzungen, die Unterstützung bei der Erstellung der individuellen Behandlungspläne sowie die Leistungsdokumentation gehören; letztere ist dem Krankenhaus für die Krankengeschichte zur Verfügung zu stellen. Die Leistungserbringung sollte auf schriftliche Anordnung des befugten Arztes und auf der Grundlage der vorgegebenen individuellen Behandlungspläne erfolgen. Das Krankenhaus stellte der Beigeladenen seine Räumlichkeiten zur Verfügung (§ 3). Eine Vergütung der Tätigkeit erfolgte auf Stundenbasis (§ 5).
Für eine abhängige Beschäftigung spricht insbesondere, dass die Beigeladene der Klägerin nach Annahme der Behandlung der Patienten ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellte, sich dabei den Strukturen des Krankenhausbetriebs unterwarf und funktionsgerecht dienend in die fremde Arbeitsorganisation der Klinik eingegliedert war. Diese Eingliederung fällt bei der Abwägungsentscheidung erheblich ins Gewicht. Die Beigeladene erbrachte ihre therapeutischen Leistungen in den Räumlichkeiten der Klinik (Patientenzimmer), ohne sich hierbei an den Kosten der Klägerin beteiligen zu müssen. Sie behandelte ausschließlich Patienten der Klägerin, mit denen sie zudem nicht selbst abrechnete. Sie konnte erst tätig werden, nachdem ihr ein Konsiliarbogen ausgehändigt worden war, der von einem befugten Arzt der Klinik unterschrieben werden musste. Sie dokumentierte ihre Tätigkeit in der jeweiligen Patientenakte und nahm dabei – wenn auch in knappem Umfang – auch Eintragungen vor, die über die reine Arbeitszeiterfassung hinausgingen. Einmal wöchentlich besprach sie sich mit dem behandelnden Arzt der jeweiligen Patienten und berichtete diesem über die Behandlung aus therapeutischer Sicht. In der Anfangszeit vertrat sie die freiberufliche Ärztin, die ebenfalls psychoonkologische Leistungen erbrachte, in deren Urlaubszeiten und wurde von dieser vertreten. Die Beigeladene war sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in fachlicher Hinsicht bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung nicht völlig unabhängig vom Betrieb der Klägerin. Zwar konnte sie die Termine mit den Patienten eigenständig vereinbaren und trug diese in ihr eigenes Terminbuch ein. Allerdings hatte sie hierbei – bei der regelhaften Unterteilung ihrer Leistung in ein Erstgespräch vor der Operation, ein Nachgespräch nach der Operation und ein Abschlussgespräch – die organisatorischen Vorgaben der Klägerin, insbesondere die Termine der Operation und der voraussichtlichen Entlassung des jeweiligen Patienten, zu berücksichtigen.
Zu Recht hat das Sozialgericht auch wesentlich darauf abgestellt, dass die Beigeladene mit der psychoonkologischen Behandlung der Patienten eine Tätigkeit ausübte, die der Klägerin unmittelbar zuzurechnen war. Auch der Senat sieht es als entscheidend an, dass die Klägerin die Leistungen der Beigeladenen benötigte, um psychoonkologische Leistungen im Rahmen der jeweiligen DRG gegenüber den Krankenkassen abrechnen zu können. Zudem wurde die Zertifizierung der Klägerin durch das Institut OnkoZert erst durch die Tätigkeit der Beigeladenen möglich.
Nach der höchstRichterlichen Rechtsprechung haben regulatorische Vorgaben des Leistungserbringerrechts der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie Regelungen über die Erbringung und Vergütung von Krankenhausleistungen, zur Qualitätssicherung im Krankenhaus und zum Patientenschutz zwar keine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von Heilmittelerbringern (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016 – B 12 KR 20/14 R – Physiotherapeutin, Rdnr. 28 juris) bzw. im Krankenhaus tätigen Honorarärzten; sie sind jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Statusbeurteilung zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 04.09.2018 – B 12 KR 11/17 R; BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R, Leitsatz und Rdnr. 26 juris). Aufgrund der regulatorischen Vorgaben im Krankenhausbereich, die eine weitreichende Einbindung von Ärzten in die Qualitätssicherungs- und Kontrollmechanismen und damit in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses bedingen, müssen für eine nur ausnahmsweise in Betracht kommende selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gewichtige Indizien bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 10/18 R, Rdnr. 30, 31 juris), die hier nicht erkennbar sind. Die genannten Entscheidungen sind auch auf die Tätigkeit der Beigeladenen als psychoonkologische Therapeutin im Krankenhaus der Klägerin übertragbar.
Für die Therapie der Patienten während des stationären Aufenthalts trug die Klägerin die Gesamtverantwortung. Sie bediente sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG der Dienstleistung der Beigeladenen, um gegenüber den Krankenkassen psychoonkologische Leistungen abrechnen zu können. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 2 KHEntgG sind allgemeine Krankenhausleistungen die Krankenhausleistungen, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten notwendig sind. Unter diesen Voraussetzungen gehören dazu auch die vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter (Nr. 2). Die Krankenhausbehandlung ist nicht durch den isolierten Einsatz einzelner Leistungen gekennzeichnet. Sie stellt vielmehr eine komplexe medizinische Versorgung dar, deren Besonderheit gerade in dem integrierten Zusammenwirken verschiedener Einzelleistungen besteht. Die verschiedenen Einzelleistungen werden aber auch im Rechtssinne zu einer einheitlichen, komplexen Gesamtleistung zusammengefasst, die nicht in die Einzelleistungen, aus denen sie besteht, aufgeteilt werden kann (vgl. Wahl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 30 Rdnr. 92, 93). Auch bei den vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter muss sichergestellt sein, dass die Gesamtverantwortung für die Behandlung weiterhin beim Krankenhaus liegt und nicht auf den Dritten übergeht (vgl. Wahl, a.a.O., § 39 Rdnr. 95). § 107 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fordert für Krankenhäuser, dass diese unter ständiger ärztlicher Leitung stehen. Diese umfasst die Organisation der gesamten Betriebsabläufe in fachlich-medizinischer Hinsicht. Unter ärztlicher Leitung muss aber auch die einzelne Behandlung stehen; diese muss ärztlich gesteuert werden, d.h. nach einem ärztlichen Behandlungsplan und unter Verantwortung eines im Krankenhaus tätigen Arztes erbracht werden (vgl. Wahl, a.a.O., § 107 Rdnr. 31; BSG, Urteil vom 22.04.2009 – B 3 P 14/07 R, Rdnr. 13 juris).
Voraussetzung für die Abrechnung auch der psychoonkologischen Leistungen durch die Klägerin gegenüber den Krankenkassen war daher eine Tätigkeit der Beigeladenen nach ärztlicher Anordnung, die Leistungserbringung aufgrund eines abgestimmten, individuellen Behandlungsplans, die Teilnahme an Teamsitzungen sowie die entsprechende Leistungsdokumentation, weshalb dies – was der Bevollmächtigte der Klägerin vor dem Sozialgericht auch bestätigt hatte – im Kooperationsvertrag (§ 2) so geregelt wurde. Vorliegend war auch tatsächlich der gesamte organisatorische Rahmen vom Erstkontakt des Patienten über die Behandlung im Krankenhaus bis zur Entlassung und Abrechnung der erbrachten Leistungen in der Hand der Klägerin. In dem Dreiecksverhältnis „Patient – Leistungserbringer – gesetzliche Krankenkasse“ hatte die Beigeladene keine eigenständige rechtliche Stellung, sondern war im Rahmen der regulatorischen Vorgaben für die Klägerin tätig. Auch wenn die Beigeladene ihre Therapieleistungen weitgehend selbstständig und frei von Weisungen erbracht hat, wurde sie dabei doch auf der Grundlage und im Rahmen der von der Klinik vorgegebenen individuellen Behandlungspläne der Patienten tätig. Eine Zusammenarbeit fand in Form der wöchentlichen Absprachen mit den jeweils behandelnden Onkologen statt. Zudem gab die Beigeladene – wenn sie dies für erforderlich hielt – Informationen über ihre Behandlung an die Stationsärzte, das Pflegepersonal, den Sozialdienst und die Sozialfürsorge weiter und arbeitete auch insoweit mit Mitarbeitern der Klägerin zusammen. Sie dokumentierte ihre Therapieleistungen an den Patienten in der jeweiligen Patientenakte der Klinik. Diese Tätigkeiten werden belegt durch die Abrechnungen der Beigeladenen gegenüber der Klägerin, die neben den Tätigkeiten „Patientengespräch / Dokumentation“ auch in der Regel wöchentliche „Dienstbesprechungen und Organisation“ und vereinzelt auch die Tätigkeit „(Vorbereitung) Qualitätszirkel Darmzentrum“ enthalten.
Dass die Beigeladene weitgehend weisungsfrei und fachlich unabhängig bei der Erbringung ihrer psychoonkologischen Leistung tätig wurde, steht der Einordnung ihrer Tätigkeit als abhängige Beschäftigung nicht entgegen. Das Kriterium der Weisungsabhängigkeit hinsichtlich Zeit, Ort und Art der geschuldeten Tätigkeit ist in der Regel dort wenig aussagekräftig, wo sowohl ein Arbeitnehmer als auch ein Selbstständiger eine Arbeit erledigen können, zumal dann, wenn diese aufgrund der „Natur der Sache“ nur an einem bestimmten Ort und/oder nur zu einer bestimmten Zeit erbracht werden kann und sich beide nach den Plänen und inhaltlichen Vorgaben des Auftraggebers richten müssen. In diesen Fällen müssen andere (Hilfs-)Kriterien in Betracht gezogen werden, insbesondere die Frage, wer letztendlich das unternehmerische Risiko der Tätigkeit trägt und ob eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation vorliegt (vgl. Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 7 Rdnr. 78 f.).
Zur Annahme einer Beschäftigung müssen Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb iSd § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV auch nicht kumulativ vorliegen. Sie stehen zudem nicht in einem Rangverhältnis zueinander. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht eine Eingliederung nicht zwingend mit einem umfassenden Weisungsrecht des Krankenhauses einher (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R, Rdnr. 29 juris). Das BSG hat bereits im Jahr 1962 im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu Chefärzten (BAGE 11, 225) ausgeführt, dass das Weisungsrecht insbesondere bei sog. Diensten höherer Art – heute würde man von Hochqualifizierten oder Spezialisten sprechen – aufs Stärkste eingeschränkt sein kann und die Dienstleistung dennoch fremdbestimmt sein kann, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 29 juris). In seinem Urteil vom 04.06.2019 zu einer im Krankenhaus tätigen Honorarärztin (Anästhesistin) hat das BSG darauf hingewiesen, dass bei der Gewichtung der Indizien zu berücksichtigen sei, dass die ärztliche Tätigkeit im Krankenhaus Besonderheiten aufweise, so dass einzelne Gesichtspunkte, die sonst eine Tätigkeit als abhängig oder selbstständig kennzeichneten, von vornherein nicht als ausschlaggebende Abgrenzungsmerkmale herangezogen werden könnten. Ärzte handelten bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. Hieraus könne aber nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass nach ganz h.M. selbst Chefärzte als Arbeitnehmer zu qualifizieren seien (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 25 juris). Diese Überlegungen sind auf die hier vorliegende Fallkonstellation übertragbar.
Das BSG hat außerdem bereits entschieden, dass die Bedeutung des Merkmals der Eingliederung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV – wie der frühere Bevollmächtigte der Klägerin ausführte – nicht durch die Änderung von § 611a BGB mit Wirkung vom 01.04.2017 in Frage gestellt wird. Zwar sei dort die Eingliederung in der Definition des Arbeitsvertrags nicht mehr genannt, woraus teilweise abgeleitet werde, dass dieses Kriterium für die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft nicht mehr von Bedeutung sei, sondern allein die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers entscheide. Der Gesetzgeber habe jedoch die für das Sozialversicherungsrecht maßgebende Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht geändert (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R, Rdnr. 30 juris mit weiteren Nachweisen).
Weitere für eine abhängige Beschäftigung sprechende Umstände sind die höchstpersönliche Leistungserbringung durch die Beigeladene, die keine eigenen Mitarbeiter beschäftigte, sowie die Vergütung der Tätigkeit auf Stundenbasis.
Kein aussagekräftiges Indiz ist vorliegend, dass in der vertraglichen Vereinbarung keine Arbeitnehmerschutzrechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsansprüche geregelt sind. Denn solche Vertragsgestaltungen sind als typisch anzusehen, wenn beide Seiten von einer selbstständigen Tätigkeit ausgehen. Allein die Belastung eines Erwerbstätigen, der im Übrigen nach der tatsächlichen Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses als abhängig Beschäftigter anzusehen ist, mit zusätzlichen Risiken, rechtfertigt nicht die Annahme von Selbstständigkeit im Rechtssinne (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z.B. BSG, Urteil 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R, Rdnr. 27 juris). Ebenso ist der Gedanke der Schutzbedürftigkeit des in Betracht kommenden Personenkreises kein Merkmal dafür, ob es sich um eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit handelt (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1978 – 12 RK 58/76).
Umstände, die für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit sprechen, sind der Abschluss einer eigenen Haftpflichtversicherung durch die Beigeladene sowie die eigene Haftung für von ihr verursachte Schäden (vgl. § 4 des Kooperationsvertrags). Auch die Tatsache, dass die Klägerin auf eigene Initiative und Kosten eine Weiterbildung absolvierte, spricht für ein Unternehmerrisiko und damit eine selbstständige Tätigkeit.
Allerdings hat das Sozialgericht zu Recht ausgeführt, dass die Beigeladene keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt war. Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen ist maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Dabei ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2011 – B 12 R 17/09 R, juris, Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 30.10.2013 – B 12 KR 17/11 R, juris, Rdnr. 35). Zwar erhielt die Beigeladene eine relativ hohe Vergütung von 70,- Euro pro Stunde, was ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 31.03.2017 – B 12 R 7/15 R, Rdnr. 50 juris). Die vereinbarte Höhe ist vorliegend jedoch nicht ausschlaggebend, da sie als Ausdruck des Parteiwillens zu werten ist, dem nur dann potentielle Bedeutung zukommt, wenn dieser Wille den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbstständigkeit wie für Beschäftigung sprechen. Den Beteiligten steht nämlich keine Dispositionsfreiheit in dem Sinne zu, dass sich der Auftraggeber durch die Vereinbarung eines Zuschlags zu einem üblichen Stundenlohn eines vergleichbar abhängig Beschäftigten von der Sozialversicherungspflicht „freikaufen“ kann (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R, Rdnr. 36, 37 juris). Die Beigeladene hatte für die Nutzung der Räumlichkeiten der Klägerin kein Entgelt zu zahlen und war nicht der Gefahr ausgesetzt, mit Ausgaben belastet zu sein, die von den Einnahmen nicht getragen werden. Sie bezog einen festen Lohn für geleistete Stunden und hatte daher keinen Verdienstausfall zu befürchten. Es bestand – da es nur auf die konkrete Tätigkeit ankommt – aufgrund der festen Stundenvergütung lediglich ein allgemeines Risiko, keine Folgeaufträge von der Klägerin zu erhalten. Hieraus allein folgt aber noch kein Unternehmerrisiko (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016 – B 12 KR 20/14 R, Rdnr. 21 juris). Für eine selbstständige Tätigkeit spricht zwar das werbende Auftreten der Beigeladenen am Markt, indem sie ihre therapeutische Tätigkeit mit Flyern, Newslettern und einer eigenen Internetseite bewarb und für ihre Praxis Investitionen tätigte. Diese Investitionen waren allerdings für die hier streitgegenständliche Tätigkeit in der Klinik nicht relevant, da die Beigeladene nicht in ihrer Praxis, sondern in den Räumen der Klägerin tätig wurde und hierbei ganz überwiegend – abgesehen von einem CD-Player und eigenen CDs, Stift und Papier – nur ihre Arbeitskraft einsetzte. Bürogegenstände des täglichen Gebrauchs (PC, Telefon, Handy, etc.) sind darüber hinaus nicht geeignet, ein Unternehmerrisiko zu begründen, wenn diese nicht ausschließlich für die zu beurteilende Tätigkeit angeschafft und eingesetzt wurden und das eingesetzte Kapital bei Verlust des Auftrags als verloren anzusehen wäre. Bei Gegenständen, die heutzutage in den meisten Haushalten ohnehin regelmäßig zur privaten Nutzung vorhanden sind, kann dies nicht ohne weiteres unterstellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, Rdnr. 37 juris).
Insgesamt sind auch nach Auffassung des Senats keine für Selbstständigkeit sprechende Anhaltspunkte erkennbar, die ein derartiges Gewicht hätten, dass sie die funktionsgerecht dienende Eingliederung der Beigeladenen in den Krankenhausbetrieb der Klägerin auf- oder überwiegen könnten.
Zuletzt hat das Sozialgericht auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen Vertrauensschutz aus früheren Prüfungen, die nach Angaben der Klägerin beanstandungsfrei verlaufen sein sollen, ableiten kann. Eine materielle Bindungswirkung aufgrund einer Betriebsprüfung kann sich nur insoweit ergeben, als Versicherungs- und Beitragspflicht sowie Beitragshöhe im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden. Prüfmitteilungen der Beklagten, wonach sich bei einer Prüfung keine Beanstandungen ergeben hätten, kommt dagegen mangels Verwaltungsaktqualität (§ 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X) keine materielle Bindungswirkung zu, die Anknüpfungspunkt für Bestands- und Vertrauensschutz für die Zukunft sein könnte (vgl. hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 19.09.2019 – B 12 R 25/18 R, Rdnr. 30 ff. mit Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des BSG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).


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