Medizinrecht

Übernahme eines Schmerzensgeldanspruches gegen einen Dritten durch einen Dienstherrn

Aktenzeichen  B 5 K 17.753

Datum:
27.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 55157
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97
ZPO § 331
BayBeamtVG Art. 52

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme seines Schmerzensgeldanspruchs durch den Dienstherrn, der streitgegenständliche Bescheid vom 20. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
a) Rechtsgrundlage der vom Kläger begehrten Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn ist Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG. Danach kann der Dienstherr, wenn der Beamte wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs, den er in Ausübung seines Dienstes erlitten hat, einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat, auf Antrag die Erfüllung dieses Anspruchs bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrags übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG liegt eine unbillige Härte insbesondere dann vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 € erfolglos geblieben ist. Allerdings kann der Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern, wenn aufgrund des selben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wird, Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG.
b) Der Kläger hat hier unstreitig am 30. Juni 2015 in Ausübung seines Dienstes einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erlitten. Aufgrund dieses Vorkommnisses wurde ihm mit rechtskräftigem Versäumnisurteil des Landgerichts … vom 23. Januar 2017 ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 40.000 € zugesprochen. Dieser hat sich in der Folge in der Zwangsvollstreckung als vollständig uneinbringlich erwiesen. Insoweit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG grundsätzlich vor.
c) Bei dem durch das Versäumnisurteil des Landgerichts … vom 23. Januar 2017 zugesprochenen Schmerzensgeldanspruch des Klägers handelt es sich auch um einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld i.S.d. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG. Denn auch wenn § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO den zivilgerichtlichen Prüfungsmaßstab insoweit beschränkt, als bei einem Versäumnisurteil gegen den Beklagten das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden anzunehmen ist, ändert dies nichts an den Rechtswirkungen eines Versäumnisurteils, gegen das keine Rechtsmittel eingelegt werden. Das Urteil ist als echtes Versäumnisurteil ein Endurteil und im gleichen Umfang der Rechtskraft fähig wie ein streitiges Endurteil (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 77. Aufl. 2019, Übers. vor § 330, Rn. 16). Die Einschränkung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG hinsichtlich Vergleichen nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Regelung auf Versäumnisurteile anwendbar. Eine unwiderruflicher Vergleich in diesem Sinne ist der Rechtskraft nicht zugänglich; dass er unter dem Vorbehalt einer Angemessenheitsprüfung nach Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG dennoch der rechtskräftigen Feststellung eines Schmerzensgeldanspruches gleichgestellt wird, trägt dem Umstand Rechnung, dass Zivilgerichte nach § 278 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinwirken sollen und außerdem sich eine gütliche Einigung in einigen Fällen aufgrund der einzelfallspezifischen Besonderheiten sowie den fehlenden finanziellen Anknüpfungspunkte bei immateriellen Schäden anbieten wird. Diese Gleichstellung ist – mangels einer richterlichen Kontrolle der Angemessenheit wie im Rahmen eines Endurteils – jedoch nur gerechtfertigt, wenn der Vergleich angemessen ist (Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 11. Edition, Stand 1.10.2016, Art. 97 BayBG, Rn. 17 f. und 25.4). Eine vergleichbare Konstellation liegt jedoch bei einem Versäumnisurteil nach § 331 ZPO gerade nicht vor. Denn Voraussetzung für ein klagestattgebendes Versäumnisurteil gegen den Beklagten ist nach § 331 Abs. 2 ZPO, dass der klägerische Vortrag den geltend gemachten Anspruch rechtfertigt. Abgesehen von der Fiktion hinsichtlich des Tatsachenvortrags der Klägerseite nach § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist das Zivilgericht in der rechtlichen Würdigung frei, der Richter muss also eine sogenannte Schlüssigkeitsprüfung und damit eine inhaltliche Kontrolle vornehmen (Prütting in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 331, Rn. 10). Bei der Klage auf Schmerzensgeld umfasst die Schlüssigkeitsprüfung auch die Frage der Angemessenheit der Höhe des Schmerzensgeldes. Dies gilt umso mehr, wenn der Kläger wie hier mit seinem Klageantrag im zivilgerichtlichen Verfahren nur einen Mindestbetrag geltend macht und die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts stellt. Eine Schmerzensgeldklage muss in diesem Fall ausnahmsweise nicht konkret beziffert werden (vgl. Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 253, Rn. 35 m.w.N.). Bei der Festsetzung des für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes sind dem Richter aber im Rahmen des § 308 ZPO durch die Angabe eines Mindestbetrages oder einer Größenordnung nach oben keine Grenzen gezogen (BGH, U.v. 30.4.1996 – VI ZR 55/95 – BGHZ 132, 341). Es liegt im Übrigen auch nicht im Macht- und Verantwortungsbereich des Klägers, ob sich ein Beklagter gegen eine Klage verteidigt bzw. vor Gericht erscheint, so dass es willkürlich wäre, die Anwendbarkeit des Art. 97 BayBG vom Prozessverhalten des Beklagten abhängig zu machen (Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 11. Edition, Stand 1.10.2016, Art. 97 BayBG, Rn. 21.3).
d) Weil die richterliche Kontrolle sich aber gerade nicht auf die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen erstreckt, ist es sachgerecht, ein Versäumnisurteil, mit dem ein Schmerzensgeldanspruch rechtskräftig festgestellt wird, anders als ein streitiges Endurteil nicht uneingeschränkt einer Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG zugrunde zu legen. Die Geständnisfiktion nach § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinsichtlich des tatsächlichen Vortrags der Klägerseite birgt die Gefahr, dass aufgrund des von Beklagtenseite als zugestanden anzunehmenden tatsächlichen Vorbringens der Klägerseite ein Schmerzensgeld in unangemessener Höhe zugesprochen werden könnte. Der Umstand, dass etwaige berechtigte Einwendungen des beklagten Schädigers, die wesentlichen Einfluss auf Anspruchsgrund und -höhe gehabt hätten, völlig unberücksichtigt bleiben müssen und der Richter an die Tatsachenvorgaben des Klägers gebunden ist, rechtfertigt es, hier zumindest vom Erfordernis einer Plausibilitätskontrolle durch die zuständige Behörde auszugehen (Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 11. Edition, Stand 1.10.2016, Art. 97 BayBG, Rn. 21.4). Eine solche behördliche Überprüfung kann sich jedoch ausschließlich auf den dem Versäumnisurteil zugrunde liegenden Tatsachenvortrag der Klägerseite beziehen. Denn im Übrigen – also hinsichtlich der rechtlichen Bewertung dieses Tatsachenvorbringens – findet nach oben Gesagtem auch beim Versäumnisurteil gegen den Beklagten im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung eine richterliche Inhaltskontrolle statt, an die die Behörde gebunden ist. Es kann dahinstehen, ob diese behördliche Plausibilitätskontrolle als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal anzusehen oder – was systematisch vorzugswürdiger erscheint – im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmen ist (vgl. Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 11. Edition, Stand 1.10.2016, Art. 97 BayBG, Rn. 21.5). Die Behörde ist daher jedenfalls berechtigt und verpflichtet, im Falle der rechtskräftigen Feststellung des Schmerzensgeldanspruches durch ein Versäumnisurteil zu prüfen, ob diesem ein vollständiger und zutreffender Tatsachenvortrag der Klägerseite zugrunde lag.
e) Soweit allerdings – wie hier – der Sachverhalt, der Grundlage des Schmerzensgeldanspruches ist, bereits Gegenstand einer bestandskräftigen Feststellung im Dienstunfallverfahren nach Art. 46, 47 BayBeamtVG war, sind sowohl Behörde als auch Beamter an die dort getroffenen Feststellungen gebunden. Gegenstand der beiden dem Kläger gegenüber ergangenen Bescheide des Landesamtes für Finanzen – Dienststelle … -vom 4. August 2015 und 9. November 2016 war die Anerkennung des Vorkommnisses vom 30. Juni 2015 als Dienstunfall und die Feststellung der dadurch kausal hervorgerufenen Dienstunfallfolgen. Die entsprechenden Regelungen im jeweiligen Tenor der Bescheide, die im Übrigen von der selben Behörde, die auch für den hier streitgegenständlichen Bescheid zuständig war, erlassen wurden, sind materiell bestandskräftig geworden. Damit sind Kläger und Beklagte an die in diesen Verwaltungsakten getroffenen Regelungen gebunden (vgl. Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 43, Rn. 31). Diese Bindung im Rahmen der materiellen Bestandskraft erstreckt sich auch und gerade auf weitere Verwaltungsverfahren, für die diese Feststellungen entscheidungserhebliche Vorfragen darstellen. Mit der materiellen Bestandskraft ist in erster Linie ein Abweichungsverbot für die Behörde bzw. deren Rechtsträger verbunden. Dieses hindert sie daran, bei einer von ihr zu treffenden Entscheidung vom Inhalt einer früheren wirksamen Verwaltungsentscheidung, die in ihrer Existenz nicht angetastet wird, abzuweichen, sie ist vielmehr an die von ihr getroffene Entscheidung gebunden (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.1980 – 8 C 82.79 – BVerwGE 60, 111; Schemmer in: Beck OK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 42. Edition, Stand 1.10.2018, § 43, Rn. 21). Die Bestandskraft des Verwaltungsaktes wirkt aber in gleicher Weise auch hinsichtlich des Adressaten als Verfahrensbeteiligtem (vgl. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 43, Rn. 90 ff.). Der Kläger ist also in gleicher Weise an die Feststellungen in den Bescheiden des Landesamtes für Finanzen – Dienststelle … -vom 4. August 2015 und 9. November 2016 gebunden wie die Behörde bzw. deren Rechtsträger.
f) Ausweislich der beigezogenen Akten des Landgerichts … in dessen Verfahren 33 O 381/16 trug der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 14. November 2016 im Wesentlichen den gleichen Sachverhalt vor, wie im hiesigen Verfahren mit dem Schriftsatz vom 19. September 2017. Er machte also im zivilgerichtlichen Verfahren ebenso geltend, dass der Kläger nach wie vor ein sporadisch auftretendes Taubheitsgefühl in der linken Hand bzw. in den Fingern der linken Hand habe, insbesondere aber auch nach wie vor an andauernden psychischen Folgen in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw. Anpassungsstörung leide.
Mit dem Bescheid vom 4. August 2015 war zugunsten des Klägers zunächst eine Stichverletzung hintere Axillarlinie zwischen Thorax und Scapula links als Unfallfolge festgestellt worden; mit weiterem Bescheid vom 9. November 2016 wurde außerdem eine akute Belastungsreaktion sowie eine Anpassungsstörung mit überwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen als Dienstunfallfolge anerkannt und gleichzeitig festgestellt, dass die dienstunfallbedingten Körperschäden auf psychiatrischen Gebiet abgeklungen seien.
Insbesondere hinsichtlich der psychischen Folgen des Dienstunfalls unterscheidet sich dieser Sachverhalt damit maßgeblich vom Vortrag der Klägerseite sowohl im zivilgerichtlichen Verfahren vor dem Landgericht … als auch im hiesigen Verfahren. In beiden Verfahren wurde und wird vor allem eine andauernde, erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers im psychischen Bereich mit nach wie vor bestehendem Behandlungsbedarf geltend gemacht. Nach oben Gesagtem konnte das Landesamt für Finanzen diese weitergehenden gesundheitlichen Beschwerden des Klägers im Rahmen seiner Plausibilitätskontrolle aber nicht zugrunde legen. Denn mit dem Bescheid vom 9. November 2016 war bestandskräftig festgestellt worden, dass beim Kläger zwar eine akute Belastungsreaktion sowie eine Anpassungsstörung mit überwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen als Dienstunfallfolge vorgelegen hat, dienstunfallbedingte Körperschäden auf psychiatrischen Gebiet zu diesem Zeitpunkt, also etwa 16 Monate nach dem Dienstunfall, allerdings bereits abgeklungen seien.
g) Auf Grundlage der im Dienstunfallverfahren festgestellten Dienstunfallfolgen ergäbe sich allerdings ein Schmerzensgeld in wesentlich geringerer Höhe: Nach § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann wegen der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung auch wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Maßgeblich für die Höhe eines Schmerzensgeldanspruches ist demnach die Billigkeit. Der Inhalt des Anspruchs ist dabei vom Richter aufgrund seines Ermessens festzulegen. Insoweit ist eine Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte vorzunehmen, dazu gehören aber in erster Linie auch Art und Dauer der Schäden bzw. Höhe und Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung, die der Anspruchsberechtigte erlitten hat. Denn wesentliche Funktionen eines Schmerzensgeldes sind zum einen, einen monetären Ausgleich für den erlittenen Schaden zu gewähren, zum anderen aber auch, dem Geschädigten eine Genugtuung für die Verletzung zu verschaffen. Für vergleichbare Verletzungen ist in der Regel unabhängig vom Haftungsgrund ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren (vgl. Grüneberg in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 253, Rn. 4 und 15; Schiemann in: Staudinger, BGB, Stand 2017, § 253, Rn. 28 und 34 ff., jeweils m.w.N.). Demnach kommt es für die Höhe des zuzusprechenden Schmerzensgeldes ganz maßgeblich darauf an, welche Beeinträchtigungen des Klägers der Billigkeitsentscheidung zugrunde gelegt werden.
Für Verletzungen, die den im Dienstunfallverfahren bestandskräftig festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers hinsichtlich Ausmaß und Dauer annähernd entsprechen, werden in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung – auch unter Berücksichtigung der seit der jeweiligen Entscheidung eingetretenen allgemeinen Preissteigerungen – in der Regel deutlich geringere Schmerzensgelder zugesprochen, so beispielsweise:
– 3.579,04 € für Messerstich in die Brust, zwei bis drei Tage stationär, Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sechs Wochen 100%, keine Lebensgefahr, keine Dauerfolgen, vorsätzliche Körperverletzung (OLG Düsseldorf, U.v. 17.5.1991 – 22 U 286/90 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 1368)
– 3.000,00 € für posttraumatische Belastungsstörung über 30 Monate (LG Dresden, U.v. 5.9.2012 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 4716)
– 2.556,46 € für tiefe Stichverletzung in der linken Bauchseite, zwei Wochen stationär, Operation mit entsprechender Narbenbildung als Dauerschaden, vorsätzliche Körperverletzung (LG Berlin, U.v. 6.6.1991 – 20 O 78/91 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 1970)
– 2.500,00 € bei Schnittverletzung im Bereich der hinteren Axillarlinie, vier Tage stationär, MdE für drei Wochen um 100%, vorsätzliche Körperverletzung (AG Mainz, U.v. 15.1.1997 – 7 C 712/95 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 3531)
– 2.045,17 € für anhaltende Angstzustände nach einer Geiselnahme, bei der die Klägerin Todesangst erlitt, als ihr eine Waffe an den Hals gedrückt wurde und der Geiselnehmer drohte, sie werde „abgeknallt“ (OLG Celle, U.v. 26.1.1994 – 9 U 185/92 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 1841)
– 1.431,62 € für Messerstichverletzung in den Brustkorb, Stichkanal sechs cm lang, Wunde insgesamt acht cm, keine inneren Verletzungen, zwei Tage stationär, zwei Wochen ambulant, vier Arztbesuche, vorsätzliche Körperverletzung (LG Heidelberg, U.v. 20.4.1990 – 1 O 38/89 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 1419)
Zum Teil höhere, aber immer noch wesentlich unter den klägerseits geforderten 40.000,00 € liegende Schmerzensgelder werden in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung lediglich für deutlich schwerwiegendere Beeinträchtigungen zugesprochen:
– 25.000,00 € für Stichverletzung mit Wurfmesser im Gesicht und insbesondere am linken Auge mit erheblicher Sehstörung als Dauerschaden, sechs Tage stationär, langwierige Heilbehandlung über sieben Monate, dauerhafte Gesichtsnarben an der Wange und zwischen Lid und Nase (LG Bochum, U.v. 20.8.2012 – I-2 O 540/11 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 4752)
– 12.000,00 € für Stichverletzungen mit Springmesser, zweimal in den linken Arm und siebenmal auf der linken Seite in den Oberkörper, Entfernung der Milz (BGH, U.v. 20.4.2011 – BGH 2 StR 29/11 – juris)
– 9.203,25 € für Stichverletzung, die zu Milzverlust und erhöhtem Infektionsrisiko führte, vorsätzliche Körperverletzung mit Messer, operationsbedingt 30 cm lange, verunstaltende Narbe im Bauchbereich, drei Wochen stationär, MdE elf Wochen 100%, Dauerschaden Beschwerden im Brustbereich bei einigen Tätigkeiten (LG Aachen, U.v. 24.11.1995 – 11 O 214/93 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 2676)
– 6.500,00 € für Unterbauchstichwunde, drei Oberschenkelstichwunden, Handverletzung sowie Blutergüsse, Kratzer und Prellungen am ganzen Körper, langwierige Heilbehandlung über vier Monate, psychische Beeinträchtigung, Psychotherapie, noch nach sieben Jahren zum Teil Schmerzen im Bereich der Narben als Dauerschaden (OLG Hamm, U.v. 7.11.2012 – 30 U 80/11 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 4529)
– 5.112,92 € für schädelfrakturähnliche Kopfverletzung nach Schlag mit einem Beil, acht bis zehn cm lange Rissquetschwunde am Schädel mit Knochenabsplitterung im Bereich der Schädelknochen, Todesangst, 14 Tage stationär, Dauerschaden Kopfschmerzen, Hörschaden (OLG Hamm, U.v. 4.11.1996 – 6 U 55/96 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 2293)
– 5.112,92 € für dauerhafte psychische Störung, die sich in Angstzuständen mit Tremor und Kreislaufdysregulation und in Schlafstörungen äußert, nach brutalem Angriff, bei dem die Klägerin Todesangst ausstand (OLG Hamm, U.v. 7.6.1993 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 1755)
Ein Schmerzensgeldanspruch in der Größenordnung, wie er vom Kläger geltend gemacht wird, wird von der Rechtsprechung regelmäßig nur für wesentlich schwerwiegendere Verletzungen bzw. Beeinträchtigungen gewährt wie zum Beispiel:
– 40.000,00 € für Brustwirbelberstungsfraktur BWK 12 sowie Brustwirbelkompressionsfrakturen der BWK 8, 9 und 10 mit Vorderkantenbeteiligung, Schädelhirntrauma mit Hirnödem und schwere linksseitige Lungenkontusion, Kopfplatzwunde, Unterarmschnittwunde, Dauerschaden somatische Schmerzstörung, fünf Monate stationäre Behandlung, in dieser Zeit für vier Tage künstliche Beatmung, anschließend ambulante Heilbehandlung (OLG Hamm, U.v. 14.3.2014 – I-9 U 103/13 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 4785)
– 40.000,00 € für Stichverletzung durch 15 cm langen „Finn-Messer“ in die Rückseite des Oberschenkels mit Muskeldurchtrennung und Nervverletzung sowie starker Blutverlust und Todesangst des Klägers nach Messerstich, Unterschenkelamputation, langwierige Heilbehandlung mit Nachamputation, sechs Wochen Rehabilitationsaufenthalt, Dauerschaden Gehbehinderung (LG Wiesbaden, U.v. 15.4.2010 – 9 O 189/09 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 4393)
– 30.000,00 € für mehrere Stichwunden in die Bauchdecke, wodurch die Niere verletzt wurde und ein Teil des Darms aus der Bauchdecke quoll, psychische Beeinträchtigung, langwierige ambulante Heilbehandlung, Dauerschaden Verlust der Arbeitsstelle, vorsätzliche Körperverletzung nach vorausgegangenem Streit, „Mitverschulden“, ohne die der tätlichen Auseinandersetzung vorausgegangenen verbale Streitigkeit hätte das Gericht ein Schmerzensgeld von 50.000 € für angemessen erachtet (LG Freiburg, U.v. 31.7.2012 – 5 O 85/12 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 4754)
– 25.564,59 € für schwere Gehirnverletzung mit Gehirnschädigung in Form einer sog. „neurasthenischen Leistungsschwäche“ mit Nachlassen der intellektuellen Leistungsfähigkeit und Wesensveränderung (LG Bielefeld, U.v. 19.4.1978 – 7 O 484/75 – Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus, Nr. 924 – Höhe zumindest angesichts der seitdem eingetretenen allgemeinen Preissteigerungen vergleichbar)
Auch dem von Klägerseite in Bezug genommenes Urteil des LG Bonn vom 17.9.1992 (13 O 559/91), mit dem ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.677,51 € zugesprochen wurde, lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem es um eine deutlich schwerwiegendere Verletzung ging. Der Geschädigte hatte eine Stichverletzung mit einem acht bis zehn cm langen Klappmesser in den Oberbauch in der Nähe der Hauptschlagader sowie einen weiteren Stich in die Flanke in der Nähe der Niere erlitten, befand sich in Lebensgefahr und wurde sieben Wochen lang stationär behandelt, wovon er vier Wochen lang einen künstlichen Darmausgang hatte; er wurde mehrmals operiert und hat als Dauerschäden eine 20 cm lange Bauchnarbe und eine fünf cm lange Narbe in der Blinddarmgegend sowie eine depressive Verstimmung davongetragen.
Der Beklagte durfte hier demnach im Rahmen der erforderlichen Plausibilitätskontrolle zu Recht davon ausgehen, dass unter Zugrundelegung der bestandskräftig festgestellten Dienstunfallfolgen des Vorkommnisses vom 30. Juni 2015 ein Schmerzensgeld von 40.000,00 € unangemessen hoch ist.
h) Es kann dahinstehen, ob deswegen bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG nicht vorliegen oder der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensausübung zu dem Ergebnis kommen durfte, dass eine Erfüllungsübernahme insgesamt ausscheidet, auch wenn der Gesetzeswortlaut („bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen“) möglicherweise eine Reduzierung auf einen angemessenen Betrag nahe legt. Denn der Beklagte durfte jedenfalls auf Grundlage von Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG die Erfüllungsübernahme verweigern. Danach kann die Erfüllungsübernahme verweigert werden, wenn auf Grund desselben Sachverhalts insbesondere Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG gezahlt wird. Unfallausgleich wird neben den Aktivbezügen bezahlt, wenn nach einem Dienstunfall aufgrund der fortbestehenden Dienstfähigkeit keine Versetzung in den Ruhestand erfolgt. Da in derartigen Fällen sämtliche materielle Schäden bereits über die bisherige Dienstunfallfürsorge vollständig abgedeckt werden und zudem kein Bezügeausfall gegeben ist, dient der Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG neben einem pauschalen Ersatz von Mehraufwendungen jedenfalls auch dem Ausgleich immaterieller Schäden (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2011 – 3 ZB 08.604 – juris Rn. 6). Deshalb dient die Ausschlussmöglichkeit nach Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG der Verhinderung einer Überversorgung (Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 11. Edition, Stand 1.10.2016, Art. 97 BayBG, Rn. 30).
Dem Kläger wurde hier mit Bescheid vom 9. November 2016 Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG zugesprochen und in der Folge insgesamt 2.002,03 € ausbezahlt. Dass der Kläger diesen nicht beantragt hat, den zugrundeliegenden Bescheid nicht oder nur verspätet erhalten bzw. den Eingang der einzelnen Teilbeträge auf seinem Konto nicht bemerkt haben will, spielt angesichts des Zwecks der Regelung in Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG keine Rolle. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm lagen hier jedenfalls vor, so dass dem Landesamt für Finanzen hinsichtlich der Verweigerung einer Erfüllungsübernahme ein Ermessen zustand. Die Ausübung dieses Ermessens, die vom Gericht nur im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO überprüfbar ist, begegnet vorliegend keinen rechtlichen Bedenken. Es liegt insbesondere kein sogenannter Ermessensfehlgebrauch vor, da das Landesamt für Finanzen sich bei seiner Entscheidung nicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114, Rn. 20 m.w.N.). Die Ermessensausübung hat sich in erster Linie am Zweck der Norm zu orientieren, die das Ermessen eröffnet. Dieser liegt hier nach obigen Ausführungen in der Verhinderung einer Überversorgung durch die Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeldansprüchen bei paralleler Gewährung von Unfallfürsorgeleistungen, die auch dem Ausgleich immaterieller Schäden dienen. Eine solche Überversorgung wäre allerdings nicht gegeben, wenn die Leistungen der Unfallfürsorge deutlich hinter dem rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruch zurückblieben und damit ein deutliches Missverhältnis zwischen den vom Beamten erhaltenen Leistungen und dem uneinbringlichen Schmerzensgeldanspruch bestehen würde. Bei dieser Vergleichsbetrachtung ist das Landesamt für Finanzen aber nach den obigen Ausführungen ebenfalls an die bereits bestandskräftigen Feststellungen im vorangegangenen Dienstunfallverfahren gebunden. Maßgeblich ist insoweit also ein Vergleich zwischen den vom Kläger bereits erhaltenen Leistungen des Unfallausgleichs und einem im Hinblick auf die bestandskräftig festgestellten Dienstunfallfolgen angemessenen Schmerzensgeld. Ohne dass es auf eine – ohnehin kaum mögliche – exakte Bezifferung eines (fiktiven) Schmerzensgeldanspruches des Klägers ankäme, zeigt ein Vergleich mit der einschlägigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung wie oben ausgeführt, dass insoweit ein angemessener Schmerzensgeldanspruch in vergleichbarer Größenordnung wie die bereits gezahlten Leistungen des Unfallausgleichs zu erwarten wäre. Vor diesem Hintergrund begegnet es daher auch im Übrigen keinen Bedenken, dass der Beklagte die Erfüllungsübernahme auch im Hinblick auf den bereits gezahlten Unfallausgleich verweigert hat.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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