Medizinrecht

Untersagung des Betriebs eines Ballett-Studios

Aktenzeichen  20 NE 21.539

Datum:
12.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4744
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 8, § 32
12. BayIfSMV § 10 Abs. 3 S. 1, § 20 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Ob es in dem konkreten Betrieb zu Infektionen kommen kann oder schon gekommen ist, ist für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Schließung von Sportstätten nicht relevant. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es fehlt an Anhaltspunkten, die in der Lage wären, die derzeit grundlegend unterschiedliche Behandlung von Ballett- und Instrumental- und Gesangsunterricht zu rechtfertigen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die aus der pandemischen Gefahrenlage aufgrund von COVID-19 und der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Konfliktlage lässt sich nicht derart auflösen, dass eine vom Verordnungsgeber nicht nachvollziehbar begründete Ausnahme von einer Infektionsschutzmaßnahme durch die Einbeziehung eines vergleichbaren Lebenssachverhaltes erweitert wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin betreibt ein Ballettstudio in Bayern und beantragte zuletzt, § 10 Abs. 3 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. März 2021 (12. BayIfSMV; BayMBl. 2021 Nr. 171) vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit der Antragstellerin verboten werde, in ihren Geschäftsräumen Ballett-Einzelunterricht zu erteilen.
Sie beabsichtige die Erteilung von Einzelunterricht in den Räumen ihrer Ballettschule unter Beachtung der Vorgaben des § 4 Abs. 1 12. BayIfSMV. Es sei nicht erkennbar, dass das Verbot von Einzelunterricht einen nennenswerten Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten könne. Das Gesamtkonzept sei nicht konsistent und nicht schlüssig. Bei der Bewertung der Infektionsrisiken werde auch unter Geltung der 12. BayIfSMV ein ungleicher und widersprüchlicher Maßstab angelegt. In § 20 Abs. 4 Satz 1 12. BayIfSMV werde nunmehr Instrumental- und Gesangsunterricht als Einzelunterricht in Präsenzform gestattet, wohingegen der Betrieb von Sportstätten nach § 10 Abs. 3 12. BayIfSMV nur unter freiem Himmel gestattet sei. Beim Singen in geschlossenen Räumen bestehe ein wesentlich höheres Infektionsrisiko als bei Ballettunterricht in Einzelstunden. Dass Gesangsunterricht „wichtiger“ sei als Ballettunterricht und deswegen ein höheres Infektionsrisiko in Kauf genommen werde, lasse sich der Begründung zur 12. BayIfSMV nicht entnehmen und sei auch nicht zu begründen. Der Mindestabstand von 2 m, der für Instrumental- und Gesangsunterricht gefordert werde, lasse sich auch während des Ballettunterrichts einhalten. Seit Monaten sei der Antragstellerin die Erzielung von Einkünften bei laufender Kostenlast für die Räumlichkeiten versagt.
Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Bei einer am Rechtsschutzziel nach Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung richtet sich der Antrag auf eine vorläufige Außervollzugsetzung von § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV. Nach dem Entscheidungsprogramm des § 47 Abs. 6 VwGO kann die Ergänzung oder Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm nicht Rechtsschutzziel eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sein. Ein solcher wäre als unzulässig abzulehnen, weil das Gericht nicht befugt ist, an Stelle des Verordnungsgebers den Regelungsgehalt einer Norm zu verändern.
Bei dem Ballettstudio der Antragstellerin handelt es sich um eine Sportsstätte im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV, weshalb die Antragstellerin durch die Betriebsschließung in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen ist.
Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache gegen § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV hat unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei summarischer Prüfung keine durchgreifende Aussicht auf Erfolg (2.). Unabhängig davon ginge auch eine Folgenabwägung zulasten des Antragstellers aus (3.).
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).
Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. Nach diesen Maßstäben ist der Eilantrag auf einstweilige Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung abzulehnen, weil ein in der Hauptsache noch zu erhebender Normenkontrollantrag bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg hat.
a) Zu der Frage, ob die angegriffene Untersagung des Betriebs von Sportstätten durch § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 8. Dezember 2020 (20 NE 20.2461 – juris Rn. 22 ff.), wonach gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 28a IfSG jedenfalls im Rahmen des Eilrechtsschutzes keine durchgreifenden Bedenken bestehen.
b) Die von der Antragstellerin angegriffene Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV steht mit der Ermächtigungsgrundlage der § 32 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 8, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Einklang, weil ihre Voraussetzungen vorliegen, und erweist sich bei summarischer Prüfung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig (vgl. auch bereits BayVGH, B.v. 5.11.2020 – 20 NE 20.2468 – juris Rn. 14 ff.; B.v. 12.11.2020 – 20 NE 20.2463 – juris Rn. 33 ff. und B.v. 25.11.2020 – 20 NE 20.2567 – BeckRS 2020, 32986 Rn. 23 ff. betreffend § 10 8. BayIfSMV i.d.F.v. 30.10.2020).
aa) Das Infektionsgeschehen ist weiter auf hohem Niveau. Nach dem Situationsbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 11. März 2021 (vgl. abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Jan_2021/2021-03-11-de.pdf? blob=publicationFile) ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätzt die Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Die Inzidenz der letzten sieben Tage liegt deutschlandweit bei 69 Fällen pro 100.000 Einwohner, in Bayern bei 77. Die Sieben-Tage-Inzidenz bei Personen zwischen 60 und 79 Jahren liegt bei aktuell 44 Fällen und bei Personen über 80 Jahren bei 48 pro 100.000 Einwohner. Die hohen bundesweiten Fallzahlen werden verursacht durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld sowie in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern. Weltweit kommen verschiedene Virusvarianten vor, darunter drei besorgniserregenden Virusvarianten (variants of concern, VOC): Die Viren der Linie B.1.1.7 (erstmals nachgewiesen in Großbritannien), der Linie B.1.351 (erstmals nachgewiesen in Südafrika) und der Linie P.1 (zirkuliert hauptsächlich im brasilianischen Bundesstaat Amazonas). Mit verstärkter Probensequenzierung und Datenerfassung im Deutschen elektronischen Sequenzdaten-Hub (www.rki.de/covid-19-desh) wird das Infektionsgeschehen im Rahmen der Integrierten Molekularen Surveillance (IMS) intensiv beobachtet. Auch in Deutschland sind seit Dezember 2020 Infektionen mit VOC nahgewiesen worden, speziell der Variante B.1.1.7. Die bisher vorliegenden Daten und Analysen zeigen, dass sich der Anteil der VOC B.1.1.7 in den letzten Wochen deutlich erhöht hat. Es ist mit einer weiteren Erhöhung des Anteils auf über 50% der Virusvariante B.1.1.7 zu rechnen, wie dies in den letzten Wochen bereits aus anderen europäischen Ländern berichtet wurde. Das ist besorgniserregend, weil B.1.1.7 nach bisherigen Erkenntnissen ansteckender ist und vermutlich etwas schwerere Krankheitsverläufe verursacht als andere Varianten. Hinweise auf eine substantiell verringerte Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe gegen die Variante B.1.1.7 gibt es bislang nicht. Ob und in welchem Maße die neuen Varianten B.1.351 und P.1 die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe beeinträchtigen, ist derzeit noch nicht sicher abzuschätzen.
Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag insbesondere die Untersagung oder Beschränkung von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind (§ 28a Abs. 1 Nr. 6 IfSG), und von Sportveranstaltungen und der Sportausübung sein (vgl. § 28a Abs. 1 Nr. 8 IfSG). Entscheidungen über Schutzmaßnahmen sind nach § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten. Dabei sind soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 vereinbar ist. Einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, können von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 nicht zwingend erforderlich ist (§ 28a Abs. 6 Satz 2 und 3 IfSG).
Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist nach dem Willen des Gesetzgebers, der in § 28a Abs. 3 IfSG zum Ausdruck kommt, ein gestuftes Vorgehen geboten, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 31). Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben (§ 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG). Mit einer landesweiten Inzidenz von 77 am 11. März 2021, die im Vergleich zu der 7-Tage-Inzidenz zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verordnung am 5. März 2021 bereits angestiegen ist (69, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-03-05-de.pdf? blob=publicationFile), besteht Handlungsbedarf zur effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens.
bb) Die Schließung der Innenbereiche von Sportstätten nach § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV erweist sich bei summarischer Prüfung aller Voraussicht nach derzeit nicht als unverhältnismäßig.
Sportstätten sind seit Inkrafttreten der 9. BayIfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 683) am 1. Dezember 2020 geschlossen. Zur Begründung der 9. BayIfSMV hat der Verordnungsgeber Folgendes ausgeführt (BayMBl. 2020 Nr. 684, Seite 3)
„Hintergrund der getroffenen Beschränkungen im Kultur-, Gastronomie- und Freizeitbereich ist Folgender:
Um ein noch weiterreichendes Herunterfahren des öffentlichen Lebens zu vermeiden und Schulen und Kindertagesstätten so lange wie möglich offen zu halten, sind Kontakte vor allem im Kultur- und Freizeitbereich und in der Gastronomie deutlich zu reduzieren. Die Maßnahmen betreffen Gastronomiebetriebe, Dienstleistungsbetriebe für körpernahe Dienstleistungen, die kulturellen Einrichtungen, die außerschulische Bildung, die Freizeiteinrichtungen und auch den Amateursport besonders, weil es sich hierbei um kontaktintensive Bereiche handelt. Hier kann das Infektionsgeschehen nach den bisherigen Erkenntnissen durch eine Verminderung der persönlichen Kontakte effektiv begrenzt werden. Eine Erstreckung auf andere Bereiche wäre mit noch schwereren Folgen verbunden, auch in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Anteil der betroffenen Bereiche am Infektionsgeschehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt genau und im Einzelnen sicher feststellen lässt. Wie bereits dargestellt, ist die Ermittlung der Umstände einer Infektion ohnehin nur schwer möglich. Da nur durch eine generelle Reduzierung von persönlichen Kontakten das Infektionsgeschehen beherrscht werden kann, ist entscheidend, dass in der Gesamtschau der beschlossenen Einschränkungen diese angestrebte Wirkung erreicht werden kann und diese im Hinblick auf die Belastung nicht außer Verhältnis steht.
In den Bereichen der Gastronomie, der Dienstleistungsbetriebe für körpernahe Dienstleistungen, der kulturellen Veranstaltungen, der außerschulischen Bildung, der Freizeiteinrichtungen und des Amateursports können die notwendigen Hygienemaßnahmen wie Mindestabstand und Maskentragen nur begrenzt eingehalten werden. So müssen in gastronomischen Betrieben zum Verzehr von Speisen und Getränken die Masken am Tisch abgenommen werden. Auch dort, wo Gäste oder Zuschauer grundsätzlich an festen Plätzen platziert und insoweit Mindestabstände eingehalten werden können, ist es unvermeidlich, dass die Gäste oder Zuschauer vor dem Einnehmen und nach Verlassen dieser Plätze in Begegnungsbereichen wie Gängen, Eingangsbereichen, Garderoben, Toiletten usw. aufeinandertreffen, ohne dass Abstände konsequent eingehalten werden können. Körperliche Aktivität wie beim Sport ist mit einer erhöhten Produktion von Aerosolen verbunden. Somit besteht in den Innenräumen ein erhöhtes Risiko der Anreicherung von Aerosolen. Dies wiederum kann eine mögliche Infektionsübertragung begünstigen auch bei Einhalten von Mindestabständen. Aus diesen Gründen kann die in den genannten Bereichen bestehende Infektionsgefahr auch bei Beachtung von Schutz- und Hygienekonzepten nicht vollständig vermieden werden. Konnten diese Bereiche bei günstigeren Infektionsgeschehen noch unter entsprechenden Hygieneauflagen und insbesondere im Sommer, als ein großer Teil der Betätigungen im Freien erfolgte, stattfinden, so ist unter den gegebenen Bedingungen die Schließung der entsprechenden Bereiche unumgänglich.“
Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass diese Begründung auch unter Geltung der 12. BayIfSMV die den Betrieb von Sportstätten einschränkenden Maßnahmen trägt, da die Begründung zur 12. BayIfSMV auf die Begründung zur 11. BayIfSMV (BayMBl. 2020 Nr. 738) verweist, die unter anderem auf die Begründung zur 9. BayIfSMV verweist.
Die Antragstellerin hat nicht geltend gemacht, dass in der derzeitigen pandemischen Situation die Kontaktvermeidung bei der Sportausübung kein geeignetes und angemessenes Mittel sei, um die Entstehung von Infektionsketten zu verhindern oder zu unterbinden. Ob es in ihrem Betrieb zu Infektionen kommen kann oder schon gekommen ist, ist für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Schließung von Sportstätten nicht relevant. Die Untersagung des Betriebs aller Sportstätten in Innenräumen, die regelmäßig gezielt von einer Vielzahl von Menschen zur Freizeitgestaltung aufgesucht werden und bei typisierender Betrachtungsweise damit auch eine Vielzahl menschlicher und damit für das Infektionsgeschehen relevanter Kontakte hervorrufen (im Eingangsbereich, in den Umkleideräumen und bei der Sportausübung), erfolgt, um nicht zwingend notwendige physische Kontakte zu verhindern und so das Infektionsgeschehen abzuschwächen. Immer dann, wenn Menschen aufeinandertreffen, besteht das Risiko einer Ansteckung. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus voraussichtlich nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann (BT-Drs. 19/23944 S. 31). In der derzeitigen pandemischen Situation eines andauernden und wieder ansteigenden Infektionsgeschehens begegnet die Entscheidung des Verordnungsgebers, die Ausübung von Freizeitsport so weit einzuschränken, dass in diesem Bereich physische Kontakte minimiert werden, keinen durchgreifenden Bedenken
cc) Soweit sich die Antragstellerin auf eine nicht sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen dem Ballettunterricht und dem – nach § 20 Abs. 4 12. BayIfSMV jedenfalls bei einer örtlichen 7-Tage-Inzidenz bis 100 auf 100.000 Einwohner in Präsenzform unter Hygieneauflagen zulässigen – Instrumental- und Gesangsunterricht beruft, kann sie hieraus nicht herleiten, dass die angegriffene Norm vorläufig außer Vollzug zu setzen wäre.
Angesichts der oben genannten Begründung zur 9. BayIfSMV, von deren grundsätzlicher Weitergeltung der Verordnungsgeber – mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in der Begründung zur 12. BayIfSMV – ungeachtet des zwischenzeitlich verstrichenen Zeitraums und einer geänderten Infektionslage weiterhin auszugehen scheint, fehlt es bei summarischer Prüfung an Anhaltspunkten, die in der Lage wären, die derzeit grundlegend unterschiedliche Behandlung von Ballett- und Instrumental- und Gesangsunterricht zu rechtfertigen. So ist weder vom Verordnungsgeber dargelegt worden noch sonst ersichtlich, inwiefern Instrumental- und insbesondere Gesangsunterricht in Innenräumen mit einem geringeren Infektionsrisiko i.S. des § 28a Abs. 3 IfSG behaftet wäre als andere vergleichbare, im Einzelkontakt stattfindende Angebote im Bereich von Sport, Freizeit und außerschulischer Bildung und ihnen zur Eindämmung der Pandemie deshalb nur untergeordnete Bedeutung zukäme. Ebenso wenig ist ersichtlich oder dargelegt, dass und inwiefern der Verordnungsgeber mit der unterschiedlichen Behandlung verschiedener außerschulischer Unterrichtsangebote einem oder mehreren der in § 28a Abs. 6 IfSG genannten sozialen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichem Belange Rechnung tragen will.
Im Hinblick auf die Begründungspflicht nach § 28a Abs. 5 IfSG und die sich ggf. aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebende Verpflichtung des Verordnungsgebers im Rahmen der Ausübung seines Verordnungsermessens und ggf. eines Beurteilungsspielraumes, die Gründe einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte darzulegen, bestehen zumindest erhebliche Bedenken, ob die von der Antragstellerin gerügte Ungleichbehandlung auf sachlichen Gründen beruht. Eine abschließende Prüfung dieser Frage muss jedoch einer eingehenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Im Ergebnis dürfte im hier zu entscheidenden Fall ein entsprechender Verstoß jedoch nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin auf vorläufige Außervollzugsetzung des § 10 Abs. 3 Satz 1 12. BayIfSMV führen, weil die Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Norm – wie oben dargelegt – derzeit erfüllt sind und aus einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls im Grundsatz kein Anspruch auf Normaufhebung folgt (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 – 1 BvR 541/02 u.a. – juris Rn. 44 ff.; BVerwG, U.v. 25.7.2007 – 3 C 10/06 – juris Rn. 30 f.; Wollenschläger in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, § 3 Rn. 316). Bei einer gleichheitswidrigen Rechtsverordnung kommt eine gerichtliche Korrektur durch Aufhebung einer belastenden Maßnahme im Grundsatz nur dann in Betracht, wenn das normative Ermessen des Verordnungsgebers rechtmäßig nur in einem bestimmten Sinn ausgeübt werden könnte oder wenn sich mit Sicherheit annehmen lässt, dass der Verordnungsgeber, wäre ihm das Problem bewusst, den Anforderungen des Gleichbehandlungsgebots gerade in diesem Sinn Rechnung tragen würde (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 31). Das ist hier jedoch nicht der Fall, weil sich die aus der pandemischen Gefahrenlage aufgrund von COVID-19 und der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Konfliktlage nicht derart auflösen lässt, dass eine vom Verordnungsgeber nicht nachvollziehbar begründete Ausnahme von einer Infektionsschutzmaßnahme durch die Einbeziehung eines vergleichbaren Lebenssachverhaltes erweitert wird. Gerät allerdings das Verhältnis von repressiven Verboten und Befreiungen derart in Schieflage, dass das repressive Verbot an sich in Frage gestellt wird, kann dieses Verbot im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr aufrechterhalten bleiben.
3. In dieser Situation ergibt außerdem eine Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung – im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten – schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Rechte der Normadressaten. Gegenüber den bestehenden Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verpflichtet ist, müssen die Interessen der von der Schließung von Sportstätten Betroffenen derzeit zurücktreten (vgl. auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 – juris Rn. 25; B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris Rn. 12 ff.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffene Bestimmung bereits mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass der Streitwert für das Eilverfahren nicht nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verringern ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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