Medizinrecht

Wegen einstweiliger Anordnung

Aktenzeichen  L 11 AS 260/18 B ER

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7237
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 86b Abs. 2 Satz 2, § 99 Abs. 1

 

Leitsatz

Kein Anspruch auf eine Verpflichtung des Jobcenters im Hinblick auf die Einlegung eines “guten Wortes” bei einem potentiellen Arbeitgeber. (Rn. 12)

Verfahrensgang

S 16 AS 29/18 ER 2018-01-30 Bes SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.01.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie die Arbeitsvermittlung durch den Antragsgegner (Ag).
Nachdem der Antragsteller (ASt) von Juni 2015 bis November 2016 als Produktionshelfer beschäftigt war, bezog er im Anschluss bis 06.12.2017 Arbeitslosengeld I. Mit Bescheid vom 01.12.2017 bewilligte sodann der Ag Alg II iHv 521,76 € für Dezember 2017 sowie iHv 643,98 € monatlich für Januar bis April 2018. Einen Antrag vom 14.12.2017 auf Überprüfung dieses Bescheides wegen einer begehrten Berücksichtigung von Beiträgen für eine Kfz-Versicherung lehnte der Ag mit Bescheid vom 20.12.2017 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Zuletzt wurden dem ASt mit Bescheid vom 14.03.2018 Leistungen iHv 643,98 € monatlich für Mai 2018 bis April 2019 bewilligt. Nach Aktenlage ist dagegen bislang kein Widerspruch eingelegt worden.
Am 19.01.2018 hat der ASt beim Sozialgericht Würzburg (SG) einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er werfe dem Ag Untätigkeit vor. Dieser verstehe nicht, dass er aufgrund seines schlechten Lebenslaufs keinen Job bekomme. Bei Bewerbungen auf Stellenangebote, die er vom Arbeitsamt erhalten habe, sei er nicht zum Zuge gekommen. Der Ag könne durch seine Außendienstmitarbeiter Einfluss auf Arbeitgeber nehmen, da er diese kenne. Mit Beschluss vom 30.01.2018 hat das SG den Antrag abgelehnt. Im Hinblick auf sein Begehren, mehr Unterstützung bei der Arbeitssuche zu erhalten, gebe es keinen Rechtsanspruch dafür, dass ein Außendienstmitarbeiter des Ag ein „gutes Wort“ für ihn einlege. Zudem sei der Erfolg einer solchen Fürsprache zweifelhaft. Der Vorwurf der Untätigkeit bzw mangelnden Befähigung der Mitarbeiter des Ag sei pauschal und in keiner Weise glaubhaft gemacht. Vielmehr bemühe sich der Ag intensiv um eine Vermittlung in Arbeit. Im Hinblick auf Einschränkungen bzgl einer Tätigkeit im Drei-Schicht-Betrieb, auf die geringe Qualifikation und die Ablehnung einer Einstellung bei Leiharbeitsfirmen stelle sich das Auffinden einer Arbeitsstelle als sehr schwierig da.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Der Ag sei verpflichtet, Zuschüsse für Beiträge für ein Fitnessstudio und eine Kfz-Versicherung zu gewähren. Vom Ag werde er bei der Jobsuche nicht richtig unterstützt. Es würden dort die falschen Leute arbeiten. Grund für die schlechten Chancen seien nicht seine Einschränkungen sondern sein schlechter Lebenslauf. Er bekomme immer nur befristete Arbeitsverhältnisse und sei dann wieder arbeitslos. Der Ag hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Für die erstmals in der Beschwerde genannten Begehren hinsichtlich der Beiträge für ein Fitnessstudio und die Kfz-Versicherung fehle es sowohl am Anordnungsgrund als auch am Anordnungsanspruch.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Akten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 173, 174 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht begründet.
Gegenstand des Rechtsstreites ist zunächst ein Handeln des Ag in Bezug auf die Einflussnahme auf potentielle Arbeitgeber zur Unterstützung bei der Arbeitssuche, das der ASt fordert. Weiter geht es dem ASt um die Zahlung höheren Alg II in Bezug auf die Berücksichtigung von Aufwendungen für den Besuch eines Fitnessstudios und für eine Kfz-Versicherung. Letztere Begehren wurden erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht. Diese Antragsänderung bzw -erweiterung ist zwar nicht sachdienlich, aber im Hinblick darauf, dass der Ag dem nicht widersprochen und er sich hierauf in der Sache eingelassen hat – dies ist als Zustimmung zur Antragsänderung bzwerweiterung anzusehen (§ 99 Abs. 2 SGG) -, nach § 99 Abs. 1 SGG zulässig. Als Rechtsgrundlage ist für alle Begehren § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG heranzuziehen, da diese in einem Hauptsacheverfahren nicht mittels (isolierter) Anfechtungsklage durchzusetzen wären.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 42/76 – BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 – 2 BvR 745/88 – NJW 2003, 1236).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt – voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13); eine lediglich summarische Prüfung genügt entgegen der Auffassung des SG nicht. Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breith 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12).
Es fehlt vorliegend für die Verpflichtung des Ag zu der vom ASt geforderten Unterstützungsleistung hinsichtlich der Arbeitsvermittlung sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund. Eine Rechtsgrundlage für eine persönliche Fürsprache eines Außendienstmitarbeiters bei einem konkreten Arbeitgeber findet sich im Gesetz nicht. Im Übrigen ist es reine Spekulation, dass eine solche Fürsprache tatsächlich zu einer Einstellung führen würde. Der ASt verweist selbst darauf, dass er seinen schlechten Lebenslauf als Grund der mangelnden Erfolgsaussichten ansieht. Eine Eilbedürftigkeit ist ebenfalls nicht gegeben, denn es wird vom ASt nicht einmal ein konkreter Arbeitgeber benannt, der ihn zurzeit einstellen würde (vgl zum Ganzen bereits den Beschluss des Senats vom 05.03.2015 – L 11 AS 98/15 B ER -, der ebenfalls in einem Verfahren des ASt ergangen ist).
Soweit der ASt höhere Leistungen in Bezug auf die Berücksichtigung von Aufwendungen für den Besuch eines Fitnessstudios und für eine Kfz-Versicherung begehrt, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Es ist nicht ersichtlich, dass dem ASt ein Abwarten einer diesbezüglichen Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar sein soll. So ist bereits unklar, ob und wann die Versicherungsbeiträge fällig sind und insbesondere, ob sie nicht bereits vom ASt entrichtet worden sind. Zudem erfolgt eine Berücksichtigung entsprechender Beiträge regelmäßig alleine als Absetzbetrag hinsichtlich eines Einkommens (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Anhaltspunkte für eine Übernahme im Rahmen der Eingliederungsleistungen nach §§ 16 ff SGB II sind nicht ersichtlich. Hierüber wäre zudem zunächst auf einen entsprechenden Antrag des ASt vom Ag zu entscheiden, bevor einstweiliger Rechtsschutz beantragt wird. Das Begehren bezüglich der Beiträge für ein Fitnessstudio wurde gegenüber dem Ag im Verwaltungsverfahren bislang nicht geltend gemacht, so dass diesbezüglich noch keine Entscheidung des Ag vorliegt. Eine solche wäre jedoch grundsätzlich vor der Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abzuwarten. Im Übrigen dürfte es hier auch am Anordnungsanspruch fehlen, da Leistungen in vertretbarem Umfang für eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bereits im Regelbedarf berücksichtigt sind (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II). Es kann vorliegend dahinstehen, ob der „Überprüfungsantrag“ des ASt in Bezug auf den Bescheid vom 01.12.2017 tatsächlich einen vom Ag angenommenen Antrag iSv § 44 SGB X darstellt oder er nicht als Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid hätte angesehen werden müssen. Die Widerspruchsfrist in Bezug auf den Bewilligungsbescheid vom 01.12.2017 war am 14.12.2017 erkennbar nicht abgelaufen, weshalb noch kein unanfechtbarer Bescheid vorgelegen hat. Der ASt hat sich nicht explizit auf § 44 SGB X berufen, sondern eine „Überprüfung“ der Bewilligung ohne Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge beantragt.
Die Beschwerde des ASt war damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).


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