Medizinrecht

Zum Honoraranspruch des am Hausarztvertrag teilnehmenden Arztes

Aktenzeichen  S 38 KA 2033/14

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9090
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
HzV-V § 12, § 13, § 15 Abs. 4 S. 5
BGB § 195, § 203, § 204, § 280, § 364
SGB I § 45 Abs. 1
SGB V § 73b

 

Leitsatz

1. Bei den in § 13 Abs. 5 Hausarztvertrag (HzV-V) geregelten Antragsfristen handelt es sich genauso wie bei in der Prüfvereinbarung vorgesehenen Fristen um reine Ordnungsfristen und nicht um Ausschlussfristen. Auch diese Fristen dienen dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung und stellen kein Hindernis für die Verfahrensdurchführung bzw. für eine Sachentscheidung dar (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az B 6 KA 14/16). (Rn. 23 – 27)
2. Der Honoraranspruch des am Hausarztvertrag teilnehmenden Arztes entsteht erst mit der Bekanntgabe des Abrechnungsnachweises (§ 13 Abs. 6 HzV-V). (Rn. 28)
3. Rückforderungsansprüche der Krankenkasse aus dem Hausarztvertrag verjähren nach vier Jahren nach Bekanntgabe des Abrechnungsnachweises. Insofern gelten die gleichen Verjährungsfristen wie bei Ansprüchen aus sachlich-rechnerischer Richtigstellung.  (Rn. 30)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin Euro 11.256,27 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

Die zum Sozialgericht eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch zum überwiegenden Teil als begründet.
Die von der Klägerin beim BHÄV beantragte Berichtigung, die schließlich nach Abtretung zu dem strittigen Rückforderungsverlangen gegenüber dem Beklagten geführt hat, bezieht sich auf die 01622, 02312, 03111, 03330, 30500, 32001, 32042, 33011, 33012, 33040, 33042, 40120, 40144, 01100, 01102, 01611, 01621, 01622, 01740, 02300, 02302, 02310, 02312, 02313, 03112, 03212, 03324, 03330, 301, 30500, 30501, 31600, 32001, 32025, 32030, 32031, 32057, 32135, 35100, 35110, 40120, 40144 und 501.GOP´s 02100, 02301, 03324, 03330, 301, 31600, 32001, 32030, 32056, 32057, 32089, 32140-32146, 32148, 40120, 40144, 501 und 502).
Daraus ergibt sich, dass entgegen den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten keinerlei Substitutionsleistungen (GOP´s 01950, 01951, 01952) berichtigt wurden und sich dementsprechend das Rückforderungsverlangen der Klägerin nicht darauf bezieht. Die zu Substitutionsleistungen ergangene Rechtsprechung des Sozialgerichts München, wonach die Änderungen nach Auffassung des Gerichts für die betroffenen Ärzte nicht verbindlich sind (vgl. SG München, Urteil vom 22.03.2017, Az. S 21 KA 1902/14; Urteil vom 23.10.2017, Az. S 28 KA 2016/14; Urteil vom 12.12.2017, Az. S 38 KA 1980/14), ist somit auf das streitgegenständliche Verfahren nicht anzuwenden. Genauso gehen die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Beklagten – was Substitutionsleistungen betrifft – an der Sache vorbei.
Als Anspruchsgrundlage kommt § 15 Abs. 4 S. 5 Hausarztvertrag (HzV-V) i.V.m. § 280 BGB in Betracht. Danach steht der Klägerin ein weitergehender Schadensersatzanspruch zu. Die Regelung des § 15 Abs. 4 S. 1 HzV-V kommt nicht zum Tragen, weil dieser Anspruch lediglich auf die Erstattung von zu viel erhaltener HzV-Vergütung gerichtet ist (vgl. SG München, Urteil vom 22.03.2017, Az. S 21 KA 1924/14). Der ursprüngliche Anspruch des Beigeladenen wurde wirksam an Erfüllung statt gem. § 15 Abs. 5 S. 3 HzV-V i.V.m. § 364 BGB an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin hat die Abtretung angenommen (vgl. SG München, Beschluss, Az. S 21 KA 1820/14 ER).
Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch liegen vor. Nach § 12 Abs. 2 HzV-V dürfen Leistungen, die gemäß Anlage 10 vergütet werden, nicht zusätzlich gegenüber der KVB abgerechnet werden. Anlage 10 enthält einen sog. „Ziffernkranz“, d.h. in einer Tabelle sind die EBM-Leistungen aufgeführt, die dem Hausarztvertrag zugeordnet und die im Rahmen dessen meist durch Pauschalen bzw. Zuschläge abgegolten sind. Der Beklagte hat die o.g. Leistungen auch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns abgerechnet, obwohl diese vom Ziffernkranz des HzV-V erfasst sind.
Er hat damit gegen § 12 Abs. 2 HzV-V i.V.m. dessen Anlage 10 (Anlage 10, Abschnitt B II, Abs. 1 S. 4) verstoßen. Die genannten Leistungen sind vom Hausarztvertrag mitumfasst und durch Pauschalen und Zuschläge (Z 06, Z 08, Z 10, und Z 12) abgegolten.
Außerdem hat der Beklagte Leistungen abgerechnet, wie z.B. Besuchsleistungen (GOP 301), die nach dem HzV-V nicht abrechenbar sind.
Soweit der Beklagte geltend macht, die Rückforderung beziehe sich zum Teil (474,53 €) auch auf Leistungen, die unter einer anderen LANR erbracht worden seien, führt dies nicht zu einem insoweit reduzierten Rückforderungsanspruch. Die 21. Kammer des Sozialgerichts München hat hierzu folgende Ausführungen gemacht, denen sich die 38. Kammer des Sozialgerichts München anschließt:
„Auch die Abrechnung dieser Leistungen, die von Partnerinnen der BAG erbracht wurden, für Patienten, die bei der Beklagten in den HzV-Vertrag eingeschrieben waren, war unzulässig. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 HzV-Vertrag i.V.m. Anlage 4 HzV-Vertrag haben sich die Patienten verpflichtet, nur die Beklagte für die hausärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Diese Verpflichtung war auch der Beklagten bekannt, da die Teilnahmeerklärung der Versicherten, in welchen die Verpflichtung zur Bindung an den gewählten Hausarzt enthalten war, gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 HzV-Vertrag beim gewählten Hausarzt, also der Beklagten, abzugeben war. Es hätte daher der Beklagten oblegen, auf die Beachtung der Bindung der in den HzV-Vertrag eingeschriebenen Patienten an die Beklagte zu achten und Behandlungen und Abrechnungen gegenüber der KVB durch andere Ärztinnen der BAG, die nicht am HzV-Vertrag teilnahmen, zu verhindern.“
Diese Verletzung hat insofern zu einem Schaden geführt, als die Klägerin durch die KVB auf Ersatz dieser unzulässigen Abrechnungen in Anspruch genommen wird (vgl. Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 4 SGB V zur Ermittlung des zu bereinigenden Behandlungsbedarfs gemäß § 87a Abs. 3 S. 2 SGB V bei Beitritt eines Versicherten zu einem Vertrag gemäß §§ 73b, 73c und 140d SGB V in der 16. und 17. Sitzung am 09.12.2009 mit Wirkung zum 01.10.2009 bis zum 31.12.2010 bzw. mit Wirkung zum 01.01.2010 bis zum 31.12.2010, jeweils Abschnitte II.1.5 Nr. 4 und 8 in Verbindung mit den Vereinbarungen zur Bereinigung des Behandlungsbedarfs nach § 87a Abs. 3 S. 2 SGB V für Verträge nach §§ 73b, 73c und 140d zwischen der KVB und der Klägerin).
Im Hinblick auf die „Verschuldensvermutung“ in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist auch von einer schuldhaften Pflichtverletzung auszugehen. Anhaltspunkte für eine unverschuldete Pflichtverletzung sind nicht vorhanden.
Gegen den geltend gemachten Rückforderungsanspruch kann nicht eingewandt werden, die Klägerin habe die Antragsfrist des § 13 Abs. 5 HzV-V nicht eingehalten. Danach kann die Klägerin Berichtigungen bei der HÄVG nur innerhalb von zwölf Monaten nach Erhalt der vollständigen Rechnung beantragen. Dafür, dass diese Frist nicht eingehalten wurde, gibt es keine Anhaltspunkte. Von der Beklagtenseite wird nur ohne konkrete Nachweise behauptet, die Klägerin habe gegen die Antragsfrist des § 13 Abs. 5 hat HzV-V verstoßen. Abgesehen davon kommt es auf die Einhaltung der Antragsfrist nicht an. Denn es handelt sich nur um bloße Ordnungsfristen, nicht aber um Ausschlussfristen. Nur Ausschlussfristen können dazu führen, dass eine Abrechnungsprüfung unzulässig wäre.
Im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wiederholt Antragsfristen als bloße Ordnungsfristen angesehen (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az. B 6 KA 14/16 R; BSG; BSG, Urteil vom 29.06.2011, Az. B 6 KA 16/10). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Fristen dienten dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung und der effektiven Verfahrensdurchführung und stellten deshalb kein Hindernis für die Verfahrensdurchführung bzw. für eine Sachentscheidung dar. Die gegenteilige Auffassung würde dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots zuwiderlaufen.
Für die sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfung kann nichts Anderes gelten als für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Antragsfristen im Zusammenhang mit der sachlich-rechnerischen Abrechnungsprüfung stellen ebenfalls bloße Ordnungsfristen dar. Zwar unterscheiden sich die Prüfungsgegenstände und die Art der Prüfung bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Prüfung. In beiden geht es aber um die Prüfung der Abrechnung ärztlicher Leistungen auf ihre Rechtmäßigkeit. Ausgehend von den Überlegungen des Bundessozialgerichts ist auch nicht erkennbar, dass der sachlich-rechnerischen Prüfung der Abrechnung ein geringerer Stellenwert zukommen soll als der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Im Gegenteil! Die Normierung von § 106a SGB V zeigt, dass der Gesetzgeber der sachlich-rechnerischen Richtigstellung große Bedeutung beimisst.
Des Weiteren gibt es keine sachlichen Gesichtspunkte, die Einordnung von Antragsfristen einmal als Ordnungsfristen, das andere Mal als Ausschlussfristen zu verstehen, je nachdem wer sich darauf beruft. Deshalb kann auch bei der sachlich-rechnerischen Richtigstellung die Versäumung einer Antragsfrist kein Verfahrenshindernis darstellen und keine Sachentscheidung ausschließen (vgl. SG München, Urteil vom 07.11.2017, Az. S 38 KA 551/15).
Nichts Anderes gilt für im HzV-V enthaltene Antragsfristen.
Auch sind die von der Klägerin geltend gemachten Rückforderungsansprüche nicht verjährt. Der Abrechnungsnachweis entspricht im Kollektivvertragsrecht dem Honorarbescheid (vgl. § 13 Abs. 6 S. 1 HzV-V). Hier entsteht der Honoraranspruch, der nach Auffassung des Bundessozialgerichts nicht bereits mit der Dienstleistung des Arztes (so Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.05.2006, Az. IX ZR 247/03), sondern erst mit dem Erlass des Honorarbescheides, mit dem der individuelle Honoraranspruch der Höhe nach konkretisiert wird (BSG, Urteil vom 10.12.2014, Az. B 6 KA 45/13 R, OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2017, Az. I-27 U 31/16, 27 U). Somit entsteht der Honoraranspruch des am Hausarztvertrag teilnehmenden Arzt auch erst mit der Bekanntgabe des Abrechnungsnachweises.
Legt man die kurze regelmäßige Verjährung in § 195 BGB zu Grunde, die der Prozessbevollmächtigte des Beklagten für einschlägig hält, wären – wenn überhaupt – allenfalls Ansprüche aus dem Quartal 3/2009 aufgrund der in §§ 13 ff. HzV-V geregelten Abrechnungssystematik verjährt, sofern der Abrechnungsnachweis für das Quartal 3/2009 noch im Jahr 2009 erfolgt sein sollte, nicht jedoch für die Quartale 4/2009-4/2010. Somit wäre nur eine Rückforderung in Höhe von 21,7 2 € verjährt; dies nur unter der Prämisse, dass der Abrechnungsnachweis noch im Jahr 2009 erfolgt ist, wovon nicht auszugehen ist.
Letztendlich kommt es darauf jedoch nicht an. Nach Auffassung des Gerichts ist nicht von einer dreijährigen Verjährung (regelmäßige Verjährung nach § 195 BGB), sondern von einer vierjährigen auszugehen. Dies folgt daraus, dass für eine nachgehende Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide zwar keine Verjährung gilt, sondern eine Ausschlussfrist von vier Jahren in Anlehnung an die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs. 1 SGB I (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az. B 6 KA 5/09 R; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25.10.2017, Az. L 5 KA 1619/16). Für Rückforderungsansprüche aus dem Hausarztvertrag kann nichts Anderes gelten. Ansonsten würde dies eine Besserstellung des am Hausarztvertrag teilnehmenden Arztes gegenüber einem nicht am Hausarztvertrag teilnehmenden Arzt bedeuten. Für eine solche Differenzierung gibt es keinen sachlich-einleuchtenden Grund (Art. 3 Grundgesetz). In dem Zusammenhang kann der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht gefolgt werden, wonach es sich um Ansprüche außerhalb des Kassenarztrechts handeln soll, weshalb hier andere Verjährungsvorschriften zur Anwendung gelangen sollen. Denn § 73 b Abs. 1 SGB V, auf dem der Hausarztvertrag beruht, regelt, dass die Krankenkassen ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (Hausarzt zentrierte Versorgung) anbieten müssen. Die hausarztzentrierte Versorgung ist folglich Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Nicht zuletzt deswegen wären unterschiedliche Verjährungsfristen mit der Einheitlichkeit des vertragsärztlichen Systems nicht zu vereinbaren. Der BHÄV hat mit Abrechnungsnachweis vom 29.08.2013 den Beklagten um Ausgleich der Forderung bis zum 26.09.2013 gebeten. Dem schlossen sich zwei ergebnislose „Mahnläufe“ an. Entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 203 Satz 1 BGB ist während dieser Zeit eine Hemmung der Verjährung eingetreten (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2012, Az. B 6 KA 35/12 R). Ebenso ist nachfolgend durch die von der Klägerin am 17.12.2014 erhobene Klage gem. § 45 Abs. 2 SGB I alg. i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ebenfalls eine Hemmung der Verjährung eingetreten. Dies hat zur Folge, dass Rückforderungen aus sämtlichen Quartalen, beginnend mit dem Quartal 3/2009 nicht verjährt sind.
Insoweit stehen der Klägerin die geltend gemachten Rückforderungsansprüche gegen den Beklagten zu.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin aber keinen Anspruch auf Erstattung der begehrten Zinsen nach §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Vom Bundessozialgericht wurden wiederholt Zinsansprüche im Verhältnis der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Vertragsarzt abgelehnt. Dagegen wurden Zinsansprüche im Verhältnis zwischen Krankenkassen und der KV bzw. der KZV zugesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 27.06.2012, Az. B 6 KA 65/11 B; BSG, Urteil vom 28.09.2005, Az. B 6 KA 71/04 R). Es ist kein Grund ersichtlich, davon abweichend im Verhältnis Krankenkasse und am Hausarztvertrag teilnehmender Arzt Prozesszinsen zuzusprechen. Denn auch hier handelt es sich um Leistungsbeziehungen nach dem Vierten Kapitel des SGB V.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel