Sozialrecht

Ausbildungsförderung für Studium

Aktenzeichen  AN 2 K 18.01759

Datum:
13.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26553
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG§ 9 Abs. 1,  § 15 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 3a, § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 7. August 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein entsprechender Anspruch auf Ausbildungsförderung für die hier streitgegenständlichen Fachsemester 8 und 9 zu.
a) Dem hier geltend gemachten Anspruch auf Ausbildungsförderung für die bezeichneten Semester steht bereits entgegen, dass im Rechtssinne kein Eignungsnachweis vorliegt, der grundsätzlich nach § 48 Abs. 1 BAföG für die Bewilligung von Ausbildungsförderung an Hochschulen ab dem fünften Semester erforderlich ist.
aa) Gemäß § 1 BAföG ist der Anspruch auf Ausbildungsförderung insbesondere von der Eignung des Auszubildenden für die geförderte Ausbildung abhängig. Konkretisiert wird dieser Grundsatz durch § 9 Abs. 1 BAföG, wonach eine Ausbildung gefördert wird, wenn die Leistungen des Auszubildenden erwarten lassen, dass er das angestrebte Ausbildungsziel erreichen wird. Mit derselben Zielsetzung sieht § 48 Abs. 1 BAföG insbesondere für den Hochschulbereich vor, dass vom fünften Fachsemester an Ausbildungsförderung nur von dem Zeitpunkt an geleistet wird, in dem der Auszubildende entweder ein Zeugnis über eine genauer definierte Zwischenprüfung (Satz 1 Nr. 1), eine nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellte Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber vorlegt, dass er die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat (Satz 1 Nr. 2) oder einen nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellten Nachweis über die bis dahin erworbene Anzahl von Leistungspunkten vorlegt, wenn die bei geordnetem Verlauf der Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters übliche Zahl an Leistungspunkten nicht unterschritten wird (Satz 1 Nr. 3). Liegt kein Eignungsnachweis als konstitutive Voraussetzung der weiteren Förderung vor, kann der Auszubildende nicht geltend machen, dennoch für die Ausbildung geeignet zu sein (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. Stand Mai 2015, § 48 Rn. 6 f.). Sofern Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG rechtfertigen, kann das Amt für Ausbildungsförderung die Vorlage der bezeichneten Bescheinigungen auch zu einem entsprechend späteren Zeitpunkt zulassen. Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes („kann“) besitzt das Amt für Ausbildungsförderung insoweit keinen Ermessenspielraum. Vielmehr ist die Frist zu verlängern, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 55. Edition Stand 1.12.2019, § 48 Rn. 8). Als ungeschriebene Voraussetzung einer Verlängerung der Vorlagefrist ist zudem die Erwartung anerkannt, dass der Auszubildende die bis zum Ende des vierten Fachsemesters zu erbringenden Leistungen bis zum Ende der verlängerten Frist erbringen wird (vgl. Winkler a.a.O.).
bb) Hier fehlt es im Rechtssinne an einem Eignungsnachweis im Sinne von § 48 Abs. 1 BAföG.
(1) Zunächst liegt kein Eignungsnachweis im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG vor, also kein Zeugnis über eine bestandene Zwischenprüfung. Die Vorlage eines solchen Zeugnisses ist hier auch nicht möglich, da die einschlägige Studien- und Prüfungsordnung (… …, … keine Zwischenprüfung vorsieht.
(2) Rechtlich betrachtet liegt hier auch in der – tatsächlich ausgestellten – Bescheinigung der Hochschule vom 5. August 2016 kein Eignungsnachweis nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Zwar hat die Hochschule mit der bezeichneten Bescheinigung gemäß Formblatt 5 erklärt, die Klägerin habe die bei geordnetem Verlauf ihre Ausbildung bis zum Ende des vierten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht. Die ausgestellte Bescheinigung ist aber aus Rechtsgründen unwirksam.
Die Frage, was unter den üblichen Leistungen zu verstehen ist, richtet sich in erster Linie nach den jeweils einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen, nicht dagegen nach dem (üblichen) tatsächlichen Studierverhalten, wobei der Hochschule kein Beurteilungsspielraum zusteht (BVerwG, U.v. 25.8.2016 – 5 C 54.15 – BeckRS 2016, 54103 Rn. 17, 26). Anerkannt ist, dass der Eignungsnachweis nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG grundsätzlich auch für das Amt für Ausbildungsförderung bindend ist (Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. Stand Mai 2015, § 48 Rn. 10). Dies gilt jedoch ausnahmsweise dann nicht, wenn die Bescheinigung offenkundig unrichtig und nichtig ist (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 55. Edition Stand 1.12.2019, § 48 Rn. 4e; Fischer a.a.O.). In diesen Fällen ist der Verwaltungsakt in Gestalt der Bescheinigung gemäß Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG nichtig. Hierunter fällt wegen offensichtlicher Widersprüchlichkeit auch die Fallgestaltung, dass sich aus der Bescheinigung ergibt, dass nicht alle üblichen Leistungen zeitgerecht erbracht wurden, dem Auszubildenden aber dennoch die (positive) Bescheinigung ausgestellt wird, weil die Verzögerung entschuldigt sei. Dies gilt umso mehr, als nach §§ 15 Abs. 3, 48 Abs. 2 BAföG dem Amt für Ausbildungsförderung und nicht der bescheinigenden Hochschule die Entscheidungskompetenz darüber zukommt, welche Gründe förderungsrechtlich für eine Studienverzögerung anzuerkennen sind (vgl. zum Ganzen Fischer a.a.O.).
Danach ist die hier in Frage stehende Hochschulbescheinigung nichtig und unwirksam. Entsprechend stellt sie auch keinen (wirksamen) Eignungsnachweis gemäß § 48 Abs. 1 BAföG dar. Denn die Hochschule hat in der Bescheinigung ausdrücklich erklärt, die Klägerin habe nur sehr langsam studieren können und aus gesundheitlichen Gründen geplante Prüfungen nicht angetreten. Lediglich die unter diesen Umständen erzielten Leistungspunkte wurden als ausreichend betrachtet. Hieraus ist offensichtlich, dass die Klägerin die am Ende des vierten Semtesters üblichen Leistungen gerade nicht erzielt hat. Denn wäre dies der Fall, wäre die einschränkende Erklärung bzw. unausgesprochene Entschuldigung mit Blick auf Krankheit und Kinderziehung gänzlich überflüssig und deswegen weggelassen worden. Entsprechend ist offensichtlich, dass die Hochschule entgegen § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG inhaltlich gerade keine Beurteilung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass die Klägerin die „bei geordnetem Verlauf ihrer […] Ausbildung bis zum Ende des vierten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht“ hat, mag auch der entsprechende Vordruck formal so ausgefüllt sein.
(3) Schließlich liegt auch kein Eignungsnachweis gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BAföG vor. Denn die Klägerin hatte zum Ende ihres vierten Fachsemesters statt der üblichen 120 lediglich 53 ECTS-Punkte erzielt. Hier ist davon auszugehen, dass nach der einschlägigen Prüfungsordnung – die zudem hinsichtlich der Frage der üblichen Leistungsanforderungen maßgeblich ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.8.2016 – 5 C 54.15 – BeckRS 2016, 54103 Rn. 17, 26) – in jedem Semester der Erwerb von 30 ECTS-Punkte als übliche Leistung vorgesehen sind. … Danach ergeben sich bei der Regelstudienzeit von sieben Semestern (* …*) pro Semester 30 ECTS-Punkte, wobei keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die zum Bestehen des Studiengangs geforderten 210 ECTS-Punkte nicht gleichmäßig auf die einzelnen Semester der Regelstudienzeit verteilt wären. Hiermit übereinstimmend hat auch die Klägerin geltend gemacht, pro Semester seien 30 bis 31 ECTS-Punkte gefordert.
(4) Das Gericht verkennt nicht, dass für die Klägerin als rechtlicher Laiin keine Veranlassung bestand, an der rechtlichen Wirksamkeit der Eignungsbescheinigung vom 5. August 2016 zu zweifeln bzw. weitere Nachweise vorzulegen, zumal auch das Amt für Ausbildungsförderung die Bescheinigung akzeptiert hat. All dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass jedenfalls derzeit kein (wirksamer) Eignungsnachweis gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BAföG vorliegt. Ein solcher ist aber – wie dargelegt – rechtlich Voraussetzung für die hier beantragte Bewilligung von Ausbildungsförderung ab dem fünften Semester. Dem steht auch nicht entgegen, dass § 48 Abs. 2 BAföG unter bestimmten Voraussetzungen die Verlängerung der Vorlagefrist für den Eignungsnachweis vorsieht. Denn jedenfalls ist ein entsprechender Verwaltungsakt, der die Vorlagefrist verlängert hätte, hier nicht ergangen.
(5) Auch eine etwaige Verletzung behördlicher (Hinweis-)Pflichten mit Blick auf die unwirksam ausgestellte Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG könnte als solche keinen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung herbeiführen, den das Fachrecht des BAföG – wie hier – mangels Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen nicht bereithält (vgl. allgemein BVerwG, U.v. 22.7.2015 – 8 C 8/14 – NVwZ 2016, 248 Rn. 16). Schließlich können auch durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch – sofern überhaupt auf das Recht der Ausbildungsförderung anwendbar (zum Streitstand Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 53. Edition Stand 1.6.2019, § 20 BAföG Rn. 47) – jedenfalls nicht rückwirkend Tatbestandsmerkmale der Leistungsgewährung, hier der Eignungsnachweis, erfüllt werden (Gutzler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 53. Edition Stand 1.6.2019, § 45 SGB I Rn. 11).
b) Ein Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für die hier in Frage stehenden Semester 8 und 9 scheidet auch dann aus, hielte man mit Blick auf den tatsächlich ausgestellten, aber rechtlich wirkungslosen Eignungsnachweis der Hochschule eine hypothetische Betrachtungsweise für erforderlich, wonach entscheidungserheblich wäre, ob die Klägerin erstens eine angemessene Verlängerung der Vorlagefrist hätte beanspruchen können und zweitens ob sie im Fall einer solchen angemessen Verlängerung zum Ende der verlängerten Vorlagefrist die sonst bis zum Ende des vierten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hätte. Letzteres wäre wiederum Voraussetzung für eine Förderung über das Ende der (hypothetisch) verlängerten Vorlagefrist hinaus (Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. Stand Mai 2015, § 48 Rn. 36).
Bei einer solchen hypothetischen Betrachtung wäre allenfalls eine Verlängerung der Vorlagefrist um zwei Semester denkbar gewesen. Jedoch hätte die Klägerin auch bis zum Ende dieses Verlängerungszeitraums – also bis zum Ende des sechsten Fachsemesters – nicht die Leistungen erbracht gehabt, die bis zum Ende des vierten Fachsemesters üblich sind.
aa) Nach § 48 Abs. 2 BAföG ist die Vorlagefrist entsprechend zu verlängern, wenn Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung bzw. Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 oder Abs. 3a BAföG rechtfertigen. Die Förderungshöchstdauer entspricht nach § 15a Abs. 1 BAföG i.V.m. § 10 Abs. 2 HRG (Hochschulrahmengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999, BGBl. I S. 18, FNA 2211-3) der Regelstudienzeit, wie sie in den Studienordnungen oder vergleichbar festgesetzt ist. Hinsichtlich der Förderung über die Regelstudienzeit bzw. die Förderungshöchstdauer hinaus sieht § 15 Abs. 3 BAföG – abschließend (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 55. Edition Stand 1.12.2019, § 15 Rn. 16) – fünf alternative Ausnahmetatbestände vor, bei deren Vorliegen Ausbildungsförderung für eine angemessene Zeit über die Förderungshöchstdauer hinaus geleistet wird. Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG n.F. wird für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus geleistet, wenn sie infolge einer Behinderung, einer Schwangerschaft oder der Pflege und Erziehung eines Kinds bis zu 14 Jahren überschritten wurde. Hier ist allerdings nicht die neue Fassung des Gesetzes, sondern die bis zum 15. Juli 2019 geltende Fassung anwendbar, wonach die Kinderbetreuung lediglich bis zu einem Alter der Kinder von zehn Jahren berücksichtigt wird. So sieht die Übergangregelung aus § 66a Abs. 2 BAföG vor, dass § 15 BAföG in seiner neuen Fassung erst ab dem 1. August 2019 anzuwenden ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist hiermit beabsichtigt, dem Regelausbildungsbeginn schulischer Ausbildungen am 1. August eines Jahres Rechnung zu tragen (Bundestagsdrucksache 19/8749, S. 44). Damit ist auch nach Sinn und Zweck klargestellt, dass § 15 BAföG n.F. erst für Ausbildungsabschnitte ab dem 1. August 2019 gelten soll. Vorliegend steht aber der Bewilligungszeitraum von April 2018 bis März 2019 in Frage, also ein Zeitraum, der insgesamt vor dem 1. August 2019 liegt.
Im Übrigen ist nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG auch dann für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer zu leisten, wenn diese aus schwerwiegenden Gründen überschritten wurde. Unter diesen Auffangtatbestand fällt insbesondere eigene Krankheit des Auszubildenden, die substantiiert darzulegen ist. Aus der Darlegung müssen Art, Dauer und Verhinderung an der Erarbeitung des prüfungsrelevanten Stoffs ersichtlich sein, darüber hinaus, warum der versäumte Stoff nicht aufgeholt werden konnte. Ist für Studierende eine Einschränkung ihrer Studierfähigkeit erkennbar, muss eine Beurlaubung in Erwägung gezogen werden, da Leistungen nach dem BAföG die Ausbildung fördern und keine Unterhaltsbeihilfe darstellen. Krankheiten von Familienangehörigen sind grundsätzlich keine schwerwiegenden Gründe (vgl. so zum Ganzen Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 55. Edition Stand 1.12.2019, § 15 BAföG Rn. 21, Stichwort: Krankheit).
bb) Danach wäre hier bei hypothetischer Betrachtung allenfalls eine Verlängerung um zwei Semester, also bis Ende des sechsten Fachsemesters denkbar gewesen.
(1) Zunächst kann hinsichtlich eigener Krankheit der Klägerin kein schwerwiegender Grund im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG angenommen worden. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, unter … gelitten und sich deswegen am … in ärztliche Behandlung begeben zu haben, betrifft dies das Ende ihres siebten Fachsemesters und kann schon deswegen keine Verzögerung in den ersten vier Fachsemestern begründen. Soweit die Klägerin mit Upload vom 19. bzw. 23. Februar 2018 geltend gemacht hat, „[w]ährend der Studienzeit“ an Erkältungen, … gelitten haben, geht aus dem Vortrag nicht hervor, ab wann diese einzelnen Erkrankungen über welche Zeiträume und mit welchen konkreten Folgen für ihr Studium aufgetreten sind. Jedenfalls soweit die Klägerin sinngemäß ausführt, sie könne sich wegen ihres Praxissemesters nicht wie ärztlich angeraten in stationäre Behandlung begeben, fällt dies ebenfalls nicht in die ersten vier Fachsemester ihres Studiums, sondern in das siebte Fachsemester, dem Praxissemester der Klägerin. Soweit sie des Weiteren vorbringt, den … im Klinikum … verbracht zu haben und anschließend in ambulanter Behandlung gewesen zu sein, betrifft auch dies lediglich das Ende ihres siebten Fachsemesters, nicht aber etwaige Verzögerungen in den ersten vier Fachsemestern. Auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Atteste bzw. Arztschreiben ergibt sich nichts anderes, zumal diese keinen substantiierten Vortrag ersetzen. Aus diesen Unterlagen ist betreffend den fraglichen Zeitraum der ersten vier Semester von Oktober 2014 bis September 2016 lediglich eine Erkrankung … jedenfalls bis Ende Oktober 2016 ersichtlich. Insoweit ist aber nicht dargelegt, wie sich dies konkret auf das Studium der Klägerin, ggf. auch auf Prüfungen ausgewirkt hat.
(2) Wegen der durch die Klägerin geleisteten Kinderbetreuung ist von einer Verzögerung des Studiums in den ersten vier Fachsemestern auszugehen. Allerdings ist insoweit allenfalls eine (hypothetische) Verlängerung der Vorlagefrist um zwei Semester, also bis zum Ende des sechsten Fachsemesters denkbar.
Bereits ausgeführt ist, dass nach der hier anwendbaren alten Fassung von § 15 Abs. 3 Nr. 5 Var. 3 BAföG die Betreuung von Kindern lediglich „bis zu zehn Jahren“ berücksichtigt werden kann. Diese Formulierung ist dahingehend zu verstehen, dass Kinder bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres berücksichtigt werden können. Dies ergibt sich bereits aus der Neufassung von § 15 Abs. 3 Nr. 5 Var. 3 BAföG, die strukturgleich von Kindern „bis zu 14 Jahren“ spricht, in Verbindung mit dem Umstand, dass die Gesetzesbegründung insoweit ausdrücklich von der „Betreuung eigener Kinder unter 14 Jahren“ spricht (vgl. Bundestagsdrucksache 19/8749, S. 59; unausgesprochen so auch zur Neufassung Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 55. Edition Stand 1.12.2019, § 15 Rn. 33). Da die Neufassung lediglich das Wort „zehn“ mit der Zahl „14“ ersetzt, nicht aber die Struktur der Gesetzesformulierung ändert, spricht bereits dies für ein Verständnis der Altersgrenze auch nach der alten Fassung im Sinne von „unter zehn Jahre“. Bestätigt wird dies im Übrigen durch die Gesetzesbegründung des Ausbildungsförderungsreformgesetzes (AföRG) vom 24. November 2000, wonach Kinder „bis zum zehnten Lebensjahr (statt bisher nur bis zum fünften)“ erfasst werden sollten (Bundestagsdrucksache 14/4731 S. 26). Das zehnte Lebensjahr ist aber mit bereits mit dem zehnten Geburtstag vollendet.
Danach kann die Betreuung der Kinder … und … durch die alleinerziehende Klägerin nur für die Zeiträume berücksichtigt werden, in denen diese noch unter zehn Jahre alt waren. Die entsprechenden Stichtage sind daher … … … Hinsichtlich der angemessenen Dauer der Verlängerung im Sinne von § 15 Abs. 3 BAföG sieht Ziff. 15.3.10 BAföGVwV (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung vom 15. Oktober 1991, GMBl S. 770, zuletzt geändert durch Art. 1 BAföGÄndVwV 2013 vom 29. 10. 2013, GMBl S. 1094) für das sechste und siebte Lebensjahr des Kinds als stets angemessen insgesamt ein Semester sowie für die Lebensjahre 8, 9 und 10 insgesamt ein weiteres Semester vor, wobei eine weitere Vergünstigung auch dann nicht möglich sein soll, wenn mehrere Kinder gleichzeitig betreut werden. Im Fall der Unterstützung bei der Erziehung durch andere ist eine Kürzung der genannten Zeiten anerkannt (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 55. Edition Stand 1.12.2019, § 15 Rn. 33).
Danach ergibt sich rechnerisch ein Verlängerungszeitraum von 0,6 Semestern. Denn … Der Umstand der doppelten Kinderbetreuung findet nach Ziff. 5.3.10 BAföGVwV keine Berücksichtigung. Aber auch sofern die Ansicht vertreten würde, die Regelung nach Ziff. 15.3.10 BAföGVwV entspreche nicht der Lebenswirklichkeit und/oder die vorgesehenen Verlängerungszeiten seien generell und/oder im vorliegenden Einzelfall mit Blick auf Pubertät und Erkrankungen der Kinder der Klägerin zu kurz bemessen, ergäbe sich jedenfalls kein Verlängerungszeitraum über zwei Semester hinaus. Denn jedenfalls mit der Annahme einer Verlängerungszeit von zwei Semestern – mehr als eine Verdreifachung der errechneten Verlängerungszeit – wären etwaige Defizite der fraglichen Verwaltungsvorschrift umfassend kompensiert. Dies gilt erst Recht unter Berücksichtigung der rechtlichen Erwägung, dass Studierende im Fall der Einschränkung ihrer Studierfähigkeit – insbesondere wegen erforderlicher Kinderbetreuung – eine ggf. rückwirkende Beurlaubung erwägen müssen, um sich den Anspruch auf Ausbildungsförderung für Zeiten wiedererlangter Studierfähigkeit zu erhalten. Im Übrigen berücksichtigen die bisherigen Ausführungen noch keine möglichen Kürzungen der Verlängerungszeit für den Fall der Unterstützung der Klägerin bei der Kinderbetreuung.
Auch unter Annahme einer (hypothetischen) Verlängerung der Vorlagefrist um zwei Semester, also bis Ende des sechsten Fachsemesters, könnte die Klägerin für die hier in Frage stehenden Semester 8 und 9 nicht weitergefördert werden. Denn die Klägerin hat auch bis zum Ende des sechsten Fachsemesters nicht die bis zum Ende des vierten Fachsemesters bei geordnetem Verlauf der Ausbildung üblichen Leistungen erbracht. So hat die Klägerin ausweislich der Anlagen K11 und K12 der Klageschrift bis zum Ende des sechsten Fachsemesters insgesamt 101 ECTS-Punkte erzielt, während nach der Studien- und Prüfungsordnung bei einem geordneten Verlauf der Ausbildung 120 ECTS-Punkte üblich gewesen wären. Bereits ausgeführt ist, dass sich die Frage der Üblichkeit der zu erbringenden Leistungen in erster Linie nach der Studien- und Prüfungsordnung richtet und im Studiengang der Klägerin 30 ECTS-Punkte pro Semester der üblichen Leistung entsprechen. Entsprechend wären nach vier Fachsemestern Leistungen in Gestalt von 120 ECTS-Punkten üblich gewesen, die die Klägerin auch zum Ende der hypothetischen Verlängerungsfrist mit Ablauf des sechsten Fachsemesters nicht erzielt hätte.
Auch eine hypothetische Verlängerung der Vorlagefrist aufgrund voraussichtlicher Abschlussförderung nach § 15 Abs. 3a BAföG scheidet aus. Denn zum Ende des vierten Semesters hatte die Klägerin statt 120 lediglich 53 ECTS-Punkte erzielt (entspricht etwa 44%), so dass in keiner Weise absehbar war, ob sie ihr Studium überhaupt erfolgreich würde beenden können. Danach war erst Recht nicht absehbar, ob dies – wie von § 15 Abs. 3a BAföG gefordert – innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten ab Beginn der Abschlussförderung gelingen könnte.
c) Ein Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für die hier in Frage stehenden Semester 8 und 9 würde sich im Übrigen auch dann nicht ergeben, ginge man von der Wirksamkeit der Eignungsbescheinigung der Hochschule vom 5. August 2016 aus.
aa) In diesem Fall wäre die Bescheinigung der Hochschule vom 5. August 2016, wenn auch ggf. rechtswidrig, mangels Anfechtung bestandskräftig geworden. Sie würde – da wirksam – auch Bindungswirkung gegenüber dem Amt für Ausbildungsförderung entfalten. Zudem läge ein (wirksamer) Eignungsnachweis gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 BAföG vor, so dass grundsätzlich auch eine Förderung über das vierte Fachsemester hinaus möglich wäre.
bb) Allerdings wäre die Klägerin bei dieser Annahme damit ausgeschlossen, Verzögerungen während ihres Studiums geltend zu machen, die in die ersten vier Fachsemester fallen (Oktober 2014 bis September 2016).
Anerkannt ist, dass sich Studierende nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens nicht auf solche Verzögerung ihres Studiums berufen können, die vor der Erteilung der Eignungsbescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG liegen (vgl. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. Stand Mai 2015, § 48 Rn. 15). Denn dies würde der bestandskräftigen Eignungsbescheinigung widersprechen, wonach die bei geordnetem Verlauf der Ausbildung üblichen Leistungen gerade erbracht worden sind, also zumindest im Ergebnis gerade keine Verzögerung eingetreten ist.
Entsprechend wäre die Klägerin hier mit ihrem Vorbringen zu Verzögerungen bis zum Ende ihres vierten Fachsemesters, also bis Ende September 2016 ausgeschlossen.
cc) Auch für die Zeit ab dem fünften Fachsemester wäre nicht hinreichend dargetan, dass Umstände im Sinne von § 15 Abs. 3 BAföG eine Verzögerung des Studiums der Klägerin verursacht hätten.
(1) Zunächst liegen für diesen Zeitraum mit Blick auf die Kinderbetreuung keine Umstände nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 Var. 3 BAföG vor. Denn beide Kinder der Klägerin waren in der Zeit ab dem fünften Fachsemester nicht mehr unter zehn Jahre alt.
(2) Der Umstand der Betreuung von Kindern über deren Vollendung des zehnten Lebensjahrs hinaus, kann nach vorzugswürdiger Auffassung auch nicht als schwerwiegender Grund im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG verstanden werden. Denn mit Blick auf die Kinderbetreuung ist § 15 Abs. 3 Nr. 5 Var. 3 BAföG als Spezialregelung abschließend (OVG Hamburg, B.v. 18.11.1991 – Bs IV 305/91 – BeckRS 1991, 08270 Rn. 8; a.A. Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. Stand September 2016, § 15 Rn. 21.2, der OVG Hamburg, B.v.19.4.1983 – Bs I 140/82 – BeckRS 2009, 42189 zitiert – allerdings enthielt § 15 Abs. 3 BAföG in der damals gültigen Fassung soweit ersichtlich noch keine Spezialregelung zur Kinderbetreuung, so dass sich die Frage einer spezialgesetzlichen Regelung noch nicht gestellt hatte). Vorzugswürdig erscheint die hier vertretene Ansicht, da sonst die Erhöhung der Altersgrenze in der Neufassung von § 15 Abs. 3 Nr. 5 Var. 3 BAföG letztlich nicht erforderlich gewesen wäre, sondern allenfalls klarstellende Funktion gehabt hätte. Entsprechendes ist der Gesetzesbegründung aber gerade nicht zu entnehmen. Schließlich liegt hier auch kein Ausnahmefall vor, beispielsweise in Gestalt eines kurzfristigen Notfalls, der zu einer nicht mehr aufholbaren Verzögerung geführt hätte, so dass § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG auch nicht ausnahmsweise Anwendung finden kann (vgl. Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 24; vgl. BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 12 C 20.1231 – im vorausgegangenen Prozesskostenhilfeverfahren Rn. 7, nicht veröffentlicht). Im Fall eines hier wohl vorliegenden Dauerzustands hätte es der Klägerin zudem oblegen, sich – ggf. rückwirkend – beurlauben zu lassen (BayVGH a.a.O.).
(3) Auch die klägerseits geltend gemachten eigenen Krankheiten führen nicht zur Annahme eines schwerwiegenden Grunds im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, unter … gelitten und sich deswegen am … in ärztliche Behandlung begeben zu haben, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwieweit diese Erkrankung konkret zu einer Verzögerung des Studiums geführt haben soll. Zudem fällt die Erkrankung in das siebte Fachsemester, also in das Praxissemester der Klägerin. In diesem Zusammenhang hat sie sinngemäß geltend gemacht hat, sich wegen des Praxissemesters nicht wie ärztlich angeraten in stationäre Behandlung begeben zu haben. Dies legt nahe, dass sich die Klägerin trotz der Erkrankungen dafür entschieden hat, ihr Praxissemester gerade ohne Verzögerung zu Ende zu führen. Die ausgebliebene Verzögerung ist zudem dadurch belegt, dass die Klägerin im siebten Fachsemester 35 ECTS-Punkte, also sogar noch mehr als die geforderten 30 ECTS-Punkte erzielt hat. Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe am 15. März 2018 einen ganzen Tag im Klinikum … verbracht und sei anschließend in ambulanter Behandlung gewesen, betrifft auch dies das siebte Fach- bzw. Praxissemester. Hinsichtlich der mit Upload vom 19. bzw. 23 Februar 2018 geltend gemachten Erkrankungen „[w]ährend der Studienzeit“ (Erkältungen, …*) ist unklar, ab wann diese einzelnen Erkrankungen über welche Zeiträume und mit welchen konkreten Folgen für das Studium aufgetreten sind. Dasselbe gilt hinsichtlich einer aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlichen Erkrankung …
d) Auch eine – gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG ausschließlich darlehensweise – Abschlussförderung nach § 15 Abs. 3a BAföG scheidet aus. Denn eine solche setzt nach der genannten Vorschrift eine Bescheinigung der Prüfungsstelle voraus, dass die Ausbildung innerhalb der Abschlussförderung über den Zeitraum von einem Jahr abgeschlossen werden kann. Hieran fehlt es.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.


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