Sozialrecht

Hinterbliebenrente wird gewährt – Arbeitsunfall des Vaters

Aktenzeichen  L 7 U 326/15

Datum:
12.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17661
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7, § 7a
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. In der Unfallversicherung ist die “Kopf und Seele-Rechtsprechung” des BSG zur Statusfeststellung nicht ohne Weiteres anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 29.07.2015, Az.: B 12 KR 23/134 R Rz. 29) (Rn. 26)
2. In der Unfallversicherung kann ein Fremdgeschäftsführer einer GmbH als selbstständiger Arbeitnehmer anzusehen sei, wenn er die Gesellschaft führt und in der Gesellschaft nur Strohmänner des Fremdgeschäftsführers agieren. (Rn. 30)

Verfahrensgang

S 4 U 53/13 2015-06-25 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.Juni 2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2013 betreffend den Kläger zu 1. und der Bescheid der Beklagten vom 02.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2013 betreffend die Klägerin zu 2. aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall des G. vom 02.08.2011 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen und den Klägern zu 1. und 2. Hinterbliebenenrente dem Grunde nach zu gewähren.
II. Die Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 155 Abs. 1, Abs. 5 SGG zugestimmt.
Die zulässigen Berufungen sind begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.06.2015 sowie der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 19.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2013 betreffend den Kläger zu 1) und der Bescheid der Beklagten vom 02.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2013 betreffend die Klägerin zu 2) sind aufzuheben und die Beklagte ist antragsgemäß zu verurteilen. Die Kläger haben Anspruch darauf, dass ein gesetzlich versicherter Arbeitsunfall ihres Vaters festgestellt und ihnen die beantragte Hinterbliebenenrente (Halbwaisenrente) dem Grunde nach gezahlt wird.
Die Klagen sind Verpflichtungsklagen auf behördliche Feststellung eines Arbeitsunfalls im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 09.03.2017, L 6 U 2131/16 Rz. 36), insbesondere nachdem der Feststellung eines Arbeitsunfalls auch angreifbare Verwaltungsakte (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) zugrunde liegen (vgl. LSG BW a. a. O Rz.37). Die Zahlung einer Hinterbliebenenrente wird darüber hinaus im Wege einer zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG verfolgt (vgl. BSG Urteil vom 13.11.2011, B 2 U 19/11 R Rz. 18).
1. Zu Recht begehren die Kläger die Feststellung, dass es sich um einen Arbeitsunfall ihres Vaters V. beim Flugzeugabsturz am 02.08.2011 gehandelt hat.
a) V. war abhängig Beschäftigter iSv § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.
V. war als Fremdgeschäftsführer ohne eigene Geschäftsanteile bei der GmbH tätig wurde (vgl. im Ergebnis ebenso BSG Urteil vom 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R Rz 18).
Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. die Nachweise bei BSG Urteil vom 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R) sind zunächst die Regelungen im Angestelltenverhältnis zu würdigen und anschließend ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ein Geschäftsführer über die Rechtsmacht verfügt, ihm nicht genehme Gesellschafterbeschlüsse zu verhindern. Diese Rechtsprechung des BSG zu § 7 SGB IV ist auch Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob V. „Beschäftigter“ iSv § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist, auch wenn eine einheitliche Beurteilung im Hinblick auf das Verfahren zur Statusfeststellung gemäß § 7a SGB IV nicht zwingend erforderlich ist, da ein Träger nach dem SGB VII nicht der Bindungswirkung einer Entscheidung nach § 7a SGB IV unterliegt.
Die Regelungen des Angestelltenvertrages ergeben hier, dass ein Angestelltenverhältnis vorlag. So enthielt der Vertrag etwa Regelungen über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine Urlaubsvergütung und einen Urlaubsanspruch. Der Vertrag war auch nicht wirksam gekündigt, da eine Kündigung der Schriftform bedurfte und eine solche schriftliche Kündigung nicht vorliegt. Auch wurde V. weiterhin für die GmbH tätig, was auch der zweite Geschäftsführer, Herr L., bei seiner Zeugenaussage bestätigte.
Über die Rechtsmacht, ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschaft verhindern zu können, verfügte V. schon deshalb nicht, weil er nicht Gesellschafter der GmbH war. Dies hat sich letztlich auch gezeigt im Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 13.05.2011, wo V. in seiner Geschäftsführerbefugnis eingeschränkt wurde und er die GmbH ab diesem Zeitpunkt nicht mehr alleine vertreten konnte.
Im Hinblick auf die Besonderheiten des SGB VII kann der Versicherungsschutz zwar dadurch eingeschränkt sein, dass eine Tätigkeit ihrem Gesamtbild nach durch Selbständigkeit geprägt ist (vgl. insoweit BSGE 87, 53/55f), wie dies zB bei Scheinselbständigkeit, Schwarzarbeit oder auch der Einsetzung eines Strohmannes (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 09.03.2017, L 6 U 2131/16 Rz 40) der Fall sein kann.
Hier ist nicht jedoch erkennbar, dass V. etwa deshalb als Selbständiger anzusehen ist, weil er S. nur als Strohmann eingesetzt hätte und er selbst die GmbH nach Gutdünken gelenkt hat (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg Urteil vom 09.03.2017, L 6 U 2131/16 Rz 40). Selbst wenn bei Firmengründung der GmbH es zunächst Absicht von V. gewesen sein sollte, S. lediglich als Strohmann einzusetzen und mittels der GmbH seine frühere Baufirma als Selbständiger weiterzuführen, so hat die spätere Entwicklung gezeigt, dass sich S. seiner Verantwortung als Gesellschafter durchaus bewusst wurde und er in der Folge alles dafür tat, die GmbH seinem Willen gemäß zu führen. Dies ergibt sich letztlich daraus, dass er mit dem anderen Gesellschafter B. durch Beschluss vom 13.05.2011 die Vertretungsbefugnis von V. als Gesellschafter einschränkte und neben V einen zweiten Geschäftsführer bestellte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar, dass V. nicht nach eigenem Gutdünken die Geschäfte der GmbH führen konnte, sondern nur nach dem Willen der Gesellschafter.
b) V. war bei seinem Flug nach B. auch geschäftlich für die GmbH unterwegs.
Soweit die Beklagte geltend macht, eine überwiegend geschäftliche Tendenz des Fluges von V. nach B. sei nicht feststellbar, ergibt sich aus den Zeugenaussagen etwas Anderes. V. wollte danach schon seit einer Woche die Baustellen der GmbH in B. besuchen, hat dies jedoch wegen der Wetterverhältnisse immer wieder verschoben. Der zweite Geschäftsführer der GmbH, Herr L., hat bestätigt, dass ihm bekannt war, dass V. zu den Baustellen reisen wollte. Besondere Bedeutung kommt jedoch der Zeugenaussage des am Morgen des Unfalls am Flugplatz anwesenden Zeugen M. zu. Dieser bestätigte nämlich unmittelbar nach dem Unfall um 8.10 Uhr bei seiner polizeilichen Zeugeneinvernahme um 10.40 Uhr, dass V. ihm gegenüber kurz vor dem Abflug die Absicht geäußert habe, nach B. zu den Baustellen zu fliegen. Dass V. bei seinem Flug von einem weiteren Insassen begleitet wurde und nach dem Flug nach B. noch A. angeflogen werden sollte, spielt für die Beurteilung des Hinflugs nach B. als geschäftlich veranlasste Reise keine Rolle.
2. Die Feststellung eines Arbeitsunfalls führt auch zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der beantragten Hinterbliebenenrenten.
Nachdem ein versicherter Arbeitsunfall von V. festgestellt werden konnte, haben die Kläger nach dem Tod ihres Vaters V Anspruch auf Hinterbliebenenrente in Form einer Halbwaisenrente. Da die Höhe der Hinterbliebenenrente im Rahmen des Gerichtsverfahrens insbesondere wegen vertraglich möglicher variabler Einkommensbestandteile von V. nicht abschließend geklärt werden konnte, war die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Hinterbliebenenrenten dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 und der Erwägung, dass die Kläger mit ihren Begehren Erfolg hatten.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.


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