Sozialrecht

Kein Anspruch auf Verletztengeld und Verletztenrente und zur Frage der Verhängung von Verschuldenskosten

Aktenzeichen  L 2 U 260/15

Datum:
4.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 116758
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 8, § 11
SGG § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen von Verletztengeld, Verletztenrente und zur Verhängung von Verschuldenskosten.
2 Wenn nach der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung keine Kenntnisse über Ursachenzusammenhänge zwischen Einwirkungen und Gesundheitsstörungen vorliegen, fehlt es schon an einem Ursachenzusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn (sog. conditio sine qua non; ebenso BSG BeckRS 2013, 66070). (redaktioneller Leitsatz)
3 Wird ein Verfahren trotz negativer Beweislage fortgeführt, kann dies die Auferlegung von Verschuldenskosten (§ 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG) rechtfertigen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 33 U 333/11 2015-05-11 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 11.05.2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 08.02.2010 (statt 12.02.2010) sowie vom 07.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2011 zurückgewiesen wird.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Kläger hat 500,00 EUR an die Staatskasse zu bezahlen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A) Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich als unbegründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf Verletztengeld über den 12.02.2010 hinaus noch Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H.
Die auf Verletztengeldzahlung (§ 45 SGB VII) über den 12.02.2010 hinaus gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) und die auf Gewährung von Verletztenrente (§ 56 SGB VII) gerichtete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) sind zulässig, aber unbegründet. Der Kläger war weder über den 12.02.2010 hinaus wegen Unfallfolgen arbeitsunfähig noch lag über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus wegen Unfallfolgen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade vor.
Unfallfolgen sind die Gesundheitsschäden, die wesentlich durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden oder die nach besonderen Zurechnungsnormen wie § 11 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) dem Gesundheitserstschaden bzw. dem Versicherungsfall zugerechnet werden (vgl. BSG vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R). Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden sowie zwischen Gesundheits(erst) schaden und weiteren Gesundheitsschäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R – Juris RdNr. 12), die auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. BSG vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R – Juris RdNr. 12) auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (vgl. BSG vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – Juris RdNr. 17; BSG vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – Juris RdNr.60 f.). Sofern nach neuestem wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine herrschende Meinung für einen Wirkzusammenhang festgestellt werden kann, kommt eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (vgl. BSG vom 23.07.2012 – B 2 U 9/11 R – Juris RdNr. 61).
Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. BSG vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – Juris RdNr. 16).Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Ist jedoch eine Ursache – allein oder gemeinsam mit anderen Ursachen – gegenüber anderen Ursachen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245). Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist, kann auch als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – Juris RdNr. 15 m.w.N.).
Hinsichtlich des Beweismaßstabes ist zu beachten, dass das Vorliegen der Gesundheitsstörung (Unfallerst- oder Unfallfolgeschaden) im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen muss, während für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (vgl. BSG vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R – Juris RdNr. 16).
Der im Bescheid anerkannte Erstschaden der toxischen Verätzungen ist nach dem zu Grunde liegenden Gutachten von Dr. W. in Form eines toxisch-irritativen Kontaktekzems mit Rötungen, Ödem und Schuppung beider Hände aufgetreten. Allerdings ist dieser Ekzemschub nach allen vorliegenden Gutachten innerhalb weniger Wochen abgeheilt, spätestens am 15.07.2009. Denn Dr. H. hat bei Untersuchung am 15.07.2009 reizlose Haut- und Wundverhältnisse ohne Verätzungsstellen festgehalten und auch der Dermatologe Dr. B. hatte im Bericht vom 13.07.2009 nur noch eine deutliche Hyperhidrose palmar und eine teilweise leichte Schwellung festgestellt.
Soweit die Beklagte im Verletztenrentenbescheid als Unfallfolge die Zunahme einer vorbestehenden übermäßigen Schweißabsonderung (Hyperhidrosis) im Bereich der Hände anerkannt hat, handelt es sich um eine vorübergehende Verschlimmerung. Dass bereits vor dem Arbeitsunfall eine Hyperhidrose u.a. an den Händen bestanden hatte, hatte der Kläger erstmals gegenüber Dr. W. selbst geschildert. Dr. W. hat überzeugend dargelegt, dass in der medizinischen Fachliteratur keine Hinweise dafür bekannt sind, dass eine Hyperhidrose durch Kontakte mit den benutzten Reinigungsmitteln oder durch Verätzung bzw. durch ein toxisch-irritatives Hautekzem verursacht wird. Auch der Berufsdermatologe und Diplomchemiker Dr. M. hat in seinem Sachverständigengutachten bestätigt, dass für einen solchen Pathomechanismus – einer verstärkten Schweißneigung aufgrund beruflicher Noxen – in der Literatur jegliche Hinweise fehlen. Eine verstärkte Schweißneigung ist hingegen Ausdruck einer nervalen Fehlsteuerung mit erhöhtem Sympathikotonus. Diese Ausführungen von Dr. M. stimmen mit der Stellungnahme von Dr. B. überein, dass ein ätiologischer Zusammenhang zwischen der geklagten Hyperhidrose, die Ausdruck einer Affektion des vegetativen Nervensystems ist, und der Hautschädigung durch den Arbeitsunfall nicht schlüssig bewiesen werden kann. Soweit sich Dr. B. trotzdem für einen Ursachenzusammenhang wegen des zeitlichen Zusammenhangs zwischen längerfristiger Einwirkung toxischer Substanzen, Hautschädigung und Auftreten der Hyperhidrose ausgesprochen hat, überzeugt die Beurteilung den Senat schon deswegen nicht, weil Dr. B. wesentliche Informationen fehlten bzw. er einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt hat. So hat Dr. B. nicht berücksichtigt, dass beim Kläger bereits vor dem Unfall schon eine Hyperhidrose bestanden hatte, wie der Kläger erstmals gegenüber Dr. W. und später u.a. bei Dr. S. geschildert hatte, die insbesondere bei psychischen Belastungen verstärkt auftrat. Auch war Dr. B. nicht bekannt, dass sich die Hyperhidrose nicht auf die durch den Unfall verletzten Hände beschränkte, sondern insbesondere auch an den Füßen auftrat. So beschreibt die Klinik für Dermatologie und Allergologie des Städtischen Klinikums München im Bericht für die DRV vom 24.03.2010 neben ausgeprägt feuchten Handtellern mit leicht aufgequollener, minimal geröteter Haut ohne Narben einen ähnlichen, weniger ausgeprägten Befund an den Fußsohlen; der Kläger hatte über verstärktes Schwitzen an Händen und Füßen berichtet. Auch während der Rehabilitation in der Klinik B. vom 22.02. bis 29.03.2011 wurden schweißige Hände und Füße festgestellt. Dr. Dr. W. hat bei Untersuchung am 18.09.2012 für sein Gutachten vom 15.10.2012 eine ausgesprochen starke Schweißneigung sogar am gesamten Integuement, also der gesamten Haut, festgehalten. Der von Dr. B. angenommene enge örtliche und zeitliche Zusammenhang zwischen Verletzung der Hände und einem erstmaligen Auftreten der Hyperhidrose (nur) an den Händen, trifft schon nicht zu. Außerdem fehlt es schon an einem Ursachenzusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn (sog. conditio sine qua non), wenn nach der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung keine Kenntnisse über Ursachenzusammenhänge zwischen Einwirkungen und Gesundheitsstörungen vorliegen, (vgl. BSG vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – Juris RdNr. 61). Ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang reicht dafür nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 24.07. 2012 – B 2 U 9/11 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, RdNr. 60). Keiner der Sachverständigen konnte aber einen rein somatischen Wirkzusammenhang zwischen einwirkenden beruflichen Stoffen, Erstschaden im Bereich der Haut und Hyperhidrosis feststellen.
Allerdings haben Dr. W. und Dr. S. einen Ursachenzusammenhang mit der Begründung für möglich gehalten, dass die Hautschädigung des Arbeitsunfalls und der anschließende unfallbedingten emotionale Stress mit vorübergehender emotionaler Labilität die vorbestehende Hyperhidrose des Klägers verschlimmert haben kann. Für Verschlimmerungen der Hyperhidrosis des Klägers bei Auftreten von psychischem Stress spricht, dass nach Schilderungen des Klägers gegenüber Dr. S. die vermehrte Schweißneigung als vegetative Störung bereits vor dem Unfall zeitweise im Zusammenhang mit Aufregungen wegen Problemen mit seiner ersten Ehefrau aufgetreten waren. Aus den Gutachten, u.a. von Dr. M. und Dr. S., ergibt sich ferner, dass der Kläger das Verhalten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Unfall mit anschließender Kündigung und Vorwürfen, er habe bewusst vorhandene Schutzhandschuhe nicht genutzt, als sehr kränkend empfunden hat.
Die von der Beklagten als Unfallfolge anerkannte Zunahme der Hyperhidrosis hat aber nach allen gutachterlichen Einschätzungen – einschließlich derjenigen von Dr. B. – weder zu einer Arbeitsunfähigkeit über den 12.02.2010 hinaus noch zu einer rentenberechtigenden MdE über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus geführt. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen von Dr. S. an, dass das Fortbestehen der Hyperhidrosis im Bereich der Hände sicher nicht mehr dem Unfallereignis zuzuordnen ist. Ferner hat Dr. W. dargelegt, dass der Kläger selbst seine letzte Tätigkeit mit angemessenen Schutzmaßnahmen – Handschuhen mit Unterziehhandschuhen aus Baumwolle – trotz Hyperhidrosis weiter ausüben könnte. Der Senat weist nochmals darauf hin, dass die Hyperhidrose bereits vor dem streitgegenständlichen Unfall aufgetreten war und nicht nur die verletzten Hände des Klägers betroffen hat, sondern auch seine Füße, die nicht in Kontakt mit den schädigenden Substanzen gekommen waren und keinerlei Erstschäden aufwiesen. Daher ist die Hyperhidrosis des Klägers als vorbestehende vegetative Erkrankung zu sehen, deren Ausprägung infolge psychischer Belastungen vorübergehend zunehmen kann. Angesichts der Abheilung der Hautläsionen am 15.07.2009 lässt sich über den 12.02.2010 hinaus – dem letzten Tag der Verletztengeldzahlung – aber keine fortbestehende Verschlimmerung der Hyperhidrosis auf den Arbeitsunfall als wesentliche Teilursache zurückführen. Selbst Dr. W. hat eine weiterbestehende Arbeitsunfähigkeit verneint und die MdE insgesamt auf unter 20 v.H. geschätzt.
Die als Unfallfolgen anerkannten Rötungen (Erythem) beider Hände haben nach übereinstimmender Einschätzung von Dr. M. und Dr. W. keinen Krankheitswert und wirken sich nach schlüssiger Einschätzung von Dr. W. nicht auf die Arbeitsfähigkeit oder die Erwerbsfähigkeit des Klägers aus. Insbesondere erklärt das Erythem, wie Dr. K. überzeugend dargelegt hat, in keiner Weise die ausgeprägten Schmerzen des Klägers, die am ganzen Körper bestehen. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass schon erhebliche Zweifel bestehen, dass die von der Beklagten als Unfallfolge anerkannte Rötung beider Handflächen durch das Unfallereignis wesentlich mitverursacht wurde. Denn Dr. M. hat überzeugend dargelegt, dass ein solches Phänomen, wenn es nicht infolge Infekts oder Chemotherapie auftritt, entweder ohne erkennbare Ursachen – also idiopathisch – auftritt oder im Rahmen innerer Erkrankungen wie Leberschädigungen wie sie beim Kläger angesichts der seit 2008 festgestellten Fettleber (Steatosis hepatis) bei seit 1999 bekannter Hepatitis B bekannt ist.
Zwar hat die Beklagte die von Dr. B. genannten Hautgefühlsstörungen an beiden Händen, sogenannte Dysästhesien, als Unfallfolgen anerkannt. Erfasst wird damit die vom Kläger bei Untersuchung durch Dr. B. geschilderte Berührungs- und Schmerzüberempfindlichkeit der Handinnenflächen. Objektiviert worden waren Sensibilitätsstörungen von Dr. B. aber nicht. Sie konnten insbesondere von ihm nicht auf die Schädigung von Nervenenden zurückgeführt werden. Unabhängig davon, dass damit Sensibilitätsstörungen beim Kläger zu keinem Zeitpunkt im Vollbeweis nachgewiesen bzw. durch objektive Befunde erhärtet worden waren, kann der Senat angesichts zahlreicher erhobener Befunde in den vorliegenden Gutachten sicher auszuschließen, dass sich über den 12.02.2010 hinaus Sensibilitätsstörungen im Bereich der Hände auf die Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsfähigkeit des Klägers wesentlich auswirken. Ebenso ist die geltend gemachte Allodynie – also die Schmerzreaktion auf Berührungen, die keine Schmerzen auslösen – in den Gutachten ausgeschlossen worden. Aus den Gutachten von Dr. S. vom 07.06.2011, von Dr. B. vom 08.07.2011, von Dr. P. für das ZBFS vom 20.01.2012, von Dr. M. vom 13.08.2012 und von Dr. S. vom 23.02.2013 ergibt sich zweifelsfrei, dass der Kläger keinen Einschränkungen der Funktionsfähigkeit von Fingern und Händen unterliegt. Die Sachverständigen haben übereinstimmend dargelegt, dass teilweise bei gezielter Untersuchung von Fingern und Händen gezeigte oder geschilderte Einschränkungen aufgrund von Schmerzen bzw. Schmerzüberempfindlichkeit im Widerspruch standen zu dem außerhalb der körperlichen Untersuchung selbst beobachtbaren uneingeschränkten Einsatz der Hände und Finger.
So erfolgte das An- und Auskleiden bei Untersuchung durch Dr. S. im Juni 2011 rasch, mühelos und mit intakter Feinmotorik. Bei Aufforderung gezeigte Einschränkungen bestanden bei Ablenkung nicht mehr. Außerdem zeigten die Hände Arbeitsspuren mit mäßiger Beschwielung und deutlich abgestoßenen Fingernägeln und die Muskulatur war kräftig ausgebildet, was gegen Schonung oder Gebrauchseinschränkungen im Alltag sprach. Außerdem konnte Dr. S. neurologische Einschränkungen – auch der Sensibilität – nicht feststellen. Die Orthopädin und Unfallchirurgin Dr. B. stellte im Juli 2011 eine freie Hand- und Fingerbeweglichkeit fest. Sie wies darauf hin, dass die beim Berühren der Handflächen geäußerten starken Schmerzen in Widerspruch dazu standen, dass der Kläger problemlos eine Tasche tragen und mit Unterlagen hantieren konnte. Ähnlich seien stärkste Schmerzen an der linken Fußsohle bei Ablenkung nicht vorhanden gewesen. Auch bei Untersuchung durch Dr. P. am 19.01.2012 waren gezeigte Schwächen beim Händedruck und im Bereich beider Füße außerhalb der eigentlichen Untersuchungssituation nicht zu beobachten. Vielmehr konnte der Kläger beide Hände – z.B. beim An- und Auskleiden bzw. beim Anlegen der Kniebandage – seitengleich gut und kräftig einsetzen. Dr. P. hat ferner darauf hingewiesen, dass die Angaben des Klägers zu Sensibilitätsstörungen derart häufig gewechselt haben, dass eine organische Ursache nicht anzunehmen sei. Bei Dr. M. konnte der Kläger im August 2012 seinen Rucksack und eine Mappe mit Unterlagen ohne Schwierigkeiten in der Hand tragen und in den Unterlagen blättern, so dass Dr. M. ausdrücklich eine Gebrauchsfähigkeit der Hände bestätigte. Gegenüber Dr. M. hat der Kläger auch keine Berührungsschmerzen an den Händen, sondern nur an der Oberschenkelinnenseite angegeben. Dr. S. hat im Gutachten vom 23.02.2013 überzeugend dargelegt, dass die vom Kläger geschilderten Sensibilitätsstörungen – wie bei Dr. B. – keinem Versorgungsgebiet eines peripheren Nervens oder einer Wurzelirritation zuzuordnen waren. Eine Allodynie hat er nachvollziehbar ausgeschlossen, weil der Kläger die rechte Hand im Verlauf der Begutachtung normal eingesetzt hat (u.a. bei der Verabschiedung), ohne Schmerzäußerung bei Berührung. Auch er hat keine neurologischen Defizite feststellen können. Dr. K. spricht in seinem Gutachten vom 24.09.2014 von einer unübersehbaren Verdeutlichungstendenz des Klägers angesichts deutlicher Diskrepanzen zwischen geschilderten Funktionseinschränkungen und objektiven Befunde. So hat der Kläger trotz voller Beweglichkeit in der Untersuchung schmerzbedingte Funktionseinschränkungen der Finger- und Handgelenksbeweglichkeit und eine deutliche Schmerzschonhaltung gezeigt. Dagegen sind aber die sichtbaren Einschränkungen beim Gestikulieren und Benutzung der Hände im Laufe der Begutachtung laut Dr. K. wesentlich geringer gewesen und die auffallend kräftige Muskulatur hat auf eine regelmäßige und gute körperliche Aktivität hingewiesen.
Die wiederholt beklagten Bewegungseinschränkungen von Fingern und Händen sind daher weder im Vollbeweis nachgewiesen noch vermag der Senat solche Einschränkungen auf die Erstschäden des Unfalls als wesentliche Teilursache zurückzuführen. Eine Narbenbildung hatte keiner der Sachverständigen festgestellt und die Bewegungen waren in Berichten von Dr. H. vom 16.07.2009 und Dr. B. vom 13.07.2009 als uneingeschränkt bzw. ungestört bezeichnet worden.
Unfallbedingte neuropathische Schmerzen – Schmerzen infolge Verletzungen von Nervenenden – hat Dr. K. in seinem Gutachten überzeugend ausgeschlossen, angesichts der Wirkungslosigkeit dafür gut wirksamer Medikamente wie Lyrica und Tilidin. Damit bleibt für die theoretische Überlegung von Dr. M. kein Raum, ob der Kläger wegen neuropathischer Schmerzen über den 12.02.2010 hinaus bis zum 12.03.2010 hätte krankgeschrieben werden können. Zudem hat Dr. M. diese theoretischen Überlegungen nicht auf zeitnah erhobene Befunde, sondern auf einen Arztbrief des Schmerzzentrums I. aus dem Jahr 2012 gestützt, der selbst neuropathische Schmerzen nicht als gesicherte Diagnose nennt, sondern lediglich aus den Angaben des Klägers in einem Schmerzfragebogen Hinweise auf neuropathische Schmerzanteile ableitet. Außerdem leidet der Kläger unter multiplen Schmerzen im Bereich des gesamten Körpers, also über den Bereich der beim Arbeitsunfall verletzten Hände hinaus. Beispielhaft verweist der Senat auf die Schmerzschilderungen des Klägers im Rehabericht der Klinik B. 2011 und im Gutachten von Dr. Dr. W. vom 15.10.2012 zu Ganzkörperschmerzen, Kopfschmerzen, Schmerzen im Bereich der Fußsohlen, Knie, Wirbelsäule, Schultern, Genitalien und des Afters und auf den Bericht von Dr. P. vom 20.11.2000 in der ZBFS-Akte über Behandlungen seit 1997 wegen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit sowie rezidivierenden Bein- und Unterleibsschmerzen.
Soweit die Klägerbevollmächtigte geltend macht, beim Kläger bestehe möglicherweise ein allergisches Kontaktekzem wegen des Kontaktes mit Isocyanaten (Diphenylmethandiisocyanaten), fehlt es schon an einer im Vollbeweis nachgewiesenen Allergie. Vielmehr hat Dr. W. in seinem Gutachten mit überzeugender Begründung eine Allergie, insbesondere auf Isocyanate ausdrücklich verneint, nachdem die Laborwerte für Isocyanate – TDI, MDI und HDI – jeweils 0 betrugen. Selbst Dr. M., der davon ausgegangen war, dass eine entsprechende Testung nicht erfolgt sei, hat eine fortbestehende Allergie überzeugend verneint, weil Isocyanate ein hohes Reizungspotential, aber nur ein geringes Sensibilisierungspotential haben und bei Einwirkungen in der Regel akut der Respirationstrakt und die Augen betroffen sind. Der zeitnahe Lungenbefund, geprüft am 12.05.2009 durch Dr. M., war aber unauffällig und Beschwerden der Augen sind zeitnah nicht dokumentiert; insbesondere hatte Dr. S. bei neurologischer Prüfung der Pupillenreaktion am 14.05.2009 keinerlei Befunde zu Augenreizungen erhoben und der Kläger hatte gegenüber keinem der zeitnah behandelnden Ärzte Beschwerden der Augen auch nur erwähnt. Eine Kontaktallergie an der Haut ist nach medizinisch-wissenschaftlicher Erfahrung laut Dr. M. aber sehr selten. Zusätzlich spricht gegen eine fortbestehende Allergie laut Dr. M., dass keine weiteren Ekzemschübe aufgetreten sind. Im Übrigen hat Dr. M. darauf hingewiesen, dass diese Stoffe praktisch nur im Bereich der Schaumstoffherstellung Verwendung finden, in der sonstigen Arbeitswelt und im zivilen Leben aber nicht verbreitet sind und dass in ausgehärteten Endprodukten die Menge des Restmaterials verschwindend gering ist, so dass selbst im Falle einer nachgewiesenen Haut-Kontaktallergie gegen Isocyanate diese Allergie keine wesentlichen Einschränkungen der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit zur Folge hat.
Soweit der Kläger Gesundheitsstörungen wie die Allergie auf längere Einwirkungen von beruflichen Stoffen über die Arbeitsschicht am 20.04.2009 hinaus zurückführt, macht er keinen Schaden durch ein zeitlich begrenztes Ereignis i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII und damit keinen Arbeitsunfall geltend (vgl. zur Grenze der Arbeitsschicht BSG Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R – Juris RdNr. 24 m.w.N.). Vielmehr ist dies ggf. im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur BK Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV zu prüfen. Die von der Bevollmächtigten zitierten Stellen in Schönberger/Mehrtens/Valentin betreffen ebenfalls diese BK. Da der Kläger am Unfalltag nach eigenem Vortrag erstmals diese Arbeiten ausführte, erscheint dem Senat im Übrigen die geltend gemachte Sensibilisierung durch vorangegangene inhalative Einwirkungen nicht nachvollziehbar. Gesundheitsstörungen im Bereich der Lunge sind von Dr. M. zeitnah ausgeschlossen worden.
Der Senat schließt sich außerdem den überzeugenden Ausführungen des SG in seinem Urteil und den gutachterlichen Einschätzungen von Dr. S. und Dr. K. an, wonach auf neurologisch-psychiatrischem und schmerzmedizinischem Fachgebiet keine Unfallfolgen vorliegen. Dr. K. hat dargelegt, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers – ein chronisches Schmerzsyndrom Grad 3 nach Gerbershagen mit ausgeprägter Persönlichkeitsänderung (vgl. F 62.80 nach ICD 10), eine anhaltende schwere somatoforme Schmerzstörung (vgl. F 45.50), eine Somatisierungsstörung mit multiplen funktionellen und vegetativen Beschwerden (vgl. F 45.0 ICD 10) – nicht auf den Unfall bzw. den Erstschaden als wesentliche Teilursache zurückgeführt werden können, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne einer Verschlimmerung. Es handelt sich beim Kläger um einen Schmerz als Ausdruck einer psychischen Erkrankung mit schwerer somatoformer Störung nach der Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen (DGN, DGNB, Stand 31.05.2012, Bl. 7 f.). Unfallbedingte neuropathische Schmerzen hat Dr. K. – wie schon dargelegt – ausgeschlossen.
Dr. K. und Dr. S. haben herausgearbeitet, dass der Kläger aufgrund seiner belastenden Biographie mit wiederholten Traumatisierungen in Kindheit und Jugend eine Veranlagung zur pathologischen Schmerzverarbeitung entwickelt hat, auf die die chronische Schmerzsymptomatik mit multilokulären Schmerzangaben zurückzuführen ist. Es entspricht nach ihren Ausführungen der medizinisch-wissenschaftlichen Erfahrung, dass Personen bei solch belastender Biographie mit Traumatisierungen in Kindheit und Jugend sehr häufig im Lauf ihres Lebens mit der Entwicklung ausgeprägter somatoformer Störungen reagieren. Angesichts vorbestehender Veranlagungen und Reaktionsbereitschaft sind – wie Dr. K. darlegt – belastende Ereignisse im Leben wie der streitgegenständliche Arbeitsunfall aber keine wesentlichen (Teil-) Ursachen, sondern lediglich unwesentliche Gelegenheitsursachen bzw. Auslöser für eine Symptomatik bei unfallunabhängiger, vorbestehenden Disposition zur somatoformen Störung.
Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Insbesondere die Breite der geäußerten Beschwerden und Schmerzen, z.B. in den Schilderungen während der Rehabilitation in B. – mit Kopfschmerzen, Schmerzen im Bereich der Fußsohlen, im Bereich der Genitalien, im Bereich des Afters, der rechten Schulter, der Knie und des Rückens etc. – spricht für eine nicht unfallbedingte Schmerz- bzw. Somatisierungsstörung.
Diese gutachterliche Beurteilung deckt sich mit derjeningen im Rehabericht B. aus dem Jahr 2011. Darin wird ausgeführt, dass sich auf Basis lang anhaltender und wiederholter Traumatisierungen, Verletzungen sowie Stressbelastungen durch Arbeit und Familie eine dispositionell erhöhte Vulnerabilität entwickelt hat, die durch dysfunktionale kognitive Strategien und Verhaltensweisen aufgrund der individuellen Lebens- und Lerngeschichte, der Persönlichkeitsstruktur und der großen familiären Belastungen des Klägers unterhalten und verstärkt wird. Auch Dr. Dr. W. hat im Gutachten vom 15.10.2012 ausgeführt, dass der Kläger eine ungewöhnlich schwierige Biographie mit multiplen Traumata durchlaufen hat und daraus ein polytopes Schmerzsyndrom von wechselhafter Ausgestaltung, eine erhebliche affektive Instabilität und eine Reduktion von Ausdauer und Durchhaltefähigkeit resultieren. Der Kläger ist danach aufgrund seiner desolaten Biographie in sehr grundsätzlichen und basalen Fertigkeiten der interpersonalen Selbststeuerung massiv defizitär angelegt und reagiert aufgrund dieser Defizite bei gegenläufigen Anforderungen mit akzentuierter Schmerzwahrnehmung und mit einer Fülle von somatoformen Ausgestaltungen.
Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Ausführungen von Dr. M. in seinem Gutachten vom 13.08.2012, wonach die Belastungsfaktoren in der Kindheit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Vulnerabilität des Klägers für die spätere Entwicklung psychischer und psychosomatischer Störungen und eine Beeinträchtigung der Entwicklung eines adäquaten Stressbewältigungssystems bedingen. Der bei narzisstischen Persönlichkeitsanteilen leicht kränkbare und in seiner Frustrationstoleranz verminderte Kläger stand bereits 1998/ 1999 im Zusammenhang mit Arbeitsplatzkonflikten und Kränkungen in kurzzeitiger nervenärztlicher Behandlung. Ferner hat Dr. M. dargelegt, dass sich der Kläger bereits längere Zeit durch den Arbeitgeber gemobbt gefühlt habe und dass er den Arbeitsunfall als erhebliche Kränkung, mit Auslösung von Aggression und Frustration erlebt hat. Soweit Dr. M. erklärt hat, dass sich neben rein somatischen Schmerzen eine chronische Schmerzstörung im Sinne einer Krankheitsfehlverarbeitung entwickelt hat, die durch psychische Faktoren mit aufrechterhalten wird, steht diese Aussage nicht – wie die Klägerbevollmächtigte meint – in Widerspruch zu der gutachterlichen Einschätzung von Dr. K. Dr. M. hat sich – entsprechend seines Gutachtensauftrags im Krankenversicherungsrecht – nicht dazu geäußert, ob der Unfall im Vergleich zu der vorbestehenden Vulnerabilität und den weiteren Belastungsfaktoren (u.a. berichtete vorangegangene Kränkungen) wesentliche Teilursache oder unwesentliche Gelegenheitsursache war. Aus Sicht des Senats stützen die Ausführungen von Dr. M., insbesondere mit Blick auf die bereits 1998/1999 bei Arbeitsplatzkonflikten notwendige psychiatrische Behandlung, vielmehr die gutachterliche Einschätzung von Dr. K.
Gegen einen wesentlichen Ursachenbeitrag des Unfallereignisses spricht überdies, dass der Kläger bei Begutachtung durch Dr. P. im Gutachten vom 20.01.2012 seine psychischen Beschwerden – Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen und fehlenden Antrieb – auf erhebliche familiäre Belastungen zurückgeführt hat, weil er sich den Belastungen infolge der Erkrankung seiner Ehefrau an Multipler Sklerose und durch die Gesundheitsbeeinträchtigung seines Morbus Down erkrankten Kindes nicht mehr gewachsen fühle.
Dem Sachverständigen Dr. S. hat der Kläger im Juni 2011 über bereits seit 1994 bestehende massive depressive Störungen und Angstzustände mit Panikattacken berichtet, mit Furcht, überfallen und getötet zu werden, nachdem er mehreren Überfällen in der Heimat ausgesetzt gewesen sei. Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass entgegen den Ausführungen der Klägerbevollmächtigten vor dem Unfall bereits psychische bzw. somatoforme Störungen im Vollbeweis nachgewiesen sind. Aus den Unterlagen des Allgemeinmediziners Dr. K. vom 02.08.2013 ergibt sich, dass der Kläger schon vor dem Unfallereignis unter Erschöpfung gelitten hat (Sept. und Okt. 2006, Januar und April 2008), an einer schweren depressiven Störung (August 2007), unter somatoformen Störungen (April 2008), Muskelschmerzen (Mai 2007) und Kopfschmerzen (Mai 2008). Das Kreiskrankenhaus A-Stadt hat bereits im Arztbrief vom 18.05.1999 den Verdacht auf psychosomatische Überlagerung genannt und nach stationärer Behandlung vom 31.05. bis 05.06.2007 einen dringenden Verdacht auf larvierte Depression und Somatisierungsstörung mit Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Durchschlafstörungen und Antriebsarmut diagnostiziert. Dr. P. berichtete mit Schreiben vom 20.11.2000 von neurologischer Behandlung des Klägers seit 1997 wegen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, rezidivierender Bein- und Unterleibsschmerzen bei zahlreichen Belastungsfaktoren in der Kindheit, problematischer Ehe mit einer psychotischen Ehefrau und schwieriger Stellung als Ausländer in Deutschland. Der Praktische Arzt Dr. B. hat im Befundbericht für die DRV vom 08.02.2008 u.a. vegetative Dysfunktion bei Arbeitslosigkeit mit körperlicher Schwäche, Konzentrationsstörungen und gesteigerte emotionelle Gemütsbewegungen bei vergeblicher Arbeitssuche und diffusen Gelenkbeschwerden genannt.
Die vorliegenden Unterlagen bestätigen für den Senat eindrucksvoll die bereits lange vor dem Arbeitsunfall rezidivierenden psychischen Erkrankungen, Somatisierungsstörungen und somatoformen Schmerzstörungen entsprechend den Ausführungen von Dr. S. und Dr. K. in ihren Gutachten. Der Unfall kann daher allenfalls als Auslöser vorübergehender Symptome bewertet werden, bei erheblichen weiteren im Privatbereich bestehenden Belastungsfaktoren, auf die der Kläger aufgrund seiner vorbestehenden Krankheitsfehlverarbeitungsstörung mit Schmerzen reagiert.
Auch die weiteren geltend gemachten Gesundheitsstörungen sind keine Unfallfolgen. Die 2012 diagnostizierte Leberzirrhose kann nicht auf den Unfall am 20.04.2009 oder den Erstschaden – das Ekzem der Hände – als wesentliche Teilursache zurückgeführt werden, sondern steht in Zusammenhang mit der bereits im Arztbrief des Kreiskrankenhauses A-Stadt vom 18.05.1999 diagnostizierten chronischen Hepatitis B-Erkrankung des Klägers und der seit 2007 diagnostizierten Fettleber (Steatosis hepatis, vgl. Arztbrief des Kreiskrankenhauses A-Stadt über die Behandlung vom 31.05 bis 05.06.2007), wie die Beklagte überzeugend dargelegt hat. Soweit die Klägerbevollmächtigte die seit 1999 bestehende chronische Hepatitis und die Leberzirrhose als Folge längerer Chemikalienbelastungen geltend macht, handelt es sich nicht um Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.04.2009 als zeitlich begrenztes Ereignis. Eine Diabetestherapie wurde bei pathologischer Glukosetoleranz bereits 2007 begonnen (vgl. Arztbrief der Klinik A-Stadt 2007) bzw. Dr. B. hat im Befundbericht vom 08.02.2008 schon einen beginnenden Diabetes mellitus diagnostiziert, also vor dem Unfallereignis.
Erkrankungen im Mundraum wie Paradontose mit Eiterabszess (vgl. Schreiben von Dr. R. vom 03. und 18.06.2013), Veränderungen der Mundschleimhaut, ein Verlust des Geruchs- oder Geschmacksinns oder Gesundheitsstörungen im Bereich der Augen in Form von Bindehautschäden oder Trockenheitssyndrom mit Fremdkörpergefühl (vgl. Arztbrief von Dr. S. vom 13.07.2014) können schon deswegen keine Unfallfolgen sein, weil ein entsprechender Erstschaden – Reizung bzw. Schädigung von Mundschleimhaut oder Augen – nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist. Solche Gesundheitsstörungen sind in keinem zeitnahen Befund erhoben worden. Das gilt auch für den neurologischen Befund vom Mai 2009, bei dem Dr. S. immerhin die Pupillenreaktion und die Beweglichkeit der Zunge überprüft hatte. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. hat im Gutachten vom 07.06.2011 überzeugend dargelegt, dass Geruchsstörungen und Störungen des Sehvermögens nicht nachweisbar gewesen sind. Im Arztbrief der Praxis Dres. S. und Kollegen vom 08.01.2014 wird insoweit auch nur mitgeteilt, dass der Kläger eine komplette Anosmie und Ageusie angegeben hat, aber nicht, dass diese Angaben durch Untersuchungen objektiviert worden sind.
Welche Abszesse auf den Unfall als Ursache zurückgeführt werden sollen, ist nicht ersichtlich. Allerdings sind Hautabszesse und Furunkel bereits im Mai 2008 in den Behandlungsunterlagen von Dr. K. dokumentiert und damit lange vor dem Unfall. Soweit aus den Unterlagen ersichtlich, sind Abszesse nicht im Bereich der Hände aufgetreten, sondern im Bereich des Kiefers (2013) und im Bereich des linken Oberschenkels (08/2012 und 07/2013). Ein Ursachenzusammenhang mit dem Erstschaden an den Händen ist weder schlüssig vorgetragen noch ersichtlich.
Vor diesem Hintergrund lässt sich – auch unter Zugrundelegung der von der Beklagten anerkannten Unfallfolge – ein Anspruch des Klägers auf Verletztengeld über den 12.02.2010 hinaus ebenso wenig begründen wie ein Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. Ein Stützrententatbestand liegt bislang nicht vor.
Das SG hat daher die Klage auf weiteres Verletztengeld und auf Verletztenrente zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Lediglich soweit im Tenor versehentlich als Datum des Bescheides über Verletztengeld der 12.02.2010 statt der 08.02.2010 genannt wird, war eine Berichtigung gemäß § 138 SGG angezeigt. Einer vorherigen Anhörung der Beteiligten bedurfte es nicht, da es sich um eine reine Formalie handelt und die Rechte der Beteiligten nicht beeinträchtigt werden können (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, zu § 138 RdNr. 4). Dessen ungeachtet hat der Senat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf diesen Umstand hingewiesen und somit Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Ferner hat der Senat dem Kläger für die Fortführung des Berufungsverfahrens gemäß § 192 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten in Höhe von 500,- Euro auferlegt. Dass und warum die Berufung keinerlei Erfolgsaussicht hat, ist der Klägerbevollmächtigten sowohl im ablehnenden Beschluss zur Prozesskostenhilfe als auch in der mündlichen Verhandlung vom Vorsitzenden dargelegt worden, zumal keiner der im Verwaltungsverfahren oder im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen, einschließlich des vom Kläger selbst ausgewählten Sachverständigen nach § 109 SGG, eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 12.02.2010 hinaus oder eine MdE in rentenberechtigender Höhe festgestellt hat. Der Vorsitzende hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf die Missbräuchlichkeit der Fortführung der Berufung vor diesem Hintergrund und auf die Möglichkeit, dass der Senat bei Fortführung der Berufung Kosten nach § 192 Abs. 1 SGG in Höhe von 500,- Euro auferlegt, hingewiesen.
Gemäß § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG muss sich der Kläger das Verhalten seiner Prozessbevollmächtigten auch zurechnen lassen. Dass ein Beteiligter eine gerichtliche Entscheidung trotz negativer Beweislage wünscht, ist allein zwar noch kein Grund, Missbräuchlichkeit anzunehmen. Missbräuchlichkeit kann aber vorliegen bei Weiterverfolgen von Klage bzw. Berufung trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit (vgl. BT-Drucks. 14/6335 S. 33 zu Art. 1 Nr. 65). Gefordert wird in der Literatur ein besonders hohes Maß an Uneinsichtigkeit. Obwohl die Klägerbevollmächtigte verstanden hat, dass keines der vorliegenden Gutachten die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche stützt und der Senat daher nach Sach- und Rechtslage dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zusprechen kann, hat sie an dem Berufungsverfahren festgehalten. Darin zeigt sich ein besonders hohes Maß an Uneinsichtigkeit. Bei Festsetzung der Höhe der Verschuldenskosten sind die Schwere des Verschuldens, die Höhe der entstanden Kosten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage, zu § 192 RdNr. 16). Bei Schätzung der Gerichtskosten für die Fortführung der Berufung in der mündlichen Verhandlung sind neben den bei der Abfassung des Urteils entstehenden Kosten sämtlicher Richter und Mitarbeiter auch die allgemeinen Gerichtshaltungskosten zu berücksichtigen (vgl. Leitherer, a.a.O., § 192 RdNr.14). Diese Kosten liegen in der Regel bei mindestens 1000,- Euro (vgl. hierzu LSG NRW Urteil vom 24.10.2014 – L 4 U 522/13 – Juris RdNr. 42; LSG BaWÜ Beschluss vom 10.10.2011 – L 13 R 2150/10 – Juris RdNr. 22; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 18.12.2013 – L 29 AL 88/13 Juris RdNr. 69). Allein für das Absetzen des Urteils sind mit Blick auf die drei damit befassten Berufsrichter mindestens sechs Richterarbeitsstunden anzusetzen, wobei der Wert einer Richterstunde bereits 1986/1987 mit 350,- bis 450,- DM – also ca. 180,- bis 230,- Euro – angesetzt wurde (vgl. LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 10.10.2011 – L 13 R 2150/10 – Juris RdNr. 22 m.w.N.), so dass selbst ohne Berücksichtigung der seitdem eingetretenen Preissteigerung allein für die Urteilsabsetzung Kosten in Höhe von über 1.000,- Euro entstanden sind. Die dem Kläger auferlegten Kosten in Höhe von 500,- Euro liegen damit noch deutlich unter den tatsächlich durch die Weiterführung des Rechtsstreits verursachten Kosten, denn der Senat hat zu Gunsten des Klägers die geringen Einkommensverhältnisse und die familiäre Situation berücksichtigt.
C) Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision sind weder vorgetragen noch ersichtlich.


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