Sozialrecht

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Aktenzeichen  S 17 KR 1785/18

Datum:
23.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55630
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die AnfechtungsFeststellungs- und Verpflichtungsklage vom 31.10.2018 gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 04.10.2018 insoweit unzulässig, als sie die Aufhebung der freiwilligen Versicherung und Erstattung der ab 01.11.1996 gezahlten Beiträge betrifft.
Mit der Klagerücknahme im Verfahren S 50 KR 306/13 hat der Kläger hinsichtlich der Aufhebung seiner freiwilligen Versicherung und Erstattung der Beiträge ab 01.11.1996 auf die weitere Verfolgung seiner Ansprüche verzichtet. Der zugrundeliegende Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013, mit dem festgestellt wurde, dass zu Recht seit 01.11.1996 eine freiwillige Mitgliedschaft durchgeführt wurde, ist damit bestandskräftig geworden Mit dieser Klagerücknahme hat der Kläger auf die weitere Verfolgung seiner Ansprüche verzichtet und nicht mehr die Möglichkeit, wegen des gleichen Sachverhalts nochmals das Gericht anzurufen, denn mit seiner Erklärung ist der prozessuale Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung über den Klagegegenstand verbraucht (Bundessozialgericht vom 13.07.2017, B 8 SO 1/16 R Rn. 16). Hieran ändert auch nichts, dass der Kläger nach seinem Vorbringen die damalige Verhandlung am Sozialgericht München nicht richtig verstanden hatte und die Klage nicht zurücknehmen wollte. Bei der Klagerücknahme handelt es sich um eine Prozesshandlung, die nicht widerruflich ist und auch nicht wegen Irrtums angefochten werden kann (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGG, 1. Auflage, § 102, Rn. 37 ff.).
Das BSG (BSG v. 14.06.1978, Az.: 9/10 RV 31/77, juris Rn. 12 m.w.N.) geht davon aus, dass eine Rücknahmeerklärung ausnahmsweise nur dann widerrufen werden kann, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen. Wiederaufnahmegründe nach § 179 f. SGG in Verbindung mit § 578 ff. ZPO sind vorliegend nicht ersichtlich.
Hilfsweise wird noch auf Folgendes hingewiesen: Zur Überzeugung der Kammer hat die Mitgliedschaft des Klägers als freiwillig Versicherter mit dem Ende des Bezugs von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz am 01.11.1996 begonnen. Die Weiterversicherung des Klägers ist in § 188 Abs. 2 SGB V geregelt. Das Gesetz nimmt hier in Satz 1 zunächst Bezug auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V und bestimmt den Beginn der Mitgliedschaft anders als § 188 Abs. 1 SGB V nicht nach dem Zugang der Beitrittserklärung. Maßgeblich ist vielmehr das Ende der vorher bestehenden gesetzlichen Krankenversicherung. § 188 Abs. 2 Satz 1 SGB V hat die bis Ende Juli 2013 geltende Rechtslage im Blick; seit dem 01.08.2013 ist § 188 Abs. 4 vorrangig: Danach kommt es bei den von § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB V erfassten Personen gar nicht mehr auf eine Beitrittserklärung an (Felix in Schegel/Voelzke, juris-PK-SGB V, 4. Auflage Stand 16.09.2020, § 188 SGB V, Rn. 19). Diese Vorschrift ist auf den hier vorliegenden Sachverhalt des Jahres 1996 nicht anwendbar.
§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V betrifft Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und bestimmte Vorversicherungszeiten erfüllt haben. Treten sie der Kasse freiwillig bei, beginnt ihre Mitgliedschaft mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Auf die Weise wird eine nahtlose Weiterversicherung in der GKV sichergestellt, auch wenn die Beitrittserklärung der Krankenkasse erst später zugeht (Felix in Schlegel/Voelzke, a.a.O., Rn. 20).
Der Beitritt war nach § 188 Abs. 3 SGB V (in der bis 18.12.2019 geltenden Fassung) schriftlich (ab 19.12.2019: „in Textform“) zu erklären. Diese schriftliche Erklärung ist in der Verwaltungsakte der Beklagten nicht mehr auffindbar.
Da die Beitrittserklärung des Klägers offenbar nicht mehr vorliegt, ist mittels der noch vorliegenden Unterlagen zu ermitteln, ob hieraus eine konkludente Willenserklärung des Klägers festgestellt werden kann.
In der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2020 hat der Kläger auf Nachfrage des Gerichts, ob er sich gegen das Risiko Krankheit habe versichern wollen, angegeben, er habe im Jahr 1996 keine freiwillige Versicherung abschließen wollen. Er sei irrig davon ausgegangen, es bestehe eine gesetzliche Pflicht zu Krankenversicherung. Darüber hinaus sei er nie beim Arzt gewesen und habe auch nicht vor, einen Arzt aufzusuchen. Er könne Schmerzen sehr gut aushalten.
Allerdings spricht für eine Beitrittserklärung, dass die Beklagte mit Bescheid vom 02.12.1996 und den Worten „Sie beantragen die (weiter) einkommensabhängige Einstufung für Selbständige“ die Beitragseinstufung als Selbständiger bestätigt und die freiwilligen Beiträge ab 01.11.1996 festgesetzt hat. Darüber hinaus hat der Kläger hat jahrelang die Beiträge gezahlt bzw. für die Abbuchung der Beiträge eine Lastschrift erteilt und die Versichertenkarten entgegengenommen. Welche Motive den Kläger zum Beitritt zur Krankenversicherung hatte, ist dabei unerheblich. Falls er dabei einem Irrtum erlegen sein sollte – wie vom Kläger vorgetragen – handelt es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht zu einer Anfechtung ermächtigt. Im Übrigen wird noch darauf hingewiesen, dass der Kläger seine freiwillige Versicherung hätte kündigen können und auch noch kündigen kann, § 175 Abs. 4 S. 2 SGB V. Die Kündigung wird wirksam, wenn das Mitglied innerhalb der Kündigungsfrist eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse oder das Bestehen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall nachweist, § 174 Abs. 4 S. 4 SGB V.
Da der Kläger zur Überzeugung der Kammer seit 01.11.1996 freiwilliges Mitglied der Beklagten ist, steht ihm bezüglich der bereits gezahlten Beiträge kein Erstattungsanspruch zu. Hilfsweise wird noch auf die Vorschrift des § 27 Abs. 2 S. 1 SGB IV verwiesen. Nach dieser Vorschrift verjährt ein Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Das bedeutet, dass die geltend gemachten Erstattungsansprüche – so sie denn bestehen würden – für den Zeitraum von November 1996 bis Dezember 2013 verjährt wären.
Soweit die Klage die vorläufige Festsetzung der Beiträge ab dem 01.01.2018 betrifft, ist die Klage zulässig, aber nicht begründet.
Die vorläufige Festsetzung der Beiträge ab 01.01.2018, die auf Grundlage des letzten Steuerbescheids für das Jahr 2015 erfolgte, ist nicht zu beanstanden und findet ihre gesetzliche Grundlage in der mit Wirkung zum 01.01.2018 eingefügten Vorschrift des § 140 Abs. 4a SGB V. Hierfür wurde ein Zwölftel der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 3.207,75 €, ein Zwölftel der Einkünfte aus Kapitalvermögen (nach vorherigem Abzug der Werbungskostenpauschale) in Höhe von 417,42 € und der von der Deutschen Rentenversicherung mitgeteilte Rentenbetrag von 223,59 € herangezogen.
Die übersandten vorläufigen Beitragsbescheide vom 21.06.2019, 07.08.2019 und 20.12.2019 sind nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
Gerichtlich anfechtbar ist nicht nur die endgültige, sondern auch die vorläufige Festsetzung, denn diese ist ein eigenständiger Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X, der gesondert mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann (Vossen in Krauskopf, Soziale Kranken- und Pflegeversicherung, Stand März 2020, § 240 SGB V, Rn. 81). Die endgültige Festsetzung der Beiträge ersetzt den vorläufigen Bescheid, der dadurch gegenstandslos wird im Sinne einer Erledigung auf andere Weise nach § 39 Abs. 2 SGB X, ohne dass es einer gesonderten Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts bedarf. Eine endgültige Festsetzung ist nach Angaben der Beklagten noch nicht erfolgt, da der Kläger Einkommensteuerbescheide bisher noch nicht vorgelegt hat.
In der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2020 hat der Kläger angegeben, er beantworte die von der Beklagten übersandten Fragebögen nicht mehr bzw. mache die Briefe, die er von der Beklagten erhalte gar nicht mehr auf.
Sofern keine Nachweise vorgelegt werden, erfolgt die vorläufige Festsetzung gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze. Den Krankenkassen steht auch im Rahmen der vorläufigen Festsetzung damit ein Sanktionierungsinstrument bei fehlender Mitwirkung des Mitglieds zur Verfügung (Bundestagsdrucksache 18/11205 Seite 72; Vossen in Krauskopf, Soziale Kranken- und Pflegeversicherung, SGB V, § 240 SGB V, Rn. 77).
Die Beklagte hat daher die vorläufigen Festsetzungen zu Recht auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze vorgenommen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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