Sozialrecht

Rente, Bescheid, Krankenversicherung, Altersrente, Widerspruchsbescheid, Arbeitslosigkeit, Unfallversicherung, Beitrittsgebiet, Entgeltpunkte, Beitragszeiten, Zuschuss, Widerspruch, DDR, Verwaltungsverfahren, gesetzlichen Unfallversicherung

Aktenzeichen  S 7 R 533/19

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48165
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2019 ist rechtmäßig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Bescheide vom 19.05.2014 und 06.06.2014 zurückzunehmen und dem Kläger unter Berücksichtigung der im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten nach den Vorschriften des Fremdrentengesetzes in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung eine höhere Rente zu zahlen. Die Beklagte hat die Rente des Klägers zutreffend unter Bewertung der im Beitrittsgebiet zurückgelegten Rentenzeiten nach § 256a SGB VI berechnet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berechnung seiner Altersrente unter Anwendung des FRG, weil dieses Gesetz auf seine Rente nicht anwendbar ist.
Nach dem Wortlaut des FRG in seinen ab Beginn des Rentenbezugs geltenden Fassungen sind die Rentenansprüche des Klägers von den Regelungen des FRG nicht erfasst. Der Kläger erfüllt keinen der in den §§ 1, 5 Abs. 4 und 17 FRG genannten, den Anwendungsbereich des FRG eröffnenden Tatbestände. Dies wird vom Kläger auch nicht behauptet.
Eine Anwendung der Regelungen des FRG ergibt sich vorliegend nicht aus § 17 Abs. 1 des FRG in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung. Die Vorschrift findet auf die Rente des Klägers keine Anwendung.
Die Vorschrift in § 17 Abs. 1 des FRG in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung wurde mit Art. 14 Nr. 16 b) des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl. I 1606) mit Wirkung zum 01.01.1992 gestrichen. Gleichzeitig wurde mit Art. 14 Nr. 14 a) die bisher in § 15 Abs. 1 FRG geregelte Anwendbarkeit des FRG auf im Beitrittsgebiet zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten gestrichen. Eine Übergangsvorschrift, aus welcher sich die Fortgeltung der bis zum 31.12.1991 geltenden Regelungen für die Rente des Klägers ergeben würde, existiert nicht.
Eine Anwendung des FRG in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung findet vorliegend insbesondere nicht aufgrund des § 259a SGB VI statt. Die Vorschrift sieht die Ermittlung von Entgeltpunkten aufgrund der Anlagen 1 bis 16 zum Fremdrentengesetz für Pflichtbeitragszeiten vor dem 19.05.1990 nur für Versicherte vor, die vor dem 01.01.1937 geboren sind und die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 18.05.1990 oder, falls sie verstorben sind, zuletzt vor dem 19.05.1990 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatten oder im Ausland hatten und unmittelbar vor Beginn des Auslandsaufenthalts ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet hatten. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil er nicht vor dem 01.01.1937 geboren ist.
Soweit der Kläger geltend macht, er sei nicht Adressat dieser Regelung, weil nach dem Willen des Gesetzgebers mit den in § 259a SGB VI bezeichneten „Versicherten“ nur diejenigen Versicherten gemeint seien, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung noch Versicherte des Versorgungssystems der früheren DDR gewesen seien, greift dies nicht durch. Dies bereits deshalb, weil sich die Bezeichnung „Versicherter“ auf alle im Geltungsbereich des SGB VI Versicherten bezieht, ohne danach zu differenzieren, ob daneben auch Versicherungsverhältnisse anderer Art bestehen oder bestanden haben, etwa bei einem früheren deutschen Versicherungsträger im Beitrittsgebiet (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. November 2020 – L 13 R 110/20 -, Rn. 33, juris). Darüber hinaus würde, selbst wenn man der Auslegung des Klägers folgen wollte, aus der Nichtanwendbarkeit des § 259a SGB VI auf den Kläger eine Anwendung des FRG nicht resultieren, da auch unter Zugrundelegung dieser Auslegung eine Rechtsnorm, welche die Anwendung des FRG in seiner aktuellen oder in einer früheren Fassung auf die Rente des Klägers vorsieht, nicht existiert.
Eine Anwendung des FRG folgt auch nicht aus Art. 20 Abs. 7 des Vertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (WWSUVtr) 18.05.1990. Diese Bestimmung sieht vor, dass Personen, die nach dem 18.05.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der einen Vertragspartei in das Gebiet der anderen Vertragspartei verlegt haben, von dem bisher zuständigen Rentenversicherungsträger ihre nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften berechnete Rente für die dort zurückgelegten Zeiten erhalten. Damit sollte eine weitere Einwanderung in das Rentensystem der alten Bundesrepublik Deutschland verhindert werden (VG Potsdam, Urteil vom 18. November 2014 – 11 K 4205/13 -, Rn. 22, juris). Hingegen schreibt die Bestimmung nicht den Status Quo vom 18.05.1990 dauerhaft und unveränderlich fest. Die Regelung steht einer Änderung der Bewertung von Zeiten im Beitrittsgebiet nicht entgegen.
Letztlich macht der Kläger ein gesetzgeberisches „Versehen“ bzw. einen vom eindeutigen Wortlaut des § 259a SGB VI abweichenden gesetzgeberischen Willen geltend. Der Gesetzgeber habe nicht beabsichtigt, die Nichtanwendung des FRG auch auf im Beitrittsgebiet zurückgelegte Zeiten von vor dem Mauerfall übergesiedelten Versicherten zu erstrecken. Abgesehen davon, dass selbst, wenn man diese Prämisse als wahr unterstellen wollte, hieraus eine Rechtsgrundlage für die Anwendung des FRG im vorliegenden Fall nicht erwachsen würde, findet diese Behauptung keinerlei Grundlage im Gesetzeswortlaut sowie in den Gesetzgebungsmaterialien. In der Begründung zum Gesetzentwurf für das Gesetz zur Ergänzung der Rentenüberleitung vom 24.06.1993 führen die den Gesetzentwurf tragenden Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. aus, mithilfe der zu ändernden Vorschrift solle aus Vertrauensschutzgründen von der in §§ 256a und b vorgeschriebenen Ermittlung von Entgeltpunkten für jene Versicherte abgewichen werden, die am 18.05.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern hatten und deren Rente vor dem 01.01.1996 beginne. Für diesen Personenkreis solle es grundsätzlich bei der Ermittlung der Entgeltpunkte nach dem bis zum 30.06.1990 geltenden Recht verbleiben. Die bestehende Vertrauensschutzregelung werde beibehalten. Die vorgeschlagene Neuregelung diene der Verwaltungsvereinfachung (BT-Drucksache 12/4810, S. 24 f.). Aus dieser Begründung lässt sich unzweideutig entnehmen, dass der Gesetzgeber genau die Regelung treffen wollte, die nach dem Wortlaut des § 259a SGB VI geschaffen worden ist. Zudem wäre zu erwarten, dass der Gesetzgeber, sollte die inzwischen langjährig angewendete Regelung nicht seinem wirklichen Willen entsprechen, zwischenzeitlich eine Änderung der Rechtslage herbeigeführt hätte. Dies ist nicht der Fall (vgl. hierzu Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. November 2020 – L 13 R 110/20 -, Rn. 41, juris).
Der Antrag des Klägers im Zugunstenverfahren ist auch nicht in Bezug auf die von dem Feststellungsbescheid vom 10.04.1984 erfassten und als Zeiten nach § 15 FRG festgestellten Beschäftigungszeiten vom 01.01.1978 bis 30.09.1980 sowie Zeiten des Gewahrsams vom 04.10.1980 bis 01.06.1983 begründet. Selbst wenn ein Rentenbescheid allein wegen der unterbliebenen Aufhebung des bindenden Vormerkungsbescheids objektiv rechtswidrig ergangen ist, kann die Rücknahme des Altersrentenbescheids weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft verlangt werden, wenn dieser bei seinem Erlass der materiellen Rechtslage entsprach (BSG, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 3/13 R -, SozR 4-1300 § 44 Nr. 30, Rn. 15). Die Rentenbescheide vom 19.05.2014 und vom 06.06.2014 entsprachen bei ihrem Erlass – wie vorstehend dargestellt – der materiellen Rechtslage, wie sie der Gesetzgeber mit den durch das RÜG geregelten Gesetzesänderungen geschaffen hat.
Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Bereits mit der Änderung der Rechtslage durch das RÜG konnte der Kläger nicht mehr darauf vertrauen, dass die Feststellungen im Bescheid vom 10.04.1984 Bestand haben würden. Spätestens bei Erlass des Bescheides vom 19.07.2013 musste er davon ausgehen, dass die hierin getroffenen Feststellungen zu seinen Rentenzeiten rechtsverbindlich werden, wenn er hiergegen nicht mit Widerspruch und Anfechtungsklage vorgeht. Nach Erhebung des Widerspruchs und Erlass der Bescheide vom 29.11.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2014 hat der Kläger den Eintritt der Bestandskraft nicht durch Klageerhebung verhindert. Auch die Bescheide vom 19.05.2014 und vom 06.06.2014 sind mangels Erhebung eines Widerspruchs durch den Kläger bestandskräftig geworden. Ein schützenswertes Vertrauen in eine Rentenberechnung unter Zugrundelegung der Feststellungen aus dem Bescheid vom 10.04.1984 ist damit nicht gegeben (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 3/13 R -, SozR 4-1300 § 44 Nr. 30, Rn. 28).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung der mit dem RÜG geschaffenen Rechtslage bestehen nicht. Insbesondere sind weder das Rechtsstaatsprinzip, noch der Gleichheitssatz, noch der Eigentumsschutz des Art. 14 Grundgesetz verletzt, wenn in der ehemaligen DDR erworbene Rentenanwartschaften – auch soweit sie in der Vergangenheit nach dem FRG festgestellt waren – nunmehr nach § 256a SGB VI bewertet werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 BvR 713/13 -, juris; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2011 – B 5 R 36/11 R -, SozR 4-2600 § 248 Nr. 1; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. November 2020 – L 13 R 110/20 -, Rn. 43, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben