Sozialrecht

Rückforderung von Beihilfeleistungen

Aktenzeichen  B 5 K 17.535

Datum:
7.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21860
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBesG § 12
BeamtVG § 52
VwVfG § 49a
BGB § 812, § 819

 

Leitsatz

1. Anspruchsgrundlage für die Rückforderung von Beihilfeleistungen von einem Bundesbeamten war (vor dem Inkrafttreten des § 84a BBG) § 49a Abs. 1 VwVfG. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die in § 12 BBesG und § 52 BeamtVG festgelegten Grundsätze sind unter Berücksichtigung des beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses in sämtlichen beamtenrechtlichen Rückforderungsfällen zu beachten. Es ist deshalb immer zu prüfen, ob wegen der Umstände des Einzelfalls die Rückforderung unbillig wäre. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Rückforderungsbescheid, der eigenes, nicht geringes Verschulden der Behörde am Zustandekommen der Rückforderung nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt und hierzu keine ausreichenden Billigkeitserwägungen anstellt, ist rechtswidrig und verletzt den Adressaten in seinen Rechten. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Bescheide der Beklagten vom 12.09.2012 und 20.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2017 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt. 

Gründe

I.
Über die Klage kann gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten insoweit ihr Einverständnis erklärt haben.
II.
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Klage ist gegen die richtige Beklagte gerichtet. Richtige Beklagte ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost, diese wiederum vertreten durch die Postbeamtenkrankenkasse, vertreten durch deren Vorstand. Dies ergibt sich aus § 16 Abs. 1 und 2 und § 26b Abs. 1 Satz 1 und 2 BAPostG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 der Satz der PostBeaKK. Danach werden der Bundesanstalt in Bezug auf die bei den Postnachfolgeunternehmen beschäftigten Beamten die Rückforderung von Beihilfe in Krankheitsfällen, sowie der Erlass von Widerspruchs- und Widerrufsbescheiden in Beihilfeangelegenheiten sowie die Führung der Beihilfeakten und die gerichtliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in den o.g. Fällen übertragen, wobei sich diese dabei der Postbeamtenkrankenkasse bedient.
2. Der Rückforderungsbescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere hat ihn die zuständige Behörde erlassen. Die Zuständigkeit der Postbeamtenkrankenkasse für den Erlass des Widerspruchsbescheids ergibt sich aus § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 BAPostG i.V.m. § 84 Abs. 4 Satzung der PostBeaKK.
3. Die Rückforderungsbescheide vom 12.09.2012 und 20.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2017 sind allerdings materiell rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Beklagte hat bei Erlass der Bescheide keine ausreichende Billigkeitsentscheidung getroffen, wie sie die aus dem Beamtenverhältnis resultierende gegenseitige Fürsorge- und Treuepflicht erfordert hätte.
a) Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 49a VwVfG, modifiziert durch im Beamtenverhältnis gebotene Billigkeitserwägungen.
aa) Die von der Beklagten immer wieder zitierten speziellen beamtenrechtlichen Anspruchsgrundlagen für Rückforderungsansprüche gegenüber Beamten sind auf Beihilferückforderungen nicht anwendbar.
Der von der Beklagten teilweise herangezogene § 12 BBesG regelt explizit die Rückforderung von Bezügen und verweist dafür in Absatz zwei auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Nach Abs. 2 Satz 2 kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der Obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. § 1 BBesG, der den Anwendungsbereich des Gesetzes regelt, nennt in der Aufzählung, welche Dienstbezüge unter den Begriff der Besoldung fallen, die Beihilfeleistungen aber gerade nicht. Zu den von § 12 BBesG betroffenen Bezügen gehören nämlich nur solche im Sinn von § 1 Abs. 2 und 3 BBesG amtsbezogenen Leistungen, die den Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie sicherstellen sollen, nicht jedoch Aufwandsentschädigungen, Beihilfen oder Reisekosten (Reich, in: Reich/Preißler, Bundesbesoldungsgesetz, 1. Auflage 2014, § 12 Rn. 1 – beck online).
Ebenso ist § 52 BeamtVG, der die Rückforderung von Versorgungsbezügen regelt, nicht anwendbar. Auch hier verweist Abs. 2 auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Nach Abs. 2 Satz 3 kann wiederum von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der Obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. Auch § 2 BeamtVG, der die Arten der Versorgung nennt, für die das Beamtenversorgungsgesetz Anwendung findet, erwähnt gerade Beihilfeleistungen nicht.
bb) Mangels vorrangig anzuwendender speziellerer Vorschriften ist somit zutreffende Anspruchsgrundlage für die von der Beklagten geltend gemachte Rückforderung § 49a Abs. 1 VwVfG, der von der Beklagten in den ursprünglichen Rückforderungsbescheiden auch genannt wurde.
Diese allgemeinen Vorschriften sind nach der Rechtsprechung auch auf beamtenrechtliche Rückforderungsfälle anwendbar, erfordern allerdings eine Modifikation. Hierzu führt beispielsweise der VGH Baden-Württemberg (Urt. v. 20.09.2016, Az.: 2 S 994/15, Rn. 21, m.w.N.) im Wesentlichen aus: „Zwar gelten auch für Verwaltungsakte zu Geldleistungen aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich die allgemeinen Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG auf der ersten Stufe der Frage, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen oder widerrufen werden darf. Die separat auf einer zweiten Stufe zu prüfende Frage der Rückforderung muss jedoch den Besonderheiten des Berufsbeamtentums Rechnung tragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss es die Alimentierung den Beamten ermöglichen, sich ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf zu widmen und in rechtlicher und wirtschaftlicher Sicherheit und Unabhängigkeit zur Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben beizutragen […]. Die in dieser Rechtsprechung hervorgehobene Qualitätssicherung des Berufsbeamtentums beinhaltet auch die Verpflichtung des Dienstherrn zur Wahrung eines amtsangemessenen Lebensunterhalts trotz laufender Aufwendungen für die Risikovorsorge oder besonderer Belastungen wegen Krankheit […]. [So] kann auch die Rückforderung von Beihilfe im Einzelfall zu einer existenziellen Notlage des Beamten führen, welche geeignet ist, seine rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gefährden. Daher ist es bei Rückforderungen des Dienstherrn gegenüber seinem Beamten geboten, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, damit nicht jede Verletzung einer Anzeigepflicht aufgrund strenger haushaltsrechtlicher Vorschriften automatisch zu einer Rückforderung mit möglicherweise existenzbedrohenden Folgen für den Beamten führt. Gerade auch der Umstand, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zur früher anwendbaren Regelung des § 12 Abs. 2 BBesG stets davon ausgegangen ist, dass eine Billigkeitsprüfung unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung ist, zeigt, dass Beamte aufgrund des besonderen gegenseitigen Pflichtenverhältnisses insoweit nicht den starren Regelungen des § 49a VwVfG unterworfen sein dürfen.“
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die gegen den Kläger geltend gemachte Rückforderung rechtswidrig und verletzt ihn daher in seinen Rechten.
b) So sind zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen für das von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsbegehren erfüllt. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist, sind nach § 49 Abs. 1 VwVfG bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.
aa) Die Beklagte hat noch zutreffend nach § 48 Abs. 1 VwVfG die betroffenen Leistungsbescheide zurückgenommen. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(1) Die Beklagte hat mit den Bescheiden vom 12.09.2012 und vom 20.09.2012 die 25 betroffenen Beihilfebescheide insoweit zurückgenommen, als darin die Erstattungen in Höhe von 40% der Kosten auf Wahlarztleistungen, Krankenhausbehandlungen sowie Ein- und Zweibettzimmerzuschlag nicht berücksichtigt worden waren, die der Kläger von seiner privaten Zusatzversicherung erhält.
(2) Bei den streitgegenständlichen Bescheiden handelte es sich auch um rechtswidrige Bescheide, da der Kläger insoweit mehr Beihilfeleistungen gewährt bekommen hat, als ihm zugestanden hätte:
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BBhV darf die Beihilfe zusammen mit den Leistungen, die aus demselben Anlass aus einer Krankenversicherung, aus einer Pflegeversicherung, auf Grund anderer Rechtsvorschriften oder auf Grund arbeitsvertraglicher Vereinbarungen gewährt werden, die dem Grunde nach beihilfefähigen Aufwendungen nicht übersteigen. Von den Beteiligten unbestritten hat die Beklagte in der Vergangenheit in den in den Rückforderungsbescheiden genannten Fällen dem Kläger als eigentlich Beihilfeberechtigten für Krankenhausaufenthalte seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau Leistungen gewährt, die den Leistungsumfang der privaten Zusatzversicherung des Klägers unberücksichtigt gelassen haben. Insofern waren die diese Deckelung übersteigenden Leistungen dem Kläger in rechtswidriger Weise gewährt worden, weil er darauf keinen Anspruch hatte.
(3) Offen bleiben kann hier, ob sich der Kläger zulässigerweise auf die Einschränkungen des § 48 Abs. 2 VwVfG berufen kann. Danach darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.
Dem Kläger könnte hier die Berufung auf Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG versagt sein, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dafür, dass ihm die Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Überzahlungen tatsächlich bekannt war, ist nichts ersichtlich. Ihm könnte jedoch grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen sein.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die gebotene Sorgfalt, die vom Begünstigten oder seinem Vertreter hätte erwartet werden können und müssen, in besonders schwerer Weise oder in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, insbesondere, einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Auflage 2018, § 48 Rn. 124). Dabei bezieht sich das Kennenmüssen im Rahmen des § 48 Abs. 2 VwVfG auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, nicht lediglich auf die zur Rechtswidrigkeit führenden Umstände.
Jedenfalls führt die Tatsache, dass familienintern die Ehefrau des Klägers für die Erledigung der Beihilfeangelegenheiten zuständig war, nicht zur Annahme, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit nicht hätte kennen müssen. Lediglich familienintern vorgenommene Zuständigkeitsverteilungen haben rechtlich keine Auswirkungen. Der Kläger behält als Beihilfeberechtigter nach § 2 BBhV die rechtliche Verantwortung nach außen für die von ihm beantragten Beihilfeleistungen.
Fraglich ist, wie die Tatsache zu werten ist, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits diversen Schriftverkehr mit der Beklagten darüber geführt hat, dass Letztere bei den von ihr vorgenommenen Beihilfeleistungen die private Zusatzversicherung des Klägers übersehen hat, die u.a. für stationäre Krankenhausaufenthalte, Ein- und Zweibettzimmerzuschläge sowie Chefarztbehandlungen 40% der entstehenden Kosten abdeckt. Unabhängig davon, dass dies ausschließlich Fälle betroffen haben mag, die sich im Zuge von Direktabrechnungsvereinbarungen der Beklagten mit dem jeweiligen Krankenhaus ereignet haben, könnte diese Korrespondenz des Klägers mit der Beklagten zu der Wertung führen, dass er die Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide hätte kennen müssen, da er insofern bereits sensibilisiert gewesen war. Umgekehrt könnte diese Problematik aber – wie der Kläger argumentiert – gerade auch zur Begründung der Auffassung herangezogen werden, dass er gerade nicht davon ausgehen musste, dass die Beklagte weiterhin nicht in der Lage sein würde, die private Zusatzversicherung des Klägers bei ihren Leistungsgewährungen zu berücksichtigen.
Zu Lasten des Klägers ist es jedenfalls zu werten, dass er in Kenntnis der in der Vergangenheit entstandenen Abrechnungsprobleme in den streitgegenständlichen Beihilfeanträgen das Bestehen einer privaten Zusatzversicherung nicht angezeigt hat.
Ob dies den Schluss gebietet, dass der Kläger nicht nur die Umstände hätte kennen müssen, die zur Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Leistungsbescheide führten, sondern sogar den Schluss auf die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Bescheide hätte ziehen müssen, kann jedoch offen bleiben, da die Rückforderungsbescheide jedenfalls deswegen rechtswidrig sein, weil es die Beklagte versäumt hat, die erforderlich Billigkeitsentscheidung zu treffen (dazu unten unter c) (aa).
(4) Bereits die Ermessenserwägungen der Beklagten in den betroffenen Bescheiden waren dann zunächst nicht ausreichend. In den Bescheiden vom 12.09.2012 und 20.09.2012 findet sich lediglich die Formulierung „…werden nach Ausübung des Ermessens zurückgenommen.“ als einziger Hinweis darauf, dass die Beklagte überhaupt erkannt hat, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen ist. Auch die Ausführungen im Widerspruchsbescheid gehen über inhaltslose und formelhafte Wendungen nicht hinaus.
Da im Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wenigstens ein ganzer Absatz im Schriftsatz vom 01.09.2017 der Ermessensthematik gewidmet ist und dabei beispielsweise die Interessen an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einschließlich des fiskalischen Interesses an der Vermeidung nicht gerechtfertigter öffentlicher Ausgaben genannt werden, kann die ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens insofern als nachgeholt angesehen werden.
Darüber hinaus käme, würde man grob fahrlässige Unkenntnis auf Seiten des Klägers bejahen, § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG zur Anwendung, wonach in den Fällen, in denen dem Adressaten der Rückforderung grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, der betreffende Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird. Damit läge ein Fall der Ermessensreduzierung vor, im Zuge dessen keine überhöhten Anforderungen an die Ermessensausübung der Beklagten zu stellen wären. Auch dies kann jedoch im Ergebnis offen bleiben.
(5) Die Beklagte hat die Rücknahme jedenfalls rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ausgesprochen. Diese Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn die Behörde – wie hier – nachträglich erkennt, dass sie den ihr bei Erlass des Verwaltungsakts vollständig bekannten Sachverhalt unrichtig gewürdigt und deshalb rechtswidrig entschieden hat. Die Frist beginnt jedoch nicht schon mit dem Erlass des Verwaltungsakts zu laufen, sondern erst dann, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.1984, Az. Gr. Sen. 1/84, Gr. Sen. 2/84 – beck-online). Nach den unwidersprochenen Ausführungen der Beklagten hat diese erst anlässlich einer Überprüfung im August und September 2012 Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Beihilfefestsetzung erlangt. Die Rücknahme der Beihilfebewilligung durch die Bescheide mit Datum vom 12.09.2012 und 20.09.2012 ist somit innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erfolgt.
bb) Die Beklagte hat mit dem Kläger auch den richtigen Adressaten des Rückforderungsbescheids gewählt. Dies ist der Kläger als Beihilfeberechtigter (§ 2 BBhV) auch dann, wenn es sich vorliegend um Leistungen handelt, die für Behandlungen der mitbeihilfeberechtigten Ehefrau gewährt worden sind. Denn erlangt hat der Kläger in diesem Sinne die Leistungen selbst dann, wenn sie auf das Konto der Ehefrau gutgeschrieben worden wären, weil er sie aufgrund des zwischen sich und der Beklagten bestehenden Dienstverhältnisses gegen sich gelten lassen muss.
c) Durch die rechtmäßige Änderung der Beihilfebescheide ist der Rechtsgrund für die aufgrund dieses Bescheids bereits ausbezahlte Beihilfe entfallen, sodass der Kläger zur Rückzahlung des Betrages grundsätzlich verpflichtet wäre. Hinsichtlich des Umfangs der Erstattung verweist § 49a Abs. 2 VwVfG in Form einer Rechtsfolgenverweisung in die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB, die eine entsprechende Modifizierung unter Berücksichtigung des beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses erfahren.
aa) Der Kläger kann sich gegenüber der Beklagten jedenfalls nicht auf Entreicherung berufen, d.h. gemäß § 818 Abs. 3 BGB darauf, dass die nun zurückgeforderten Beihilfeleistungen nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sind und dadurch die Rückerstattungspflicht ausgeschlossen ist. Denn der Kläger macht schon keine substantiierten Angaben dazu, wofür er die von der Beklagten gewährten Leistungen verbraucht haben will.
bb) Des Weiteren wäre ihm ohnehin die Berufung auf Entreicherung gemäß § 49a Abs. 2 Satz 2 VwVfG als speziellere Vorschrift zu § 819 BGB verwehrt. Danach kann sich auf den Wegfall der Bereicherung der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben. Als Maßstab für die grob fahrlässige Unkenntnis gilt hier, dass bereits die Kenntnis der Umstände genügt, die die Rechtswidrigkeit begründen, ein entsprechender Schluss auf die Rechtswidrigkeit muss nicht gezogen worden sein (Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 49a Rn. 15). Auch hier gilt aber wieder, dass der Kläger in der Vergangenheit in mehreren Schreiben auf fehlerhafte Abrechnungen durch die Beklagte, gerade auch im Hinblick auf die 40%-Leistung seiner privaten Zusatzversicherung hingewiesen hat. Dass es sich hierbei um ein Abrechnungsverfahren im Zuge der Direktabrechnungsvereinbarung gehandelt hat, ist unerheblich, da dem Kläger jedenfalls bekannt war, dass die Beklagte in mehreren Fällen das Bestehen der privaten Zusatzversicherung bei ihren Erstattungsvorgängen übersehen hat. Ebenfalls unerheblich ist – wie bereits ausgeführt – die familieninterne Zuständigkeitsverteilung im Hinblick auf Beihileangelegenheiten. Kläger hätte jedenfalls durch einen Blick auf sein Konto erkennen können und müssen, dass er mehr erstattet erhalten hat, als er bezahlt hat. Da hier ein im Vergleich zu demjenigen des § 48 VwVfG verschärfter Maßstab gilt, führen die eben angeführten Aspekte zusammen mit der Tatsache, dass der Kläger bei den einzelnen Beihilfeanträgen das Bestehen einer privaten Zusatzversicherung nicht angekreuzt hat, hier zur Annahme der grob fahrlässigen Unkenntnis und damit zum Ausschluss der Möglichkeit sich auf Entreicherung zu berufen.
cc) Auch nach den Grundsätzen der aufgedrängten Bereicherung in Form der Leistungskondiktion ist hier das Rückforderungsbegehren der Beklagten nicht ausgeschlossen, weil die Beklagtenseite nicht in Kenntnis der nichtbestehenden Leistungsverpflichtung die zurückgeforderten Beihilfebeträge geleistet hat (vgl. Schwab, in: MüKo, 7. Auflage 2017, § 818 Rn. 232).
dd) Allerdings durfte die Beklagte nach dem im Beamtenrecht zu berücksichtigenden Korrektiv einer am gegenseitigen Pflichten- und Treueverhältnis zu messenden Billigkeitsentscheidung die rechtswidrig gewährte Beihilfeleistung nicht in voller Höhe ohne weitere Begründung zurückfordern. Zwar enthält die Regelung des § 49a VwVfG im Gegensatz zu den speziellen beamtenrechtlichen Regelungen des § 12 BBesG oder des § 52 BeamtVG keinen Hinweis auf das Erfordernis einer Billigkeitsentscheidung. Hier ermöglicht der jeweilige Abs. 2 Satz 3, dass von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden kann. Allerdings sind die darin festgelegten Grundsätze, wie bereits eingangs ausgeführt, in sämtlichen beamtenrechtlichen Rückforderungsfällen zu beachten. Es ist deshalb immer zu prüfen, ob wegen der Umstände des Einzelfalls die Rückforderung unbillig wäre. Die Billigkeitsentscheidung bezweckt eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalles Rechnung tragen, die formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken und ist deshalb vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Bereicherungsschuldners abzustellen (BVerwG, Urt. v. 27.01.1994 – 2 C 19/92 – beck-online).
Der Begriff „aus Billigkeitsgründen“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Das Wort „kann“ hat in dieser Koppelungsvorschrift eine untergeordnete Bedeutung: Liegen Billigkeitsgründe vor, muss dieser Weg beschritten werden. Die Entscheidung unterliegt in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren deshalb nicht der Sonderregelungen des § 114 VwGO, sondern ist voll verwaltungsgerichtlich überprüfbar (Reich, a.a.O., § 12 Rn. 9).
Gemessen an diesen Grundsätzen war die Rückforderungsentscheidung der Beklagten aufzuheben. Der Beklagten kommt hier ein erhebliches Eigenverschulden zu, ausreichende Billigkeitserwägungen wurden in den streitgegenständlichen Bescheiden nicht angestellt.
Bereits im Jahr 2007 war der Beklagten das Bestehen der streitgegenständlichen privaten Zusatzversicherung mit den bei der Erstattung von Leistungen zu beachtenden Besonderheiten bekannt. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 14.03.2007 zu dieser Thematik. Darin hatte die Beklagte in Beantwortung eines klägerischen Schreibens ausdrücklich um Entschuldigung gebeten mit der Begründung „Wo viel gearbeitet wird, ist auch die Fehlerquote hoch“. Im selben Schreiben hat sie dann weitere fehlerhafte Leistungsabrechnungen eingeräumt, nämlich vom 12.12.2006, vom 02.01.2007 und vom 09.02.2007 und entsprechende Rückforderungen angekündigt.
Im Verlauf des streitgegenständlichen Verfahrens kam es dann neben den von der Beklagten wiederum vorgenommenen fehlerhaften Sachbehandlung auch zu irrtümlichen Aktenübersendungen und Unklarheiten über Zuständigkeiten. So hat die Beklagte mit Schreiben vom 19.03.2014 die Angelegenheit des Klägers zur Entscheidung über die Rückforderungsangelegenheit der D. T. AG vorgelegt. Mit weiterem Schreiben vom 06.05.2014 wandte sich die Beklagte dann an den Bevollmächtigten des Klägers mit der korrigierenden Mitteilung, dass man ihm versehentlich mitgeteilt habe, dass der Widerspruch bezüglich der überzahlten Leistungen der Postbeamtenkrankenkasse an die Widerspruchsstelle der Postbeamtenkrankenkasse abgegeben worden sei, es sich jedoch bei der fehlerhaften Leistungsfestsetzung ausschließlich um überzahlte Leistungen der Beihilfe handle. Dafür sei aber ausschließlich ein Bescheid des Beihilfeträgers abzuwarten. Man bitte für das Versehen um Entschuldigung. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Postbeamtenkrankenkasse der D. T. AG mit, dass man bei Verfassung des Schreibens vom 19.03.2014 verkannt habe, dass es sich bei den zurückgeforderten Leistungen ausschließlich um Beihilfeleistungen gehandelt habe und einen berichtigten Widerspruchsbericht beigefügt. Letztere teilte dann mit Schreiben vom 13.05.2014 dem Bevollmächtigten des Klägers mit, dass die Postbeamtenkrankenkasse die Kassenleistungen überprüfe, die D. T. AG die Beihilfeangelegenheit bearbeite. Diese forderte mit Bescheid vom 09.09.2015 dann die streitgegenständliche Summe unter Zurückweisung der vorgebrachten Einwendungen vom Kläger zurück. Obwohl eine Reaktion des Klägers darauf ausgeblieben war und man diesen mit Schreiben vom 03.03.2016 unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids zur Rückzahlung aufforderte, erließ gleichwohl wiederum die Postbeamtenkrankenkasse mit Datum vom 26.06.2017 in der Sache einen Widerspruchsbescheid unter Aufhebung des „Widerspruchsbescheids“ der D. T. AG vom 09.09.2015.
Diesem Jahre währenden, in der Sache rechtswidrigen und im Ablauf verwirrenden Vorgehen der Beklagtenseite steht die Tatsache gegenüber, dass in den Bescheiden der Beklagten vom 12.09.2012 und 20.09.2012 das Wort „Billigkeitserwägungen“ noch nicht einmal Erwähnung gefunden hat und sich im fünf Jahre später erlassenen Widerspruchsbescheid vom 26.06.2017 die Thematik in dem Satz „Gründe, die bei Billigkeitserwägungen zu einem Erlass der Forderung führen könnten, liegen nicht vor.“ erschöpft.
Diese Vorgehensweise der Beklagten berücksichtigt ihr eigenes, nicht geringes Verschulden am Zustandekommen der streitgegenständlichen Rückforderung nicht in ausreichendem Maße. Die Beklagte fordert vielmehr trotz ihrer zahlreichen eigenen Fehler, die in Kenntnis der bestehenden Zusatzversicherung des Klägers bei der Berechnung der zu gewährenden Beihilfeleistung über Jahre hinweg und unbeschadet zahlreicher entsprechender Hinweise von Seiten des Klägers begangen worden sind, die gesamte überzahlte Summe in einem zurück.
Daher waren die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben.
d) Lediglich ergänzend sei daher noch ausgeführt, dass der Rückforderungsanspruch noch nicht verjährt wäre.
Nach den §§ 195 ff. BGB gilt auch für die Ansprüche, die der Rückforderung nach §§ 812 ff. BGB zugrunde liegen, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Eine entsprechende Regelung enthält auch § 79 Abs. 4 der Satzung der PostBeaKK: Ansprüche der Postbeamtenkrankenkasse auf Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen und auf Schadenersatz verjähren in drei Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und die Postbeamtenkrankenkasse von den den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Ohne Rücksicht auf diese Kenntnis verjähren die Ansprüche in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.
Dabei ist von einer Anspruchsentstehung im Hinblick auf die Rückforderung erst ab Aufhebung der streitgegenständlichen Leistungsbescheide auszugehen, sodass die Verjährung nicht eingetreten sein kann, weil die Beklagte zeitgleich mit der Aufhebung der rechtswidrigen Leistungsbescheide die Rückforderung gegen den Kläger geltend gemacht hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
V.
Die Zuziehung des Bevollmächtigten des Klägers zum Widerspruchsverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VWGO für notwendig zu erklären. Angesichts der rechtlichen Schwierigkeiten der Sache konnte der Kläger auch bereits im Widerspruchsverfahren die Unterstützung durch einen Rechtsanwalt in Anspruch nehmen.


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