Sozialrecht

Sozialgerichtliches Verfahren – Anfechtungsklage – Grundsicherung für Arbeitsuchende – abschließende Entscheidung nach vorläufiger Entscheidung – Verletzung von Nachweispflichten durch den Leistungsberechtigten – Nullfestsetzungsbescheid – Rechtszustand wie bei Versagungsbescheiden – keine Anspruchsermittlung – Rechtfolgenbelehrung – Nachholung der Mitwirkungshandlung bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung

Aktenzeichen  S 27 AS 2571/19

Datum:
23.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG Magdeburg 27. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:SGMAGDE:2022:0323.S27AS2571.19.00
Normen:
§ 41a Abs 3 S 3 SGB 2
§ 41a Abs 3 S 4 SGB 2
§ 60 SGB 1
§§ 60ff SGB 1
§ 66 Abs 1 S 1 SGB 1
… mehr
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Im Fall eines sog Nullfestsetzungsbescheids ist statthafte Klageart die isolierte Anfechtungsklage. (Rn.22)


2. Mit der Möglichkeit des § 41a Abs 3 Satz 4 SGB II wollte der Gesetzgeber eine Regelung schaffen, die einen mit den §§ 60 ff SGB I vergleichbaren Rechtszustand herstellt, was eine Heranziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Versagungsbescheiden zur Folge hat. Ebenso wie ein Versagungsbescheid ist ein Nullfestsetzungsbescheid mangels Anspruchsermittlung kein Leistungsbescheid.

Tenor

Die Bescheide vom 5. März 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. September 2019 werden aufgehoben.
Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine sog. Nullfestsetzung und die hierauf gestützte Erstattung vorläufig bewilligter Leistungen.
Der Kläger zu 2) ist seit 2004 als selbständiger Schausteller im Einzelhandel (Reisegewerbe) tätig. Mit seiner Ehegattin, der Klägerin zu 1), und den beiden Kindern, den Klägern zu 3) und 4), bezog er Grundsicherungsleistungen. Zuletzt bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 7. Dezember 2017 vorläufige Leistungen für die Monate Oktober 2017 bis September 2018.
Mit Schreiben vom 8. Oktober 2018 teilte der Beklagte den Klägern mit, um nach Erbringung vorläufiger Leistungen über den Leistungsanspruch endgültig entscheiden zu können, würden folgende Unterlagen zur Selbständigkeit benötigt: „ausgefüllte Anlage EKS für den Zeitraum 01.10.2017 bis 30.09.2018, vollständige Kontoauszüge vom 01.10.2017 bis 30.09.2018, Kassenbücher Oktober 2017 bis September 2018, sonstige Betriebsausgaben sind entsprechend zu belegen“. Im Weiteren enthielt das Schreiben folgenden Hinweis:
„Sollten Sie oder die mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen bis zum unten genannten Termin der Nachweis- oder Auskunftspflicht nicht nachkommen und die erforderlichen Unterlagen nicht oder nicht vollständig einreichen, werde ich feststellen müssen, dass kein Leistungsanspruch bestand (§ 41a Absatz 3 SGB II). Dies bedeutet, dass die in diesem Zeitraum nur vorläufig bewilligten Leistungen in voller Höhe zu erstatten sind. Ich weise auch darauf hin, dass nach der unten genannten Frist eingereichte Unterlagen nicht mehr berücksichtigt werden können. Bitte reichen Sie mir diese Nachweise bis 30.11.2018 ein.“
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 erinnerte der Beklagte die Kläger an die Erledigung des Schreibens vom 8. Oktober 2018, wiederholte die angeforderten Nachweise und führte im Weiteren aus:
„Unter der Mitwirkungspflicht ist in diesem Zusammenhang die Verpflichtung zu verstehen, die geforderten Nachweise vorzulegen. Ich bitte Sie daher erneut, die genannten Unterlagen bis spätestens 05.01.2018 vorzulegen. Bitte beachten Sie: Kommen Sie oder die mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Ihrer Nachweispflicht nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß bis zum vorgenannten Termin nach, werde ich die Leistungsansprüche nur für die Monate und nur in der Höhe abschließend festsetzen, in welcher die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch auch nachgewiesen wurden. Für die übrigen Kalendermonate wird dann festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand. Dies bedeutet, dass Sie die gewährten Leistungen für den Bewilligungszeitraum mindestens teilweise, ggf. auch vollständig zurückerstatten müssen. Diese Rechtsfolge beruht auf § 41a Abs. 3 S. 3 u. 4 SGB II und betrifft alle der Bedarfsgemeinschaft vorläufig bewilligten Leistungen. Bitte halten Sie also diesen Termin in Ihrem eigenen Interesse ein.“
In der Folgezeit reichten die Kläger die angeforderten Unterlagen beim Beklagten nicht nach.
Mit Bescheid vom 5. März 2019 setzte der Beklagte die Leistungen der Kläger für die Monate Oktober 2017 bis September 2018 auf 0,00 Euro fest. Die Kläger seien verpflichtet gewesen, die zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen. Deshalb seien sie unter Fristsetzung und Belehrung über die Rechtsfolgen aufgefordert worden, die in den Schreiben vom 8. Oktober und 5. Dezember 2018 genannten Unterlagen einzureichen. Da die Kläger bis zum Tag des Bescheides die angeforderten Unterlagen nicht eingereicht hätten, seien die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nicht vollständig nachgewiesen, weshalb ein Leistungsanspruch nicht bestehe.
Mit weiteren Bescheiden vom 5. März 2019 forderte der Beklagte die Erstattung der in den Monaten Oktober 2017 bis September 2018 vorläufig erbrachten Leistungen gegenüber der Klägerin zu 1) in Höhe von insgesamt 2.091,70 Euro, dem Kläger zu 2) in Höhe von insgesamt 2.091,70 Euro, der Klägerin zu 3) in Höhe von insgesamt 687,72 Euro und der Klägerin zu 4) in Höhe von insgesamt 276,90 Euro.
In der Folgezeit reichten die Kläger verschiedene Unterlagen bei dem Beklagten nach, u.a. die Erfolgsrechnung Dezember 2018. Weitere monatliche betriebswirtschaftliche Auswertungen reichten sie nicht ein.
Die gegen die Bescheide vom 5. März 2019 erhobenen Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 16. September 2019 mit der Begründung zurück, trotz wiederholter Aufforderung mit Fristsetzung seien die Kläger ihren Mitwirkungspflichten ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht nachgekommen. Der Leistungsanspruch sei daher rechtmäßig auf 0,00 Euro festgesetzt worden und die vorläufig erbrachten Leistungen damit in voller Höhe zu erstatten.
Am 17. Oktober 2019 haben die Kläger bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben.
Zur Begründung tragen sie vor, die Voraussetzungen für eine Nullfestsetzung lägen nicht vor. Der Beklagte habe bereits nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten belehrt. Die Rechtsfolgenbelehrung sei unzutreffend, weil der Leistungsberechtigte nicht lediglich bis zu dem im Aufforderungsschreiben genannten Termin, sondern bis zur abschließenden Entscheidung seiner Nachweis- und Auskunftspflicht nachkommen könne. Die Aufforderung zur Mitwirkung habe sich zudem lediglich an den Kläger zu 2) und damit nicht, wie aber erforderlich, an sämtliche volljährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichtet. Im Übrigen errechne sich anhand der Erfolgsrechnung für das Jahr 2018 und den Belegen über die betriebsbedingten Ausgaben ein monatliches Einkommen, das geringer als das in der vorläufigen Bewilligung zu Grunde gelegte Einkommen sei. Die Unterlagen hierzu hätten sie (die Kläger) nicht vorlegen können, solange die Bearbeitung durch den Steuerberater nicht abgeschlossen gewesen sei. Hierbei sei schließlich nicht von Belang, dass der Kläger zu 2) sein Reisegewerbe durch Nutzung mehrerer Stände betreibe. Der Reisegewerbekarte sei zu entnehmen, dass neben der Ausübung unterhaltender Tätigkeit auch das Feilbieten und der Ausschank von Imbisswaren von dem insoweit einheitlich ausgeübten Gewerbe umfasst seien.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Bescheide vom 5. März 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. September 2019 werden aufgehoben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt der Klage entgegen und trägt ergänzend vor, anhand der eingereichten Unterlagen sei es ihm (dem Beklagten) nicht möglich, den Leistungsanspruch konkret zu ermitteln. So sei erst im Rahmen des Klageverfahrens aufgefallen, dass das Reisegewerbe des Klägers zu 2) nicht als eine einheitliche selbständige Tätigkeit betrachtet werden könne. Vielmehr sei ein Gewerbe dem Verkauf von Lebensmitteln (Lángos-Stand) und ein anderes dem Dienstleistungssektor (Entenangeln) zuzuordnen, weshalb die Ein- und Ausgaben daher unter Umständen unterschiedlich zu bewerten seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie des Sitzungsprotokolls des Termins der Erörterung der Sach- und Rechtslage am 4. Februar 2022 ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klage hat Erfolg.
Im wohlverstandenen Interesse der Kläger an der Erhebung einer zulässigen Klage war ihr in den Schriftsätzen und angekündigten Klageanträgen zum Ausdruck kommendes sowie mit dem zuletzt im Erörterungstermin am 4. Februar 2022 angekündigten Klageantrag bekräftigtes Begehren, die Abwendung der gegen sie geltend gemachten Erstattungsforderungen, als isolierter Anfechtungsantrag auszulegen (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021, L 7 AS 1525/19, Rn. 29, juris). Im Gegensatz zu den Fällen, in denen der Leistungsträger nach vorläufiger Leistungsbewilligung über die Leistungen in der Sache abschließend entschieden und eine hieraus folgende Erstattung verlangt hat (§ 41a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 SGB II bzw. § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung), wäre im hier zu erkennenden Fall ein – neben dem Anfechtungsbegehren verfolgtes – Leistungs- oder Verpflichtungsbegehren (vgl. hierzu BSG vom 8. Februar 2017, B 14 AS 22/16 R, Rn. 10 f m.w.N.; und vom 11. Juli 2019, B 14 AS 44/18 R, Rn. 10; juris) nicht statthaft und damit unzulässig.
Gemäß § 54 Abs. 4 SGG kann in Fällen, in denen der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht, mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden (Leistungsklage); durch die Klage kann gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG die Abänderung eines Verwaltungsakts sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden (Verpflichtungsklage). Diese Voraussetzungen für ein statthaftes Leistungs- oder Verpflichtungsbegehren liegen im Fall der von dem Beklagten gemäß § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II verfügten Nullfestsetzung mit Erstattungsforderung (nach § 41a Abs. 6 SGB II) nicht vor.
Wie das BSG bereits zu Versagungsbescheiden nach § 66 SGB I entschieden hat, setzt die für Leistungsklagen geltende Regelung des § 54 Abs. 4 SGG voraus, dass die Verwaltung über die begehrte Leistung entschieden hat (u.a. BSG vom 1. Juli 2009, B 4 AS 78/08 R, Rn. 12, juris). Ebenso wie es hieran bei dem Erlass eines Versagungsbescheides im Fall der Verletzung von Mitwirkungspflichten fehlt, stellt der Leistungsträger im Fall eines Nullfestsetzungsbescheids lediglich fest, dass ein Leistungsanspruch wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht besteht, ohne – über den Leistungsanspruch selbst – abschließend zu entscheiden. Der Leistungsträger verfügt gerade keine Leistungsablehnung wegen fehlender Anspruchsvoraussetzungen, weshalb ein Nullfestsetzungsbescheid auch keine Leistungsberechnung beinhaltet. Es handelt sich lediglich um eine das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung ohne materiell-rechtlichen Gehalt (so m.w.N. auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021, a.a.O., Rn. 27). Denn mit der Möglichkeit insbesondere des § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II wollte der Gesetzgeber lediglich eine Regelung schaffen, die einen mit den §§ 60 ff SGB I vergleichbaren Rechtszustand herstellt (vgl. hierzu ausführlich m.w.N. Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 41a, Rn. 45 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 18/8041, Seite 51 ff). Die Vorschrift ermöglicht eine formell abschließende Entscheidung in Fällen, in denen wegen fehlender Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigten keine materiell-rechtliche Entscheidung über die Leistungshöhe möglich ist und deshalb der Leistungsträger aus verwaltungsökonomischen Gründen mit der Nullfestsetzung hinter den tatsächlichen Verhältnissen zurückbleiben kann (ausführlich zu dieser begrenzten Regelungswirkung der sog. Nullfestsetzung LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021, a.a.O.). Es handelt sich um eine spezielle Ausprägung einer Versagungsentscheidung nach § 66 SGB I (so auch Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, a.a.O., Rn. 50 m.w.N.). Fehlt es damit – wie bei Versagungsbescheiden nach § 66 SGB I – an einer für die Statthaftigkeit einer Leistungsklage erforderlichen Entscheidung des Leistungsträgers in der Sache, folgt hieraus zugleich die Unzulässigkeit einer Verpflichtungsklage. Auch die mit einer Verpflichtungsklage begehrte Gestaltungswirkung setzt eine gerichtliche Prüfungsmöglichkeit der Entscheidung des Leistungsträgers in der Sache voraus, an der es im Fall einer das Verwaltungsverfahren nur formell abschließenden Entscheidung gerade fehlt.
Die von der Rechtsprechung zu Versagungsbescheiden aus Gründen der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes entwickelten Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass lediglich die isolierte Anfechtung des Bescheides statthaft ist, bedingen auch im hier zu erkennenden Fall eines Nullfestsetzungsbescheides keine abweichende Beurteilung. Ein über das Anfechtungsbegehren hinausgehendes Klagebegehren ist danach zum einen zulässig, wenn die anderweitige Klärung der Leistungsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig ist oder vom Kläger behauptet wird. Zum anderen wird eine Ausnahme bei Streitigkeiten um – wie hier – existenzsichernde Leistungen für den Fall in Erwägung gezogen, dass sich bei einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung das bisherige Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen und der Leistungsträger im Ergebnis die Leistung in der Sache voraussichtlich mit der gleichen Begründung ablehnen würde (vgl. hierzu BSG vom 1. Juli 2009, a.a.O., Rn. 14 ff). Diese Fallgestaltungen liegen hier nicht vor. Weder existiert eine von den Nachweisen über die monatlichen Betriebseinnahmen und -ausgaben unabhängige Klärungsmöglichkeit der Leistungsvoraussetzungen noch würde sich ein – in der Sache ja gerade noch nicht geführtes – Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen. Da mithin die Hilfebedürftigkeit und damit die Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsanspruch der Kläger auch im Fall der Nachholung der Mitwirkungspflichten noch nicht ermittelt wären, kann nicht aus Gründen der Prozessökonomie auf die Durchführung eines – aus sachdienlichen Gründen dem Klageverfahren vorgehenden – Verwaltungsverfahrens zur Klärung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen verzichtet werden. Anderenfalls würde, was einer Prozessökonomie gerade entgegensteht, eine der Entlastung der Verwaltung dienende Regelung die Verlagerung des Verwaltungsverfahren in das Klageverfahren und damit eine Belastung der Gerichte zur Folge haben.
Eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes liegt hierin ebenso wenig wie eine (außerhalb der gesetzlichen Ausnahmeregelungen) grundsätzlich unzulässige Zurückverweisung der Sache an den Leistungsträger. Zwar ist, wenn ein Kläger eine Leistung in bestimmter Höhe begehrt, auf die er glaubt, einen Rechtsanspruch zu haben, in der Regel die Anfechtungsklage mit einer Leistungs- oder Verpflichtungsklage zu verbinden. Bei einem Leistungs- oder Verpflichtungsbegehren ist die isolierte Anfechtungsklage deshalb grundsätzlich unzulässig. Ausnahmsweise kann die isolierte Anfechtungsklage aber zulässig sein, wenn der Kläger allein mit dieser Klageart sein Rechtsschutzziel erreichen kann (vgl. m.w.N. BSG vom 18. September 2012, B 2 U 15/11 R, Rn. 16, juris). So verhält es sich hier. Verfolgt der Kläger neben dem auf den Nullfestsetzungs- und dem hierauf beruhenden Erstattungsbescheid gerichteten Anfechtungsbegehren dem Grunde nach auch das Ziel weiterer oder zumindest höherer Leistungen mittels nachträglicher Einhaltung der Mitwirkungspflichten, wird dieses Ziel auch mit einer isolierten Anfechtungsklage erreicht, weshalb es auch nicht an einem Rechtsschutzinteresse hierfür fehlt. Im Fall der begehrten Aufhebung des angefochtenen Nullfestsetzungsbescheides (und in der Folge auch des Erstattungsbescheides) steht einer sich anschließenden endgültigen Leistungsentscheidung im – hierfür vorgesehenen – Verwaltungsverfahren nicht die Regelung des § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II entgegen („Ergeht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach Absatz 3, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt.“). Diese Fiktionswirkung, die auch Auswirkungen auf die Ausnahmetatbestände nach Satz 2 der Regelung hat, tritt nur ein, wenn der Leistungsträger bis zu dem jeweils maßgebenden Zeitpunkt einen abschließenden Leistungsbescheid tatsächlich nicht erlassen, also jede Regelung zur endgültigen Leistungsbestimmung unterlassen hat (LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021, a.a.O., Rn. 29 unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 12. September 2018, B 4 AS 39/17 R, Rn. 34, juris). So verhält es sich nach den vorstehenden Ausführungen der Kammer in dem Fall, dass der Leistungsträger – wie hier – lediglich einen Nullfestsetzungsbescheid und damit einen Bescheid ohne materiell-rechtlichen Gehalt erlassen hat. Auf Antrag des Leistungsberechtigten ist der Leistungsträger daher verpflichtet, auf Grundlage der nachträglich vorgelegten Nachweise eine abschließende Leistungsentscheidung in der Sache zu treffen. Hierbei ist für die Einhaltung der Jahresfrist entweder auf den Zeitpunkt der Nachholung der Mitwirkungspflichten oder der Erhebung eines mit einem (weiteren) Leistungsbegehren verbundenen Rechtsbehelfs jeweils im Sinne eines konkludenten Antrages abzustellen und es sind unter Maßgabe der §§ 14 SGB I, 14 Abs. 2 SGB II ggf. die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs heranzuziehen (vgl. hierzu auch Kemper, in: Eicher/Luik/Harich, a.a.O., Rn. 67 f). Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Kläger im Erfolgsfall mit einer – aufgrund der dann nachgereichten Nachweise – ebenso nachteiligen abschließenden Entscheidung in der Sache zu rechnen haben können. Auf einen solchen möglichen weiteren Geschehensablauf kommt es nicht an. Entscheidend ist allein, ob die statthafte Klage gegen den Nullfestsetzungs- (und Erstattungs-)Bescheid ausnahmsweise deshalb unzulässig ist, weil die Klage selbst im Fall ihres Erfolgs für die Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann, die begehrte gerichtliche Entscheidung ihre Stellung also weder gegenwärtig noch zukünftig verbessern würde (vgl. m.w.N. BSG vom 29. April 2015, B 14 AS 31/14 R, Rn. 10, juris). So liegt es hier ersichtlich nicht. Eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide verbessert die Rechtsstellung der Kläger nach den vorstehenden Ausführungen der Kammer jedenfalls insoweit, als hierdurch erst der Weg für eine abschließende Entscheidung im – hierfür sachdienlichen – Verwaltungsverfahren eröffnet wird. Ob die Kläger aufgrund des Inhalts der nachzureichenden Nachweise schließlich dennoch zur (teilweisen) Erstattung vorläufig erbrachter Leistungen heranzuziehen sind und keine weiteren Leistungen beanspruchen können, ist hier unbeachtlich. Auf etwaiges künftiges Alternativverhalten des Leistungsträgers kommt es unter Rechtsschutzgesichtspunkten nicht an (so auch BSG vom 29. April 2015, a.a.O., Rn.10).
Soweit das BSG im Verfahren B 4 AS 39/17 R angenommen hat, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden die kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- bzw. Verpflichtungsklage mangels Rechtsschutzinteresses an einer isolierten Anfechtung eines Leistungsbescheids die zutreffende Klageart sei (Rn. 10 f im Urteil vom 12. September 2018, juris), ist dem nicht zu folgen. Es handelt sich, soweit ersichtlich, um eine vereinzelt gebliebene Entscheidung und keine ständige Rechtsprechung (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021, Rn. 28, a.a.O, wonach die Entscheidung des BSG der Statthaftigkeit einer isolierten Anfechtungsklage nicht entgegenstehen soll). Die Entscheidung liegt insbesondere nicht auf der Linie der von der Kammer in Anbetracht der Gesetzesbegründung zu § 41a Abs. 3 SGB II herangezogenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Versagungsbescheiden und setzt sich mit dieser nicht auseinander. Sie beschränkt sich auf einen Verweis auf andere Entscheidungen, wonach an der isolierten Anfechtung eines Leistungsbescheides das Rechtsschutzinteresse fehle. Diesen lagen mithin Leistungsbescheide, also gerade nicht Bescheide zugrunde, mit denen die Leistungsträger mangels Mitwirkung das Verwaltungsverfahren formell abschließen durften. Dies gilt insbesondere für die insoweit auch in Bezug genommene Entscheidung des BSG vom 8. Februar 2017 (B 14 AS 22/16 R, Rn. 10 f, juris), die ein Verfahren nach endgültiger Leistungsfestsetzung aufgrund tatsächlicher Anspruchsermittlung mit Erstattungsverlangen zum Gegenstand hatte. Die Fallgestaltung eines nach tatsächlicher Anspruchsermittlung verfügten Leistungsbescheids liegt nach den vorstehenden Ausführungen der Kammer bei Nullfestsetzungsbescheiden aber gerade nicht vor. Zur Frage des Regelungsgehalts eines solchen Bescheids, insbesondere im Vergleich mit einem Versagungsbescheid führt die Entscheidung im Hinblick auf die Frage der Statthaftigkeit einer Leistungs- bzw. Verpflichtungsklage nicht aus. Überdies verweist das BSG die Sache nach § 131 Abs. 5 SGG an den Leistungsträger mit der Begründung zurück, für eine abschließende Entscheidung seien weitere Ermittlungen erforderlich. Da der Entscheidung ein vor dem 1. August 2016 beendeter Bewilligungszeitraum zugrunde lag, kann diese abschließende Entscheidung damit nicht als nahtlose Fortführung eines auf Grundlage des § 41a SGB II „eingeleiteten“ (vgl. Rn. 10 der Entscheidung) Verfahrens eingestuft werden. Vielmehr ist eine Entscheidung anhand einer anderen – nicht zuletzt aufgrund der Möglichkeit der Einkommensschätzung inhaltlich abweichenden – Ermächtigungsgrundlage (§§ 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III, 40 Abs. 2 Nr. 1, 11, 11b SGB II in Verbindung mit § 3 Abs. 6 Alg II-V in der vor dem 1. August 2016 geltenden Fassung) herbeizuführen. Für eine solche abschließende Entscheidung ist aber nur dann Raum, wenn die Fiktionsfrist des § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II (die nach § 80 Abs. 2 SGB II auch für die vor dem 1. August 2016 beendeten Bewilligungszeiträume gilt) noch nicht abgelaufen ist. Dies setzt jedoch voraus, dass der Nullfestsetzungsbescheid gerade keine abschließende Entscheidung beinhaltet (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 18. Februar 2021, a.a.O., Rn. 29).
Die in diesem Sinne zulässige Anfechtungsklage ist auch begründet.
Die Bescheide vom 5. März 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. September 2019 sind rechtswidrig und beschweren die Kläger. Zu Unrecht hat der Beklagte eine Nullfestsetzung verfügt und in der Folge zu Unrecht die Erstattung der erbrachten vorläufigen Leistungen verlangt.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten ist § 41a SGB II in der ab dem 1. August 2016 geltenden Fassung (vgl. zum Geltungszeitraumprinzip u.a. BSG vom 19. Oktober 2016, B 14 AS 53/15 R, Rn. 14, juris).
Danach entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt (Absatz 3 Satz 1). Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches gelten entsprechend (Absatz 3 Satz 2). Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden (Absatz 3 Satz 3). Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand (Absatz 3 Satz 4). Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen (Absatz 6 Satz 1). Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären (Absatz 6 Satz 2). Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten (Absatz 6 Satz 3). Das gilt auch im Fall des Absatzes 3 Satz 3 und 4 (Absatz 6 Satz 4).
Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Erstattung vorläufig erbrachter Leistungen nach § 41a Abs. 6 SGB II liegen nicht vor. Die dem Erstattungsverlangen des Beklagten in den Bescheiden vom 5. März 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. September 2019 zu Grunde liegende und mit Bescheid vom 5. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2019 nach § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II verfügte Nullfestsetzung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen im vorstehenden Sinne.
Nicht zu beanstanden ist zwar, dass der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 8. Oktober und 5. Dezember 2018 aufgefordert hat, Angaben und Belege zu den Einnahmen und Ausgaben der selbständigen Tätigkeit des Klägers zu 2) als Nachweise einzureichen. Denn die hiernach geforderten Unterlagen zu den auf den Bewilligungszeitraum bezogenen monatlichen Betriebseinnahmen und -ausgaben umfassen leistungserhebliche und damit für die Ermittlung eines Leistungsanspruchs der Kläger erforderliche Tatsachen:
So ist Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach den §§ 19 ff in Verbindung mit den §§ 7 ff SGB II (u.a.) das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit, die (u.a.) nur dann gegeben ist, wenn der Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen gesichert werden kann (vgl. § 9 SGB II). Grundlage für die Höhe des insoweit anzurechnenden Einkommens sind im Fall einer – wie hier – ausgeübten selbständigen Tätigkeit die §§ 11 Abs. 1, 11b SGB II in Verbindung mit § 3 Alg II-V in der Fassung vom 26. Juli 2016. Danach ist bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen auszugehen, die alle aus selbständiger Arbeit erzielten Einnahmen sind, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen (§ 3 Absatz 1 Satz 1 und 2 Alg II-V). Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (Absatz 2). Tatsächliche Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen (Absatz 3 Satz 1). Nachgewiesene Einnahmen können bei der Berechnung angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen ist, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen entspricht (Absatz 3 Satz 2). Ausgaben können bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht (Absatz 3 Satz 3). Ausgaben sind ferner nicht abzusetzen, soweit für sie Darlehen oder Zuschüsse nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erbracht oder betriebliche Darlehen aufgenommen worden sind; dies gilt auch für Ausgaben, soweit zu deren Finanzierung andere Darlehen verwandt werden (Absatz 3 Satz 4 und 5). Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt (Absatz 4 Satz 1). Von dem Einkommen sind die Beträge nach § 11b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch abzusetzen (Absatz 4 Satz 3).
Dies berücksichtigt waren die Kläger im Sinne ihrer Mitwirkungsobliegenheit verpflichtet, die von dem Beklagten angeforderten Nachweise zu den Betriebseinnahmen und -ausgaben in jedem einzelnen Monat des Bewilligungszeitraums vorzulegen. Dieser Nachweispflicht kamen die Kläger nicht (vollständig) nach. Durch die Vorlage von Nachweisen über Einnahmen und Ausgaben entweder in nur einzelnen Monaten des gesamten Bewilligungszeitraums oder in einem – nicht nach den jeweiligen Monaten untergliederten – Jahreszeitraum (Erfolgsrechnung Dezember 2018) ist dem Beklagten eine Ermittlung der tatsächlichen Betriebseinnahmen und -ausgaben sowie eine Prüfung ihrer Berücksichtigung unter der Vorgabe des § 3 Alg II-V nicht möglich.
Gleichwohl konnte der Beklagte die Nullfestsetzung nicht auf eine Verletzung von Nachweispflichten stützen. Denn die Schreiben des Beklagten vom 8. Oktober und 5. Dezember 2018 erfüllen nicht die Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen im Falle der Verletzung der den Klägern obliegenden Nachweis- und Auskunftsplichten. In der Konsequenz konnte die Rechtsfolge der von dem Beklagten verfügten Nullfestsetzung nicht eintreten.
Wie das BSG bereits zum Sanktionsrecht entschieden hat, muss eine den Bezug von existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II beeinflussende Rechtsfolgenbelehrung konkret, verständlich, richtig und vollständig sein. Hierbei kommt es auf den objektiven Erklärungswert der Belehrung an (vgl. zum Sanktionsrecht m.w.N. BSG vom
15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R, Rn. 24, juris). Die gravierenden Folgen insbesondere der Nullfestsetzung gebieten es ebenso wie im Sanktionsrecht erhöhte Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung zu stellen und deshalb die dort geltenden Grundsätze hierher zu übertragen. Die Rechtsfolgenbelehrung nach § 41a Abs. 3 SGB II hat damit die Funktion, dem Hilfebedürftigen in verständlicher Form zu erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch die Verletzung der ihm obliegenden Nachweis- und Auskunftspflichten haben werden. Hierfür genügt keine Wiedergabe des Gesetzestextes. Es erfordert vielmehr dessen laienverständliche Erklärung. Der Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung kommt im Bereich existenzsichernder Leistungen eine besonders hohe Bedeutung zu (BSG vom 15. Dezember 2010, a.a.O.). Sie muss sich entsprechend in der tatsächlichen Umsetzung widerspiegeln.
Diesen Anforderungen genügen die Rechtsfolgenbelehrungen in den Schreiben nicht. Sie sind, wie die Klägerseite zu Recht einwendet, unrichtig. Die Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II treffen den Leistungsberechtigten nur dann, wenn er seiner Nachweis- und Auskunftspflicht „bis zur abschließenden Entscheidung“ nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß nachkommt. Maßgebender Zeitpunkt für den Eintritt der Rechtsfolgen ist mithin nicht die vom Leistungsträger gesetzte Frist, sondern der Zeitpunkt seiner Entscheidung. Demgemäß muss sich die Belehrung auch auf diesen Zeitpunkt beziehen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 2020, L 12 AS 1920/18, Rn. 32 ff; LSG Berlin-Brandenburg vom 9. April 2019, L 32 AS 816/18 B PKH, Rn. 69 ff; juris). Der letzte Zeitpunkt der noch möglichen Mitwirkungshandlung, der danach gerade nicht mit dem Zeitpunkt des Ablaufs der gesetzten Frist identisch ist, muss der Rechtsfolgenbelehrung unmissverständlich zu entnehmen sein (Klerks, in: Münder/Geiger, LPK-SGB II, 7. Auflage 2021, § 41a, Rn. 58). Eine Belehrung, die darauf nicht hinweist, ist fehlerhaft.
So verhält es sich hier. Mit den Schreiben vom 8. Oktober und 5. Dezember 2018 bezieht der Beklagte den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolgen auf den dort genannten Termin. Indem er ausführt, er werde die Leistungsansprüche nur in nachgewiesener Höhe festsetzen bzw. feststellen, dass kein Leistungsanspruch bestand, wenn die Kläger ihrer Nachweispflicht nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß bis zum genannten Termin nachkommen, stellt er die Rechtslage unzutreffend dar. Anders als insbesondere im Schreiben vom 8. Oktober 2018 ausgeführt, durften die Kläger ihrer Nachweispflicht gerade nicht nur bis zum genannten Termin, sondern (mindestens) bis zur Entscheidung des Beklagten nachkommen. Die in den Schreiben des Beklagten erteilte Rechtsfolgenbelehrung erweckt beim Leistungsberechtigten aber den Eindruck, seine Mitwirkungsobliegenheit nach dem genannten Termin gerade nicht mehr erfüllen zu können. Dies kann zur Folge haben, dass der Leistungsberechtigte es unterlässt, der Mitwirkungsobliegenheit jedenfalls noch bis zur Entscheidung des Leistungsträgers zu genügen (ebenso LSG Berlin-Brandenburg vom 9. April 2019, a.a.O., R, 69; LSG Nordrhein-Westfalen vom 19. Februar 2020, Rn. 32).
Da die vorliegende Rechtsfolgenbelehrung schon auf die gesetzte Frist statt auf die Verwaltungsentscheidung abstellt und damit bereits fehlerhaft ist, kommt es im hier zu erkennenden Fall nicht darauf an, dass der Nachweis der leistungserheblichen Tatsachen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht nur bis zur Ausgangs-, sondern jedenfalls bis zur Widerspruchsentscheidung möglich ist (BSG vom 12. September 2018, a.a.O., Rn. 35 ff).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben