Sozialrecht

Teilnahme an einer Präventionsleistung der gesetzlichen Rentenversicherung als versicherte Tätigkeit

Aktenzeichen  S 33 U 542/17

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 36494
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 8
SGB VI § 14

 

Leitsatz

Keine analoge Anwendung von § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII bei Leistungen zur Prävention gem. § 14 Abs. 1 SGB VI. (Rn. 26 – 28)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 SGG) beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage i. S. d.§§ 54 Abs. 1 und 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig.
Angefochten ist der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2017.
2. In der Sache erweist sich die Klage jedoch als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.08.2017 ist rechtmäßig und verletzt d. Kl. nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 31.01.2017 als Arbeitsunfall i. S. d. § 8 SGB VII festzustellen.
Das Gericht konnte nicht feststellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 31.01.2017 um einen versicherten Arbeitsunfall handelt. Denn der Unfall erfolgte nicht in Ausübung einer versicherten Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
a. Arbeitsunfälle im Sinne von § 8 SGB VII sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 92; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 19), dass die Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat und letzteres einen Gesundheits (-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits-(erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (vgl. bspw. BSG, Urteil vom 02.04.2009, Az. B 2 U 29/07 R, Juris, Rdnr. 15).
Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Danach darf ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Betrachter keinen Zweifel mehr haben (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.1958, 8 RV 387/55, vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Dezember 2017 – L 3 U 418/16). Nur für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen genügt die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 16). Dabei trägt der Kläger die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d. h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 05.02.2008, Az. B 2 U 10/07 R).
b. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Ereignis vom 31.01.2017 nicht als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Klägerin stand bei der zum Unfall führenden Verrichtung nicht unter Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Versicherter im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 05. April 2017 – L 2 U 101/14). Zum Unfallzeitpunkt erfüllte d. Kl. jedoch keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt befand sich die Klägerin in der C-Klinik im Rahmen einer von der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß Bescheid vom 11.01.2017 genehmigten „Präventionsleistung“. Entsprechende Leistungen zur Prävention sieht das SGB VI in § 14 SGB VI vor.
aa. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigte liegt vor, wenn die Verletzte zur Erfüllung eines von ihr begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse ihrer Verrichtung diesem und nicht ihr selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen. Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns der Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn
– entweder die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen,
– die Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern sie nach den besonderen Umständen ihrer Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, sie treffe eine solche Pflicht,
– oder sie unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt. (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 05. April 2017 – L 2 U 101/14))
Die Teilnahme an o.g. Präventionsleistung erfüllt o.g. Voraussetzungen ganz offensichtlich nicht.
bb. § 2 Abs. 1 N. 15 a SGB VII
Versicherte Tätigkeiten i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind auch die nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a) SGB VII versicherten Zustände. Danach sind gesetzlich versichert Personen, die u.a. auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. März 2018 – L 8 U 3286/17).
Die Klägerin bekam vorliegend von der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß Bescheid vom 11.01.2017 eine „Präventionsleistung“ genehmigt. § 14 SGB VI stellt dabei die einzige Möglichkeit für einen Rentenversicherungsträger dar, präventive Leistungen durchzuführen. Die Leistungen zur Prävention sind Leistungen zur Teilhabe, aber keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI; BeckOK SozR/Jabben SGB VI § 14 Rn. 3, BAYERN.RECHT). Bei den Präventionsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 14 SGB VI handelt es sich somit eindeutig nicht um stationäre oder teilstationäre Behandlungsmaßnahmen gemäß § 39 SGB V oder eine stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
cc. § 2 Abs. 1 N. 15 b und c SGB VII
Auch die Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 1 N. 15 b und c SGB VII sind offensichtlich nicht gegeben.
dd. Analoge Anwendung § 2 Abs. 1 N. 15 a SGB VII
Auch eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 1 N. 15 a SGB VII ist nicht möglich. Denn die Voraussetzungen für eine Analogie liegen nicht vor.
Eine Analogie, also die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der vom Wortsinn der betreffenden Vorschrift nicht umfasst wird, ist nur geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist, nach dem Grundgedanken der Norm und dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert und eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 05. Juli 2018 – B 8 SO 32/16 R).
An einer planwidrigen Regelungslücke fehlt es vorliegend jedoch. Das Bundessozialgericht hat bereits zu § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst a und b RVO, der ebenfalls Regelungen betreffend stationäre und teilstationäre Behandlung sowie Maßnahmen zur Rehabilitation traf, entschieden, dass diese Norm einer analogen Anwendung nicht zugänglich ist. Gemäß den Ausführungen des BSG verfolgte der Gesetzgeber mit dieser Sonderregelung den Zweck, „den Unfallversicherungsschutz der Rehabilitanden, die aus der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung oder von der Bundesanstalt für Arbeit Leistungen erhalten“ zu verwirklichen. Damit hat der Gesetzgeber laut BSG in dieser Vorschrift abschließend geregelt, unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen ein Unfallversicherungsschutz gewährt werden soll und erkennbar alle anderen Fallgestaltungen vom Versicherungsschutz nicht umfasst. Anderenfalls hätte es laut BSG insbesondere im Hinblick auf die dem Gesetzgeber bekannte jahrzehntelange Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz bei gesundheitlichen Maßnahmen nahegelegen, durch eine entsprechend weitere Fassung einen umfassenderen Versicherungsschutz zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 – 2 RU 13/90). Vorliegend ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese höchstrichterliche Rechtsprechung und die entsprechende Argumentation nicht auch für die Norm des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a SGB VII, welche die entsprechenden Fallkonstellationen betrifft, gelten soll. Vielmehr trifft die Argumentation auch auf vorliegende Fallkonstellation zu. Dass es sich auch in diesem Fall nicht um eine unbewusste planwidrige Regelungslücke handelt, zeigt aber auch ein Blick auf § 2 Abs. 1 Nr. 15 c SGB VII. Denn dort hat der Gesetzgeber die Fallkonstellation „vorbeugender“ und somit präventiver Maßnahmen eindeutig geregelt. Hieraus wird ersichtlich, dass dem Gesetzgeber Fallkonstellationen und Maßnahmen mit vorbeugendem bzw. präventivem Charakter auch im Hinblick auf § 2 SGB VII bewusst waren. Soweit der Gesetzgeber somit aber nach Geltung und Einführung des § 14 SGB VI und den darin enthaltenen „Präventionsleistungen“ keine weitergehende Regelung im Hinblick auf § 2 SGB VII getroffen hat, ist davon auszugehen, dass er bewusst auf eine erweiternde Regelung verzichtet hat.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin vorgelegten Bescheid vom 08.01.2016. Denn die Genehmigung der dort genannten Leistungen für eine andere Person erfolgte auf einer anderen Rechtsgrundlage, mithin § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. Es liegt somit bereits ein grundlegend anderer Sachverhalt vor.
3. Die Klage konnte nach alledem keinen Erfolg haben und war daher abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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