Sozialrecht

Vorläufige Erbringung von Geldleistungen – Keine vorläufige Feststellung einer Sperrzeit

Aktenzeichen  S 10 AL 96/16

Datum:
5.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6092
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 137, § 138 Abs. 5, § 309, § 328 Abs. 1 S. 1
VwGO § 40 Abs. 2
GVG § 17 Abs. 2
SGB X § 31

 

Leitsatz

1. § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III erlaubt nur die vorläufige “Erbringung von Geldleistungen” durch die Agentur für Arbeit, nicht aber deren vorläufige Versagung. (Rn. 47 – 52)
2. Daher kann auch der Eintritt einer Sperrzeit nicht vorläufig festgestellt werden. (Rn. 52)
3. Ein Leistungsbewilligungsbescheid regelt nur die Höhe des täglichen Leistungsbetrags. (Rn. 38 – 52)
4. Er enthält keine Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit und ersetzt auch den Erlass eines solchen Feststellungsbescheides nicht. (Rn. 38 – 45)

Tenor

I. Der Bewilligungsbescheid vom 6.4.2016 in der Fassung des Änderungsbewilligungsbescheides vom 10.5.2016, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.5.2016 werden teilweise aufgehoben, soweit der Zahlbetrag in den Zeiträumen vom 3.6.2015 bis 9.6.2015, 16.6.2015 bis 22.6.2015 und am 25.6.2015 mit Null (0,00 €) bestimmt und die Zahlung mit Ablauf des 25.6.2015 wegen fehlender Verfügbarkeit befristet wurde, und die Beklagte verpflichtet, in den Zeiträumen vom 3.6.2015 bis 9.6.2015, 16.6.2015 bis 22.6.2015 und über den 24.6.2015 hinaus bis längstens 15.12.2015 Arbeitslosengeld nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang.

Gründe

Da die Sache keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und beide Parteien ausreichend angehört worden sind, konnte das Gericht gem. § 105 SGG durch Gerichtsbescheid seine Entscheidung treffen. Eines Einverständnisses der Parteien mit diesem Procedere bedarf es nicht.
Das Sozialgericht Bayreuth ist zur Entscheidung dieses Rechtsstreits sachlich und auch örtlich gem. §§ 51, 57 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig. Die form- und fristgerecht sowie nach Durchführung des gesetzlichen Widerspruchsverfahrens erhobene Klage ist im Ergebnis weitgehend begründet.
A.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die beiden Verzinsungsbegehren offensichtlich nicht erfolgreich sein können:
Soweit eine Erstattung der wegen der verzögerten Mietzahlung angefallenen Verzugszinsen begehrt wird, handelt es sich um Schadenersatz. Für die Geltendmachung von privatrechtlichen Schadenersatzforderungen in Verbindung mit einer Verantwortlichkeit der Behörde aus Amtshaftung ist jedoch der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gem. § 51 SGG nicht eröffnet. Derartige Forderungen sind gem. § 40 Abs. 2 VwGO analog iVm Art. 34 GG, § 17 Abs. 2 GVG der Zivilgerichtsbarkeit zugewiesen.
Soweit der Kläger Verzinsung wegen verspäteter Zahlung von Sozialleistungen geltend macht, haben hierüber zwar dem Grunde nach die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu befinden. Die Zuständigkeit eines Sozialgerichts ist jedoch erst eröffnet, wenn die Behörde mit Verwaltungsakt über einen Zinsanspruch entschieden und hierzu auch ein Widerspruchsverfahren durchgeführt hat. Solche Bescheide liegen hier fraglos nicht vor, so dass dieses Begehr des Klägers unzulässig ist. Im übrigen beginnt nach § 44 SGB I die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Sozialleistungsträger. Der Arbeitslosengeldantrag bezüglich des Arbeitslosengeldes ab 19.5.2015 lag der Beklagten vollständig erst am 6.4.2016 vor; vorher konnte die Beklagte mangels konkreter Angaben überhaupt keine Entscheidung treffen. Die Beklagte hatte nach dem 6.4.2016 zinsrechtlich noch volle sechs Monate Zeit für eine Zahlung ohne zinspflichtig zu werden. Sie hat jedoch bereits am 6.4.2016 bzw 10.5.2016 und damit fraglos innerhalb des Sechs-Monats-Zeitraums über den Antrag entschieden. Gleiches gilt entsprechend bezüglich des Insolvenzgeldes.
B.
Die Befristung der Arbeitslosengeldbewilligung wegen fehlender Verfügbarkeit mit Ablauf des 25.6.2015 ist rechtswidrig. Wie das BSG mit Urteil vom 14.5.2014 (Az.: B 11 AL 8/13 R) entschieden hat, ist auch mit einem dritten Meldeversäumnis nicht automatisch die Verfügbarkeit des Klägers im Sinne des Tatbestandsmerkmals des § 137 SGB III entfallen. Denn selbst nach jeweils drei ordnungsgemäßen Meldeaufforderungen begründet ein dreimal aufeinanderfolgendes unentschuldigtes Fernbleiben von den Meldeterminen iS des § 309 SGB III nicht automatisch die Annahme, dass die Verfügbarkeit entfallen ist. Einen solchen Automatismus sieht das SGB III nicht vor. Damit war die Zahlungseinstellung mit Ablauf des 24.6.2015 bzw 25.6.2015 rechtswidrig und hat keinen Bestand.
I.
Die Regelung des § 138 Abs. 5 Ziff. 3 SGB III verlangt für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit iS von §§ 136, 137 SGB III, dass ein Arbeitnehmer den Vermittlungsbemühungen der Beklagten objektiv zur Verfügung steht, indem er deren Vorschlägen zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Aus der Regelung wird weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sachzusammenhang erkennbar, dass der Gesetzgeber das Vorhandensein dieser äußeren Tatsache allein anhand des Erscheinens bei Meldeterminen feststellen lassen will.
§ 138 Abs. 5 Ziff. 1 SGB III verlangt für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit weiter, dass ein Arbeitnehmer den Vermittlungsbemühungen der Beklagten objektiv zur Verfügung steht, indem er jede versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkts annehmen und ausüben kann und darf. Dazu gehört auch, dass der Arbeitslos Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Aus dieser Regelung ergibt sich weder nach ihrem Wortlaut noch nach dem Sachzusammenhang, dass das Vorliegen dieser äußeren Tatsache allein anhand des Erscheinens bei Meldeterminen festzustellen wäre.
Ferner verlangt § 138 Abs. 5 Ziff. 3 SGB III auch die Bereitschaft, solche objektiv möglichen Beschäftigungen auch aufnehmen und ausüben zu wollen (sog. Subjektive Verfügbarkeit). Auch aus dieser Regelung ergibt sich weder nach deren Wortlaut noch nach dem Sachzusammenhang, dass das Vorliegen dieser inneren Tatsache allein anhand des Erscheinens bei Meldeterminen festzustellen wäre.
Da § 138 Abs. 5 SGB III keine Verknüpfung zwischen der Verfügbarkeit und dem Erscheinen zu einem Meldetermin nach § 309 SGB III herstellt, kann das Nichterscheinen zu einem Meldetermin auch nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitslosen hinsichtlich des Fortbestehens von objektiver und subjektiver Verfügbarkeit führen.
§ 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III stellt schließlich auch keinen gegenüber § 138 Abs. 5 SGB III erweiterungsfähigen Tatbestand dar, unter dem weitere Tatsachen zur Anspruchsvoraussetzung erhoben werden können, die nicht bereits von § 138 Abs. 5 SGB III erfasst werden.
II.
Das Gericht übersieht dabei nicht, dass das Vorliegen eines mehrfachen – hier dreimaligen – Meldeversäumnisses eine Prüfung und Entscheidung über das Fehlen von Verfügbarkeit aufgrund einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Arbeitslosen – auch unter Berücksichtigung der Meldeversäumnisse – nicht ipso iure ausschließt. Denn die Bundesagentur für Arbeit hat auch während des Leistungsbezugs gem. § 20 SGB X von Amts wegen zu prüfen, ob die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (weiterhin) vorliegen. Im Fall des Klägers könnte zweifelhaft sein, ob „Arbeitslosigkeit“ des Leistungsbeziehers iS des § 138 SGB III noch gegeben ist. Die Verfügbarkeit ist gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III ein Aspekt der Anspruchsvoraussetzung „Arbeitslosigkeit“. Fehlt es an der objektiven oder subjektiven Verfügbarkeit oder auch Erreichbarkeit des Arbeitslosen, liegt Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes nicht (mehr) vor.
1. Bei der Prüfung dieser Frage ist das dreimalige Nichterscheinen zum Meldetermin nach Meldeaufforderungen iS des § 309 SGB III ein gewichtiges Indiz dafür, dass es an der subjektiven Verfügbarkeit des Arbeitslosen fehlt. Ein solches Verhalten kann die Beklagte zur Versagung und damit zur Befristung der Bewilligung von Arbeitslosengeld berechtigen. Dabei kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalls an, sodass auch das Verhalten des Arbeitslosen außerhalb der Meldeversäumnisse zu würdigen ist.
Eine solche Würdigung hat die Beklagte im Verwaltungsverfahren überhaupt nicht vorgenommen. Erst im Klageverfahren hat sie insbesondere auf die Reaktion des Klägers am 11.8.2015 hingewiesen, die er auf die Frage der Beklagten nach einer erneuten Arbeitslosmeldung und Antragstellung gezeigt hat. Dabei hat sie allerdings außer Acht gelassen, dass sich die von der Mitarbeiterin der Beklagten gestellte Frage nach einer erneuten Arbeitslosmeldung und Antragstellung objektiv gar nicht stellte, weil die Verfügbarkeit nach dem 25.6.2015 gar nicht entfallen war und somit für den Kläger objektiv keinerlei Anlass bestand, sich erneut persönlich arbeitslos zu melden und einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen. Eine Nicht-Antwort auf eine völlig unbehelfliche Frage der Behörde geht nicht zu Lasten des Arbeitslosen. Zudem hätte die unbestimmte und vage Reaktion des Klägers für die Beklagte – aus ihrer Sicht – unbedingt Anlass zu genauer Klärung sein müssen und es hätte die Beklagte nicht bei der ebenso vagen Vermutung belassen dürfen „Heute anscheinend keine neue AloMe durch Kd gewünscht.“ Wenn die Beklagte trotz eines derart offensichtlichen Anlasses gleichwohl eine genaue Sachverhaltsaufklärung unterlässt, geht auch dies ausschließlich zu ihren Lasten.
Darüber hinaus hat die Beklagte die Verfügbarkeit nicht mit der subjektiven und/oder objektiven Verfügbarkeit verneint, sondern mit der fehlenden Erreichbarkeit des Klägers iS der EAO. Ihrer Ansicht nach ist der Kläger nach dem 25.6.2015 objektiv nicht (mehr) in der Lage gewesen, das Arbeitsamt H. aufzusuchen und eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Auf welchen konkreten Sachverhalt sie diese Behauptung stützt, hat sie nicht offenbart. Aus den Verwaltungsakten der Beklagten ergibt sich keinerlei Anhalt, dass der Kläger objektiv nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Arbeitsagentur H. aufzusuchen: Er hat vielmehr unstreitig am 11.8.2015 die Beklagte persönlich aufgesucht und damit die ohnehin nicht nachvollziehbare Annahme der Beklagte eindeutig widerlegt. Die in der Vergangenheit vor dem 25.6.2015 liegenden Meldeversäumnisse lassen – wie bereits oben dargestellt – entgegen der Auffassung der Beklagten keinerlei Rückschluss zu auf die objektive und subjektive Verfügbarkeit.
2. Die Verfügbarkeit des Klägers ist zeitlich jedoch nicht unbegrenzt. Sie hat unzweifelhaft ihre Beendigung gefunden mit dem Beginn der Inhaftierung am 16.12.2015. Denn ab diesem Zeitpunkt war der Kläger offensichtlich nicht mehr in der Lage an jedem Tag, für den er Arbeitslosengeld begehrt, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen und auszuüben. Er stand infolge der Inhaftierung für eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt objektiv nicht mehr zur Verfügung. Soweit der Kläger auch während seiner Inhaftierung die Gewährung von Arbeitslosengeld begehren sollte, ist die Klage offensichtlich unbegründet. Für die Zeit nach dem Ende der Inhaftierung ist Arbeitslosengeld weiterbewilligt worden.
C.
Die Feststellung eines täglichen Zahlbetrags von Null in den Zeiträumen vom 3.6.2025 bis 9.6.2015 und vom 16.6.2015 bis 22.6.2015 sowie am 25.6.2015 mit angefochtenem Bewilligungsbescheid vom 6.4.2016 bzw Änderungsbewilligungsbescheid vom 10.5.2016 hat keinen Bestand.
I.
Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens und damit eines Widerspruchsbescheides ist nach § 78 SGG ein Verwaltungsakt. Vorliegend gibt die Beklagte im Vorblatt ihres Widerspruchsbescheides an, sie halte den „Eintritt von 3 Sperrzeiten wegen Meldeversäumnis und Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 26.6.2015“ für rechtmäßig.
Solche Feststellungs-Bescheide über den Eintritt dreier Sperrzeiten von jeweils einer Woche (eine Sperrzeit von nur genau einem Tag ist aus Rechtsgründen ohnehin nicht möglich, die kürzeste Sperrzeit beträgt immer eine Woche) gibt es genauso wenig wie einen Aufhebungsbescheid ab 26.6.2015, schon gar nicht unter dem Datum 6.4.2016 bzw. 10.5.2016. Unter diesen Daten gibt es nur einen vorläufigen Bewilligungsbescheid, mit dem für die streitigen Zeiträume der tägliche Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes mit Null bestimmt und im Anschluss daran Arbeitslosengeld wegen fehlender Verfügbarkeit im Wege der Befristung ganz versagt wird.
Eine nicht existente Einzelfallregelung iS des § 31 SGB X (hier Eintritt dreier „vorläufiger Sperrzeiten“) kann nicht wirksam mit einem Rechtsbehelf angefochten und ihre Existenz und Rechtmäßigkeit auch nicht durch einen Widerspruchsbescheid bestätigt werden. Der Widerspruchsbescheid vom 11.5.2016 ist daher mangels mindestens eines Ausgangsbescheides in Form der Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit nichtig und sein Rechtsschein zu beseitigen.
II.
Der „Bewilligungsbescheid“ vom 6.4.2016 / 10.5.2016 selbst ist, auch soweit er für die streitigen Zeiträume den täglichen Leistungsbetrag, also die tägliche Zahlung, mit Null bestimmt, kein Sperrzeitbescheid iS des § 159 SGB III mit der Folge des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs und der Anspruchsminderung; er steht einem solchen Feststellungsbescheid auch nicht gleich.
Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) dient ein Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X dazu, die abstrakt generellen gesetzlichen Regelungen auf den Einzelfall umzusetzen. Der Verfügungssatz ist der Inbegriff der Regelung des Verwaltungsaktes, der deshalb klarer und eindeutiger Ausführungen bedarf, dass, warum, in welchem Zeitraum mit welchen Rechtsfolgen welche genaue hoheitliche Regelung im vorliegenden konkreten Einzelfall getroffen wird, also etwa ein Ruhen des Anspruchs eingetreten ist oder ein begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben wird. Das BSG hat ausgeführt, dass die „Typus prägenden Merkmale“ unzweifelhaft erkennbar sein müssen. Zwar ist danach ein die Verfügung eines Ruhens ausführender Bewilligungs-/Zahlungsbescheid zusammen mit dem Feststellungsbescheid selbst als rechtliche Einheit im Sinne eines Verwaltungsakts anzusehen, denn der ausführende Zahlungsbescheid trifft für den Ruhenszeitraum keine eigene hoheitliche Regelung im Einzelfall. Und es bildet nach ständiger Rechtsprechung des BSG deshalb ein Bewilligungsbescheid, soweit er den Feststellungs-Bescheid bezüglich der Sperrzeit hinsichtlich des Arbeitslosengeld-Anspruchs ausführt, eine rechtliche Einheit mit dem Feststellungs-Bescheid (vgl BSGE 84, 225, 227 = SozR 3-​4100 § 119 Nr. 17 S. 78; BSGE 84, 270, 271 = SozR 3-​4100 § 119 Nr. 19 S. 93; BSGE 96, 22 ff = SozR 4-​4300 § 144 Nr. 12, jeweils RdNr. 10), sodass der Bewilligungs-Bescheid mangels Einzelfallregelung diesbezüglich nicht gesondert anzufechten ist. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit von klaren und eindeutigen Ausführungen im Verfügungssatz eines feststellenden Verwaltungsakts, dass, wann und wie lange mit welchen genauen Rechtsfolgen eine Sperrzeit und als eine ihrer Folgen das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs eingetreten und die Anspruchsdauer gemindert ist.
Eine bloße Erläuterung für den Grund der Zahlungsverweigerung bzw der Angabe eines Zahlungsanspruchs in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 0,00 € in einem Bewilligungs-Bescheid („Gfs. Begründung falls keine Leistung zusteht“) stellt keinen Feststellungsbescheid über eine kraft Gesetzes eingetretene Sperrzeit und auch keinen Verfügungssatz über den Eintritt eines Ruhens infolge einer Sperrzeit und die Minderung der Anspruchsdauer dar. Durch den ausdrücklich als solchen bezeichneten „Bewilligungsbescheid zur Kundennummer XY“” vom 6.4.2016/10.5.2016 hat die Beklagte im Verfügungssatz nicht über den Eintritt einer Sperrzeit, eines Ruhens und einer Anspruchsminderung entschieden, sondern einen Zahlungsbetrag von Arbeitslosengeld in den drei genannten Zeiträumen in Höhe von 0,00 € täglich angegeben mit der „Begründung“, dass über den Auszahlungsanspruch noch ein gesondertes Schreiben ergeht bzw eine Sperrzeit eingetreten sei.
Die dem Gericht in mündlichen Verhandlungen verschiedentlich kommunizierte und mit dem Hinweis auf den Empfängerhorizont verbrämte Auffassung der Beklagten „Die Leute wissen, dass sie nichts kriegen, das reicht doch“ lässt ein sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit erkennen.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur ist bei einem Bescheid, der Geldleistungen betrifft, Gegenstand der Verfügung iS des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nur die Art, Dauer (Beginn und Ende) und die Höhe einer Leistung (vgl BSGE 72, 206, 207 = SozR 3-4100 § 103a Nr. 1; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 3 S. 6; SozR 3-4100 § 119 Nr. 15; SozR 4100 § 112 Nr. 23; siehe auch Eicher in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 RdNr. 9 mwN). Die Feststellungen zu Eintritt, Lage und konkreten Rechtsfolgen einer Sperrzeit werden durch einen solchen Verwaltungsakt nicht verbindlich festgeschrieben (vgl etwa BSG, Urteil vom 1.6.2006 – B 7a AL 6/05 R -, SozR 4-4300 § 158 Nr. 3, SozR 4-4300 § 77 Nr. 4, Rn. 17; Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl., § 77, Rdnr. 5b mwNw, Rdnr. 5d mwNw). Der Verfügungssatz ist der Inbegriff der Regelung des Verwaltungsaktes, er soll dem Adressaten genau sagen, was die Behörde von ihm will oder was für ein Recht ihm eingeräumt wird, er enthält auch die Angabe der Rechtsnormen, die der Verwaltungsaktsentscheidung zugrunde liegen und hat damit zugunsten des Adressaten eine Klarstellungsfunktion.
Dass manche Bescheidempfänger sich schon denken können, was mit dem „vorläufigen“ (?) Zahlungsbetrag Null gemeint sein könnte, auch wenn sie den entsprechenden Verwaltungsakt (noch) nicht „schwarz auf weiß“ in Händen halten, entbindet die Verwaltung nicht von einem korrekten Verwaltungshandeln auch in formeller Hinsicht.
Insbesondere angesichts der für den Leistungsberechtigten weitreichenden nachteiligen Rechtsfolgen der Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit ist die Verwaltung zwingend gehalten, entsprechend deutlich nach den eindeutigen Vorgaben der gesetzlichen Normen ihre Bescheide abzufassen. Allein die Verwaltung hat es in der Hand, ihre Regelungsabsicht von vornherein mit der nötigen und gebotenen Klarheit auszudrücken (s. dazu auch BSG Urt v 28.6.1990, Az.: 4 RA 57/89, Rdnr. 35). Vollziehende Gewalt ist Gesetzesvollzug. Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung des Art. 20 Abs. 3 GG dient ein Verwaltungsakt dazu, die abstrakt generellen gesetzlichen Regelungen auf den Einzelfall umzusetzen. Im Ergebnis geht daher jedwede Unklarheit zu Lasten der Behörde (vgl LSG Erfurt, Urt v 25.11.2015, Az.: L 4 AS 1010/13). Vorliegend hat die Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 4.11.2016 nur eine Entscheidung über die Höhe von Arbeitslosengeld auch im Zeitraum vom 22.10.2016 bis 13.1.2017 getroffen, aber nicht eine Entscheidung über die Sperrzeit als solche und nicht eine Entscheidung über deren Rechtsfolgen in Form des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs sowie Tatsache und Umfang der Anspruchsminderung. Ein Zahlungsbewilligungsbescheid regelt in seinem Verfügungssatz nicht einzelne Elemente eines Anspruchs (Meyer-Ladewig, aaO, § 77, Rdnr. 5d).
Mangels eines entsprechenden Verfügungssatzes hat die Beklagte nach alledem zu keinem Zeitpunkt den Eintritt des Ruhens infolge einer Sperrzeit, Lage und Dauer des Sperrzeit- bzw. Ruhenszeitraums wie auch der weiteren Rechtsfolge in Form einer Anspruchsminderung festgestellt. Ein Sperrzeit- bzw. Ruhens-Verfügungssatz existiert somit auch nicht in Form eines Bewilligungsbescheides über eine tägliche Leistung mit dem Wert Null. Vielmehr fehlt es für die Festsetzung einer Zahlung mit dem Wert Null Euro in jedem Fall an der „Grundlagenentscheidung“ in Form eines Sperrzeit- bzw. Ruhens-Feststellungsbescheides.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die in § 77 SGG geregelte Bindungswirkung von Verwaltungsakten zu verweisen, die sich nur auf den Verfügungssatz, nicht aber auf die Begründung des Verwaltungsakts bezieht (vgl BSG Urt v 23.11.2005, Az.: B 12 RA 15/04 R, Rdrn. 14). Deshalb hat bekanntlich ein Bescheid Bestand, wenn sein Verfügungssatz richtig, aber seine Begründung falsch ist. Mit dieser Bindungswirkung nur des Verfügungssatzes korreliert, dass die bloße Bescheidbegründung als solche nicht rechtsbehelfsfähig ist, dies ist nur der „Tenor“ des Verwaltungsakts, in dem die Einzelfallregelung getroffen wird. Soweit sich also lediglich in der Begründung des Zahlungsbescheids Äußerungen dazu finden, dass und weshalb eine Sperrzeit (von den Rechtsfolgen wird in der Begründung nur die Anspruchsminderung erwähnt) vorliege und die Bewilligung aufgehoben werde, ist dies vom Bescheidadressaten nicht anfechtbar. Der einzelne Leistungsempfänger kann sich also in letzter Konsequenz nicht gegen das behauptete Vorliegen einer Sperrzeit oder eines Ruhens mit Mitteln des Rechtsstaats wehren, sondern muss hinnehmen, dass der tägliche Zahlbetrag in einem bestimmten Zeitraum eben Null ist.
III.
Zudem begegnet der Bescheid vom 6.4.2016/10.5.2016 auch insoweit Bedenken, als er für die genannten Zeiträume ausdrücklich eine vorläufige Versagung treffen soll, allerdings diese Vorläufigkeit entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung des § 328 Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht ansatzweise begründet!
1. Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses stand der Arbeitslosengeldanspruch für die Beklagte jedenfalls ab dem 19.5.2015 dem Grund und der Höhe nach fraglos fest, weitere Ermittlungen der Beklagten waren diesbezüglich nicht erforderlich und wurden auch nicht durchgeführt. Damit hatte der Kläger bereits am 6.4.2016/10.11.2016 Anspruch auf eine abschließende Entscheidung über seinen Leistungsantrag jedenfalls ab dem 19.5.2015. Denn wenn eine Sache entscheidungsreif ist, muss eine abschließende Entscheidung über den Leistungsantrag ergehen. Die Voraussetzungen für eine nur „vorläufige Leistungsbewilligung“ nach § 328 SGB III lagen für diesen Zeitraum nicht vor, denn die Voraussetzungen des Anspruchs waren für diesen Zeitraum waren bereits sämtlich festgestellt.
Hinzu kommt, dass eine vorläufige Leistungsversagung durch § 328 SGB III schon prima facie nicht gedeckt ist. Diese Norm ermöglicht nur eine vorläufige Bewilligung! Die vorläufige Leistungsversagung erfolgte ohne Rechtsgrundlage und ist daher rechtswidrig (s.dazu auch unten).
2. Allerdings hat der Kläger den Bewilligungsbescheid hinsichtlich seiner Vorläufigkeit ab dem 19.5.2015 nicht angegriffen. Das Gericht jedoch hat die Vorläufigkeit der angefochtenen Regelung zu beachten. Denn nach dem Verständnis der Beklagten wollte sie damit drei vorläufige Sperrzeit-Entscheidungen treffen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lagen (unabhängig von einer Sperrzeit) die Voraussetzungen für eine vorläufige negative Leistungsbewilligung in den drei genannten Zeiträumen schon im Ansatz nicht vor, denn nur die vorläufige Leistungsbewilligung (nicht -versagung) zielt gem. § 328 SGB III gerade auf eine Vorwegleistung bei unklarer Sachverhaltslage, um dem Bürger nahtlose Leistungserbringung zu gewährleisten; § 328 SGB III ermächtigt die Beklagte aber nicht zu einer vorläufigen (teilweisen) Ablehnung des Leistungsanspruchs (Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 328, Rdnr. 10; Mutschler ua, SGB III, 6. Aufl., § 328, Rdnr. 21)
Die vorläufige Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit zu Lasten des Anspruchstellers, was die Beklagte konstruieren will, ist von § 328 SGB III ohnehin nicht gedeckt, denn diese Norm regelt ausdrücklich und ausschließlich die „Erbringung von Geldleistungen“, nicht die deklaratorische Feststellung einer Rechtslage. Der bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen kraft Gesetzes erfolgende Eintritt einer Sperrzeit ist jedoch selbst keine Geldleistung und hängt hinsichtlich ihres Eintritts und Bestands auch nicht von einem Arbeitslosengeldanspruch dem Grunde nach ab. Eine „vorläufige Sperrzeit“ gibt es nicht!
D.
Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass mit Bewilligungsbescheid vom 6.4.2016/10.5.2016 keine Regelung iS des § 31 SGB X über den Eintritt dreier Sperrzeiten und deren Rechtsfolgen im konkreten Einzelfall getroffen wurde. Dies hat zur Folge, dass der diese Sperrzeiten angreifende „Widerspruch“ des Klägers vom 12.4.2016 sich gegen eine nicht existente Regelung wendet und nicht statthaft ist. Wendet sich ein Antragsteller schriftlich gegen eine Mitteilung der Behörde, die kein Verwaltungsakt ist, liegt ein statthafter Widerspruch auch dann nicht vor, wenn die Behörde selbst das Schreiben als „Widerspruch“ ansieht (vgl. BSG Urt v 18.1.2011, Az. B 2 U 15/10 R), denn der Verwaltungsakt muss bereits vor Einlegung des Widerspruchs ergangen sein. Der „Widerspruch“ des Klägers vom 12.4.2016 gegen den Bescheid vom 6.4.2016 hätte deshalb durch Widerspruchsbescheid als unzulässig verworfen werden müssen.
Ein rechtsbehelfsfähiger Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X über den Eintritt einer Sperrzeit wurde zu keinem Zeitpunkt erlassen. Ein bereits vor dem Erlass eines solchen Sperrzeitbescheides bei der Beklagten eingegangener Widerspruch, der sich gegen einen nicht existenten Sperrzeit-Verwaltungsakt wendet, ist ebenfalls unzulässig und vermag in materiell-rechtlicher Hinsicht kein Widerspruchsverfahren einzuleiten. Der Widerspruch wird auch dann nicht zulässig, wenn der Verwaltungsakt später ergeht (Meyer-Ladewig, aaO, § 83, Rdnr. 3 mwNw), was hier jedoch ohnehin nie der Fall war.
Der zum vorliegend anhängigen Klageverfahren führende Widerspruchsbescheid ist daher bezüglich der Zeiten eines täglichen Leistungsbetrags 0,00 € in jeder Hinsicht rechtswidrig und hat keinen Bestand.
E.
Angesichts der massiven Verletzung von Verfahrens- und materiell-rechtlichen Vorschriften konnten weder der Bewilligungsbescheid vom 6.4.2016/10.5.2016 (soweit der Leistungsbetrag mit Null festgesetzt und die Leistung befristet worden war) noch der Widerspruchsbescheid vom 11.5.2016 Bestand haben und waren zu kassieren und zu entscheiden wie geschehen.
Die Kostengrundentscheidung, wonach die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger iS des § 193 Abs. 2 SGG zu tragen hat, ergibt sich aus dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens, in dem der Kläger im wesentlichen obsiegt hat. …


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