Steuerrecht

Inländischer Wohnsitz bei Bestehen eines Familienwohnsitzes in Polen

Aktenzeichen  7 K 1500/19

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10220
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 1 Abs. 1,§ 63 Abs. 1 S. 1, § 66 Abs. 1
VO 883/2004 Art. 68 Abs. 2
BGB § 1922
FGO § 135 Abs. 1

 

Leitsatz

Innehaben der Wohnung bedeutet, dass der Anspruchsteller tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken reicht nicht aus, ebenso nicht ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für das Kinder D, geb. am 31.07.2000, für den Zeitraum Januar 2013 bis Februar 2015 in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den vorrangigen polnischen Familienleistungen und dem Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG zu bewilligen. Die Berechnung der sich hieraus ergebenden Beträge wird der Beklagten auferlegt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.
Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Januar 2013 bis Februar 2015 für das Kind D (D).
Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, stellte mit Schreiben vom 23.09.2017 bzw. 12.12.2017 einen Kindergeldantrag bei der beklagten Familienkasse. Er gab als Wohnadresse die W-Str. in M an. Außerdem gab er an, dass seine Ehefrau in Polen lebt. Der Kindergeldantrag wurde für das gemeinsame und in Polen lebende Kind D, geboren am 1.07.2000, gestellt. Die Anschrift von D entspricht der der Ehefrau des Klägers. Dem Kindergeldantrag wurden folgende Anlagen beigefügt:
– Anlage Ausland, angegeben wird eine unselbstständige Erwerbstätigkeit bei der J UG und eine selbstständige Erwerbstätigkeit bei der J UG, jeweils unter der Adresse W in M;
– Anlage Kind;
Mietvertrag vom 26.02.2012 zwischen Frau K und dem Kläger über die Wohnung in der W-Straße ab 01.03.2012 nebst Übergabeprotokoll;
– verschiedene Überweisungsbelege für Mietzahlungen über monatlich 720 € in den Jahren 2014-2017 (mit Lücken) bzw. 620 € in 2012 (nur Mai und März);
– Aufstellungen aus der Buchführung über Mietzahlungen (verschiedene Beträge, z.B. 415 €, 620 €, 84 €, 478,74 €, 300 €, 920 €, ab 08/14.720 € und zusätzlich 300 € monatlich);
– Gewerbeanmeldung der … über eine vom Kläger zum 27.03.2015 angemeldete Tätigkeit im Bereich Fliesen-, Plattenund Mosaiklegerhandwerk, Bodenleger, Gartenbau und Landschaftsbauarbeiten;
– Einkommensteuerbescheid für 2015 des Finanzamts für den Kläger und seine Ehefrau über eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz
EStG – (Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus nicht selbständiger Arbeit);
– Lohnsteuerbescheinigung 2016 und 2017 für den Kläger für eine Tätigkeit bei der J UG.
Außerdem wurden folgende Unterlagen nachgereicht:
– Einkommensteuerbescheid 2013 des Finanzamts für den Kläger alleine vom 21.05.2015 mit einer reguläre Veranlagung nach § 1 Abs. 1 EStG (kein § 1 Abs. 3 EStG). Angesetzt werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen in Höhe von 1.385 €;
– Einkommensteuerbescheid 2014 des Finanzamts München für den Kläger allein vom 02.08.2016, reguläre Veranlagung nach § 1 Abs. 1 EStG (kein § 1 Abs. 3 EStG). Angesetzt werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen in Höhe von 9.816 €;
– Lohnsteuerbescheinigung 2015, Arbeitgeber: J UG;
– Buchführungsunterlagen mit Erlösen 2015 der J & Partner GbR und der J UG;
– Gewerbeanmeldung der J & J & P GbR bei der Gemeinde N mit einer Betriebsstätte in N über eine Tätigkeit im Bereich Fliesen-, Platten-, Mosaik-, Boden-, Estrichleger, Akustik und Trockenbau, Parkettleger, Baugrubenreinigung, Hausmeister, Gebäudereinigung, Einbau von genormten Baufertigteilen zum 31.12.2015;
– Rechnungen der J UG und der J & Partner GbR über in sämtlichen Monaten der Jahre 2013 und 2014 im Inland erbrachte Leistungen an inländische Kunden;
– Vermieterbescheinigung von Herrn K vom 27.06.2018 über ein Mietverhältnis des Klägers in der W-Straße, beginnend ab 29.01.2014.
Die Beklagte lehnte den Kindergeldantrag für den Zeitraum Januar 2013 bis Februar 2015 mit Bescheid vom 14.08.2018 ab, da die für die Entscheidung über den Kindergeldanspruch notwendigen Unterlagen nicht eingereicht worden seien. Für den Zeitraum März 2015 bis einschließlich Juli 2018 wurde mit Bescheid vom 14.08.2018 Kindergeld festgesetzt.
Gegen den Kindergeldablehnungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 16.05.2019 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass gemäß den vorgelegten Mietzahlungsbelegen im Jahr 2013 die Ausgaben alleine für Miete deutlich höher gewesen seien als die Einnahmen in Höhe von 1.385 €. Im Jahr 2014 seien die Einnahmen gleich hoch wie die Mietzahlungen gewesen, insgesamt sei nicht feststellbar, wovon der Kläger seinen Lebensunterhalt bestreite. Außerdem seien die Einnahme-/Überschussrechnungen für die Jahre 2013 und 2014 angefordert worden, sowie eine Aufstellung der Baustellen auf denen der Kläger gearbeitet habe. Dabei sei darauf hingewiesen worden, dass aufgrund der Arbeit in einer GbR erkennbar sein müsse, welche Arbeiten vom Kläger und welche von den Mitgesellschaftern ausgeführt worden seien. Weiterhin sei die Gewerbeanmeldung, die Heiratsurkunde, die Meldebescheinigung der Familie in Polen sowie ein Nachweis zum Umfang der Steuerpflicht für die Jahre 2013 und 2014 angefordert worden. Es sei jedoch lediglich die Gewerbeanmeldung sowie der Nachweis zum Umfang der Steuerpflicht vorgelegt worden. Ein weiterer Sachvortrag sei nicht erfolgt.
Dagegen richtet sich die Klage. Entgegen der Behauptung der Beklagten seien alle Unterlagen eingereicht worden. Für den Zeitraum März 2015 bis Juli 2018 sei das Kindergeld aufgrund derselben Unterlagen festgesetzt worden. Er sei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, weil er hier einen Wohnsitz unterhalte. Dies habe er durch Vorlage des Mietvertrages und Bestätigung des Vermieters sowie Bestätigung der Mietzahlungen nachgewiesen. Zusätzlich zu den bereits eingereichten Unterlagen wurden folgende Unterlagen vorgelegt:
– Gewerbeanmeldung der J & J & P GbR bei der Verwaltungsgemeinschaft N mit einer Betriebsstätte in H über Fliesen-, Plattenbau u.a. ab 27.05.2009;
– Gewerbeabmeldung der J & J & P GbR bei der Verwaltungsgemeinschaft N ab 31.12.2015;
– Geburtsurkunde für das Kind D (auf Polnisch);
– Heiratsurkunde (auf Polnisch);
– Meldebestätigung für die Familie des Klägers in Polen seitens der polnischen Behörde (auf Polnisch);
– Bestätigung des Finanzamts vom 22.03.2019, dass der Kläger für die Jahre 2013 und 2014 als unbeschränkt Steuerpflichtiger beim Finanzamt erfasst sei;
– Tabellarische Übersicht der in den Jahren 2013 und 2014 erbrachten Leistungen mit Angabe der Rechnungsnummern, Rechnungsdatum, Rechnungsbeträge und Datum der Zahlungseingänge nebst den zugehörigen Rechnungen der J und Partner GbR und der Kontoauszüge mit den Zahlungseingängen;
– Bescheinigungen der Auftraggeber K und B, dass die in Rechnung gestellten Aufträge durch die persönliche Leistung des Klägers erbracht worden seien;
– Bestätigungen der Firma F, L, B, G und S, dass in dem strittigen Zeitraum die Leistungen persönlich durch den Kläger erbracht worden seien;
– Gewinnermittlungen 2012-2015 mit Kontennachweis und Ausweis der Gewinnverteilung auf die Gesellschafter;
– Vermieterbescheinigung des Herrn K vom 11.10.2019 über ein nicht näher bezeichnetes Mietverhältnis mit ca. 52 m² mit Beginn ab 1.3.2012;
– Meldebestätigung der .. für den Kläger in der Wohnung W-Straße, M mit Einzug am 29.01.2014;
– Bescheide über Gewerbesteuermessbetrag 2013, 2014 und 2015 für die J und Partner GbR;
– Einkommensteuerbescheide 2016 und 2017 des Finanzamts für den Kläger und seine Ehefrau.
Mit Schreiben vom 28.05.2020, 25.08.2020 und 28.09.2020 wurden weitere Unterlagen vorgelegt, auf die hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Der Kläger beantragt
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14.08.2018 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 16.05.2019 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Zeit von Januar 2013 bis Februar 2015 für das Kind D in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung der polnischen Familienleistungen (Differenzkindergeld) festzusetzen.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung und beruft sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Insbesondere sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger unbeschränkt steuerpflichtig sei, da aufgrund verschiedener Widersprüchlichkeiten Zweifel an einem inländischen Wohnsitz bestehen. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt sei nicht nachgewiesen. Aus den vorgelegten Rechnungen der J und Partner GbR können nicht nachvollzogen werden, inwieweit die dort in Rechnung gestellten Leistungen dem Kläger zuzurechnen seien. Außerdem könne aus diesen Rechnungen nicht auf einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland geschlossen werden.
Das Gericht hat sich mit Schreiben vom 29.10.2020 an die im Mietvertrag genannte Vermieterin, Frau K, gewandt und um Auskünfte zu den Einzelheiten des Mietverhältnisses gebeten. Das Schreiben kam als unzustellbar zurück. Laut einer Meldeanfrage ist Frau K am 08.03.2018 verstorben. Mit Schreiben vom 13.11.2020 hat sich das Gericht daraufhin an Herrn K gewandt, der gegenüber dem Kläger Vermieterbescheinigungen abgegeben hatte und hat von ihm Auskünfte betreffend des Mietverhältnisses eingeholt. Auf das Antwortschreiben des Herrn K vom 15.11.2020 wird Bezug genommen.
Sowohl der Klägervertreterin als auch der Beklagten wurde mit Beschluss vom 03.02.2021 gestattet, sich während der mündlichen Verhandlung am 01.03.2021 in den Räumen ihrer Kanzlei in … bzw. in ihren Diensträumen … aufzuhalten und von dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Auf das Sitzungsprotokoll vom 01. März 2021 wird Bezug genommen.
II.
Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat die Festsetzung des Kindergeldes in Höhe des Differenzkindergeldes zu Unrecht versagt.
1. Der Kläger hat im Streitzeitraum Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn D gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach der Konkurrenzregelung des Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004 besteht dieser Kindergeldanspruch jedoch nur in Höhe des Differenzkindergeldes.
a) Gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63 EStG, wer im Inland einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Damit knüpft der Gesetzgeber zwar an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG an. Aus der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Steuerpflichtigen durch die Finanzämter folgt jedoch keine Bindungswirkung für die Kindergeldfestsetzung (vgl. BFH-Urteile vom 18.07.2013 III R 9/09, BStBl. II 2014, 802 und vom 08.05.2014 III R 21/12, BStBl. II 2015, 135; ebenso Sächsisches FG, Urteil vom 25.04.2019 6 K 1720/17 (Kg), juris). Vielmehr haben die Familienkassen in eigener Zuständigkeit und ohne Bindung an die Beurteilung des Finanzamts im Besteuerungsverfahren die Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu prüfen (vgl. auch A 2.1.1 Abs. 3 Satz 2 DA-KG 2019). Dem Umstand, dass der Kläger im Veranlagungszeitraum 2015 durch das Finanzamt München als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt wurde, kommt daher vorliegend keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Im Übrigen wurde der Kläger in den Veranlagungszeiträume 2013 und 2014 als nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt Steuerpflichtiger erfasst. Eigenständig und vorrangig zu prüfen ist vielmehr, ob der Kläger entweder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.
aa) Seinen Wohnsitz hat nach § 8 AO jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Hiernach setzt ein Wohnsitz eine Wohnung, d.h. eine stationäre Räumlichkeit voraus, die auf Dauer zum Bewohnen geeignet ist. Dies wiederum erfordert eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Inhabers entsprechende Bleibe (BFH-Urteil vom 19.03.1997 I R 69/96, BStBl. II 1997, 447). Eine nur vorübergehende oder notdürftige Unterbringungsmöglichkeit reicht hingegen nicht aus, ebenso nicht eine bloße Schlafstelle in Betriebsräumen (vgl. BFH-Urteil vom 06.02.1985 I R 23/82, BStBl. II 1985, 331). Innehaben der Wohnung bedeutet, dass der Anspruchsteller tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken reicht nicht aus, ebenso nicht ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). Schließlich muss das Innehaben der Wohnung unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten wird. Hierin kommt u.a. ein Zeitmoment zum Ausdruck. Ob im Einzelfall eine solche Benutzung vorliegt, ist unter Würdigung der objektiv erkennbaren Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungs- oder Anspruchszeitraums zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 08.05.2014 III R 21/12, BStBl. II 2015, 135).
bb) Unter Anwendung vorstehender Grundsätze hat das Gericht nicht die geringsten Zweifel, dass der Kläger im Streitzeitraum in Deutschland einen Wohnsitz hatte. Melderechtliche Anmeldungen sind allein zwar noch kein Nachweis, sondern lediglich ein Indiz (vgl. BFH-Urteile vom 17.05.1995 I R 8/94, BStBl. II 1996, 2 und vom 22.08.2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351). Jedoch hat der Kläger zum Nachweis eines inländischen Wohnsitzes auch den Mietvertrag über die Wohnung in der W.-Straße vom 26.02.2012 nebst einem Übergabeprotokoll vorgelegt. Daraus geht hervor, dass es sich bei dieser Wohnung um keine Sammelunterkunft oder ähnliches handelt, sondern um eine normale, vom Kläger allein angemietete Zweizimmerwohnung. Die Vermietung erfolgte zu Wohnzwecken, Anhaltspunkte für eine überwiegend gewerbliche Nutzung fehlen. Zudem hat der Kläger eine Vermieterbestätigung des Herrn K vom 11.10.2019 vorgelegt, die das Bestehen eines Mietverhältnisses über die vorgenannte Wohnung bestätigt. Dass der Mietvertrag vom 26.02.2012 nicht mit Herrn K, sondern mit Frau K abgeschlossen wurde, ändert daran nichts. Frau K konnte die vom Kläger geforderte Vermieterbescheinigung nicht mehr erteilen, da sie laut Auskunft der Meldebehörde am 08.03.2018 verstorben ist. Das Mietverhältnis ist jetzt ganz offensichtlich auf Herrn K als ihren Gesamtrechtsnachfolger übergegangen (§ 1922 BGB). Die Auffassung der Beklagten, dass es unverständlich sei, dass nach dem Tode von Frau K keine Anpassung/Änderung des Mietvertrags erfolgt sei, ist unzutreffend und völlig lebensfremd. Eine Anpassung oder gar Änderung des schriftlichen Mietvertrages ist rechtlich weder notwendig, noch – wie dem Gericht bekannt ist – in der Praxis üblich. Darüber hinaus hat der Kläger auch durch die Vorlage der wesentlichen Zahlungsnachweise die tatsächliche Zahlung der Miete und damit den tatsächlichen Vollzug des Mietverhältnisses nachgewiesen. Aus welchem Grunde es gegen das Vorliegen eines Wohnsitzes sprechen sollte, dass die Miete teilweise nicht von einem Privatkonto des Klägers, sondern vom geschäftlichen Konto der GbR, an der der Kläger als Gesellschafter beteiligt ist, bezahlt wurde und wo es über ein Verrechnungskonto als Entnahme des Klägers verbucht wurde, erschließt sich dem Gericht nicht. Die Aussage des Beklagten im Schreiben vom 13.01.2021, dass „die Miete … nicht persönlich von dem Kläger, sondern von der J GbR bezahlt“ worden sei, ist eine grobe Verzerrung der Tatsachen und zeigt, dass dem Vertreter der Beklagten die wirtschaftlichen und buchhalterischen Vorgänge in einem Unternehmen offensichtlich unbekannt sind. Darüber hinaus hat Herr K auf schriftliche Anfrage des Gerichts nicht nur das Bestehen eines Mietvertrages mit dem Kläger bestätigt, sondern auch eine ununterbrochene und dauerhafte Nutzung der Wohnung durch den Kläger bis April 2015. Aus diesem Grund kann es auch offenbleiben, ob die Wohnung noch von einer anderen Person ganz oder teilweise mitbenutzt wurde. Der Umstand, dass der Kläger geschäftliche Kontakte zu Herrn K hatte und dieser mehrere Aufträge an den Kläger bzw. an die J & Partner GbR vergeben hat, ändert nichts an der Glaubhaftigkeit der Bestätigung, da jegliche Anhaltspunkte für eine reine Gefälligkeitsbestätigung, die inhaltlich unzutreffend ist, fehlen. Dass sich der Kläger möglicherweise wiederholt oder regelmäßig auch bei seiner Familie in Polen aufgehalten hat, stellt das Bestehen des Wohnsitzes im Inland ebenfalls nicht infrage denn es ist nicht erforderlich, dass sich im Inland auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers befindet. Dieser kann sich auch bei der Familie in Polen befinden. Das im Streitfall gezeigte Verhalten der Beklagten, trotz in seltener Eindeutigkeit für einen inländischen Wohnsitz sprechender Umstände diese zu negieren und ungeachtet aller vorgelegter Beweismittel darauf zu beharren, dass der Nachweis eines inländischen Wohnsitzes nicht erbracht sei, hält das Gericht für äußerst befremdlich.
b) Der Kläger übte im Streitzeitraum eine selbstständige Erwerbstätigkeit i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Art. 1 Buchst. a der VO 883/2004 aus und unterliegt deshalb den deutschen Rechtsvorschriften nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO 883/2004. Der Kläger hat durch die Vorlage einer Vielzahl von Belegen (Gewerbeanmeldungen, Lohnsteuerbescheinigungen, Rechnungen über erbrachte Leistungen im Streitzeitraum nebst Zahlungsbelege und tabellarische Übersichten) nachgewiesen, dass er im Streitzeitraum einer von ihm sowohl als Einzelunternehmer, wie auch durch seine Tätigkeit als Gesellschafter einer GbR und darüber hinaus als Gesellschafter-Geschäftsführer der J UG im Inland einer selbständigen bzw. unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.
Die Annahme der Beklagten, dass eine selbstständige Erwerbstätigkeit i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VO 883/2004 lediglich für die Monate zu bejahen sei, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte nach § 49 EStG tatsächlich erzielt und nachgewiesen hat, ist unzutreffend. Eine solche monatsweise Prüfung ist nur bei nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkter Steuerpflicht durchzuführen, entspricht aber nicht der Systematik der hier vorliegenden unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG (vgl. FG Düsseldorf vom 10.03.2020 10 K 2918/18 kg, juris). Im Übrigen bestehen aufgrund der vorgelegten umfangreichen Unterlagen, die der Kläger auf Anforderung der Beklagten mit bewundernswerter Geduld stets vorgelegt und übersichtlich aufbereitet hat, von dieser dann aber in einer an Zermürbungstaktik grenzenden Art immer wieder als nicht ausreichend bezeichnet wurden, nicht die geringsten Zweifel daran, dass der Kläger ununterbrochen über den gesamten Streitzeitraum erwerbstätig war. Auch in diesem Zusammenhang kann das Gericht nur sein Befremden über das Verhalten des Beklagten zum Ausdruck bringen.
c) Somit liegt im Inland ein nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. 1 VO Nr. 883/2004 durch die Erwerbstätigkeit des Klägers ausgelöster Kindergeldanspruch in Deutschland vor, der jedoch aufgrund der Erwerbstätigkeit der Ehefrau und des Wohnsitzes des Kindes in Polen bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt wird (Art. 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 der VO Nr. 883/2004). Somit besteht nach Art. 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 der VO Nr. 883/2004, wie vom Kläger beantragt, ein Anspruch auf Differenzkindergeld (BFH-Urteil vom 1. Juli 2020 III R 22/19, BFH/NV 2021, 134).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.


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