Steuerrecht

Rechtmäßige Änderung von Einkommensteuerbescheiden wegen Steuerhinterziehung

Aktenzeichen  3 K 1411/19

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32723
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

1. Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht. Es gibt daher auch kein allgemeines steuerrechtliches Verwertungsverbot aufgrund einer „Verletzung der steuerrechtlichen Pflichten bei der Informationsgewinnung“. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren stehen grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander. (Rn. 76) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der Vater der Klägerin in den Streitjahren höhere Zinsen erhalten hat, als in den Steuererklärungen angegeben, war das Finanzamt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zur Änderung berechtigt. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
1. Der Senat hat in zulässiger Weise den Zeugen E im Rahmen der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz vernommen.
a) Das Gericht kann nach § 91a Abs. 2 Satz 1 FGO auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder ein Beteiligter während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen (§ 91a Abs. 2 Satz 2 FGO).
Die Gestattung einer Beweiserhebung durch Videokonferenz liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BT-Drucksache 17/1224 Seiten 7 und 10; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 5; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 91a FGO Rz. 53; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 32). Maßstab für die Ermessensentscheidung ist, der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 76. Abs. 1 Satz 1 FGO) Genüge zu tun. Daher steht mit Blick auf die materielle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme die Frage nach der Wahl des sachnächsten, unmittelbarsten und mithin bestmöglichen Beweismittels im Zentrum der Ermessensbildung; vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass trotz guter technischer Ausstattung mit einer „Fernvernehmung“ stets auch ein gewisser Verlust an Authentizität der Aussage – insbesondere hinsichtlich des persönlichen Eindrucks des Zeugen – verbunden sein kann (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 53; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, § 91a Rz. 33f). Im Rahmen der Ermessensausübung sind daher Aspekte der Verfahrensökonomie gegen solche, die die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gewährleisten, abzuwägen.
b) Im Streitfall teilte der Zeuge im Rahmen eines Telefongesprächs am Tag vor der mündlichen Verhandlung am 27.07.2021 mit, dass er schwer erkältet, jedoch ein Corona-Schnelltest negativ geblieben sei. Er beantragte die Vernehmung per Videoübertragung und wies darauf hin, dass ihm dies auch bei seinem gesundheitlichen Zustand möglich sein werde. Zudem habe er darin bereits Erfahrung. Mit Schreiben vom 28.07.2021 wurde dann der schriftliche Antrag nachgeholt.
Nach Beratung der drei Berufsrichter entschied der Senat am 27.07.2021, den Termin nicht zu verlegen und den Zeugen im Rahmen einer Videokonferenz zu vernehmen. Wegen der anhaltenden Covid 19 Lage bestand nach Auffassung des Senats bei einem persönlichen Erscheinen des Zeugen das Risiko einer Gesundheitsgefährdung der Teilnehmer an der mündlichen Verhandlung und von Gerichtsbediensteten. Im Streitfall hat der Senat im Rahmen der Ermessensausübung weiter berücksichtigt, dass der Zeuge wegen der gesundheitlichen Probleme nur schwer an der mündlichen Verhandlung in Nürnberg mit einer zu erwartenden Fahrtzeit von einfach 2 ½ Stunden teilnehmen werde können. Der Zeuge ist Rechtsanwalt und nimmt am Übermittlungssystem BEA teil. Schriftstücke können dem Zeugen daher auf sicherem Weg vorgelegt werden. Weiter war für die Entscheidung von Bedeutung, dass nach Einschätzung des Senats die vom Zeugen als ehemaligem Insolvenzverwalter zu erwartende Aussage nach seinen bereits vorliegenden schriftlichen Angaben nicht von überragenden Gewicht für das Verfahren erschien. Der unmittelbare persönliche Eindruck des Zeugen war nach Einschätzung des Senats auch aufgrund der Tatsache, dass der Zeuge nur beruflich in seiner Funktion als Insolvenzverwalter mit der Angelegenheit befasst war, daher von nicht so hohem Stellenwert.
Die Entscheidung des Senats vom 27.07.2021 wurde den Beteiligten mit Schreiben der Geschäftsstelle am gleichen Tag mitgeteilt.
c) Der vom Gericht angeordneten Vernehmung per Videoübertragung stand auch nicht das fehlende Einverständnis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen. Die Beweiserhebung bedarf nicht des Einverständnisses aller Beteiligten. Anders als § 93a Abs. 1 Satz 1 FGO a. F. setzt § 91a Abs. 2 Satz 1 FGO das Einverständnis aller Beteiligten nicht voraus (so auch Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 53; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 5; Niewerth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 91a FGO Rn. 9). Zwar hat der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung gerügt, dass er den Zeugen nicht bei persönlicher Anwesenheit habe befragen und seine Aufzeichnungen vorlegen können. Andererseits hat er aber den Zeugen ausführlich befragt und bestätigt, dass er alles gut verstanden habe. Zudem hat er nicht dargelegt, welche Aufzeichnungen er dem Zeugen – über die diesem bereits mit Fax vom 27.07.2021 vorab übermittelten Unterlagen hinaus – bei dessen persönlicher Anwesenheit vorgelegt hätte.
2. Der Senat konnte ohne Einvernahme der vom Prozessbevollmächtigten benannten weiteren Zeugen entscheiden.
a) Der Senat hat dadurch weder die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht noch die Grundsätze zur Beweiserhebung nach § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzt. Die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO erfordert, dass das Gericht Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 27.07.2016 V B 4/16, BFH/NV 2016, 1740). Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen (BFH-Beschluss vom 15.12.2016 VI B 50/16, BFH/NV 2017, 598). Demgegenüber muss es unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachgehen; eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist darin nicht zu sehen. Ein Beweisantrag ist unsubstantiiert, wenn er nicht angibt, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll (BFH-Beschluss vom 15.11.2017 I B 27/17, BFH/NV 2018, 542; Gräber/Herbert, FGO 9. Aufl., § 76 Rn 32).
b) Nach diesen Grundsätzen musste das Gericht den Beweisanträgen des Klägervertreters nicht entsprechen. Denn auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Beurteilung des Senats war die Frage, auf welcher Grundlage G im Schreiben vom 05.10.2018 die Zuweisung von 20.000 € Zinsen nur als Schlussfolgerung bezeichnet hat und welche Unterlagen F sichergestellt oder vorliegen hatte, nicht entscheidungserheblich. Grundlage der Entscheidung sind die im Verfahren vorliegenden (und in der Ermittlungsakte enthaltenen) Unterlagen. Der Prozessbevollmächtigte hat nicht geltend gemacht, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll.
3. Klägerin im Verfahren ist nunmehr Frau A.
a) Mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über (§ 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO gehen bei der Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Nach ständiger Rechtsprechung tritt danach der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in einem umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein. Ausgenommen davon sind lediglich höchstpersönliche Verhältnisse und unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpfte Umstände (z.B. BFH-Urteil vom 15.06.2011 XI R 10/11, BFH/NV 2011, 1722 m. w. N.). Zur Fortführung des vom Erblassers angestrengten Klageverfahrens ist nur der Rechtsnachfolger befugt; er besitzt die notwendige Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis.
b) Im Streitfall hatte in zutreffender Weise die Mutter der Klägerin in eigenem Namen geklagt, da die Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2012 als zusammengefasste Bescheide auch ihr gegenüber ergangen sind, und zugleich als Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Mann. Die Klägerin wiederum ist als Alleinerbin und Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer während des Klageverfahrens verstorbenen Mutter in deren verfahrensrechtliche Position nachgerückt.
Das Verfahren musste im Streitfall nicht unterbrochen (und gegebenenfalls von A wieder aufgenommen) werden, da die verstorbene Klägerin durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war. Nach § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 239 Abs. 1 ZPO tritt im Falle des Todes einer Partei eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu Aufnahme des Prozesses durch Rechtsnachfolger ein. Dies gilt allerdings nicht, wenn im Todesfall eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfindet (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. § 246 Abs. 1 ZPO). Der Prozess ist dann lediglich bei entsprechendem Antrag des Prozessbevollmächtigten auszusetzen. Im Streitfall war die verstorbene Mutter der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten. Dieser hat trotz Hinweises des Gerichts eine Aussetzung des Verfahrens nicht beantragt, so dass das Verfahren ohne weiteres fortgeführt werden konnte.
4. Die Klage ist unbegründet, da das Finanzamt die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2012 zu Recht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert hat. Nach Überzeugung des Senats hat der Vater der Klägerin in den Streitjahren 2009 bis 2012 aus den Darlehensverträgen mit der X KG jedenfalls Zinsen in Höhe von 18.000 € jährlich erhalten. Ebenso überzeugt ist der Senat davon, dass dem Kläger in Bezug auf die unvollständig erklärten Zinseinnahmen Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist und damit der Änderung Festsetzungsverjährung nicht entgegenstand.
a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Dabei kann es sich um einzelne Tatsachen aber auch um eine Summe von Tatsachen handeln, die ihrerseits den Sachverhalt ausmachen, der unter das Gesetz subsumiert wird (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 2 m. w. N.). Keine Tatsachen sind dagegen rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen oder eine geänderte Rechtsauffassung. Vermutungen, Verdachtsmomente und Wahrscheinlichkeiten sind keine Tatsachen. Eine Tatsache besteht erst, wenn über einen Lebensvorgang Gewissheit herrscht (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 3 m. w. N.).
Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (BFH-Urteil vom 20.12.1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585). Nachträglich entstandene Beweismittel fallen weder unter § 173 AO noch unter § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und ermöglichen keine Korrektur (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, zu § 173 AO Rz. 24, 27).
Die neue Tatsache bzw. das Beweismittel müssen zu einer höheren bzw. niedrigeren Steuer bzw. Steuervergütung führen, also rechtserheblich sein. Rechtserheblich sind nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel, wenn die Finanzbehörde bei rechtzeitiger Kenntnis einer ihr unbekannt gebliebenen Tatsache schon bei der ursprünglichen Festsetzung zu einem höheren oder niedrigeren steuerlichen Ergebnis gelangt wäre (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 55 m. w. N.).
Weiterhin ist erforderlich, dass die zur Änderung führenden Tatsachen dem Amt nachträglich bekannt werden. Neu ist eine Tatsache gemäß § 173 Abs. 1 AO dann, wenn sie dem zuständigen Bediensteten der Behörde beim Abschluss der Willensbildung in Bezug auf den zu ändernden Verwaltungsakt nicht bekannt war.
Zwar kann einer Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen der allgemeine Rechtssatz von Treu und Glauben entgegenstehen. Dies gilt aber nur, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. In Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen scheidet eine Änderungsmöglichkeit nur aus, wenn der Verstoß des Finanzamts deutlich überwiegt(vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 06.02.2013 X B 164/12, BFH/NV 2013, 694 m. w. N.). Die Finanzbehörde braucht eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sie kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Sie braucht nicht jeder denkbaren Möglichkeit nachzugehen, sondern nur sich aufdrängenden Zweifeln. Dies gilt insbesondere bei einer unter Mitwirkung eines Steuerberaters angefertigten Steuererklärung (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 65 m. Hinweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
Im Falle der Unaufklärbarkeit eines Sachverhaltes trägt die Beweislast (objektive Feststellungslast) für eine Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen die Finanzbehörde (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 53 m. w. N.).
b) Im Streitfall hat der Senat aufgrund der vorliegenden Unterlagen (insbesondere Darlehensverträge vom 23.06.2006 und 18.03.2008, Vernehmungsprotokoll vom 21.06.2016) und des Gesamtergebnisses des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Vater der Klägerin die vertraglich vereinbarten Zinsen auch erhalten hat.
(1) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder das Entgelt von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
Auch wenn Kapital zum Aufbau oder Erhalt eines „Schneeballsystems“ verwendet wird und dem Anleger aus dem Kapital anderer getäuschter Anleger (oder gar aus dem eigenen Kapital des Anlegers) eine „Scheinrendite“ gezahlt wird, liegen Einkünfte aus Kapitalvermögen vor (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 14.12.2004 VIII R 25/02, BStBl II 2005, 739; vom 11.02.2014 VIII R 25/12, BStBl II 2014, 461 m. w. N.).
Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) sind i.S. von § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann, was insbesondere bei Barzahlung der Fall ist.
(2) Im Streitfall haben der verstorbene Vater der Klägerin und die X KG (vertreten durch D) wirksame Darlehensverträge abgeschlossen und vollzogen. Dass es sich hierbei nur um „Entwürfe“ handeln soll, wie der Prozessbevollmächtigte angibt, überzeugt den Senat nicht. Wie üblich, haben beide Parteien jeweils ein (unterschriebenes) Exemplar der Verträge für ihre Unterlagen erhalten. Der verstorbene Vater der Klägerin selbst hat die Vertragsschlüsse, deren Inhalt und Richtigkeit in seiner Vernehmung bei der Kriminalpolizei am 21.06.2016 bestätigt.
Hinsichtlich dieser Aussage besteht kein Beweisverwertungsverbot. Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht. Es gibt daher auch kein allgemeines steuerrechtliches Verwertungsverbot aufgrund einer „Verletzung der steuerrechtlichen Pflichten bei der Informationsgewinnung“. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren stehen grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander. Die Frage nach einem Verwertungsverbot ist folglich im Steuerstrafverfahren nach strafprozessualen und im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften, ggf. unter Einbeziehung vorrangiger Verfassungsgrundsätze, zu beantworten. Im Besteuerungsverfahren bleibt der (möglicherweise) einer Straftat Verdächtigte sogar nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens rechtlich zur (wahrheitsgemäßen) Mitwirkung verpflichtet (BFH-Urteil vom 23.01.2002 – XI R 10, 11/01, BStBl II 2002, 328). Selbst das Unterlassen einer Belehrung nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO führt nicht zu einem Verwertungsverbot (Beschluss des BFH vom 30.05.2008 V B 76/07, BFH/NV 2008, 1441).
Im Steuerrecht können daher nur eklatante Grundrechtsverstöße ein Verwertungsverbot bewirken, vgl. zutreffend Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 24.11.2020 1 K 395/18, juris – m. w. N). Auch eine Fernwirkung von Verwertungsverboten kommt allenfalls bei qualifizierten, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstößen in Betracht (vgl. dazu ausführlich Urteil des BFH vom 04.10.2006 VIII R 53/04, BStBl II 2007, 227 m. w. N.).
Im Streitfall wurde der Vater der Klägerin als Zeuge im Strafverfahren eines anderen ordnungsgemäß dahingehend belehrt, dass er die Auskunft auf solche Fragen verweigern könne, die ihn selbst oder einen nahen Angehörigen in die Gefahr bringen könnten, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§§ 52 Abs. 2, 55 Abs. 1 StPO). Er wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass ein Rechtsbeistand anwesend sein könne. Als er zu der Notiz zur möglichen „Schwarzanlage“ befragt werden sollte, die den Verdacht einer Steuerhinterziehung in seiner Person hätte mit sich bringen können, wurde er nochmals als Beschuldigter (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) über seine Rechte belehrt und konnte daraufhin auch die Vernehmung beenden. Der Vater der Klägerin wurde dementsprechend seiner jeweiligen Verfahrensstellung entsprechend ordnungsgemäß belehrt. Jedenfalls sieht der Senat keinen eklatanten Grundrechtsverstoß, der einer Verwertung der Zeugenaussage vom 21.06.2016 entgegenstünde. Ausweislich der Ermittlungsakte wurde das Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung gegen die Eheleute B und C erst am 20.12.2017 eingeleitet. Der Kriminalpolizei konnte ohnehin der Inhalt der Steuererklärungen der Eheleute B und C nicht bekannt sein.
Der Senat sieht auch keinen Anlass, den wesentlichen Angaben des C im Vernehmungsprotokoll aus anderen Gründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Soweit der Klägervertreter anspricht, dass C aufgrund seines Alters „verwirrt“ gewesen sei, ist dies aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Die Angaben sind dort im Wesentlichen schlüssig, verhältnismäßig präzise und decken sich mit dem Inhalt der Darlehensverträge. Der Klägervertreter schrieb am 31.08.2018 an den Vorsteher des Finanzamts, dass sich das Ehepaar B und C bis zum Tätigwerden der Finanzverwaltung „bester Gesundheit“ erfreut habe. Die Zeugenvernehmung vom 21.06.2016 fand rund 1 1/2 Jahre vor Aufnahme der Ermittlungen der Steuerfahndung statt.
Für die Wirksamkeit und den Vollzug der Darlehensverträge spricht aus Sicht des Senats weiter, dass die Verträge Grundlage der Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren waren. In diesem Zusammenhang wurde auch der Nachweis für die Zahlung der Darlehenssummen geführt. Die Verträge waren daher grundsätzlich ernsthaft gewollt und wurden durchgeführt. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass neue Verträge geschlossen wurden oder die Verträge in irgendeiner Form modifiziert worden wären.
(3) Vereinbart war zwischen den Vertragsparteien ein Zinssatz von 10%; die Zinsen sollten vierteljährlich ausgezahlt werden und dies (jedenfalls in den Streitjahren) in bar, wie der Vater der Klägerin selbst in der Vernehmung angegeben hat. Gestützt wird dies zusätzlich noch durch die in der Ermittlungsakte befindlichen Notizen, die zur Überzeugung des Senats im Wesentlichen von D stammen. Die Unterlagen wurden offensichtlich von der Kriminalpolizei bei der X KG sichergestellt und von der bzw. für die Steuerfahndung kopiert. C hat die Tatsache der Barauszahlung in seiner Vernehmung ausdrücklich bestätigt. Auch in den teilweise vorliegenden Buchführungsunterlagen sind nur Barauszahlungen für C verzeichnet.
(4) Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass die Zinsen vertragsgemäß gezahlt worden sind. Dies gründet sich zum einen auf die Aussage des C, dass er die Zinsen von D in bar erhalten habe; genauer bestätigt er sogar, dass D die Zinsen pünktlich zum Fälligkeitstermin gebracht habe. Die einzige Ungenauigkeit ist, dass C auf den Vertrag vom 18.03.2008 angesprochen, angab, er habe 2.000 € vierteljährlich erhalten. Unterstellt, dies wäre richtig, müsste C regelmäßig nur 4.500 vierteljährlich an Zinsen erhalten haben (2.500 € aus dem ersten Vertrag und 2.000 € aus dem zweiten Vertrag). Dies wiederspricht aber den teilweise vorhandenen Buchungsunterlagen, die, soweit sie C konkret zuzuordnen sind, regelmäßig Auszahlungen über 5.000 € belegen. Allerdings ergibt sich aus der letzten Zahlung für 2012 lt. Auflistung Klägervertreter und dem auszugsweise vorgelegten Schreiben zur Insolvenzanfechtung vom 11.04.2017, dass diese Zinsen offensichtlich in zwei Beträgen über 3.000 und 2.000 im Januar 2013 ausgezahlt wurden. Eine so – möglicherweise mehrfach vorgenommene – Staffelung könnte die Erinnerung des Vaters der Klägerin erklären. Letztlich kann dies aber offenbleiben, da das Finanzamt vor dem Hintergrund der Angabe des Vaters der Klägerin im Einspruchsverfahren die zugerechneten Zinsen aus dem zweiten Vertrag auf 2.000 € vierteljährlich reduziert hat.
Aus der Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle ergibt sich ergänzend, dass insoweit von C selbst rückständige Zinsen für ein Quartal („10% aus 200.000,- seit dem 01.10.2015“) in Höhe von 5.000- € angemeldet wurden; dies spricht nach Auffassung des Senats ebenfalls dafür, dass die vertragsgemäßen Zinsen in Höhe von 10% geschuldet (und bis dahin) gezahlt wurden.
Die Hypothese des Klägervertreters, dass C regelmäßig geringere Zinsen als vereinbart erhalten haben soll bzw. dass ein geringerer Zinssatz vereinbart gewesen sein sollte, überzeugt den Senat nicht. Wie sich insbesondere aus der vorliegenden Auflistung des damaligen Insolvenzverwalters der X KG, E, über die erhaltenen Darlehen in der Ermittlungsakte ergibt, wurden fast alle Darlehen regelmäßig mit 10% Zinsen jährlich, fällig jeweils zum Quartal, verzinst. Das ausgerechnet C, der laut eigenen Angaben und den Äußerungen des Klägervertreters mit D gut befreundet war, weniger als alle anderen Gläubiger erhalten haben sollte, ist nicht schlüssig. Auch gibt C in der Vernehmung an, dass er bis ins Jahr 2015 „noch verhältnismäßig lange Zinsen erhalten habe, im Gegensatz zu anderen Gläubigern.“ Demgegenüber konnte er genau berichten, dass die Miete für an D überlassene Räume seit März 2014 rückständig gewesen und deswegen schließlich ein Anwalt eingeschaltet worden sei. Für den Senat ergibt sich daraus, dass an Darlehenszinsen eben keine Rückstände bestanden, was der Klägervertreter ebenfalls so angegeben hat. Wenn es zur Unregelmäßigkeiten bei der Zinszahlung gekommen wäre, hätte C in der Vernehmung dies ebenso offen angegeben, wie die Unregelmäßigkeiten bei den Mietzahlungen. Dass C insoweit bei der Vernehmung gelogen haben sollte, um seinen Freund zu schützen, wie der Klägervertreter vorträgt, überzeugt daher den Senat nicht. Der Vater der Klägerin wurde bei der Vernehmung auf seine Wahrheitspflicht und die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage hingewiesen.
Wie sich aus den abschließenden Aktenvermerk der Fahndungsprüfung vom 17.07.2018 ergibt, wurden die Zinsen an die Darlehensgeber bis ins Jahr 2015 weitgehend gezahlt. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen des Senats aus anderen Verfahren im Zusammenhang mit Zinserträgen aus Darlehensverträgen mit der X KG und den den Beteiligten mitgeteilten Erkenntnissen aus den dem Gericht teilweise vorgelegten Buchführungsunterlagen über erfolgte Zinszahlungen auch an Dritte.
Soweit der Klägervertreter seine Ansicht auf die Erkenntnisse des Zeugen E als ehemaligem Insolvenzverwalter lt. (auszugsweisen) Schreiben zur Insolvenzanfechtung vom 11.04.2017 stützt, hält der Senat dies nicht für stichhaltig, da dieser angibt, sich auf die Buchhaltungsunterlagen gestützt zu haben. Der Zeuge hat dazu ausgeführt, dass die Buchhaltung, die von einer Firma, die ebenfalls unter dem Einfluss des D stand (“I und D“), erledigt wurde, sehr unübersichtlich gewesen sei. Zur Feststellung der (anfechtbaren) Zinszahlungen sei nur ein von der “I und D“ überlassener Datensatz ausgewertet worden. Die dem Gericht überlassenen Buchführungsunterlagen (Grundaufzeichnungen) für 2011 und 2012 vermitteln ebenfalls kein vollständiges Bild, da z. B. Zinszahlungen nicht namentlich gekennzeichnet wurden, wie den Beteiligten anhand der überlassenen Unterlagen aufgezeigt wurde. So ist z. B. auch die vom Insolvenzverwalter im Anfechtungsschreiben vom 17.04.2012 angegebene Zahlung vom 28.09.2012 über 5.000 € an den Vater der Klägerin aus den vorliegenden Buchungsbelegen und dem Berichtsbuch nicht ersichtlich. Andererseits ergibt sich aus den Buchungsbelegen und dem Berichtsbuch eine Zinszahlung an ihn in Höhe von 5.000 € am 02.04.2012, die offensichtlich im ausgewerteten Datensatz nicht enthalten war. Weiter ergibt sich aus dem – in der Ermittlungsakte enthaltenen – Auszug aus dem Bericht des ehemaligen Insolvenzverwalters, E, dass Darlehensgeschäfte über Privatkonten abgewickelt wurden und „Veruntreuungen buchhalterisch“ kaschiert wurden. Nach seiner damaligen Einschätzung war die Buchführung des X somit nicht ordnungsgemäß. Der Senat hält vor diesem Hintergrund die Feststellungen des ehemaligen Insolvenzverwalters über Zinszahlungen an C im Jahr 2012 anhand der Auswertung eines Datensatzes der “I und D“ nicht für ausreichend aussagekräftig, sondern ist vielmehr aufgrund der weiter vorliegenden Unterlagen davon überzeugt, dass C die vertragsmäßig vereinbarten Zinsen in den Streitjahren auch erhalten hat.
c) Da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der Vater der Klägerin in den Streitjahren, höhere Zinsen erhalten hat, als in den Steuererklärungen angegeben, war das Finanzamt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zur Änderung berechtigt. Die Tatsache, dass der Vater der Klägerin aus den Darlehensverträgen vom 23.06.2006 und 18.03.2008, jeweils über 100.000 € jeweils 10% jährlich und damit 20.000 € an Zinsen bezogen hatte, war dem Finanzamt neu. Angegeben waren in den Steuererklärungen jeweils nur 15.000 €, so, wie der Vater der Klägerin dies seinem Steuerberater und Prozessbevollmächtigten nach dessen Angaben stets nur mündlich mitgeteilt haben soll. Nach Aktenlage wurden hierzu keine Abrechnungen vorgelegt oder verlangt; auch die Darlehensverträge lagen dem Finanzamt nicht vor und wurden von diesem auch nicht verlangt. Ein Ermittlungsverschulden des Finanzamts sieht der Senat nach den in oben aufgeführten Grundsätzen (Ziffer 4. a) der Urteilsgründe) nicht. Das Amt durfte den Angaben in den Steuererklärungen, die unter Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten und damit eines Steuerberaters erstellt wurden, vertrauen und sie den Veranlagungen zugrunde legen. Gründe für sich aufdrängende Zweifel oder die Erweckung von Misstrauen sind nicht ersichtlich. Da keine Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen geltend gemacht wurde, sondern ausdrücklich angegeben war, dass kein Steuerabzug vorgenommen wurde, bedurfte es auch keiner besonderen Bescheinigungen.
d) Der Änderung der Ausgangsbescheide stand auch nicht ein Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.
(1) Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer grundsätzlich vier Jahre. Soweit eine Steuer hinterzogen worden ist, verlängert sich allerdings die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre und auf fünf Jahre, wenn sie leichtfertig verkürzt worden ist. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem der Steuerpflichtige die jeweilige Einkommensteuererklärung abgegeben hat. In den Fällen, in denen z. B. die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beginnen, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO). Dies gilt entsprechend, wenn dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 2 AO).
(2) Eine Steuer ist u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen. Wie sich aus der Gesetzesüberschrift ergibt, handelt es sich bei § 370 AO um eine Strafvorschrift. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre und somit vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung ab, müssen die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sein. Dabei sind die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Strafrechts materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen. Dagegen ist die Frage, ob diese Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt sind, nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen, da es sich lediglich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids handelt (BFH-Urteil vom 29.10.2013 VIII R 27/10, BStBl II 2014, 295).
§ 370 AO ist ein Vorsatzdelikt, wobei sich der erforderliche Tatbestandsvorsatz sich auf die Kurzformel „Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller objektiven Umstände“ bzw. „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ bringen lässt. Vorsätzlich handelt jedenfalls, wer absichtlich handelt (dolus directus ersten Grades) (Krumm, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, Lfg. 156, § 370 AO Rz. 123 m. w. N.).
Ob die Tat strafrechtlich verfolgt und bestraft worden ist, ist für die Frage des Eintritts der Festsetzungsverjährung ohne Belang, daher können Steuerhinterziehung und leichtfertige Steuerhinterziehung auch nach dem Tod des Täters noch festgestellt werden (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 169 Rz. 25 mit Hinweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
(3) Nach diesen Grundsätzen ergibt sich, dass für das Jahr 2012 die Änderung des Steuerbescheides uneingeschränkt möglich war. Die Steuererklärung für 2012 wurde im Jahr 2013 abgegeben, damit begann die reguläre Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2013 und endete mit Ablauf des 31.12.2017 (§§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Nach § 171 Abs. 5 AO war der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist durch die Maßnahmen der Steuerfahndung (Maßnahmen zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, Einleitung des Strafverfahrens am 20.12.2017) gehemmt. Der Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides am 31.08.2018 war daher uneingeschränkt möglich.
Für die Jahre 2009 bis 2011 wären im Jahr 2018 zwar bei Beginn der Fahndungsprüfung die regulären Festsetzungsfristen nach §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bereits abgelaufen gewesen (für 2009 mit Ablauf des 31.12.2014, für 2010 mit Ablauf des 31.12.2015 und für 2011 mit Ablauf des 31.12.2016). Hinsichtlich dieser Jahre ist der Senat jedoch davon überzeugt, dass der Vater der Klägerin eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen hat und daher die auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gilt. Da der Vater der Klägerin nach Überzeugung des Senats in den Streitjahren tatsächlich jährlich 20.000 € an Zinsen bezogen hat, jedoch in den Steuererklärungen nur den Teilbetrag von 15.000 € erklärt hat, sind die Steuern vom Finanzamt zu niedrig festgesetzt worden. Nach Überzeugung des Senats hat der Vater auch bewusst und gewollt in seinen Steuererklärungen falsche Angaben zur Höhe der tatsächlich erhaltenen Zinsen gemacht, um zu erreichen, dass die Steuer zu niedrig festgesetzt wird. Ihm war die Steuerpflicht und tatsächliche Höhe der Einkünfte bekannt, trotzdem hat er seinem Berater einen niedrigeren Wert genannt und die von diesem gefertigte (unzutreffende) Steuererklärung unterzeichnet. Damit hat er dem gegenüber dem Finanzamt über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO); damit liegen die objektiven und subjektiven Merkmale der Steuerhinterziehung vor. Dass wegen des Todes des C keine strafrechtliche Verurteilung erfolgte, sondern das Verfahren eingestellt wurde, ist für den Eintritt der Rechtsfolge der verlängerten Festsetzungsfrist nach den oben genannten Grundsätzen ohne Belang.
Gestützt wird diese – sich schon aus der Tatsache der falschen Angaben in der Steuererklärung ergebende – Überzeugung des Senats auch durch die bei den Darlehensunterlagen zum Vertrag vom 18.03.2008 aufgefundenen Notizen, die sinngemäß ebenfalls Überlegungen dokumentieren, Erträge aus einem Viertel des Gesamtdarlehensbetrags (also 10% von 50.000 €) „schwarz“ zu erhalten. Dies ergibt genau den Betrag in Höhe von 5.000 € jährlich, der in den Steuererklärungen fehlte. Auch die Reaktion des Vaters der Klägerin in der Vernehmung auf die Konfrontation mit der Problematik Steuerhinterziehung wertet der Senat als weiteres Indiz dafür, dass ihm bekannt und bewusst war, was er tat. Nach der erneuten Belehrung hat er die Vernehmung sofort abgebrochen und wollte sich erst mit seinem Anwalt beraten. Wenn an einem solchen Vorwurf aus seiner Sicht „nichts dran“ gewesen wäre, hätte er dies freimütig äußern können.
Da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der Vater der Klägerin in den Streitjahren mindestens die in den Bescheiden vom 26.08.2019 angesetzten Zinseinkünfte aus den Darlehensverträgen mit der X KG in Höhe von 18.000 € erhalten hat und über die tatsächliche Höhe der Zinseinkünfte bewusst und gewollt, falsche Angaben in den Steuererklärungen gemacht hat, war die Klage („nur“) abzuweisen. Eine Verschlechterung der Position des Klägers im Vergleich zum Zustand vor Klageerhebung (reformatio in peius) scheidet im finanzgerichtlichen Verfahren regelmäßig aus.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 Nrn. 1, und 2, FGO genannten Zulassungsgründe gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.


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