Verkehrsrecht

Verkehrsunfall, Schmerzensgeld, Unfall, Krankenkasse, Arbeitgeber, Schadensersatzanspruch, Arbeitsvertrag, Anscheinsbeweis, Einstandspflicht, Behinderung, Geschwindigkeit, Krankengeld, Mitverschulden, Verdienstausfallschaden, ersparte Aufwendungen, Ermessen des Gerichts, kein Anspruch

Aktenzeichen  17 O 21224/16

Datum:
29.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 56166
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.233,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.06.2016 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren materiellen und künftigen immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 26.11.2014 auf der … in … zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialhilfeträger übergegangen ist oder noch übergehen wird.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 68 % und die Beklagte 32 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für den Zeitraum bis zum 09.08.2020 auf 60.301,57 € und ab dem 10.08.2020 auf 63.444,88 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
1. Das Landgericht München I ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO bzw. § 20 StVG zuständig.
2. Feststellungsinteresse
Der Kläger hat darüber hinaus ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.
a) Ein Interesse an der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines Rechtsguts liegt vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass solche Schäden eintreten. Insoweit ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Ein berechtigtes Interesse ist nur dann zu verneinen, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH NJW-RR 2007, 601). Eine Feststellungsklage ist auch dann zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise nicht beziffern kann. Selbst wenn bereits ein Teil des Anspruchs bezifferbar ist, kann der Kläger diesen Teil entweder durch Leistungsklage und den Rest durch einen ergänzenden Feststellungsantrag geltend machen oder er kann stattdessen auch den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage einklagen (BGH NJW 1984, 1552, 1554).
b) Diesen Anforderungen wird die Klage gerecht. Denn wie die Sachverständigen … und … in ihren Gutachten vom 16.06.2018 feststellten, hat der Kläger unfallbedingt eine Radialfraktur am linken Handgelenk sowie mehrere Bandrupturen im rechten Kniegelenk und eine dauerhafte Schädigung des Nervus Peronaeus erlitten. Infolge dieser unfallbedingten Verletzung ist es zu einem Dauerschaden insbesondere im rechten Kniegelenk mit Bewegungseinschränkungen und aufgrund der Nervenlähmung zu einem gestörten Gangbild gekommen. Die dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nach den Feststellungen der Sachverständige … mit 30 % einzustufen. Ferner besteht die Gefahr einer vorzeitigen arthrotischen Veränderung am rechten Kniegelenk und im linken Handgelenk.
Diesen Ausführungen der Sachverständigen schließt sich das Gericht vollumfänglich an. Die Sachverständige sind dem Gericht aus verschiedenen anderen Verfahren als fachkundig bekannt. Sie werteten alle vorliegenden Informationen umfassend aus. Die Ausführungen waren nachvollziehbar und plausibel.
c) Aufgrund des eingetretenen Dauerschadens an dem rechten Kniegelenk und auch aufgrund der Gefahr einer vorzeitigen arthrotischen Veränderung ist es aber nicht auszuschließen, dass künftig weitere Schäden eintreten. Die Schadensentwicklung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Damit kommt dem Kläger hinsichtlich des gesamten bereits eingetretenen und künftig noch eintretenden Schadens ein Feststellungsinteresse zu. Auch wenn die Beklagte bereits 80 % der Einstandspflicht anerkannt hat, hat der Kläger dennoch ein Feststellungsinteresse an der 100 %-igen Einstandspflicht, da die Einstandspflicht von Seiten der Beklagten teilweise bestritten wurde und es dem Kläger nicht zumutbar ist, sich hinsichtlich 80 % auf eine schriftlich anerkannte Einstandspflicht und hinsichtlich 20 % auf ein Feststellungsurteil zu berufen, zumal sich die Anerkennung der Einstandspflicht auch nur auf die materiellen Schäden bezieht.
II.
1. Schadensersatzanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG und § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB jeweils in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von weiteren 1.465,25 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG und § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB jeweils in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.
a) Unabwendbarkeit gemäß § 17 Abs. 3 StVG
Weder der Klage- noch der Beklagtenseite ist es gelungen, nachzuweisen, dass der Unfall ein für sie unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellte.
b) Nach den plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen … hätte die Beklagtenfahrzeugführerin den Kläger mit seinem Kraftrad in jeder möglichen Unfallversion als herannahendes, bevorrechtigtes Fahrzeug erkennen können. Ausgehend von dem vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Kollisionsbereich konnte ein 3,95 m langes Bremsspurfragment des unfallbeteiligten Kraftrades mit geradlinigem Verlauf festgestellt und nachvollzogen werden. Das bedeutet, dass sich das Klägerfahrzeug bei Einleitung der Abwehrbremsung bereits im Bereich der linken Fahrspur im zentralen Bereich befunden haben muss. Wertet man die Versuche, die der Sachverständige hinsichtlich des Spurwechsels von Krafträder durchgeführt hat, korrekt aus, ergibt sich, dass der Kradfahrer ca. 1,25 Sekunden vor Kollisionskontakt gebremst hat. Da der Kläger bei Einleitung der Abwehrbremsung aber bereits gerade ausgerichtet war, musste er zuvor den Spurwechsel durchgeführt haben. Der Spurwechsel liegt in einer Zeitspanne von 2,9 bis 3,2 Sekunden. Es ergibt sich damit, dass der Spurwechsel des klägerischen Fahrzeug spätestens 4,15 Sekunden vor Kollisionskontakt eingeleitet worden sein muss. Dahingegen benötigte das Beklagtenfahrzeug vom Anfahrtstart bis zur Kollisionsposition ca. 2 Sekunden. Der Vergleich dieser Zeiten ergibt, dass sich der Kläger in jedem Fall als spurwechselndes Fahrzeug bereits deutlich im Bereich des linken Fahrstreifens befand, als sich die Beklagtenfahrzeugführerin entschlossen hat, in die linke Fahrspur einzufahren.
c) Allerdings konnte auch der Kläger nicht nachweisen, dass der Unfall ein für ihn unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 dargestellt hat. Denn wie die Unfallanalyse ergab, betrug die Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs 50 bis 70 km/h. Berücksichtigt man nun das Bremsspurenfragment von 3,95 Meter vor dem Kollisionskontakt sowie eine Bremsverzögerung von 7 bis 9 m/s² und eine Bremsschwellenverzögerung, ergibt sich eine Bremsausgangsgeschwindigkeit für das unfallbeteiligte Kraftrad von 63 bis 84 km/h. D.h. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h war durch den Kläger jedenfalls überschritten. Betrachtet man nun die Frage, ob der Kläger bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit rechtzeitig hätte bremsen können, ergibt sich nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass sich eine Vermeidbarkeit für den Kläger nicht ausschließen lässt. Denn die Abwehrreaktion seitens des Klägers erfolgte ca. 26 bis 28 m vor Kollisionskontakt. Bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 50 km/h liegt der Anhalteweg je nach angesetzter Verzögerung bei 25,9 bis 28,1 m. Vergleicht man nun die tatsächliche Entfernung von 28 m mit einem möglichen kurzen Anhalteweg von 25,9 m, würde sich eine Vermeidbarkeit für den Kläger ergeben. Die Beweislast für ein unabwendbares Ereignis liegt jedoch bei dem Unfallbeteiligten, der sich darauf beruft.
d) Haftungsquote
Die in der Folge gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge ergibt eine alleinige Haftung der Beklagtenseite.
aa) Denn gegen die Beklagte spricht der Anscheinsbeweis aus § 9 Abs. 5 StVO. Wer wendet muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.
Dass die Beklagtenfahrzeugführerin wenden wollte, war zwischen den Parteien unstreitig. Dies wurde von der Zeugin … auch noch einmal bestätigt.
bb) Der Beklagtenseite ist auch nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften.
Lediglich wenn bei dem Unfall weitere Umstände hinzutreten, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen, kann der Beweis des ersten Anscheins erschüttert werden. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis sprechen soll, schuldhaft gehandelt hat. Hierzu ist eine umfassende Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens im Einzelfall erforderlich. Diese über das typische Kerngeschehen hinausgehenden Umstände müssen jedoch feststehen, mithin unstreitig, zugestanden oder positiv festgestellt sein. Dabei obliegt es demjenigen, gegen den der Anscheinsbeweis streitet, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass weitere Umstände vorliegen, die dem feststehenden Sachverhalt die Typizität wieder nehmen. Er hat den Anscheinsbeweis zu erschüttern (BGH NJW 2017, 1177, 1178).
Das ist der Beklagtenseite nicht gelungen. Zwar hat die Zeugin … angegeben, dass sie vor dem Einfahren in die Kreuzung noch einmal stehen geblieben sei, die Straße kontrolliert und sie dabei den Kläger nicht gesehen habe. Wie der gerichtliche Sachverständige … aber plausibel und nachvollziehbar ausführte, wäre der Kläger für die Zeugin … bei jeder möglichen Unfallversion als spurwechselndes, bevorrechtigtes Fahrzeug erkennbar gewesen.
cc) Der Anscheinsbeweis wird auch nicht dadurch entkräftet, dass der Kläger mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist.
Davon ist das Gericht zwar aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme überzeugt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde zwar vom Kläger in den mündlichen Verhandlungen vehement bestritten. Der Kläger schilderte, dass er auf die Ampel mit gedrosselter Geschwindigkeit nach dem Spurwechsel zugefahren sei. Seine Geschwindigkeit dürfte hier bei 5 bis 10 km/h gelegen habe. Er sei gerollt bzw. nahezu gestanden. Ca. auf Höhe des zweiten nach rechts abbiegenden Fahrzeugs, eventuell auch etwas weiter vorne, habe die Ampel auf Grün umgeschaltet und er habe normal beschleunigt. In etwa 15 bis 20 m später sei es zur Kollision gekommen. Er habe noch versucht, zu bremsen.
Dahingegen gab die Zeugin … an, dass sie davon ausgehe, dass der Kläger sehr schnell gefahren sei. Sie schlussfolgerte das daraus, dass ihr Fahrzeug durch die Kollision zur Seite gehoben worden sei und einen Achsschaden erlitten habe.
Etwas detaillierter und mit mehr Gehalt konnte der Zeuge … die Unfallsituation schildern. Dieser gab bei seiner Anhörung an, dass der Kläger hinter den Fahrzeugen auf der rechten Spur auf die linke Spur gewechselt und stark beschleunigt habe. Man habe das starke Beschleunigen beim Hochfahren des Motorrads gehört und auch gesehen, wie das Krad durch das starke Beschleunigen aus der Gabel herausgekommen sei, der Lichtkegel habe sich nach oben bewegt. Das habe man deutlich gesehen.
Letztlich wurde die überhöhte Geschwindigkeit, wie bereits oben ausgeführt, auch vom gerichtlichen Sachverständigen bestätigt. Wie bereits ausgeführt, konnte dieser durch eine Kollisionsanalyse und Auswertung der Schadensbilder eine Kollisionsgeschwindigkeit des Klägers in Höhe von 50 bis 70 km/h feststellen. Bei Berücksichtigung des Bremsspurenfragments von 3,95 m ergibt sich eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 63 bis 84 km/h. Damit wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eindeutig überschritten.
Da der Wendende aber mit verkehrsüblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen rechnen muss, reicht eine festgestellte Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit für sich genommen noch nicht aus, um den Anscheinsbeweis zu entkräften. Die bei einem Wendemanöver bestehende Verschuldensvermutung wird durch einen Geschwindigkeitsverstoß des anderen Unfallbeteiligten vielmehr nur dann infrage gestellt, wenn der Unfall sich auch bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt ereignet haben könnte. Der Wendende darf auf die Einhaltung einer angemessenen oder üblicherweise noch tolerierten Geschwindigkeit des bevorrechtigten Kraftfahrers nur solange vertrauen, als er bei sorgfältiger Beobachtung des Verkehrs nicht erkannte oder erkennen musste, dass dieser sich mit einer höheren Geschwindigkeit nähert. Dies ist dann der Fall, wenn der Herannahende für den Wendenden bei Berücksichtigung der konkreten Straßenführung nicht sichtbar war oder eine so erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorgelegen hat, dass der Wendende bei Beginn des Wendemanövers aufgrund der Entfernung mit einer Behinderung des Herannahenden noch nicht zu rechnen brauchte. Dies kann bei einer Überschreitung um 50 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit angenommen werden. Eine solche kann dem Kläger aber nicht nachgewiesen werden. Zudem stellte der gerichtliche Sachverständige fest, dass die Beklagtenfahrzeugführerin den Kläger auch bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit rechtzeitig hätte wahrnehmen und den Unfall vermeiden können, wenn sie den Wendevorgang unterlassen hätte.
Dieser Verstoß des Klägers wurde allerdings nicht nachweislich unfallkausal. Denn wie der gerichtliche Sachverständige ebenfalls ausführte, leitete der Kläger seine Abwehrreaktion, die Abwehrbremsung, ca. 26 bis 28 Meter vor dem Kollisionskontakt ein. Bei einer gefahrenen Geschwindigkeit läge der Anhalteweg je nach angesetzter Verzögerung bei 25,9 m bis 28,1 m. Vergleicht man nun die tatsächliche Entfernung von 26 Metern mit einem Anhalteweg von 50 km/h hätte der Kläger auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit das Unfallgeschehen nicht mehr vermeiden können. Soweit der Parteisachverständige zu dem Ergebnis kam, dass der Unfall für den Kläger jedenfalls vermeidbar gewesen wäre, wenn die max. 50 km/h gefahren wäre, führte der gerichtliche Sachverständige plausibel und nachvollziehbar aus, dass dem Parteisachverständigen hier ein Rechenfehler unterlaufen ist.
Damit wird der Anscheinsbeweis gegen die Beklagtenseite entgegen der Ansicht der Beklagtenseite nicht entkräftet. Denn zum einen ist schon nicht nachweisbar, dass der Verkehrsverstoß des Klägers unfallkausal wurde. Zum anderen stellte der gerichtliche Sachverständige fest, dass die Beklagtenfahrzeugführerin den Kläger auch bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit rechtzeitig hätte wahrnehmen und den Unfall vermeiden können, wenn sie den Wendevorgang unterlassen hätte. Damit ist die Beklagtenfahrzeugführerin ihren Pflichten aus § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen.
dd) Dem Kläger kann aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit auch kein Mitverschulden im Sinne von § 9 StVG in Verbindung mit § 254 Abs. 1 BGB angelastet werden. Zwar fuhr der Kläger zur Überzeugung des Gerichts mit überhöhter Geschwindigkeit. Wie bereits ausgeführt, konnte allerdings eine Unfallkausalität dieser Geschwindigkeitsüberschreitung nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden.
Damit verbleibt es bei dem Anscheinsbeweis aus § 9 Abs. 5 StVO.
ee) Eine Abwägung all dieser Gesamtumstände ergibt, dass das grobe Verschulden der Beklagtenseite derart überwiegt, dass selbst die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs dahinter zurücktritt. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass dem klägerischen Fahrzeug aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit eine erhöhte Betriebsgefahr zukommt. Allerdings hat sich diese erhöhte Betriebsgefahr zum einen nicht nachweislich ausgewirkt. Im Rahmen von § 17 StVG dürfen aber nach anerkannten Rechtsgrundsätzen nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die sich erwiesenermaßen unfallkausal ausgewirkt haben. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (OLG Saarbrücken NJOZ 2009, 916, 918). Zum anderen erlegt § 9 Abs. 5 StVO dem Wendenden hohe Sorgfaltspflichtanforderungen auf, und zwar die höchsten, die die StVO kennt: Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ist auszuschließen. Beim Wenden ist daher das äußerste Maß an Sorgfalt anzuwenden, damit der fließende Verkehr nicht gefährdet wird. Diesen Anforderungen ist die Beklagtenfahrzeugführerin schlichtweg nicht nachgekommen, indem sie den Fahrtweg nicht bzw. nicht ausreichend kontrolliert hat. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob der Kläger bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit möglicherweise geringere Verletzungsfolgen davon getragen hätte. Ein entsprechender Erfahrungssatz existiert bereits nicht. So hätte es auch sein können, dass der Kläger bei einer geringeren Aufprallgeschwindigkeit nicht über das Beklagtenfahrzeug hinweg, sondern gegen das Beklagtenfahrzeug geschleudert worden wäre, mit der Folge, dass die gesamte Aufprallenergie vom Körper des Klägers absorbiert worden wäre. In einem solchen Fall kann es sein, dass die Verletzungsfolgen sogar noch gravierender gewesen wären. Die Beklagtenseite hätte also konkret vortragen müssen, welche Verletzungsfolgen nicht eingetreten wäre. Aber selbst wenn man unterstellt, dass die Verletzungsfolgen geringer gewesen wäre, überwiegt das Verschulden der Beklagtenseite angesichts des Verstoßes gegen § 9 Abs. 5 StVO derart, dass eine nicht extreme Geschwindigkeitsüberschreitung noch nicht zu einer Mithaftung führt.
e) Schadenshöhe
aa) Verdienstausfallschaden
Dem Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts allerdings kein Verdienstausfallschaden für den geltend gemachten Zeitraum von Februar 2015 bis Juli 2016 entstanden.
Denn unstreitig war das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem bisherigen Arbeitgeber zum 31.12.2014 beendet worden.
Dass der Kläger bereits im Januar 2015 ein neues Arbeitsverhältnis bei dem Unternehmen … mit einem Jahresbruttogehalt von 40.000,00 € hätte eingehen können, steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts allerdings nicht fest.
(1) Zwar scheint sich ein solches Beschäftigungsverhältnis aus Anlage K9 zu ergeben. Mit Schreiben vom 22.04.2015 bestätigte der Geschäftsführer dieses Unternehmens, dass sie von dem Kläger an dem Probearbeitstag sehr überzeugt gewesen seien und der Kläger gerne eingestellt worden wäre, wenn der Unfall nicht dazwischen gekommen wäre.
(2) Auch der Kläger schilderte, dass es zwar noch keinen unterschriebenen Vertrag gegeben habe, aber die Unterschrift kurz bevor gestanden habe. Es sei bereits ein zweiter Probearbeitstag vereinbart gewesen. Wenn dieser erfolgreich gewesen wäre, wäre es zur Vertragsunterzeichnung gekommen.
(3) Bei seiner Vernehmung am 22.09.2020 konnte sich der Zeuge … aber an diese Umstände nicht erinnern. Dem Zeugen war bereits nicht bekannt, dass sich der Kläger schon zu einem Probearbeitstag eingefunden haben soll. Vielmehr ging der Zeuge davon aus, dass sich der Kläger, als sich der Unfall ereignet habe, gerade auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch befunden habe, das dann infolge des Unfalls nicht mehr durchgeführt werden konnte.
Der Zeuge bestätigte auch, dass die Bewerbungsgespräche für das Unternehmen sehr wichtig seien. Die persönlichen und fachlichen Komponenten müssten einfach stimmen. Es gäbe bei den Bewerbungsgesprächen ein bis zwei Runden. Im Falle des Klägers sei es zu diesem ausführlichen Bewerbungsgespräch nicht mehr gekommen. Auch nach dem Unfall sei es nicht mehr zu einem Bewerbungsgespräch gekommen. Die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch sei auch noch keine Garantie für eine Einstellung.
Allgemein erläuterte der Zeuge … dass es zu einem Probearbeitstag nur käme, wenn der Bewerber dies wünsche. Man würde einen solchen Probearbeitstag aber nur durchführen, wenn man sich über die Einstellung grundsätzlich einig sei, weil dies mit viel Aufwand verbunden sei. Grundsätzlich würde auch nur ein Probearbeitstag durchgeführt.
Auf Vorhalt von Anlage K9 erklärte der Zeuge dann, dass er sich an diesen Schreiben nicht mehr erinnern könne. Er gab zwar auch an, dass er davon ausgehe, dass ein Probearbeitstag bereits stattgefunden habe, wenn in dem Schreiben vom 22.04.2015 ein solches genannt sei. Er würde bei so etwas nicht lügen. Es handle sich um keine reine Gefälligkeit. Der Zeuge bestätigte auch, dass es sich auf diesem Schreiben um seine Unterschrift handle, und er keine Zweifel habe, dass das Schreiben von ihm stamme. Aber auch auf mehrmalige Nachfrage und wiederholten Vorhalt hin konnte bei dem Zeuge keine Erinnerung an dieses Schreiben hervorgerufen werden. Er konnte sich nicht erklären, wie es zu diesem Schreiben gekommen ist.
(4) Aufgrund dieser Angaben konnte sich das Gericht nicht ausreichend davon überzeugen, dass der Kläger im Januar 2015 dieses Arbeitsverhältnis hätte beginnen können. An entsprechende Einstellungsabsichten konnte sich der Zeuge … nicht erinnern. Zwar beteuerte der Zeuge, dass er ein solches Schreiben wie in Anlage K9 nicht als Gefälligkeit aufgesetzt hätte. Allerdings setzte bei diesem Zeugen zu dem Schreiben vom 22.04.2015 überhaupt keinerlei Erinnerung ein. Der Zeuge konnte damit auch nicht erklären, unter welchen Umständen dieses Schreiben entstanden ist. Er konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, dass ihn der Kläger deshalb kontaktiert haben soll. Er mutmaßte, dass eventuell eine diesbezügliche Kontaktaufnahme über einen Personalberater erfolgt sei. Vor Vorhalt von Anlage K9 ging der Zeuge sogar davon aus, dass ein Vorstellungsgespräch mit dem Kläger überhaupt noch nicht stattgefunden hat. Auch an einen Probearbeitstag konnte er sich nicht erinnern.
Diese fehlende Erinnerung führt vor allem deshalb zu Verwunderung, weil der Zeuge selbst angab, dass es sich bei dem Fall … um einen besonderen Fall handelte. Sie hätten zwar viele Bewerber. Der Kläger sei jedoch der einzige gewesen, der auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch verunglückt sei. Allein aufgrund dieser Umstände müsste man sich eigentlich an derartige Besonderheiten, wie ein Bestätigungsschreiben, durchaus erinnern können. Das Gericht hat zwar keine Gründe, an der Aussage des Zeugen zu zweifeln. Er war bei der Vernehmung sichtlich bemüht, seine Erinnerung aufzufrischen. Dies gelang ihm jedoch nicht.
Ferner mutet es – wie auch der Zeuge feststellte – etwas merkwürdig an, dass in dem Schreiben vom 18.04.2016 von einem zweiten Probearbeitstag vom 29.05.2015, also nach dem Unfall, die Rede war. Zudem ist auf die Widersprüchlichkeit hinzuweisen, dass der Zeuge angab, dass im Regelfall nur ein Probearbeitstag durchgeführt werde.
Weitere Beweisangebote seitens der Klagepartei zum Nachweis, dass dieses Arbeitsverhältnis tatsächlich eingegangen worden wäre, lagen nicht vor.
bb) Sonstige materielle Schäden
(1) Anspruchsschreiben vom 07.09.2015
In Bezug auf die mit Schreiben vom 07.09.2015 geltend gemachten materiellen Schäden kann der Kläger weitere 1.465,25 € verlangen.
Der Umstand, dass die Klagepartei hinsichtlich dieser Schadenspositionen Bezug nimmt auf die Anlage K10, führt nicht per se zur Unschlüssigkeit der Klage. Zwar sind Gerichte nicht verpflichtet sind, umfangreiche, ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren. Auch kann erforderlicher Sachvortrag nicht durch die bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden. Allerdings darf seitens des Gerichts eine Bezugnahme auf eine Anlage nicht einfach ignoriert werden, wenn hinsichtlich von Schadenspositionen auf konkrete Anlagen Bezug genommen werden, die aus sich heraus verständlich sind und vom Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit verlangen. Es wäre eine durch nichts zu rechtfertigende Förmelei, wollte man den Prozessbevollmächtigten für verpflichtet halten, die Aufstellung abschreiben zu lassen, um sie in den Schriftsatz selbst zu integrieren (BGH NJW 2019, 1082, 1083). Eine unterbliebene Berücksichtigung würde einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör darstellen.
Entgegen der Ansicht der Beklagtenpartei führt der Umstand, dass die Klageseite hier einen Restbetrag in Höhe von 1.575,25 € durch Auflistung einzelner Schadenspositionen abzüglich des von der Beklagtenseite hierauf insgesamt geleisteten Betrages in Höhe von 6.301,00 € geltend macht, ebenfalls zu keinem unschlüssigen Klagevortrag. Denn wie eine Auslegung der Ausführungen in der Klageschrift in Zusammenspiel mit der Anlage K10 ergibt, fordert die Klagepartei von all diesen Schadenspositionen die ausstehenden 20 % ein. In Anlage K 10 ist aufgelistet, welche Schadenspositionen der Kläger geltend macht. In Anlage K 10 werden diese Positionen auch ausdrücklich als Unfallschaden bezeichnet. Zugleich ist in der Klageschrift ausgeführt, dass sich im Hinblick auf die von der Beklagten zu Unrecht in Ansatz gebrachten Mithaftung, die von der Beklagtenseite mit 20 % angesetzt worden war, Differenzbeträge ergeben. Da die Beklagtenpartei zugleich einen Mitverschuldenseinwand in Höhe von 20 % erhob und daher unstreitig lediglich 80 % der Forderungen beglich, ergibt eine Auslegung der Tilgungsbestimmung der Beklagtenseite, dass die Beklagtenseite auf jede einzelne der Schadenspositionen 80 % bezahlte. Im Umkehrschluss will die Klägerseite die jeweils noch ausstehenden 20 % dieser Schadenspositionen geltend machen.
Soweit hier von Klageseite nicht im Einzelnen vorgetragen wurde, um welche Schadenspositionen es sich handelte, führt das nicht zu einem unsubstantiierten Sachvortrag. Denn es ist festzuhalten, dass die Beklagtenpartei vorgerichtlich diese Positionen letztlich zu 80 % beglichen hat und auch mit Ausnahme des Eigenanteils in Höhe von 110,00 € im gerichtlichen Verfahren weder die Positionen im Einzelnen noch deren Höhe bzw. deren Unfallbedingtheit bestritten hat. Die Beklagtenpartei hätte angesichts dieser Umstände konkret vortragen müssen, welche Positionen zu beanstanden sind. Das Bestreiten sämtlicher dieser Positionen, ohne weiteren Vortrag, ist als zu pauschal und damit als unbeachtlich einzustufen.
Die Beklagte hat in der Folge die in Anlage K 10 aufgelisteten Positionen in Höhe von 7.766,25 € (7.876,25 € ./. 110,00 €) zu begleichen.
Der Eigenanteil für den Aufenthalt in der Chirurgischen Klinik … vom Unfalltag bis zum 08.12.2014 in Höhe von insgesamt 110,00 € ist dem Kläger hingegen nicht zu erstatten. Denn wie die Beklagtenseite zu Recht ausführte, muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass er durch den Klinikaufenthalt ersparte Aufwendungen dahingehend hatte, dass er sich zu Hause nicht selbst versorgen musste. Diese Aufwendungen pro Tag schätzt das Gericht im Rahmen von 287 ZPO auf 10,00 € pro Tag. Damit wird dieser Eigenanteil kompensiert durch die Vorteilsanrechnung.
Auf diese Schadenspositionen hat die Beklagte bereits 6.301,00 € bezahlt. Damit verbleiben noch 1.465,25 €, die die Beklagte zu begleichen hat.
cc) Anspruchsschreiben vom 23.10.2015
Soweit der Kläger einen ausstehenden Betrag in Höhe von 12,40 € aus der Kostenaufstellung vom 23.10.2015 einfordert, ist der Klagevortrag bereits unschlüssig. Aus dem Klagevortrag ergibt sich nicht, welche Schadenspositionen hier im einzelnen in der Klage noch geltend gemacht werden sollen. Denn ausweislich der Klage soll der materielle Schaden 238,20 € betragen haben. Aus Anlage K 11 ergibt sich aber ein Betrag von 213,80 € zuzüglich Fahrtkosten in Höhe von 74,40 € und mithin in einer Gesamthöhe von 288,20 €. Abzüglich der klägerseits beglichenen 225,80 € ist für das Gericht daher nicht ersichtlich, wie sich die nunmehr verlangten 12,40 € auf die in Anlage K 11 aufgeschlüsselten Schadenspositionen aufteilen sollen. Eine bloße Saldoklage ist aber unzulässig. Im Gegensatz zu dem Anspruchsschreiben vom 07.09.2015 kann dies auch nicht durch Auslegung ermittelt werden. Einerseits könnte es sich bei den in der Klageschrift angeführten 238,20 € um einen Schreibfehler handeln (ursprünglich waren 288,20 € gefordert) oder um die um den Eigenanteil im Krankenhaus … gekürzte Summe. Im letzteren Fall stellt sich allerdings die Frage, ob weiterhin die Fahrtkosten geltend gemacht werden sollen. Diese Unsicherheiten gehen zulasten der Klagepartei.
dd) Anspruchsschreiben vom 29.12.2015
Hinsichtlich der Schadensaufstellung von 29.12.2015 ist der Klagevortrag nicht substantiiert genug. Entgegen der Ansicht der Beklagtenpartei stellt sich hier zwar nicht das Problem der unzulässigen Saldoklage, da die Positionen in Anlage K13 vollständig eingeklagt werden. Entgegen der Positionen aus der Schadensaufstellung vom 07.09.2015 wurden auf diese Positionen von Beklagtenseite bisher keine Leistungen erbracht. Es kann daher aber in der Folge auch nicht die Rede davon sein, dass diese Positionen von Beklagtenseite dem Grunde und der Höhe nach anerkannt worden sind. Aus der Auflistung in Anlage K12 ergibt sich die Unfallbedingtheit dieser Positionen auch nicht. Entsprechende Belege sind dem Gericht ebenfalls nicht vorgelegt worden. Für das Gericht ist daher nicht nachvollziehbar, welche Positionen bzw. aus welchem Grund diese Positionen unfallbedingt sind. Auf den Umstand, dass eine reine Bezugnahme auf die Anlagen nicht genügt, wurde die Klagepartei auch hingewiesen.
2. Schmerzensgeldanspruch
Dem Kläger steht ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 19.000,00 € zu.
Aufgrund der vom Kläger erlittenen Verletzungen sowie des Heilungsverlaufs hält das Gericht ein Schmerzensgeld in einer Gesamthöhe von 35.000,00 € für angemessen und erforderlich.
a) Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten oder als künftige Schadensfolgen erkennbar und objektiv vorhersehbar ist. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und der Funktionsbeeinträchtigung bestimmt. Dabei kommen den von dem Kläger angeführten Dauerfolgen der Verletzungen besonderes Gewicht zu.
b) Der Kläger erlitt unstreitig linksseitig eine komplexe Handgelenksfraktur, nämlich eine Radialfraktur, die operativ versorgt werden musste. Des Weiteren wurde das Knie des Klägers massiv geschädigt. Er erlitt eine Kniegelenkssubluxation. Das vordere und hintere Kreuzband sowie das rechte Außenband waren gerissen. Des Weiteren wurde der Nervus peronaeus geschädigt. Es trat eine inkomplette Peronaeusparese auf, da dieser Nerv durchtrennt war. Zusätzlich erlitt der Kläger nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen … einen schmalen Mantelpneumothorax. Dies korrespondiert mit den Angaben des Klägers, dass seine Lunge teilweise eingefallen gewesen wäre.
c) Insgesamt musste der Kläger – wie sich aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten, den Anlagen hierzu und den Angaben des Klägers ergibt – mehrere Operationen über sich ergehen lassen. Vom 28.11.2014 bis zum 08.12.2014 wurde der Kläger unmittelbar nach dem Unfall stationär behandelt. Hier wurden das Handgelenk und das Kniegelenk operativ versorgt. Von Ende Juli bis Anfang August wurde eine Transplantation des Nervus peronaeus vorgenommen. Das Kniegelenk war allerdings anhaltend instabil. Am 09.12.2015 wurde im Rahmen eines eintägigen stationären Aufenthalts das Metall aus einem linken Handgelenk entfernt. Vom 25.04.2016 bis 28.04.2016 wurde eine Kniearthroskopie rechts durchgeführt. Von Juli bis Anfang August 2016 wurde eine Rekonstruktion des Kreuzbandes vorgenommen. Vom 15.09.2017 bis zum 17.09.2017 erfolgte eine Entfernung einer Peak-Power-Platte und von sieben Schrauben aus dem Knie.
d) Laut den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen besteht derzeit im linken Handgelenk eine enggradige eingeschränkte Beweglichkeit, insbesondere bei Dorsalextension und Palmarflexion. Aufgrund von Schmerzen im linken Handgelenk war eine Umwendbewegung im linken Ellbogengelenk nur enggradig möglich. Die Sachverständige konnte auch feststellen, dass es zu einem diskreten Ulnavorschub von 2 mm kam. Es gibt zudem Anzeichen einer beginnenden arthrotischen Veränderung.
In Bezug auf das Knie konnte die gerichtliche Sachverständige feststellen, dass die Streckung und Beugung am rechten Knie derzeit enggradig eingeschränkt ist. Die Kniescheibe war kaum verschieblich. Die Prüfung der Stabilität der Kreuzbands ergab allerdings eine vollständige Stabilität des vorderen hinteren Kreuzbandes sowohl des Innenband- als auch des Außenbandkomplexes. Im Sitzen besteht ein Fallfuß, aktiv kann der Vorfuß nicht gehoben werden. Es bestand auch eine deutliche Verschmächtigung des Unterschenkels und der Vorfußregion am rechten Bein. Die rechte Fußsohle war deutlich minderbeschwielt. Das heißt, der Kläger belastet das rechte Bein deutlich weniger als das linke. Auch passiv besteht eine deutliche Bewegungseinschränkung. Das untere Sprunggelenk kann nicht willkürlich angesteuert werden. Die willkürliche Zehenbeweglichkeit ist ebenfalls nicht gegeben.
Nach Abnahme der Peronaeus-Schiene besteht rechts ein Stepper-Gang. Es ist eine massive Abrollstörung im rechten Knie und im oberen und unteren Sprunggelenk rechtseitig ersichtlich. Differenzierte Gangarten konnte der Kläger rechtseitig nur angedeutet vorführen. Der Stand auf dem rechten Bein war unsicher.
Durch den operativen Eingriff konnte die Peronaeus-Lähmung nicht vollständig beseitigt werden. Der Kläger leidet nach den Feststellungen der gerichtlichen Feststellungen bis heute unter den Folgen dieser Nervenverletzung. Der Heilungsverlauf war auch durchaus langwierig. Er war durch Komplikationen geprägt, zusätzlich zu den Zeitverzögerungen des Behandlungsverlaufs durch die eingetretene Nervus Peronaeusparese kam es noch zu einer Kniestreife, die langwierig behandelt werden musste.
e) Auch der Kläger schilderte mit diesen Befunden korrespondierende Beschwerden. Gegenüber der Sachverständigen gab der Kläger an, dass die Beweglichkeit des linken Handgelenks eingeschränkt ist und bei Belastung schmerze. Hinsichtlich des Nervenschadens sei nur eine geringfügige Besserung eingetreten. Das rechte Kniegelenk sei aber soweit stabil. Verblieben seien Bewegungseinschränkungen. Auch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung schilderte er diese nach wie vor bestehenden Einschränkungen. Sport könne er mit Ausnahme von Schwimmen und Fahrradfahren nicht mehr ausüben. Normales Gehen würde aber funktionieren.
f) Auch wenn der Kläger angab, dass er bis zum Dezember 2016 arbeitsunfähig gewesen sei, ist diese lange Dauer der Arbeitsunfähigkeit durch die dokumentierten Verletzungen nicht lückenlos erklärbar. Da keine ausreichenden Befundberichte vorlagen, musste die gerichtliche Sachverständige von einem regulären Heilungsverlauf ausgehen. Die gerichtliche Sachverständige konnte in der Folge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % nach dem 28.11.2014 für drei Monate also bis Ende Februar 2015 feststellen. Nach operativer Behandlung war eine Ruhigstellung des Handgelenks von sechs Wochen und des Knies von sechs bis acht Wochen erforderlich. Eine erneute Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % trat am 21.07.2015 ein, wobei hier nach Nervenersatzplastik mit einer Arbeitsunfähigkeit von vier bis sechs Wochen zu rechnen ist. Weiterhin ergab sich eine erneute Arbeitsunfähigkeit vom 25.04.2016 von weiteren vier bis sechs Wochen. Nach dem Eingriff vom 29.07.2016 ist mit einer Arbeitsunfähigkeit von wiederum zwölf Wochen zu rechnen. Zwischen diesen Zeiten lag eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von insgesamt jeweils 30 % vor, wobei sich auf unfallchirurgischem Fachgebiet eine Minderung von 20 % und auf neurologische Fach von ebenfalls 20 % ergab.
g) Aufgrund der enggradig eingeschränkten Beweglichkeit des linken Handgelenks, der radiologisch nachweisbaren Präarthrose im linken Handgelenk sowie der Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass auch hier vorzeitig eine Arthrose einsetzen wird, ergibt sich nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen unter Einschluss der neurologischen Folgen ein Dauerschaden von 30 %.
h) Zu der Frage der Haushaltsführungsfähigkeit konnte die gerichtliche Sachverständige … feststellen, dass der Kläger vom 28.11.2014 für einen Zeitraum von sechs Wochen eine Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit von 100 % aufwies. Danach ergab sich für den Zeitraum von weiteren zwei Monaten eine Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit von 40 %. Nach Abschluss der genannten drei Monaten bestand eine dauerhafte Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit von 10 %, was allerdings kompensierbar ist.
i) Ferner ist bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen, dass der Kläger dauerhaft eine Peronaeus-Schiene tragen muss. Soweit der Kläger die Schiene trägt, ist das Gangbild nur geringfügig beeinträchtigt. Ohne die Schiene besteht jedoch zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen eine deutliche Einschränkung des Gangbildes, es besteht ein Steppergang. Ferner bestehen erhebliche Beeinträchtigungen im Bereich des Sportes. Fußballspielen oder Snowboarden wird nicht mehr möglich sein. Auch sind die Gehstrecken eingeschränkt. Bezüglich der linken Hand ist hingegen nur von einer diskreten Mindergebrauchsfähigkeit auszugehen.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände, insbesondere der vom Kläger erlittenen Verletzungen, der anhaltenden Bewegungseinschränkungen im linken Handgelenk und dem rechten Knie, dem Umstand, dass der Kläger durch die Peronaeus-Lähmung eine Fußheberschwäche mit einhergehendem gestörten Gangbild hat und der Gefahr, dass der Kläger sowohl im Handgelenk als auch im Kniegelenk frühzeitig eine Arthrose erleiden wird, sieht das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000,00 € für angemessen an. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass beim Kläger ein Dauerschaden in Form einer dauerhaften MdE von 30 % eingetreten ist und er dauerhaft auf das Tragen einer Schiene angewiesen ist. Schließlich war auch zu berücksichtigen, dass der Heilungsverlauf des Klägers sehr langwierig war und er sich mehreren Operationen unterziehen musste.
j) Dieses Schmerzensgeld korrespondiert auch mit anderen Gerichtsentscheidungen.
aa) So entschied das Oberlandesgericht Frankfurt mit Urteil vom 27.04.2004, dass eine Geschädigte, die nach einer Beinverlängerung am rechten Bein ein inkomplettes Kompartmentsyndrom mit Schädigung des Nervus Peronaeus und am linken Bein ebenfalls ein Kompartmentsyndrom entwickelt hat, ein Schmerzensgeld in Höhe von 45.000,00 € erhält. Die Geschädigte litt unter häufig brennenden Schmerzen und sie konnte ohne Gehhilfe nur bis max. 15 bzw. 30 Minuten gehen. Im Unterschied zum hiesigen Fall beruhten die Beschwerden allerdings auf zwei voneinander völlig unabhängigen Ursachen, nämlich zwei unabhängigen Behandlungsfehler.
Im hiesigen Fall besteht die Fußheberlähmung hingegen „nur“ im rechten Bein. Die Verletzungen erstrecken sich nicht auf beide Beine. Allerdings hat der Kläger in hiesigen Fall zusätzlich noch eine Fraktur des Handgelenks mit andauernden Bewegungseinschränkungen und mehreren Kreuzbandrissen erlitten.
bb) Das Landgericht Berlin entschied mit Urteil vom 18.06.2008, dass einer Geschädigten ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 € zusteht, die eine komplexe Schädigung des linken Kniegelenks mit Ruptur des Außenbandes und des hinteren Kreuzbandes, traumatischen Riss des Außenmenikus, Teilruptur des vorderen Kreuzbandes, traumatischer Zerstörung der Weichteile der hinteren Kapsel auf der Außenseite, einer knöcheren Fraktur des Wadenbeinsköpfchens und einen ausgedehnten Kniegelenkserguss erlitt. Die Geschädigte musste insgesamt vier Krankenhausaufenthalte mit zwei Operationen über sich ergehen lassen. Sie war über 18 Monate lang krankgeschrieben. Ein Dauerschaden trat in Form einer MdE von 25 % auf.
Im hiesigen Fall erlitt der Kläger zwar zusätzlich eine Fußheberschwäche, die dazu führt, dass der Kläger dauerhaft eine Schiene tragen muss. Allerdings hat sich der Kläger nicht das Wadenbeinköpfchen gebrochen. Der Kläger musste im Gegensatz zu der Entscheidung des Landgerichts Berlin sechs Krankenhaushaltaufenthalte mit jeweils einer Operation über sich ergehen lassen. Allerdings war der Kläger nicht durchgängig über 18 Monate arbeitsunfähig.
cc) Mit Urteil vom 11.11.1991 sprach das Landgericht Köln für die Lähmung des Nervus peronaeus ein Schmerzensgeld von ca. 13.000,00 € zu. Der Geschädigte musste sich wegen der Fußheberschwäche im sogenannten Stepperschritt fortbewegen. Die Bewegungsfreiheit des Geschädigten wird dadurch voraussichtlich auf Dauer eingeschränkt sein. Ferner litt der Geschädigte den eigenen Angaben nach unter starken Schmerzen in Fuß und Unterschenkel, die die Einnahme von Medikamenten notwendig machen, unter Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Beins sowie unter depressiven Verstimmungen infolge seiner Behinderung.
Im Unterschied zum hiesigen Fall ist natürlich zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des Landgerichts Köln bereits einige Zeit zurückliegt und insoweit eine Anpassung des Schmerzensgelds an die jetzigen Verhältnisse vorzunehmen ist. Des Weiteren hat der Kläger zusätzlich umfangreiche Bandrupturen im Knie sowie eine Handgelenksfraktur erlitten.
k) Unstreitig hat die Beklagten auf das Schmerzensgeld bereits 16.000,00 € bezahlt, so dass noch ein Restbetrag in Höhe von 19.000 € verbleibt.
3. Hilfsweise Aufrechnung
a) In Höhe von 88,00 €
Der Anspruch der Klagepartei auf Erstattung materieller Schäden in Höhe von 1.465,25 € ist in Höhe von 88,00 € gemäß § 389 BGB erloschen, so dass der Kläger noch 1.377,25 € beanspruchen kann.
Denn die Beklagte erklärte hilfsweise Aufrechnung mit einem Anspruch in Höhe von 88,00 €. Da das Gericht davon ausgeht, dass dem Kläger weitere 1.465,25 € zustehen, ist die Bedingung eingetreten. Es handelt sich insoweit um eine zulässige Prozessbedingung. Die Beklagtenpartei hat ferner einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 88,00 € gegen den Kläger gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Denn wie bereits ausgeführt, wurde ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Ersatz des Eigenanteils in Höhe von 110,00 € gemäß Rechnung vom 09.12.2014 durch den Vorteilsausgleich wegen ersparter Aufwendungen kompensiert, so dass der Kläger letztlich keinen Anspruch hat. Dennoch hat die Beklagte hierauf 88,00 € bezahlt.
b) In Höhe von 3.143,91 €
Der Schmerzensgeldanspruch ist ebenfalls in Höhe von 3.197,00 € erloschen, § 389 BGB. Auch insoweit hat die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung erklärt. Zwar sind Prozesserklärungen grundsätzlich bedingungsfeindlich. Soweit die Beklagte aber die Aufrechnung unter die Bedingung stellte, dass eine Aufrechnung erfolgen solle, wenn sich herausstellt, dass der Kläger ab dem 01.01.2015 gar keine neue Stelle antreten hätte, ergibt eine Auslegung, dass die Beklagte die Aufrechnung für den Fall erklärte, dass das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Schluss kommt, dass der Kläger keine Stelle zum 01.01.2015 antritt. Dabei handelt es sich um eine zulässige Prozessbedingung. Diese Bedingung ist auch eingetreten. Der Beklagtenpartei steht ferner ein Anspruch auf Rückzahlung in Höhe von 3.143,31 € gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu. Denn dieser Betrag wurde von der Beklagtenseite auf einen etwaigen Verdienstausfallschaden des Klägers von Februar bis August 2015 bezahlt. Wie allerdings bereits ausgeführt, steht dem Kläger für diesen Zeitraum keinerlei Verdienstausfallschaden zu, da er zur Überzeugung des Gerichts nicht nachweisen konnte, dass er in diesem Zeitraum überhaupt in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt worden wäre. Es verbleibt damit ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 15.856,69 €.
4. Feststellungsantrag
Beim Kläger ist aufgrund der erlittenen Verletzungen ein Dauerschaden dahingehend eingetreten, dass seine Erwerbsfähigkeit dauerhaft um 30 % gemindert ist. Zugleich bestehen Bewegungseinschränkungen im rechten Knie und im linken Handgelenk. Ferner liegt eine dauerhafte Schädigung des Nervus Peronaeus vor. Es besteht auch die Gefahr, dass beim Kläger im linken Handgelenk und im rechten Kniegelenk frühzeitig eine Arthrose eintritt. Es besteht damit die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger künftige Schäden erleiden wird. Der Feststellungsantrag war daher begründet.
5. Zinsanspruch
Der Kläger kann Verzugszinsen seit dem 08.06.2016 verlangen, §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 BGB. Denn mit Schreiben vom 08.06.2016 teilte die Beklagte mit, dass sie lediglich ein Schmerzensgeld in Höhe von 16.000,00 € bezahlen wird. Auch hinsichtlich aller materiellen unfallbedingten Schäden gehe die Beklagte von einem 20 % Mitverschulden des Klägers aus. Das stellt eine endgültige und ernsthafte Weigerung der Begleichung von Schadenspositionen dar, die über 80 % hinausgehen, sowie von weiterem Schmerzensgeld.
III.
1. Die Kostenregelung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.
3. Der Streitwert bestimmt sich nach §§ 45 Abs. 1 S. 2, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3 ff. ZPO.
Bereits mit Stellungnahme zu dem Antrag auf Prozesskostenhilfe erklärte die Beklagte hilfsweise Aufrechnung mit 88,00 €. Mit Schriftsatz vom 10.08.2020 erklärte die Beklagte Aufrechnung mit weiteren 3.143,91 €. Diese Beträge sind gemäß § 45 Abs. 1 S. GKG dem Hauptanspruch hinzuzurechnen, nachdem über diese Ansprüche gemäß § 322 Abs. 2 ZPO eine Entscheidung erging.


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