Verwaltungsrecht

Anrechnung der Dauer der Zurückstellung eines Baugesuchs

Aktenzeichen  1 ZB 19.1446

Datum:
23.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9405
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 17 Abs. 1 S. 2
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Eine Anrechnung der Geltungsdauer einer Zurückstellung eines Baugesuchs auf die Geltungsdauer einer nachfolgenden Veränderungssperre (§ 17 Abs. 1 S. 2 BauGB) erfolgt nicht, wenn ein Baugesuch während oder nach der Geltungsdauer eine Zurückstellung, aber noch vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zurückgenommen wird. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Berufungszulassungsverfahren können regelmäßig nur die (neuen) Tatsachen und Rechtsänderungen berücksichtigt werden, die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO geltend gemacht werden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 18.1292 2019-04-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Aufstockung eines bestehenden Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück …, Gemarkung S …
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. Februar 2018 die Erteilung der Baugenehmigung ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die am 12. Juli 2017 bekanntgemachte Veränderungssperre der Beigeladenen sei wirksam und stehe dem Bauvorhaben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung trotz der Anrechnung der mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 ausgesprochenen Zurückstellung sowie der Dauer einer faktischen Zurückstellung für den Zeitraum vom 21. Juli 2016 bis zur Zustellung des Zurückstellungsbescheids entgegen. Eine Anrechnung der Dauer der Zurückstellung eines früheren Bauantrags des Klägers vom 7. Januar 2013 erfolge hingegen nicht, da der Kläger diesen Antrag am 19. April 2014 zurückgenommen habe.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. wurde nicht dargelegt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgetragenen Gründe zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf.
1. Soweit das Zulassungsvorbringen darauf abstellt, dass die Dauer der Zurückstellung des Bauantrags vom 7. Januar 2013, den der Kläger am 19. April 2014 zurückgenommen hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB anzurechnen sei, lässt es unberücksichtigt, dass eine Anrechnung der Geltungsdauer einer Zurückstellung auf die Geltungsdauer einer nachfolgenden Veränderungssperre nicht erfolgt, wenn ein Baugesuch während oder nach der Geltungsdauer eine Zurückstellung, aber noch vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zurückgenommen wird. Denn mit der Rücknahme ist das Baugenehmigungsverfahren beendet und es wird der Verfahrenslauf Baugesuch – Zurückstellung – Veränderungssperre vor dem letzten Abschnitt abgebrochen. Ein Baugesuch, das in der Addition der Geltungsdauer von Zurückstellung und Veränderungssperre ohne die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB mit einer zeitlich zu lang ausgedehnten Sperre belegt würde, gibt es dann nicht mehr (vgl. BVerwG, B.v. 13.10.2014 – 4 B 11.14 – BauR 2015, 244). Zwar mag trotz Rücknahme eines Bauantrags vor Beginn einer Veränderungssperre ausnahmsweise eine Anrechnung in Betracht kommen, wenn eine Rücknahme auf einem Willensmangel des Erklärenden beruht, den die Baugenehmigungsbehörde verursacht hat (vgl. BVerwG, B.v. 13.10.2014 a.a.O.). Ein entsprechender – von der Baugenehmigungsbehörde – verursachter Willensmangel des Klägers ist hier aber nicht dargelegt. Das Zulassungsvorbringen beschränkt sich auf die Behauptung, dass das Landratsamt und die Beigeladene dem Kläger dringend dazu geraten hätten, einen neuen Bauantrag für ein Vorhaben mit sechs Wohneinheiten zu stellen und dem Kläger eindrücklich vor Augen geführt worden sei, dass sein Bauantrag im Hinblick auf die Bebauungsplanung und die Ziele des Bebauungsplans der Beigeladenen aussichtslos wäre. Inwieweit der Kläger seine Entscheidung damit nicht frei wählen konnte, ergibt sich daraus nicht. Er hat selbst vorgetragen, dass er das Bauvorhaben reduziert habe, um schneller bauen zu können. Im Übrigen hat sich der Kläger im Rahmen der Rücknahme des Bauantrags auch für die konstruktiven Gespräche beim Antragsgegner bedankt (BA …-11 Bl. 49).
2. Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Veränderungssperre wirksam ist, sind ernstliche Zweifel nicht hinreichend dargelegt, § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2017 – 1 ZB 17.2320 – juris Rn. 7; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 62 f.). „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist unter ausdrücklicher oder jedenfalls konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2016 – 15 ZB 14.2686 – juris Rn. 22). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Es beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung der bereits erstinstanzlich vorgetragenen Begründung, ohne sich mit der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts (UA S. 8 ff.) zur Wirksamkeit der Veränderungssperre auseinanderzusetzen.
3. Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen, dass die Beigeladene ihr Einvernehmen nicht innerhalb des Zeitraums von zwei Monaten nach § 36 BauGB verweigert habe, zeigen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf. Das Verwaltungsgericht hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass es unerheblich ist, ob die Beigeladene das Einvernehmen innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB wirksam verweigert hat oder das Einvernehmen fiktiv als erteilt gilt, da in beiden Fällen eine Gemeinde nicht daran gehindert ist, eine dem Vorhaben widersprechende Bauleitplanung zu betreiben und diese durch eine Veränderungssperre zu sichern (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138). Zu dieser Argumentation verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht.
4. Der nach Ablauf der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgte Vortrag des Klägers, dass der zwischenzeitlich in Kraft getretene Bebauungsplan im Zulassungsverfahren inzident zu prüfen sei, ist für das Zulassungsverfahren nicht entscheidungserheblich. Denn im Berufungszulassungsverfahren können regelmäßig nur die (neuen) Tatsachen und Rechtsänderungen berücksichtigt werden, die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemacht werden (BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744). Dementsprechend bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob der zwischenzeitlich erlassene Bebauungsplan wirksam ist und dem Bauvorhaben entgegensteht.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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