Verwaltungsrecht

Ausweisung eines straffälligen türkischen Staatsangehörigen mit vorgeblicher familiärer Lebensgemeinschaft mit einem Kind

Aktenzeichen  10 ZB 21.83

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4191
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 53
GG Art. 6
EMRK Art. 8
ARB 1/80 Art. 6 S. 1

 

Leitsatz

1. Wochenweise Beschäftigungen in den Betrieben einer Justizvollzugsanstalt begründen keine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 19.2234 2020-11-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz überwiegend erfolglose Klage gegen den Bescheid vom 29. November 2019, mit dem der Beklagte seine Ausweisung verfügt, die Wiedereinreise für sechs Jahre untersagt und seine Abschiebung in die Türkei angedroht hat, weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist teilweise unzulässig. Soweit er sich gegen das gesamte Urteil richtet und (im Schriftsatz vom 4.2.2021) Rügen hinsichtlich der Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG erhebt, fehlt es bereits an einer Beschwer. Das Verwaltungsgericht hat die Befristungsentscheidung in Nr. 3 des Bescheids vom 29. November 2019 mit dem angegriffenen Urteil bereits aufgehoben.
Im Übrigen ist der Antrag auf Zulassung der Berufung unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch ein Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.) ergeben.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG als rechtmäßig angesehen. Die Ausweisung sei nicht an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen, weil der Kläger ausweislich seines Rentenversicherungsverlaufs keine nennenswerten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten aufweisen könne. Der Kläger habe eine Vielzahl von Straftaten, insbesondere Betrugsstraftaten begangen und es bestehe bis heute eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse des Klägers, die Ausweisung stelle sich auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK als verhältnismäßig dar. Ein Kontakt zu seinem im Jahre 2010 geborenen Sohn aus seiner mittlerweile geschiedenen Ehe bestehe schon seit langem nicht mehr. Seine siebenjährige Tochter sehe ihn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einvernahme ihrer Mutter als Zeugin lediglich als Ex-Freund der Mutter an und habe noch nie alleine und unabhängig von der Mutter Umgang mit ihrem Vater gehabt. Die Kammer sei überzeugt davon, dass der anderslautende Vortrag des Klägers zum Umgang nicht zutreffe. Eine familiäre Lebensgemeinschaft bestehe derzeit nicht, ob sie in Zukunft entstehen werde, sei völlig ungewiss. Dem Kläger sei eine Rückkehr in die Türkei zumutbar.
Die Rügen des Klägers in den Schriftsätzen vom 2. Februar 2021 und 4. Februar 2021 begründen sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit – auch zum für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (stRspr des BVerwG, vgl. z.B. U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – juris Rn. 25) – keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung.
a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung des Beklagten zu Recht nicht an den Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG gemessen, weil der Kläger kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Satz 1 ARB 1/80 besitzt. Die völlig unbelegte Behauptung des Klägers (im Schriftsatz vom 4.2.2021), er sei in den Jahren 2009 bis 2014 Arbeitnehmer eines Unternehmens gewesen, findet in seinem Sozialversicherungsverlauf keine Stütze. Dass wochenweise Beschäftigungen in den Betrieben einer Justizvollzugsanstalt keine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 begründen, bedarf keiner weiteren Begründung.
b) Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass vom Kläger, der seit seiner Einreise mehrfach strafrechtlich belangt und zuletzt vom Amtsgericht Augsburg mit Urteil vom 29. Januar 2019 unter Einbeziehung einer Vorverurteilung wegen gewerbsmäßigen Betrugs in sieben tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit fahrlässiger falscher Versicherung an Eides statt sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafte von zwei Jahren und elf Monaten vorurteilt wurde, eine erhebliche Wiederholungsgefahr ausgeht, wird vom Zulassungsvorbringen (im Schriftsatz vom 4.2.2021) nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18) und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 6 f.; zuletzt B.v. 24.3.2020 – 10 ZB 20.138 – Rn. 2) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.
Ausgehend hiervon teilt der Senat die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Der Hinweis des Klägers darauf, dass die Reststrafenaussetzung bei „der ersten Freiheitsstrafe“ (im Jahr 2015) auf einer positiven Sozialprognose beruht habe, liegt neben der Sache. Der Kläger verkennt, dass diese Strafaussetzung später widerrufen wurde und eine positive Prognose bei den letzten beiden Verurteilungen in den Jahren 2018 und 2019, die letztlich Anlass der Ausweisung waren, von den Strafgerichten gerade nicht mehr getroffen wurde. Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die erheblichen Schulden des Klägers die Wiederholungsgefahr gerade hinsichtlich der mehrfach und auch zuletzt begangenen Vermögensdelikte zusätzlich erhöhten. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, wie sich der soziale Empfangsraum nach der Haftentlassung darstelle, insbesondere, ob die ehemalige Lebensgefährtin des Klägers wieder eine Beziehung aufnehmen möchte, kommt es für die Gefahrenprognose angesichts der gravierenden für eine Wiederholungsgefahr sprechenden Umstände nicht entscheidungserheblich an, zumal diese Beziehung den Kläger auch bislang nicht von Straftaten abgehalten hat. Gleiches gilt für die vom Kläger angeführten ersten Schritte bei der Aufarbeitung seiner Delinquenz im Rahmen des Strafvollzugs und sein beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug.
c) Auch die Rügen des Klägers im Hinblick auf die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 bis 3, § 54 und § 55 AufenthG begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Bei der Abwägungsentscheidung und Verhältnismäßigkeitsprüfung sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und die Tatsache, ob der Ausländer sich rechts-treu verhalten hat, zu berücksichtigen, wobei diese Umstände weder abschließend zu verstehen sind noch ausschließlich zugunsten des Ausländers sprechende Umstände in die Abwägung einzustellen sind (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 24 f.; BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 37). Ergänzend hierzu sind die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien heranzuziehen (Boultif/Üner-Kriterien, vgl. EGMR, U.v. 18.10.2006 – 46410/99 – NVwZ 2007, 1279; U.v. 2.8.2001 – 54273/00 – InfAuslR 2001, 476). Bei der Abwägung zu berücksichtigen sind danach die Art und die Schwere der begangenen Straftaten, wobei die vom Gesetzgeber vorgenommene typisierende Gewichtung zu beachten ist, das Verhalten des Ausländers nach der Tatbegehung sowie die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielstaat. Die abwägungserheblichen Interessen sind zutreffend zu ermitteln und zu gewichten. Es ist ein Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen herzustellen, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig ist. Es hat die für die Abwägung von Ausweisungsinteresse und Bleibeinteresse maßgeblichen Gesichtspunkte ermittelt und in die Abwägung eingestellt. Bei der Gesamtabwägung ist es zum Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt. Weder hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Gesichtspunkte noch hinsichtlich der Gesamtabwägung werden die Ausführungen des Verwaltungsgerichts durch das Zulassungsvorbringen ernstlich in Zweifel gezogen.
aa) Die gilt zunächst im Hinblick auf die familiäre Situation des Klägers.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind – wie hier – nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 13 f. m.w.N.). Eine Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – jedenfalls bei besonders schweren Straftaten und langfristig ungünstiger Prognose – ist nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen. Das zwischen dem Ausländer und seinem minderjährigen deutschen Kind bestehende Familienleben bzw. das Kindeswohl hat nicht generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse (BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4; B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 5).
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Ausweisung des Klägers nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK verstößt. Das Gericht hat nach Einvernahme der Kindsmutter als Zeugin angenommen, dass die siebenjährige Tochter des Klägers diesen lediglich als Ex-Freund ihrer Mutter sehe, seit dessen Inhaftierung nicht nach ihm frage und an einem näheren Kontakt nicht interessiert sei. Sie habe niemals eine selbständige Beziehung zum Vater gehabt, der sich nie alleine um sie gekümmert habe. Auf die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, das Kind habe mehrfach von Donnerstag bis Sonntag bei ihm übernachtet, habe die Mutter ungläubig reagiert und betont, dass Kind sei nie alleine beim Kläger gewesen. Das Gericht sei daher der Überzeugung, dass die Angaben des Klägers zum Umgang nicht zuträfen.
Dem hält der Kläger (im Schriftsatz vom 2.2.2021) entgegen, die Mutter des Kindes habe ihm gegenüber am Telefon geäußert, dass sie nun Angst vor einer Anzeige wegen einer Falschaussage habe und in der Berufungsverhandlung „alles klarstellen“ wolle. Für eine Falschaussage der Kindsmutter vor dem Verwaltungsgericht gibt es indes außer der unbelegten Behauptung des Klägers keinerlei Anhaltspunkte. Das Verwaltungsgericht hat sich mit den Widersprüchen zwischen den Aussagen des Klägers einerseits und den Angaben der Zeugin andererseits auseinandergesetzt und ausführlich begründet, warum es der Zeugin glaube. Schlüssige Argumente gegen diese tatrichterliche Beweiswürdigung durch das Erstgericht bietet das Zulassungsvorbringen nicht.
Soweit der Kläger (im Schriftsatz vom 4.2.2021) behauptet, mit seiner siebenjährigen Tochter am 25. Dezember 2020 mehrfach telefoniert zu haben, zieht er die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass zwischen ihm und dem Kind derzeit keine tiefere Bindung bestehe, nicht ernstlich in Zweifel. Selbst wenn dies zuträfe, spräche dies nicht für eine tiefere Bindung des Kindes an den Kläger, die die Ausweisung als Gefährdung des Kindeswohls erscheinen ließe.
bb) Das Verwaltungsgericht ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens (im Schriftsatz vom 4.2.2021) weiter zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger, der bis zu seinem einundzwanzigsten Lebensjahr in der Türkei, danach zwölf Jahre in England und erst ab 2007 im Bundesgebiet gelebt hat, kein faktischer Inländer ist und dass ihm auch eine Rückkehr in die Türkei zumutbar ist. Die Folgen seiner Rückkehr für seine – seinen Angaben nach wieder – Lebensgefährtin wiegen nicht so schwer, dass sie das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen könnten, da zwischen ihr und dem Kläger keine von Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Beziehung besteht. Darüber hinaus trägt der Kläger (im Schriftsatz vom 2.2.2021) selbst vor, seine angebliche Lebensgefährtin könne sich ein Leben mit ihm in der Türkei vorstellen.
2. Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegen ebenfalls nicht vor bzw. sind schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Die Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO, wie sie der Kläger (im Schriftsatz vom 2.2.2021) im Hinblick auf die unterlassene Anhörung seiner siebenjährigen Tochter des Klägers zur Vater-Kind-Bindung (sinngemäß) erhoben hat, greift schon deswegen nicht durch, weil ein Tatsachengericht seine Aufklärungspflicht grundsätzlich dann nicht verletzt, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Kläger in der mündlichen Verhandlung zu beantragen unterlassen hat (vgl. etwa BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 1 ZB 15.1773 – juris Rn. 3). Im vorliegenden Fall wurde ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung kein Beweisantrag gestellt. Das Verwaltungsgericht konnte sich bei der Beurteilung der Vater-Tochter-Bindung auf die Angaben der Mutter des Kindes als Zeugin in der mündlichen Verhandlung stützen. Dass sich dem Verwaltungsgericht angesichts dessen unabhängig von einem Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen, wird mit dem Zulassungsantrag nicht dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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