Verwaltungsrecht

Ausweisung wegen suchterkrankungsbedingter Straffälligkeit

Aktenzeichen  10 ZB 18.2036

Datum:
4.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 991
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 5
AufenthG § 53
EMRK Art. 8
GG Art. 6

 

Leitsatz

1 Bei Straftaten, die auf einer (Sucht-) Erkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer eine erforderliche Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind, sodass die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen grundsätzlich ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 18.555 2018-08-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. März 2018 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Jahre befristet und seine Abschiebung in die Türkei angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und sein Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.). Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; 2.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
1.1 Seine Einwendungen gegen die durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose greifen nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger seit 2013 mehrfach straffällig geworden ist. Anlasstat für die Ausweisung sei die Verurteilung zu Freiheitsstrafen wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Höhe von drei Jahren und neun Monaten und drei Jahren und fünf Monaten. Er sei Wiederholungstäter und Bewährungsversager. Erschwerend komme hinzu, dass er an einer narzisstischen Persönlichkeitsproblematik mit einer dissozialen Entwicklung leide, die zusammen mit Alkohol und Drogen ursächlich für die Straftaten mit einer massiven Steigerung der Aggressivität gewesen sei. Der therapiebedürftige Kläger sei bislang nicht therapiert. Die Therapie solle erst im November 2018 beginnen. Nicht entscheidend sei daher, dass der Kläger sich bislang im Strafvollzug unauffällig verhalten, eine Einzeltherapie (Anti-Gewalt-Training) begonnen und Kontakt zur externen Suchtberatung gehalten habe.
Der Kläger führt demgegenüber aus, das Verwaltungsgericht habe den Fortschritt, den er in der Haft gemacht habe, verkannt. Er habe den Mittelschulabschluss als Jahrgangsbester nachgeholt; das zeige, dass ein Einstellungswandel eingetreten sei. Das Gericht habe daher nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens feststellen können, ob vom Kläger noch eine Wiederholungsgefahr ausgehe. Aus dem Schreiben der externen Suchtberatung vom 10. Juli 2018 und dem Schreiben der Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt vom 14. August 2018 ergebe sich, dass eine solche nicht mehr bestehe.
Damit hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts jedoch nicht ernsthaft im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 6 f.; B.v. 3.5.2017 – 10 ZB 15.2310 – juris Rn. 14) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Bei Straftaten, die auf einer (Sucht-)Erkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer eine erforderliche Therapie nicht erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.). Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BavVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).
Das Landgericht Augsburg hat in seinem Urteil vom 26. September 2017 die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt wegen Substanzmissbrauchs (Alkohol und Drogen) nach § 64 StGB nach der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten angeordnet. Grundlage für die Anordnung war das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. vom 10. August 2017. Ein Behandlungserfolg sei nach zwei Jahren zu erwarten. Zugleich solle auch eine Sozialtherapie zur Senkung der Gewaltbereitschaft des Klägers durchgeführt werden. Schon daraus ergibt sich bereits, dass die Kontakte zur externen Suchtberatung und eine acht Stunden umfassende Anti-Aggressions-Therapie nicht ausreichen, um die Sucht- und Verhaltensproblematik des Klägers auch nur annähernd in Griff zu bekommen und die Gefahr der Begehung weiterer gravierender Gewaltstraftaten zu mindern. Auch nach Auffassung der Sozialarbeiterin der Justizvollzugsanstalt (Aktenvermerk vom 14. August 2018) ist der Kläger „angehalten, seine Gewaltproblematik noch einmal im Rahmen der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu bearbeiten“. Eine Bescheinigung, wonach von ihm „nach Abschluss des Trainings im November 2018 keine Gefährdung der Gesellschaft mehr ausgehe“ – wie er im Zulassungsverfahren vorträgt – stellt dieser Aktenvermerk nicht dar. Genauso verhält es sich mit der Bescheinigung der externen Suchtberatung vom 10. Juli 2018, die lediglich feststellt, dass der Kläger engagiert mitarbeite und sehr motiviert wirke, die Therapie nach § 64 StGB, die sein Rückfallrisiko nicht nur in Bezug auf die Sucht, sondern auch die Delinquenz deutlich vermindern könne, erfolgreich abzuschließen. Der in der Haft erzielte erfolgreiche Schulabschluss lässt keine Rückschlüsse auf ein Entfallen der durch die Suchtmittel- und Verhaltensproblematik begründeten Wiederholungsgefahr zu.
Das Verwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, zur Verifizierung der Gefahrenprognose ein Sachverständigengutachten einzuholen. Bezüglich der gerügten unterlassenen Einholung eines Sachverständigengutachtens kann sich der Kläger sowohl auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, wenn das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und daher auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage entschieden hat, als auch auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen. Eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt aber nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zur Zulassung führen würde (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Mai 2018, § 124 Rn. 26g). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Eine Verletzung des § 86 Abs. 2 VwGO scheidet bereits deshalb aus, weil der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Für die erfolgreiche Geltendmachung einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO bedarf es der Darlegung, dass sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob vom Kläger derzeit noch die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten ausgeht, hätte aufdrängen müssen. Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr des Senats: BayVGH, B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7; B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 11; B.v. 18.3.2015 – 1 C 14.2655 – juris Rn. 22 m.w.N.;). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers die Prognoseentscheidung nicht ohne Sachverständigengutachten hätte getroffen werden können, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Verweis auf einen durch den nachgeholten Mittelschulabschluss unter Beweis gestellten Einstellungswandel reicht insoweit nicht aus.
Der Kläger hat auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls überwiege das öffentliche Ausweisungsinteresse sein Bleibeinteresse deutlich, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Das gilt sowohl hinsichtlich der angeblich fehlenden türkischen Sprachkenntnisse als auch der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter.
Das Verwaltungsgericht hat seine Abwägungsentscheidung u.a darauf gestützt, dass der Kläger türkisch sprechen und schreiben könne und noch Beziehungen in die Türkei habe, er zu seiner Tochter noch nie einen persönlichen Kontakt gehabt und auch keinen Unterhalt gezahlt habe und die Beziehung zur Verlobten nicht dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfalle. Demgegenüber gehe vom Kläger wegen der notwendigen, aber nicht abgeschlossenen Therapie eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus.
Aus den bei den Verwaltungs- und Gerichtsakten befindlichen Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger mündliche und schriftliche Kenntnisse der türkischen Sprache besitzt. Im Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 17. Mai 2018 (Bl. 94 VG-Akte) ist festgehalten, dass er bei seinem Zugang in die Justizvollzugsanstalt angegeben hat, dass er der deutschen und türkischen Sprache mächtig sei. Das entspricht auch der Äußerung seiner Mutter, die gegenüber der Ausländerbehörde die türkischen Sprachkenntnisse des Klägers bestätigt hat (Bl. 380 ff. Ausländerakte). Die Angaben der Mutter sind auch schlüssig, weil sie ausweislich des Vermerks des Sachbearbeiters der Ausländerbehörde so schlecht deutsch spricht, dass die Befragung nur durchgeführt werden konnte, weil die Schwester des Klägers als Dolmetscherin fungierte. Demzufolge muss auch der Kläger in der Lage sein, mit seiner Mutter türkisch zu sprechen, um mit ihr zu kommunizieren.
Eine schutzwürdige Beziehung zu seiner Tochter hat der Kläger nicht aufgebaut. Unstreitig besteht zwischen ihm und dem Kind kein persönlicher oder schriftlicher Kontakt. Alleine das Bestehen eines Umgangsrechts reicht nicht aus, um eine nach Art. 6 GG schutzwürdige Beziehung anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt und allein aufgrund formal-rechtlicher Bindungen keine ausländerrechtlichen Schutzwirkungen entfaltet (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris). Selbst gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch. Es ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207). Eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kläger und seinem Kind bestand nie. Das Zulassungsvorbringen zur behaupteten Unzumutbarkeit, die Beziehung über Besuche im Ausland aufrecht zu erhalten, geht daher an der Sache vorbei. Da der Kläger bislang keine Unterhaltszahlungen für sein Kind geleistet hat, zieht seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet nicht einmal finanzielle Nachteile für seine Tochter nach sich.
Die Beziehung zu seiner Verlobten hat das Verwaltungsgericht bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigt, sie aber als nicht wesentlich ins Gewicht fallend eingeordnet, weil die Eheschließung noch nicht unmittelbar bevorsteht, die Verlobten auch vor der Inhaftierung des Klägers nicht zusammengewohnt haben, er seine Verlobte nicht finanziell unterstützt hat und der Kontakt durch Besuche und Telefonate aufrecht erhalten werden kann. Dieser Bewertung ist der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Insbesondere begründet ein Verlöbnis noch keinen Rückkehranspruch in das Bundesgebiet. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur mangelnden nachhaltigen Integration in den deutschen Arbeitsmarkt hat der Kläger nicht substantiiert in Frage gestellt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts fällt erheblich ins Gewicht, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist, hier die Schule besucht hat und seine wesentlichen persönlichen Beziehungen hier bestehen. Er hat allerdings auch noch Kontakte in die Türkei und spricht – auch wenn er das jetzt bestreitet – türkisch. Insbesondere ist ihm durch seine Eltern und die Urlaubsaufenthalte ein Bezug zur Türkei vermittelt worden. Angesichts der nicht ausgeräumten erheblichen Rückfallgefahr geht das Verwaltungsgericht aber von einem Überwiegen des öffentlichen Ausweisungsinteresses aus. Der Einwand des Klägers, die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr werde bei Betrachtung der Gesamtumstände der Tatbegehung und günstigen Ansätze für einen Einstellungswandel relativiert, greift demgegenüber nicht. Bei der Begehung der Straftaten war der Kläger nicht mehr Heranwachsender. Aus dem Strafurteil des Landgerichts Augsburg ergibt sich anschaulich, mit welcher Brutalität und Aggressivität er gegen seine Opfer vorgegangen ist. Ob tatsächlich ein Einstellungswandel stattfinden wird, lässt sich frühestens nach einem erfolgreichen Abschluss der gerade erst begonnen Therapie feststellen.
Auch bezüglich der Befristungsentscheidung hat der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dargelegt. Die persönlichen Beziehungen des Klägers rechtfertigen keine Verkürzung der Frist für die Einreisesperre. Angesichts der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr und der Schwere der von ihm verübten Straftaten erweist sich die festgesetzte Einreisesperre auch unter Berücksichtigung seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet im Ergebnis als nicht ermessensfehlerhaft. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Beziehungen zur Kernfamilie bei einem volljährigen Ausländer grundsätzlich keine besondere Bedeutung zukommt. Anhaltspunkte dafür, dass eine besondere Betreuungsbedürftigkeit besteht, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Sollte der Kläger seine Verlobte heiraten, steht ihm die Möglichkeit offen, eine Verkürzung der Frist für die Einreisesperre zu beantragen.
Soweit der Kläger nach Ablauf der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags zusätzlich vorbringt, es bestehe wegen der Gefahr, dass er in der Türkei zum Militärdienst eingezogen und in den Krisengebieten an vorderster Front eingesetzt werde, ein Abschiebungshindernis, bleibt das ohne Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abwägungsentscheidung nach § 53 AufenthG. Ein etwaiges (zielstaatsbezogenes) Abschiebungshindernis vermag einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung zu begründen, führt jedoch nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit der Ausweisungsentscheidung.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Um einen auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 11.7.2016 – 10 ZB 15.837 – juris Rn. 21).
Der Kläger hat nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt, dass die von ihm aufgeworfene Frage einer über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage, „ob die persönlichen Bindungen eines Ausländers im Bundesgebiet, der als faktischer Inländer zu qualifizieren ist, das(s) Interesse an einem Verbleib des Ausländers höher zu bewerten ist, als das Ausreiseinteresse des Staates“, kann nur für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. Sowohl im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK als auch bei der Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 53 AufenthG kommt es auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls an, ob die Stellung als faktischer Inländer die Ausweisung unverhältnismäßig macht bzw. zu einem Überwiegen des Bleibeinteresses führt, so dass die Frage einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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