Verwaltungsrecht

Berufungszulassung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel: Verunreinigung des Trinkwassers mit Bisphenol A

Aktenzeichen  20 ZB 16.182

Datum:
18.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2017, 119885
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 121, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 173 Abs. 1
ZPO § 72 Abs. 1
TrinkV § 3 Nr. 2e, § 6 Abs. 3, § 9 Abs. 1 S. 5, Abs. 7
IfSG § 39 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Eine für die Zulässigkeit des von einem erstinstanzlich Beigeladenen erhobenen Rechtsmittels erforderliche materielle Beschwer liegt vor, wenn dieser geltend machen kann, aufgrund der Bindungswirkung des Urteils möglicherweise präjudiziell in eigenen Rechten verletzt zu sein (Verweis auf BVerwG BeckRS 2016, 53433). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da bei einer Anfechtungsklage erst die tragenden Gründe Aufschluss darüber geben, weshalb der geltend gemachte Aufhebungsanspruch durchgreift, nehmen diese im Sinne von § 121 VwGO auch an der Rechtskraft des Urteils teil. Die Feststellung, dass die Rohrinnensanierung mit Epoxidharz bei Rohren mit einem Durchmesser von weniger als 80 Millimetern nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche, kann daher Bindungswirkung für einen anschließenden zivilrechtlichen Rechtsstreit haben. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei einer “streitgenössischen Beiladung” liegt die materielle Beschwer des Beigeladenen vor (Verweis auf BVerwG BeckRS 9998, 169700). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
4 Liegt der festgestellte Wert von Bisphenol A unterhalb der DWPLL-Werte der Beschichtungsleitlinien des Umweltbundesamtes, die nach dessen Empfehlungen für die Beurteilung, ob eine Kontamination des Trinkwassers eine Schädigung der menschlichen Gesundheit nach § 6 Abs. 1 TrinkwV besorgen lässt, berücksichtigt werden können, ist zweifelhaft, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Einschreiten des Gesundheitsamtes vorliegen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 K 14.324 2015-11-25 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. November 2015 wird zugelassen, soweit damit die Anfechtungsklage gegen die Ziffern I.3.1, I.6.1 und III. Buchst. a) und c), soweit sie sich auf die Ziffern I.3.1 und I.6.1 beziehen, des Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 10. März 2014 in der Fassung des Bescheids vom 28. Mai 2015 abgewiesen wurde. Denn insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
II. Der Streitwert wird vorläufig auf 1.020.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beigeladene hatte zwar dem Wortlaut des Zulassungsantrags nach die Zulassung der Berufung gegen das vollständige Urteil des Verwaltungsgerichts beantragt. Aus der Begründung des Zulassungsantrags und dem in diesem bereits formulierten Antrag für das Berufungsverfahren geht aber hervor, dass sie sich allein gegen die in den Ziffern I.3.1 und I.6.1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Anordnungen und die in Ziffer III verfügte Zwangsgeldandrohung bezüglich dieser Anordnungen wendet. In diesem Umfang ist der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 25. November 2015 zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Beigeladene durch das verwaltungsgerichtliche Urteil materiell beschwert.
Die Zulässigkeit des von einem erstinstanzlich Beigeladenen erhobenen Rechtsmittels erfordert, dass dieser materiell durch die verwaltungsgerichtliche Entscheidung beschwert ist. Eine solche materielle Beschwer liegt nur dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung zu einer Verletzung subjektiver Rechte des Beigeladenen im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO führen kann. Ob dies der Fall ist, ist nach der Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu beurteilen (BVerwG, U.v. 12.3.1987 – 3 C-2/86 – BVerwGE 77, 102, zitiert nach juris, Rn. 35 ff.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, vor § 124, Rn. 30). Der Beigeladene muss geltend machen können, aufgrund der Bindungswirkung des Urteils möglicherweise präjudiziell in eigenen Rechten verletzt zu sein (BVerwG, U.v. 24.8.2016 – 9 B 54.15 –; NVwZ 2017, 568 Rn. 6).
Dies ist hier aus zwei Gründen der Fall. Einerseits hat das Verwaltungsgericht hier in seinem Urteil die Entscheidung tragend festgestellt, dass die Rohrinnensanierung mit Epoxidharz, wie sie von der Beigeladenen vorgenommen wurde, bei Rohren mit einem Durchmesser von weniger als 80 Millimetern nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche (S. 41 ff. des Urteils). Wäre dies tatsächlich der Fall, so wäre die von der Beigeladenen erbrachte Werkleistung möglicherweise (vorbehaltlich einer zwischen der Klägerin und der Beigeladenen getroffenen vertraglichen Regelung) mangelhaft und die Beigeladene wäre der Klägerin gegenüber möglicherweise schadensersatzpflichtig. Die diesbezügliche Feststellung im verwaltungsgerichtlichen Urteil wäre für einen anschließenden zivilrechtlichen Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der Beigeladenen wohl auch bindend, da bei einer Anfechtungsklage erst die tragenden Gründe Aufschluss darüber geben, weshalb der geltend gemachte Aufhebungsanspruch durchgreift. Deshalb nehmen diese im Sinne von § 121 VwGO auch an der Rechtskraft des Urteils teil (BVerwG, B.v. 24.8.2016 – 9 B 54.15 – a.a.O. Rn. 7 m.w.N.). Darüber hinaus liegt hier aber auch ein Fall einer „streitgenössischen Beiladung“ (so BVerwG, U.v. 12.3.1987 – 3 C-2/86 – BVerwGE 77, 102, Rn. 36) vor. Denn die Klägerin hatte beim Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 15. April 2014 die Beiladung der Beigeladenen, hilfsweise die Streitverkündung gegenüber dieser gemäß § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 72 Abs. 1 ZPO beantragt. Das Verwaltungsgericht hat daraufhin die Beigeladene mit Beschluss vom 16. April 2014 zum Verfahren beigeladen. Zweck der beantragten Beiladung wie auch der hilfsweise beantragten Streitverkündung war ausweislich des Antragsschriftsatzes die Frage, ob der Klägerin gegen die Beigeladene ein zivilrechtlicher Regressanspruch zustehe. Daher bedürfe es der Rechtskrafterstreckung. Das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts hätte präjudizierende Wirkung auf die Rechtsbeziehungen der Klägerin und der Beigeladenen, da damit rechtskräftig festgestellt wäre, dass das von der Beigeladenen angewandte Verfahren nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. In einem folgenden Zivilprozess wäre damit die Rechtsverteidigung der Beigeladenen insoweit eingeschränkt. Dies rechtfertigt die Annahme einer materiellen Beschwer.
2. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, soweit dieses Gegenstand des Zulassungsantrags ist. Die Richtigkeit des Urteils ist nach dem Sachausspruch der Urteilsformel, also nur nach dem Ergebnis und nicht nach den Entscheidungsgründen zu beurteilen (h.M., vgl. nur Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 12 m.w.N.). Ernstliche Zweifel an einer Gerichtsentscheidung bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163).
Das Verwaltungsgericht hat als Rechtsgrundlage für die im Zulassungsverfahren noch streitige Anordnung, die bereits durchgeführte Rohrinnensanierung mit Epoxidharz wieder rückgängig zu machen u.a. § 9 Abs. 1 Satz 5, Abs. 7 der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) herangezogen. Danach ordnet das Gesundheitsamt, wenn Tatsachen bekannt werden, wonach eine Nichteinhaltung oder Nichterfüllung der in den §§ 5 bis 7 TrinkwV festgelegten Grenzwerte oder Anforderungen auf die Trinkwasserinstallation oder deren unzulängliche Instandhaltung zurückzuführen ist, an, dass geeignete Maßnahmen zu ergreifen sind, um die aus der Nichteinhaltung oder Nichterfüllung möglicherweise resultierenden gesundheitlichen Gefahren zu beseitigen oder zu verringern. Nach § 9 Abs. 7 Satz 2 TrinkwV steht eine solche Anordnung bei Wasserversorgungsanlagen nach § 3 Nr. 2e TrinkwV, die nicht im Rahmen einer öffentlichen Tätigkeit betrieben wurden (wie im vorliegenden Fall) im Ermessen des Gesundheitsamtes (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Loseblattsammlung, Bd. V, C 430, § 9 TrinkwV, Rn. 19). Ein Rückgriff auf die allgemeine Befugnisnorm des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), die das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ebenfalls zitiert hat, dürfte aufgrund der Spezialität des § 9 Abs. 7 TrinkwV nicht zulässig sein.
Im vorliegenden Fall dürfte zwar ein Verstoß gegen die Anforderung des § 6 Abs. 3 TrinkwV aufgrund der Belastung des Trinkwassers in der Trinkwasserversorgungsanlage der Klägerin mit Bisphenol A vorgelegen haben. Allerdings ist zweifelhaft, ob die festgestellten Konzentrationen von Bisphenol A eine gesundheitliche Gefahr im Sinne von § 9 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 TrinkwV begründen konnten. Denn nach der Empfehlung des Umweltbundesamtes vom 13. Mai 2014, „Beurteilung materialbürtiger Kontaminationen des Trinkwassers“ (zu finden unter https://www.umwelt bundesamt.de/sites/default/files/medien/374/dokumente/140514_wwpll_empfehlung.pdf) können für die Beurteilung, ob eine Kontamination des Trinkwassers eine Schädigung der menschlichen Gesundheit nach § 6 Abs. 1 TrinkwV besorgen lässt, die DWPLL-Werte der Leitlinien des Umweltbundesamtes berücksichtigt werden. Dieser Wert beträgt für Bisphenol A aber nach der Beschichtungsleitlinie des Umweltbundesamtes (dort Tabelle 1) 12 Mikrogramm/Liter. In der Wasserversorgungsanlage der klägerischen Wohnanlage wurden laut dem verwaltungsgerichtlichen Urteil (dort S. 39) aber lediglich 0,047 µg/l festgestellt. Auch in der mit der Antragsbegründung vorgelegten Messung vom 24. September 2015 wurde der Wert nach der Beschichtungsleitlinie nicht erreicht. Damit ist zweifelhaft, ob eine gesundheitliche Gefahr im Sinne des § 9 Abs. 7 TrinkwV aufgrund der Belastung mit Bisphenol A vorgelegen hat und damit die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Einschreiten des Gesundheitsamtes vorlagen.
Der Streitwert wird nach §§ 52, 63 Abs. 1 GKG in Höhe von 1.020.000 Euro (1.000.000 Euro für die in Ziff. I.3.1 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Sanierung der mit Epoxidharz beschichteten Leitungsabschnitte und 20.000 EUR für die in Ziff. I.6.1 angeordneten Wasseruntersuchungen bis zum Abschluss aller Sanierungsmaßnahmen) vorläufig festgesetzt. Insoweit wird auf die Ausführungen im Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts verwiesen.


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