Verwaltungsrecht

Bescheid, Bewilligung, Revision, Prozesskostenhilfe, Berufung, Verfassungsbeschwerde, Widerruf, Aufhebung, Abschiebungsverbote, Verwaltungsakt, Lebensunterhaltssicherung, Bundesgebiet, Ermessensfehler, Klage, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Antrag auf Prozesskostenhilfe, Bewilligung Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  Au 1 K 20.1504

Datum:
27.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43380
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger, ein am … geborener irakischer Staatsangehöriger, begehrt die Erleichterung von Überwachungsmaßnahmen.
Er reiste am 28. Februar 2000 in das Bundesgebiet ein und erhielt durch das … mit Bescheid vom 26. Juli 2000 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Mit Bescheid vom 10. Mai 2007 widerrief das … die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen würden. Eine hiergegen erhobene Klage (Au 5 K 07.30164) wurde mit Urteil vom 15. Oktober 2007 abgewiesen, die Berufung mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juli 2018 (20 B 18.30800) abgewiesen. Die Revision gegen dieses Urteil wurde durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. November 2018 (1 B 78.18) nicht zugelassen.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik ausgewiesen (Ziffer 1) und eine Wiedereinreise untersagt (Ziffer 2). In Ziffer 3 wurden zuvor gestellte Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und in Ziffer 4 der Kläger verpflichtet, innerhalb eines Monats nach Vollziehbarkeit des Widerrufs seiner Flüchtlingseigenschaft das Bundesgebiet zu verlassen. In Ziffer 5 wurde ihm die Abschiebung in den Irak angedroht. Gemäß Ziffer 6 wird der Aufenthalt des Klägers von der Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung an bis zu seiner Ausreise auf das Stadtgebiet … beschränkt. Nach Ziffer 7 ist der Kläger verpflichtet, ab Vollziehbarkeit der Ausweisung bis zu seiner Ausreise sich einmal täglich zwischen 17:00 und 19:00 Uhr bei der Polizeiinspektion … zu melden. Bei Nichtbeachtung der in Ziffern 6 und 7 festgelegten Pflichten wurde in Ziffer 8 ein Zwangsgeld angedroht.
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger Klage erheben, welcher mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Juli 2011 (Au 1 K 10.1876) stattgegeben wurde. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Januar 2020 (10 ZB 11.1878) wurde die Klage auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen. Mit Beschluss vom 4. Mai 2020 (1 B 17.20) ließ das Bundesverwaltungsgericht die Revision nicht zu.
Am 22. Juni 2020 erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1075/20), über welche noch nicht entschieden worden ist.
Am 20. Juli 2020 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers die Aufhebung der Ziffern 6, 7 und 8 des Bescheids vom 28. Oktober 2010. Mit Bescheid vom 5. August 2020 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Die Ausländerbehörde habe die Möglichkeit, die gesetzliche Ausgestaltung der in § 56 AufenthG festgelegten Überwachungsmaßnahmen zu modifizieren. Hierbei sei sie an das Gebot der Verhältnismäßigkeit gebunden. Hiervon ausgehend komme eine Abänderung oder Aufhebung der Überwachungsmaßnahmen nicht in Betracht. Zwar seien die Überwachungsmaßnahmen nunmehr erstmals nach zehn Jahren seit ihrem Erlass zu vollziehen gewesen, maßgeblich sei jedoch die mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Januar 2020 festgestellte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Mildere Maßnahmen seien nicht ersichtlich, insbesondere da deren Rechtmäßigkeit kürzlich gerichtlich bestätigt worden sei. Hinzu komme, dass in der Verfassungsbeschwerde des Klägers geleugnet werde, Unterstützungshandlungen für die Terrororganisation „Ansar al-Islam“ geleistet zu haben. Ein sicherheitsgefährdendes Verhalten sei jedoch noch so lange als aktuell zu betrachten, solange der Ausländer nicht erkennbar glaubhaft Abstand von seinem Handeln nehme. Dies setze jedoch die Einsicht hinsichtlich der Unrichtigkeit des vorgeworfenen Handelns voraus, welche vorliegend nicht angenommen werden könne. Der Zeitablauf seit dem Erlass des ursprünglichen Bescheides reiche für die Annahme eines Abstandnehmens nicht aus. Familiäre bzw. erwerbsbiografische Erwägungen seien ebenfalls nicht ausreichend für eine Aufhebung oder Abänderung.
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 28. August 2020 Klage erheben. Die Ausweisungsverfügung aus dem Jahre 2010 sei ohne Anordnung des Sofortvollzugs ergangen, weshalb sich der Kläger bis Juli 2020 auch nicht bei der Polizei habe melden müssen. Die Ausweisung selbst habe lediglich auf dem Verdacht einer geringfügigen Unterstützungshandlung des Klägers beruht. Der Kläger habe während seiner 20-jährigen Aufenthaltszeit in Deutschland keine Straftat begangen und in diesem Zeitraum ganz überwiegend durch Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt seiner Familie finanziert. Im langjährigen Berufungsverfahren seien vom Beklagten keine Sachverhalte vorgetragen worden, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung begründen könnten.
Der Kläger beantragt,
I.
Der Bescheid des … vom 5. August 2020 (Az.: 32.2-2020 05), zugestellt an den Bevollmächtigten am 5. August 2020, wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte wird verpflichtet,
a) die sich aus § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grund sätzlich ergebende Verpflichtung des Klägers, sich bei der für ihn zuständigen Polizeidienststelle zu melden, auf höchstens einmal wöchentlich zu beschränken und
b) den gemäß § 56 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz zu be schränkenden Aufenthalt des Klägers mindestens auf den Bereich des Freistaats Bayern zu erweitern.
Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag auf Aufhebung der betreffenden Ziffern der Ausweisungsverfügung vom 28. Oktober 2010 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Hierfür begehrt der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die zulässige Klage sei unbegründet, da der Bescheid vom 5. August 2020 den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Die Vorschrift des § 56 AufenthG diene der Gefahrenabwehr und solle die von ausgewiesenen Ausländern ausgehende Gefahr der Weiterführung von Handlungen im terroristischen Umfeld eindämmen, insbesondere, wenn mit einer baldigen Aufenthaltsbeendigung nicht zu rechnen sei. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 8. Januar 2020 festgestellt habe, gehe vom Kläger nach wie vor eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung aus. Der Kläger habe sich nicht dauerhaft, nachweislich und glaubhaft vom Terrorismus bzw. der Unterstützung terroristischer Organisationen distanziert. Eine entsprechende Einsicht läge nicht vor.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe konnte nicht entsprochen werden.
1. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt. Denn die Rechtsverfolgung darf nicht in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert werden und unbemittelten Personen soll ein weitgehend gleicher Zugang zum Gericht ermöglicht werden wie Personen, denen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, B.v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13; Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 166 Rn. 26).
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da die Klage aller Voraussicht nach nicht erfolgreich sein wird. Es kann offen bleiben, ob der anwaltlich vertretene Kläger eine Aufhebung bzw. Abänderung der Ziffern 6 bis 8 des Bescheids vom 28. Oktober 2010 oder deren (teilweisen) Widerruf begehrt, da dem Kläger weder ein Anspruch auf Aufhebung bzw. Abänderung dieser Verwaltungsakte, noch deren Widerruf zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Nach Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG hat eine Behörde auf Antrag des Betroffe nen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sachoder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat.
Eine solche Änderung der Sach- oder Rechtslage ist nicht ersichtlich. Sämtliche durch den Klägerbevollmächtigten vorgebrachten Umstände waren bereits Teil des umfangreichen Berufungsverfahrens seiner Ausweisungsentscheidung. Sowohl die nunmehr vorgebrachte Geringfügigkeit der Unterstützungshandlungen als auch die mögliche Straffreiheit während des 20jährigen Aufenthalts in Deutschland und die überwiegende Vollerwerbstätigkeit zur Lebensunterhaltssicherung des Klägers wie auch seiner Familie wurden bereits im Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (U.v. 8.1.2020, 10 ZB 11.1878) berücksichtigt. Dort wird in den Rn. 38 ff. auf die konkreten Unterstützungshandlungen des Klägers und in den Rn. 44 ff. auch auf den langen Aufenthalt des Klägers und seine Erwerbstätigkeit eingegangen. Auch die lange Zeitspanne bis zur gerichtlichen Entscheidung am 8. Januar 2020 hat der Verwaltungsgerichtshof berücksichtigt, indem er hinsichtlich des Beurteilungszeitraums auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung abgestellt hat (Rn. 23, a.a.O.).
b) Es besteht zudem kein Anspruch auf einen teilweisen Widerruf der Ziffern 6 bis 8 des Bescheids vom 28. Oktober 2010. Nach Art. 49 Abs. 1 BayVwVfG kann ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil die unzweifelhaft belastenden Ziffern 6 bis 8 des Bescheids vom 28. Oktober 2010 unanfechtbar als rechtmäßig angesehen (Rn. 49 f., a.a.O.).
Die Entscheidung über den Widerruf steht dabei im Ermessen der Behörde und muss entsprechend begründet werden. Der Widerruf ist insbesondere nur zulässig, wenn er aus sachgemäßen Gründen erfolgt, also zu Zwecken, die in den dem aufzuhebenden Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsvorschriften vorgezeichnet sind (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, Rn. 8 ff. zu § 49). Ermessensfehler sind insoweit jedoch nicht ersichtlich. Der Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise die vorgebrachte lange Zeitspanne zwischen Bescheidserlass und Vollziehbarkeit der Meldeauflagen als nicht ausreichend angesehen und ein Abstandnehmen von den früheren gefährdenden Handlungen beim Kläger aufgrund seines bisherigen Verhaltens verneint. Andere Gründe für einen teilweisen Widerruf wie etwa familiäre Bindungen oder Erwerbsmöglichkeiten wurden berücksichtigt, jedoch in ermessensgerechter Weise als nicht gewichtig genug angesehen.


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