Verwaltungsrecht

Bundesrichterrecht, Bundesfinanzhof, Stellenbesetzung, Vorsitzende Richterin, vorsorgliche Bewerbung vor Auswahlentscheidung, unzulässiger vorbeugender Rechtsschutz

Aktenzeichen  6 CE 21.3272

Datum:
8.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2019
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 5 E 21.4451 2021-12-14 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Ablehnungsgesuche der Antragstellerin gegen den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof S. und die Richterinnen am Verwaltungsgerichtshof G. und B. sowie – als Angehörige des 6. Senats sinngemäß wohl auch – die Richterin am Verwaltungsgerichtshof R. werden als unzulässig verworfen.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 14. Dezember 2021 – M 5 E 21.4451 – wird zurückgewiesen.
III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 34.121,01 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist seit Januar 2005 Richterin am Bundesfinanzhof (Besoldungsgruppe R 6). Mit Schreiben vom 28. Mai 2021 bewarb sie sich vorsorglich auf die Stelle eines/r Vorsitzenden Richters/in am Bundesfinanzhof (BFH), welche erst nachfolgend am 1. September 2021 durch den Eintritt eines Vorsitzenden Richters in den Ruhestand vakant geworden ist.
Mit Schriftsatz vom 20. August 2021 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gestellt und u.a. beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, „den beim BFH zum 1. September 2021 frei werdenden Posten eine/s Vorsitzenden Richter*in betreffend den IV. Senat einstweilen nicht mit einer anderen Person zu besetzen, bevor nicht über jeweils rechtskräftig entschieden und über die Stellenbewerbung der Antragstellerin erstmals unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts rechtskräftig entschieden worden ist“.
Mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 14. Dezember 2021 – M 5 E 21.4451 – hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei unstatthaft, soweit die Stellenbesetzung solange unterbleiben solle, bis über die von der Antragstellerin im Einzelnen bezeichneten Gerichts- und Verwaltungsverfahren jeweils rechtskräftig entschieden ist; denn zwischen diesen Verfahren und dem streitgegenständlichen Verfahren bestehe keinerlei Zusammenhang. Soweit die Antragstellerin beantrage, die Stelle nicht zu besetzen, bis über ihre Stellenbewerbung erstmals unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts rechtskräftig entschieden worden ist, sei der Antrag unzulässig. Der Antragstellerin fehle das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den von ihr begehrten vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz. Im Zeitpunkt der Antragstellung sei noch kein Interessenbekundungsverfahren durchgeführt und auch keine Auswahlentscheidung durch die Antragsgegnerin getroffen worden. Die Antragsgegnerin habe zugesichert, die Stelle nicht ohne Durchführung eines Interessenbekundungsverfahrens zu besetzen und bei Vorliegen mehrerer Bewerbungen die Bewerbung der Antragstellerin in die vorzunehmende Leistungsauswahl einzubeziehen. Es sei daher keine Rechtsschutzvereitelung zu befürchten. Zudem fehle es an der besonderen Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens und damit an dem erforderlichen Anordnungsgrund.
Die Antragstellerin hat hiergegen fristgerecht Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt, hilfsweise die Zurückverweisung an eine andere Kammer des Verwaltungsgerichts beantragt und höchsthilfsweise die Aussetzung des Verfahrens begehrt, um dem Gerichtshof der Europäischen Union im Wege des Vorabentscheidungsersuchens näher bezeichnete Fragen vorzulegen. Weiter beantragt sie u.a., die Angehörigen des 6. Senats „wegen individueller und institutioneller Voreingenommenheit“ von einer weiteren Mitwirkung an diesem Verfahren auszuschließen. Im Übrigen Sie macht u.a. geltend, der erstinstanzliche Beschluss leide an einer Vielzahl schwerwiegender Verfahrensmängel und verletze materielles Recht. Im Übrigen wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
II.
1. Die Antragstellerin darf sich im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst vertreten, weil sie als Honorarprofessorin Rechtslehrerin an einer staatlichen Hochschule ist (§ 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO).
2. Ihre Ablehnungsgesuche gegen die Angehörigen des 6. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sind als unzulässig zu verwerfen. Darüber entscheidet der Senat in der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts und der senatsinternen Geschäftsverteilung maßgeblichen (Stamm-)Besetzung unter Mitwirkung und ohne dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter (vgl. BayVGH, B.v. 15.5.2015 – 6 ZB 15.662; BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 – Vf. 98-VII-20 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Die Antragstellerin wiederholt, vertieft und erweitert ihre bereits in früheren Verfahren vorgebrachten Rügen, die Angehörigen des 6. Senats seien wegen „Vorbefassung“ und einer Reihe weiterer Gründe u.a. aufgrund der Verfahrensgestaltung fortgesetzt „individuell und institutionell“ voreingenommen. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Gründe sind sowohl einzeln als auch bei einer Gesamtschau weiterhin offensichtlich von vornherein ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit oder einen gesetzlichen Ausschlussgrund zu bilden. Auf die zuletzt ergangenen Senatsbeschlüsse vom 1. Februar 2022 – 6 CE 21.2705, vom 23. November 2021 – 6 CE 21.2768 und 6 CE 21.2769 – sowie vom 26. Oktober 2021 – 6 CE 21.2080 – wird verwiesen.
Weder die Mitwirkung an einer für die Beteiligte früher ergangenen ungünstigen Entscheidung noch die durch die Prozessordnung gedeckte Verfahrensgestaltung insbesondere zur Akteneinsicht (§ 100 VwGO) und zu Äußerungsfristen vermögen in der Regel die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 54 Rn. 9 f. m.w.N.). Denn ein Ablehnungsgesuch ist grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren. Besondere Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, die angeführten Entscheidungen und Verfahrenshandlungen beruhten auf einer unsachlichen Einstellung der abgelehnten Richter oder auf Willkür, hat die Antragstellerin nicht in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt. Die Versuche, eine Instanz übergreifende institutionelle Voreingenommenheit sämtlicher mit den Verfahren der Antragstellerin befassten Richterinnen und Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Nachteil der Antragstellerin zu konstruieren, liegen ebenso neben der Sache wie der Vorwurf der gezielten Manipulation des gesetzlichen Richters. Sie belegen, wie auch die wiederholten ähnlichen Ablehnungsgesuche im Verlauf der verwaltungsgerichtlichen Verfahren (oder auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren, vgl. BVerfG, B.v. 16.12.2021 – 2 BvR 2099/21 – und im richterdienstrechtlichen Prüfungsverfahren, vgl. etwa BGH – Dienstgericht des Bundes, B.v. 13.4.2021 – RiZ 2/16 – juris), die rechtsmissbräuchliche Instrumentalisierung der Richterablehnung durch die Antragstellerin.
3. Die Beschwerde im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), rechtfertigen es nicht, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entsprechen.
a) Die Rüge, der Beschluss des Verwaltungsgerichts leide an einer Vielzahl schwerwiegender Verfahrensmängel und verletze insbesondere das Recht auf den gesetzlichen Richter sowie auf Gewährung von rechtlichem Gehör, geht von vornherein fehl. Denn das Gesetz sieht für das Rechtsmittel der Beschwerde anders als die Vorschriften über Berufung und Revision kein vorgeschaltetes, etwa von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängiges Zulassungsverfahren vor. Der Verwaltungsgerichtshof prüft vielmehr als Beschwerdegericht – innerhalb des durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gezogenen Rahmens – den Rechtsfall eigenständig sowohl tatsächlich als auch rechtlich im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2016 – 6 CE 15.2800 – juris Rn. 15 m.w.N.). Selbst wenn die behaupteten Verfahrensverstöße vorliegen sollten, bestünde kein Grund, die Sache entsprechend § 130 Abs. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen (vgl. Happ in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 130 Rn. 4).
b) Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht als teilweise unstatthaft (Rn. 16) und teilweise unzulässig (Rn. 17 ff.) abgelehnt. Der Senat folgt den zutreffenden Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) und führt ergänzend aus: Die Antragstellerin begehrt unzulässiger Weise vorbeugenden Rechtsschutz im Hinblick auf eine erst noch zu treffende Auswahlentscheidung bezüglich eines neu zu besetzenden Statusamts einer Vorsitzenden Richterin am Bundesfinanzhof, ohne jedoch ein besonderes (qualifiziertes) Rechtsschutzinteresse hierfür darzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2021 – 3 CE 20.3148 – juris Rn. 16; VGH BW, B.v. 6.6.2017 – 4 S 1055.17 – juris Rn. 9; OVG LSA, B.v. 17.6.2013 – 1 M 59.13 – juris Rn. 11). Daran ändert auch ihr Vortrag nichts, die Zusicherung der Antragsgegnerin, die Stelle nicht ohne Durchführung eines Interessenbekundungsverfahrens zu besetzen und bei Vorliegen mehrerer Bewerbungen die Bewerbung der Antragstellerin in die vorzunehmende Leistungsauswahl einzubeziehen, sei angesichts des inzwischen eingeleiteten Disziplinarverfahrens mit dem Ziel einer Entfernung der Antragstellerin aus dem Dienst als Bundesrichterin „bewusst unwahr“. Selbst wenn man nämlich die Zusicherung des Ministeriums außer Acht ließe, ist ein vorbeugendes Rechtsschutzbegehren bezüglich einer noch nicht erfolgten (Status-)Auswahlentscheidung grundsätzlich – wie auch hier – unzulässig (u.a. VGH BW, B.v. 6.6.2017 – 4 S 1055.17 – juris Rn. 7 ff.). Der Antragstellerin ist zuzumuten, die ihr schriftlich mitzuteilende Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin über die künftige Besetzung der Vorsitzendenstelle des IV. Senats beim BFH abzuwarten und erst im Fall ihres Unterliegens um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.
4. Dem Antrag, „vor dem Ergehen einer dieses Verfahren abschließenden Entscheidung umfassende Akteneinsicht beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München einschließlich einer entsprechenden Stellungnahme zu ermöglichen“, kommt keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu. Der Antragstellerin ist aus mehreren von ihr geführten Konkurrentenstreitverfahren bekannt, dass sie Akteneinsicht zu den üblichen Geschäftszeiten in der Geschäftsstelle des 6. Senats nehmen kann. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Verfahren keinen Verwaltungsvorgang vorgelegt; der Inhalt der erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakte ist der Antragstellerin bekannt.
5. Für den Antrag, den „unwirksamen Beschluss“ des Verwaltungsgerichts München vom 13. Dezember 2021 im Verfahren M 5 E 21.4451 aufzuheben, besteht nach Rücknahme der Beschwerde durch die Antragstellerin und Einstellung des Verfahrens durch den Senat mit Beschluss vom 11. Januar 2022 (6 C 21.3139) kein Raum.
6. Die Sache ist entscheidungsreif. Das Abwarten der Entscheidung in anderen richterdienst- und verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren der Antragstellerin ist ebenso wenig angezeigt, wie die von der Beschwerde beantragte Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Verwaltungsgerichts München und die Ausschließung verschiedener Richter des Verwaltungsgerichts von einer weiteren Mitwirkung am Verfahren oder die Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union. Auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 – 2 BvR 2099/21 – Rn. 19 sowie den Senatsbeschluss vom 7. September 2021 – 6 C 21.2079 – wird verwiesen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 40‚ 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1‚ Satz 2 bis 4 GKG. Anzusetzen ist danach im Ergebnis ein Viertel der für ein Kalenderjahr in dem angestrebten Amt (Vorsitzende Richterin am Bundesfinanzhof) zu zahlenden Bezüge (BayVGH, B.v. 24.10.2017 – 6 C 17.1429 – BayVBl 2018, 390; hier 136.484,04 € : 4).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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