Verwaltungsrecht

Dezemberhilfe, Einstweilige Anordnung, Vorwegnahme der Hauptsache

Aktenzeichen  M 31 E 21.3263

Datum:
21.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19889
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 126.527,47 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, die in einem angemieteten Ladenlokal ein Einzelhandelsgeschäft mit Sporttextilien und Sportzubehör und zudem einen Onlineshop zum weiteren Absatz des Warensortiments betreibt, begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung und Auszahlung einer Zuwendung im Rahmen der außerordentlichen Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020 (Dezemberhilfe).
Mit Antrag vom 26. April 2021 begehrte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin als zuständiger Bewilligungsstelle die Gewährung der Dezemberhilfe i.H.v. 126.527,47 EUR. Mit Bescheid vom 18. Mai 2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Dezemberhilfe seien nicht erfüllt. Nach Nr. 2.1 lit. b der Richtlinie für die Dezemberhilfe seien Unternehmen antragsberechtigt, wenn ihre wirtschaftliche Tätigkeit wegen der auf der Grundlage der Beschlüsse vom 28. Oktober, vom 25. November und vom 2. Dezember 2020 erlassenen Bestimmungen auf Landesebene direkt, indirekt oder über Dritte betroffen sei. Unternehmen des Einzelhandels seien von der Schließungsanordnung auf der Grundlage dieser Beschlüsse nicht betroffen und hätten zunächst weiter geöffnet bleiben dürfen. Die Schließung sei erst nach einer weiteren Anordnung im Dezember 2020 angeordnet worden. Damit sei die Antragsberechtigung für die Dezemberhilfe nicht gegeben.
Hiergegen ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 18. Juni 2021, der bei Gericht am gleichen Tage eingegangen ist, Klage erheben, die bei Gericht unter M 31 K 21.3262 geführt wird und über die noch nicht entschieden ist.
Zudem lässt die Antragstellerin im vorgenannten Schriftsatz beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache die außerordentliche Wirtschaftshilfe „Dezemberhilfe“ im begehrten und beantragten Umfang von 126.527,47 EUR vorläufig zu gewähren und auszuzahlen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Versagung der Dezemberhilfe stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz mach Art. 3 Abs. 1 GG dar. Die fehlende Einbeziehung des Einzelhandels in die Corona-Hilfsprogramme im Leistungsumfang der außerordentlichen Wirtschaftshilfe der November- und Dezemberhilfe stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Einzelhändler im Vergleich zu den Begünstigten dar. Als Rechtsfolge hätten die von den coronabedingten behördlichen Berufsverboten betroffenen Einzelhändler einen Anspruch auf Gleichbehandlung, der vorliegend zu einem Anspruch der Einzelhändler auf Einbeziehung in die außerordentlichen Wirtschaftshilfen erstarke. Daraus resultiere auch ein Anordnungsanspruch. Es bestünde auch ein Anordnungsgrund. Dieser ergebe sich aus den irreparablen Nachteilen der Antragstellerin als Unternehmen des stationären Einzelhandels, dem aufgrund des hoheitlich angeordneten Lockdowns ab dem 16. Dezember 2020 maßgeblich die Umsätze des Weihnachtsgeschäfts fehlten. Aufgrund der Versagung der Dezemberhilfe bekomme die Antragstellerin diese fehlenden Umsätze auch nicht ersetzt. Diese Liquidität benötige sie aber dringend, weil sie mit der Beschaffung von zum großen Teil Saisonware in Vorleistung habe gehen müssen und nun wegen ausbleibender Umsätze maßgeblich unter fehlender Liquidität leide, die unter anderem zur Beschaffung neuer Saisonware benötigt werde, sodass aufgrund der fehlenden Liquidität der wirtschaftliche Ruin drohe, bis über den Anspruch auf die Dezemberhilfe in der Hauptsache entschieden sei.
Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 16. Juli 2020 und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird zusammengefasst angeführt, es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin gehöre, wie in der Begründung des angefochtenen Bescheids zutreffend dargelegt werde, nicht zum Kreis der förderberechtigten Unternehmen. Dies beruhe auf einer politischen Abwägung der zuständigen Organe des Bundes, gegen die verfassungsrechtlich nicht zu erinnern sei. Insbesondere sei es nicht willkürlich und ohne Sachgrund, die streitgegenständliche Förderung auf solche Unternehmen zu beschränken, die bereits ab dem 1. November 2020 von Schließungsanordnungen betroffen gewesen seien. Die weiteren Motive, die den Entscheidungen des Bundes zur Ausgestaltung der Billigkeitsregelungen zugrunde lägen, ergäben sich aus einem gemeinsamen Vermerk der Bundesministerien für Wirtschaft und der Finanzen. Es werde von Seiten der Antragstellerin verkannt, dass keine wesentliche Gleichheit der von den Coronamaßnahmen sehr unterschiedlich betroffenen Unternehmen vorliege. Die Antragstellerin habe ihr stationäres Einzelhandelsgeschäft erst ab dem 16. Dezember 2020 schließen müssen und sei daher objektiv in einer weniger belastenden Situation als der Betreiber eines Restaurants, dem bereits ab Anfang November eine Öffnung nicht mehr gestattet gewesen sei. Damit lägen für den vorliegend relevanten Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG ausreichende Differenzierungsgründe vor. Zudem bestünde auch kein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin begehre der Sache nach eine Vorwegnahme der Hauptsache, die nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen sei. Die hierfür erforderlichen Umstände seien aber nicht dargelegt. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass sich die Antragstellerin in einer wirtschaftlich existenzbedrohenden Situation befinde und warum es ihr nicht zugemutet werden könne, eine Klärung in der Hauptsache abzuwarten. Der Vortrag bleibe ohne fallbezogene Substantiierung und beruhe auf dem Pauschalvortrag, die Antragstellerin sei von irreparablen Nachteilen betroffen. Schließlich stünde einer Stattgabe auch das unionsbeihilferechtliche Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV und Art. 3 VO (EU) 2015/1589 entgegen. Die von der Antragstellerin begehrte Zuwendung sei in der gewünschten Form bisher nicht bei der Kommission beihilferechtlich notifiziert und daher auch nicht genehmigt. Ohne eine solche Genehmigung dürfe eine Beihilfe nicht ausgezahlt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem wie im Hauptsacheverfahren M 31 K 21.3262 und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch – also das Bestehen des zu sichernden Anspruchs (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer gerichtlichen Eilentscheidung (Anordnungsgrund) – sind vom Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Der Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz durch Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat keinen Erfolg, da die Antragstellerin mit ihrem Rechtsschutzbegehren eine Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt und die Voraussetzungen für eine darauf gerichtete einstweilige Anordnung nicht erfüllt sind. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Vorwegnahme der Hauptsache der unter M 31 K 21.3262 geführten Klage.
Dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Betroffenen nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in der Hauptsache erreichen könnte. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt dann vor, wenn die Entscheidung und die Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache wäre vorliegend gegeben, da die Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit der angestrebten vorläufigen Gewährung und Auszahlung der Dezemberhilfe sachlich vollumfänglich dasselbe Ziel wie in einem Hauptsacheverfahren verfolgt. Hiergegen lässt sich nicht einwenden, dass die Antragstellerin nur eine in zeitlicher Hinsicht beschränkte Vorwegnahme der Hauptsache begehrt und die vorläufige Gewährung der Soforthilfe jederzeit wieder aufgehoben und das gezahlte Geld zurückgefordert werden könnte, wenn in der Hauptsache eine negative Entscheidung erginge. Auch wenn die vorläufige Gewährung der begehrten Soforthilfe als solche beendet werden könnte, entfaltet eine solche vorläufige Gewährung in der Zwischenzeit bis zu einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung aber weitere erhebliche Wirkungen, die nicht oder nur teilweise rückgängig gemacht werden könnten. Denn bei Erlass der beantragten Entscheidung wäre nicht nur die Antragstellerin betroffen, sondern auch andere (potenzielle) Empfänger, die auf Zahlungen aus dem begrenzten Fördermitteltopf angewiesen sind. Zum einen könnten aufgrund der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel die an andere Empfänger zu vergebenden Gelder eventuell gekürzt werden, wenn an die Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung eine vorläufige Gewährung von Fördermitteln erfolgen würde. Diese könnten dadurch unter Umständen in ihrer Existenz bedroht sein, was nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könnte (vgl. VG München, B.v. 14.7.2020 – M 31 E 20.2819 – juris Rn. 17 f.; VG Köln, B.v. 7.4.2020 – 16 L 679/20 – juris Rn. 9 f.). Dies deshalb, weil nach Satz 2 und 3 der Präambel der Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020 (Dezemberhilfe) i.d.F. der Bekanntmachungen des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 21. Dezember 2020 (BayMBl. Nr. 816), vom 15. Januar 2021 (BayMBl. Nr. 40), vom 1. Februar 2021 (BayMBl. Nr. 82) und vom 10. März 2021 (BayMBl. Nr. 192) die Dezemberhilfe durch Zahlung eines Betrags zur Kompensation des Umsatzausfalls als Billigkeitshaftung ohne Rechtsanspruch im Rahmen der vom Bund zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel erfolgt und die Bewilligungsstelle über den Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache folgt auch daraus, dass eine Rückforderung der vorläufig gewährten Soforthilfe bei negativem Ausgang des Hauptsacheverfahrens zwar rechtlich möglich, aber möglicherweise tatsächlich nicht erfolgversprechend wäre, wenn die Antragstellerin, die sich zur Begründung des Anordnungsgrundes darauf beruft, ohne Gewährung der Dezemberhilfe einer Existenzgefährdung ausgesetzt zu sein, nicht mehr in der Lage ist, auch eine unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit gezahlte, aber sodann verbrauchte Zuwendung zurückzuzahlen (VG München, aaO; VG Köln, aaO).
Im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung ausnahmsweise dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 21.3.1997 – 11 VR 3/97 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 10 CE 18.464 – juris Rn. 6, 8; VG München, aaO Rn. 19; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 123 Rn. 14). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Hierfür wäre zunächst erforderlich, dass der Antragstellerin ohne die begehrte einstweilige Anordnung nicht mehr ausgleichbare Nachteile drohen. Dazu wäre es im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Dezemberhilfe erforderlich, dass die Antragstellerin die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz ihres Betriebs darlegt. Entsprechendes hat sie indes nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht; vielmehr erschöpft sich das Vorbringen der Antragstellerin dazu in einem pauschalen Vortrag ohne einzelfallbezogene Substantiierung, in welchem Umfang sie maßgeblich unter fehlender Liquidität leidet und welche konkret-einzelfallbezogenen Folgen daran für ihren Wirtschaftsbetrieb, namentlich mit Blick auf die Beschaffung neuer (Saison-)Ware, anknüpfen.
Dies zugrunde gelegt, bedarf es vorliegend keiner weiteren Erörterung der Frage des Grades der Erfolgsgeneigtheit in der Hauptsache als weiterer kumulativer Voraussetzung für die Annahme einer Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache mehr. Gleiches gilt für die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise das unionsbeihilferechtliche Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV hier einer Gewährung und Auszahlung der Dezemberhilfe im Wege der einstweiligen Anordnung entgegenstünde.
Der Antrag war damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Eine Reduzierung des Streitwerts war im vorliegenden Fall wegen der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache nicht veranlasst (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013; BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 10 CE 18.2159 – juris Rn. 16 m.w.N.).


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