Verwaltungsrecht

Einstweilige Anordnung, Verwaltungsgerichte, Statthafter Rechtsbehelf, Vorläufiger Rechtsschutz, Willenserklärungen, Feststellungsinteresse, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertbeschwerde, Streitwertanhebung, Streitwertkatalog, Antragstellers, Einstweiliger Rechtsschutz, Feststellungsklage, Feststellender Verwaltungsakt, Vorwegnahme der Hauptsache, Antragsgegner, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Ladengeschäft, Glaubhaftmachung

Aktenzeichen  RO 5 E 21.412

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4769
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BaylfSMV § 12 Abs. 1 12.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass sie berechtigt ist, ihre Filiale in der …, … vollständig zu öffnen.
Die Antragstellerin betreibt eine Kette von Einzelhandelsfilialen, in denen ein Mischsortiment sogenannter Non-Food-Produkte angeboten wird.
Das Landratsamt N. überprüfte am 1.3.2021 die Filiale der Antragstellerin. Dabei wurde festgestellt, dass die Betriebsstätte im Gesamten geöffnet war. Nachdem nach Einschätzung und Eindruck des Landratsamtes das nicht erlaubte Sortiment überwog, wurde dem anwesenden Verkaufspersonal erläutert, dass nach den Vorgaben für einen „Mischbetrieb“ nur das erlaubte Sortiment für Kunden angeboten werden dürfe. Die Verkaufsstelle wurde daraufhin vom Verkaufspersonal eigenständig geschlossen und es wurde versichert, den Betrieb zukünftig nur noch im erlaubten Umfang zu öffnen.
Mit E-Mail vom 3.3.2021 übersandte die Antragstellerin dem Landratsamt ein Sortimentsverzeichnis. Aus diesem ergebe sich, dass die Antragstellerin über 50% zulässige Sortimente anbiete. In diesem seien noch nicht einmal die ebenfalls zulässigen Sortimentsbereiche Schreibwaren und Bürobedarf berücksichtigt. Sie gehe davon aus, im Wege der Schwerpunkttheorie zur Öffnung der gesamten Filiale berechtigt zu sein.
Das Landratsamt antwortete hierauf, dass es bei Mischbetrieben des Einzelhandels nach Auffassung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf den Schwerpunkt ankomme. Liege dieser im erlaubten Bereich, könne das gesamte Sortiment verkauft werden. Sei dies nicht der Fall, könne ausschließlich der erlaubte Teil verkauft werden. Bei der Beurteilung sei auf die Verkehrsanschauung sowie die vernünftige Anschauung des überprüfenden Beamten abzustellen, hierbei komme es auf den Gesamteindruck des Ladengeschäftes an. Nach der vor Ort erfolgten Einschätzung vermittele der Gesamteindruck des überprüften Betriebs, dass das nicht erlaubte Sortiment den Schwerpunkt des Ladengeschäftes bilde.
Am 4.3.2021 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gestellt.
Die Antragstellerin trägt vor, dass am 2.3.2021 ein Bediensteter des Landratsamtes in der Filiale erschienen sei. Nach deren Begehung habe er mitgeteilt, dass die Filiale unverzüglich zu schließen sei. Auf Nachfrage der Mitarbeiter, ob es sich hierbei um eine verbindliche behördliche Anordnung handeln würde, sei dies ausdrücklich bejaht worden. Die Anordnung sei damit begründet worden, dass das Ladengeschäft seinen Schwerpunkt im nichterlaubten Bereich habe. Am 3.3.2021 sei nochmals Kontakt zum Landratsamt aufgenommen worden, da dem Mitarbeiter eine von der Antragstellerin erstellte Sortimentsliste ausgehändigt worden sei. Am 4.3.2021 sei mitgeteilt worden, dass an der Anordnung festgehalten werde, da es einzig auf den Gesamteindruck der Filiale ankomme.
Sie ist der Auffassung, dass statthafter Rechtsbehelf ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Anordnung des Landratsamtes sei. Andernfalls sei der Antrag in einen nach § 123 VwGO umzudeuten. Sie sei auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV in ihrer seit dem 1.3.2021 geltenden Fassung berechtigt, ihre Filiale zu öffnen und zu betreiben. Insbesondere sei sie berechtigt, das gesamte von ihr vertriebene Sortiment zum Verkauf anzubieten. In § 12 Abs. 1 BayIfSMV würden Bereiche genannt, für die keine Schließung angeordnet sei. Nach den „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ des Gesundheitsministeriums würden Mischbetriebe des Einzelhandels oder der Dienstleistung nach dem Schwerpunktprinzip beurteilt, sie könnten insgesamt öffnen, wenn der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im erlaubten Bereich liege. Sie könnten dann auch die übrigen Sortimente verkaufen, um die betrieblichen Abläufen nicht zu belasten. Das Sortiment der betroffenen Filiale bestehe zu 60,1% des vorgehaltenen Sortiments einer „erlaubten“ Warengattung. Auch handele es sich bei den in der Filiale vorrätigen Artikeln ausschließlich um die den Kunden tatsächlich zugänglichen Artikel. Aufgrund der Anordnung des Landratsamtes sei von einem Verwaltungsakt auszugehen.
Die Antragstellerin lässt beantragen,
1.die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die vom Landratsamt N. mündlich angeordnete sofortige Schließung der Einzelhandelsfiliale der Antragstellerin unter der Adresse …, …, anzuordnen.
2.Der Antragstellerin auf der Grundlage von § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zu erlauben, die Filiale unter der Adresse …, …, für den Publikumsverkehr zu öffnen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, dass sich der Mitarbeiter des Landratsamtes vor Ort einen Überblick verschafft habe, und sich über den ausgelegten Bestand und die vorhandene Ware vergewissert habe. Nach seinem Gesamteindruck habe nicht das erlaubte Sortiment überwogen. Die Filialschließung sei nicht durch den Mitarbeiter des Landratsamtes veranlasst worden. Vielmehr habe er vor Ort zu verstehen gegeben, dass das nicht erlaubte Sortiment als solches von den Kunden abzutrennen und abzusperren sei. Eine Öffnung des erlaubten Sortiments sei weiterhin gestattet. Die Rechtslage sei dem Verkaufspersonal erläutert worden, ebenso habe ein telefonisches Rückgespräch mit der Rechtsabteilung der Antragstellerin stattgefunden. Daraufhin sei von der Antragstellerin versichert worden, dass nur noch im erlaubten Umfang geöffnet werde. Nach der durchgeführten Überprüfung sei die Filiale eigenständig durch die Betreiber geschlossen worden. Die dem Landratsamt vorgelegt Inventarliste unterschiede sich von der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten, bei dieser umfasse das erlaubte Sortiment 54%.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass statthafter Antrag im einstweiligen Rechtsschutz ein Antrag nach § 123 VwGO in Form einer Verbescheidung sei. Es sei zu keinem Zeitpunkt zum Erlass eines Verwaltungsaktes gekommen. Es fehle an einer Regelungswirkung, der Mitarbeiter des Landratsamtes habe zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsfolge herbeigeführt, er habe vielmehr mündlich auf die bestehende Rechtslage hingewiesen. Schließlich sei eine Schließung auch nicht sachgerecht gewesen, da durch die bestehende Positivliste ein weiteres Betreiben mit Absperrung der nicht erlaubten Bereiche als Mischbetrieb möglich gewesen sei. Es fehle darüber hinaus an einem Rechtsschutzbedürfnis, da die 11. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmeverordnung zum 7.3.2021 außer Kraft getreten sei.
Der Antrag sei außerdem unbegründet. Auf Grundlage der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) vom 5. März 2021 (BayMBl. Nr. 171, BayRS 2126-1-16-G) hinge es von der 7-Tage-Inzidenz ab, ob Geschäfte öffnen könnten.
Hilfsweise, für den Fall, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft sei, sei darauf hinzuweisen, dass die Einordnung des Warenbestandes vor Ort rechtmäßig gewesen sei. Mischbetriebe des Einzelhandels würden nach dem Schwerpunktprinzip beurteilt. Die Einordnung von Mischbetrieben erfolge aufgrund einer Prognoseentscheidung, es komme nicht darauf an, wie sich das Inventar im Einzelnen zusammensetze. Die Maßnahme sei hier der Hinweis gewesen, dass keine vollumfängliche, sondern nur eine teilweise Öffnung unter Absperrung der anderen Warenbestände möglich sei. Die Vergewisserung über das ausgelegte Sortiment habe aus der Perspektive des Mitarbeiters des Landratsamtes und somit aus der vor Ort bestehenden ex-ante Betrachtung ergeben, dass das nicht erlaubte Sortiment überwiege. Der Mitarbeiter sei aufgrund seiner Erfahrung ausreichend geschult, dass er die Betriebe durch die Vorortüberprüfung in ausreichender Weise einordnen könne. Es komme darauf an, wie das Sortiment aus der Perspektive eines Käufers eingeschätzt werde. Zu beachten sei ferner, dass sich aus der vorgelegten Inventarliste keine Zusammensetzung der Sortimente ergebe.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten und die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Statthafter Rechtsbehelf ist hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 VwGO.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind darüber hinaus nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung).
(1) Entgegen der Darlegungen des Antragstellerinvertreters ist hier nicht gem. § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 5 VwGO vorrangig. In der Hauptsache ist keine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafter Rechtsbehelf, sondern vielmehr eine Feststellungklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO.
Es fehlt vorliegend nach der Aktenlage an einem Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Dabei handelt es sich um jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Bei den Handlungen, die im Rahmen der Filialbegehung am 1.3.2021 vorgenommen wurden, und der E-Mail vom 4.3.2021 handelt es sich nicht um Verwaltungsakte in diesem Sinne.
Ob eine behördliche Erklärung als Willenserklärung anzusehen ist, ob sie eine Regelung im Sinne des Art. 35 BayVwVfG enthält und welchen Inhalt diese hat, bestimmt sich nach §§ 133, 157 BGB (BVerwG, B. v. 24.7.2018 – 6 B 75.17 – juris, Rn. 8 m.w.N.). Maßgeblich ist demnach nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger der Erklärung nach objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwG, B. v. 19.9.2013 – 9 B 20.13 u.a. – juris, Rn. 11). Auch die Begleitumstände, unter denen die Willenserklärung abgegeben wurde, sind bei der Auslegung zu berücksichtigen (BVerwG, U. v. 31.5.2012 – 3 C 12.11 – NVwZ-RR 2012, 628, Rn. 16; zum Ganzen BayVGH, B. v. 4.2.2021 – 20 CS 21.109 – juris, Rn. 20).
Aus dem Schreiben an die Antragstellerin vom 5.3.2021 und dem Ergebnisprotokoll vom 1.3.2021 ergibt sich, dass bei der Kontrolle der Filiale der Antragstellerin dem anwesenden Verkaufspersonal und der Rechtsabteilung die Rechtslage erläutert wurde. Die Mitarbeiter der Antragstellerin hätten versichert, den Betrieb nur noch im erlaubten Rahmen zu öffnen, der Betrieb sei anschließend geschlossen worden, dies sei eigenständig durch das Verkaufspersonal erfolgt.
Der wesentliche Inhalt erschöpft sich bei objektiver Betrachtung im Hinweis auf die geltende Rechtlage nach der damals gültigen 11. BayIfSMV und die Rechtsauffassung des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sowie die Mitteilung, dass es sich nach der Einschätzung bei der Besichtigung vor Ort nicht um einen Betrieb handele, dessen Schwerpunkt im Bereich des erlaubten Sortimentes liege.
Es kommt hierbei auch nicht darauf an, wie die Antragstellerin subjektiv die Anordnung verstanden hat – entscheidend ist der objektive Empfängerhorizont.
Dass die Verwaltungsbehörden gesetzliche Verbote durch feststellenden Verwaltungsakt gegenüber den Normadressaten konkretisieren können (BVerwG, U. v. 23.2.2011 – 8 C 50.09 – BayVBl 2012, 281 – juris, Rn. 29; BayVGH, U. v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – DAR 2016, 104 – juris, Rn. 39), bedeutet nicht, dass der Antragsgegner dies nach dem objektiven Empfängerhorizont getan hat. Die Auffassung der Antragstellerin, der Antragsgegner habe mit den Handlungen vor Ort und der E-Mail die generell-abstrakte Schließungspflicht des damaligen § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV auf den Einzelfall ihres Betriebs verbindlich konkretisiert, teilt die Kammer nicht. Auch lässt sich aus dem Verhalten des Mitarbeiters des Landratsamts und der konkretisierenden E-Mail nicht entnehmen, dass diese das Ziel hatten, die unmittelbar geltende Betriebsuntersagung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV für den Fall der Übertretung mit Zwangsmitteln vollziehbar zu machen (vgl. BayVGH, U. v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – DAR 2016, 104 – juris Rn. 39; zum Ganzen BayVGH, B. v. 4.2.2021 – 20 CS 21.109 – juris, Rn. 21).
Soweit die Prozessvertretung der Antragstellerin darüber hinaus geltend macht, dass der Mitarbeiter des Landratsamtes ausdrücklich bestätigt habe, dass es sich um eine verbindliche behördliche Anordnung handele, sind keine entsprechenden Mittel zur Glaubhaftmachung vorgelegt.
(2) Statthafter Rechtsbehelf in der Hauptsache ist die Feststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Die Antragstellerin begehrt nach Auslegung ihres Klageantrags unter Zugrundelegung ihres Begehrs (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) die Feststellung, dass ihre Filiale gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV insgesamt von der Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr ausgenommen ist.
(3) Nach Auslegung der Antragsschrift nach dem objektiven Empfängerhorizont begehrt die Antragstellerin darüber hinaus keine Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 28 Abs. 2 12. BayIfSMV. So ergibt sich aus dem Vortrag der Antragstellerin, dass diese davon ausgeht, vom Anwendungsbereich der Ausnahme des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV erfasst zu sein.
b) Die Antragstellerin verfügt diesbezüglich auch über das notwendige Feststellungsinteresse im Sinn des § 43 Abs. 1 Hs. 2 VwGO. Zwischen der Antragstellerin und dem Landratsamt ist streitig, ob die Antragstellerin insgesamt von der Ausnahme des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV erfasst ist.
Ihr Feststellungsinteresse ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 8 der 12. BayIfSMV die Öffnung von Ladengeschäften zulässig wäre, weil die 7-Tage-Inzidenz von 50 nicht überschritten ist. Der Landkreis N. weist am 11.3.2021 erst seit einem Tag eine 7-Tage-Inzidenz von unter 50 auf (Robert Koch-Institut, COVID-19-Dashboard, https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie gehört nicht zu den Betrieben, die nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV von der Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften ausgenommen sind.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Glaubhaftmachung sowohl eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit) als auch eines Anordnungsanspruchs.
Hier besteht die Besonderheit, dass im Falle der Gewährung von Eilrechtsschutz die Hauptsache vorweggenommen würde, was dem Wesen des vorläufigen Rechtsschutzes widerspricht. Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 13 m.w.N. aus Rspr. und Lit.). Dies wäre hier jedoch der Fall. Die vorläufige Feststellung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage würde die Hauptsache im Hinblick auf die zeitlich begrenzte Geltung der Geschäftsschließungen (vgl. § 30 12. BayIfSMV) vorwegnehmen. Andererseits ist es anerkannt, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache, dann möglich ist, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. BVerfG, B. v 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 – juris = BVerfGE 79, 69; BVerwG, U. v. 18.4.2013 – 10 C 9.12 – juris = BVerwGE 146, 189; BVerwG, B. v. 13.8.1999 – 2 VR 1.99 – juris = BVerwGE 109, 258; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO, § 123, Rn. 145, EL Juli 2020; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 14).
a) Die Antragstellerin fällt nicht unter die Ausnahmen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV.
§ 12 Abs. 1 Satz 1 12. BayIfSMV untersagt grundsätzlich die Öffnung sämtlicher Ladengeschäfte mit Kundenverkehr. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV sind von der Schließungsanordnung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BayIfSMV der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Pfandleihäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte, der Verkauf von Presseartikeln, Versicherungsbüros, Buchhandlungen, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel ausgenommen.
Maßgeblich für die Auslegung der Ausnahmen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV ist der objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt. Der Erfassung des objektiven Willens des Normgebers dienen die anerkannten Auslegungsmethoden aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Materialien des Normsetzungsverfahrens und der Entstehungsgeschichte. Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) müssen die Bürger in zumutbarer Weise selbst feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen; die Gerichte müssen in der Lage sein, die normative Entscheidung zu konkretisieren. Sieht eine Rechtsverordnung die Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit vor, muss die Bußgeldvorschrift die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG erfüllen. Der grammatikalischen Auslegung bzw. der Wortlautgrenze kommt dann eine herausgehobene Bedeutung zu (BayVGH, B. v. 4.3.2021 – 20 CE 21.550, Rn. 13 m.w.N.). Als Ausnahmetatbestand ist § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV grundsätzlich eng auszulegen (BayVGH, B. v. 4.2.2021 – 20 CS 21.109 – juris, Rn. 31; B. v. 14.4.2020 – 20 CE 20.725 – juris Rn. 7 f.).
(1) § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV regelt – einrichtungsbezogen – die Schließung oder Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr; er entscheidet nicht über die infektionsschutzrechtliche Zulässigkeit bestimmter Geschäftsmodelle (BayVGH, B. v. 4.2.2021 – 20 CS 21.109 – juris, Rn. 33).
Nach dem Wortlaut sind von § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV die Ladengeschäfte bestimmter Geschäftstypen des Einzelhandels von der Schließung ausgenommen. Dazu gehören beispielsweise Apotheken, Drogerien, Optiker, Baumärkte und Gartenmärkte. Diese sind durch ein typisches Warenangebot und eine typische Struktur bestimmt (VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht; zum Lebensmitteleinzelhandel auch VG Augsburg, B. v. 25.1.2021 – Au 9 S 21.115 – BeckRS 2021, 1256, Rn. 37). Einzelne Ladengeschäfte lassen sich in der Regel eindeutig in diese Kategorien einordnen. Diese Ladengeschäfte haben regemäßig neben ihrem spezialisierten Produkt- und ggf. Beratungsangebot auch bauliche Eigenheiten, die der Verordnungsgeber zum Teil ausdrücklich bei der Entscheidung über ihren Einbezug in die Ausnahmevorschrift berücksichtigt hat (vgl. die Berücksichtigung der großflächigen Anlage von Baumärkten und ihre regelmäßige Lage außerhalb von Innenstädten nach der Begründung der Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 24.2.2021, BayMBl. 2021 Nr. 150; VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht).
Werden nicht unter § 12 Abs. 1 Satz 2 BayIfSMV fallende Geschäftsarten als untergeordnete Nebengeschäfte eines nach § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV zulässigerweise geöffneten Geschäftstyp betrieben, werden sie nicht vom Verbot des § 12 Abs. 1 Satz 1 der 12. BayIfSMV erfasst (zum untergeordneten Betrieb von Wettannahmestellen BayVGH, B. v. 28.1.2021 – 20 CE 20.3169 – juris, Rn. 4).
Dem Wortlaut der 12. BayIfSMV kann jedoch nicht entnommen werden, dass Produkte in einem zulässigerweise geöffneten Geschäftstyp auch in einem Ladengeschäft verkauft werden dürfen, das nicht dem entsprechenden Geschäftstyp entspricht. Ein Ladengeschäft kann demnach insgesamt nur unter Satz 2 gefasst werden, wenn es nach seiner gesamten Prägung einer dort genannten Einzelhandelskategorie zuzuordnen ist (VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht).
Die Filiale der Antragstellerin in N. fällt unter keine der in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 12. BayIfSMV genannten Kategorien.
Ausweislich ihrer Sortimentsliste vertreibt die Antragstellerin Produkte der Kategorien Accessoires (Anteil am Gesamtbestand in Stück 0,8%), Baumarkt (20,9%), Bürobedarf (2,7%), Drogerie (14,6%), Elektro (1,8%), Gartenmarkt (7,1%), Haushaltswaren (8,2%), Heimtextilien (2,3%). Hobby- und Künstlerbedarf (5,8%), Lebensmittelhandel (4,8%), Leuchtdeko (0,8%), Markenschreibwaren (4,4%), Aktionsartikel (0,8%), Papier- und Ordner (2,3%), Party (3,9%), Raumdeko (3,7%), Saisonware (6,2%), Schmuck (0,5%), Spielwaren (4,5%), Textil (0,7%) und Tierbedarf (3,2%).
In Verbindung mit dem Gesamteindruck, der sich dabei im Zusammenschau aus dem Internetauftritt der Antragstellerin ergibt, ist die Filiale der Antragstellerin keiner der zugelassenen Ladengeschäfte zuzuordnen. Insbesondere überwiegt keine der einzelnen Produktkategorien so stark, dass von einer entsprechenden Gesamtprägung ausgegangen werden könnte. Es handelt sich bei ihr nicht um eine der Geschäftstypen, die in untergeordnetem Umfang weitere Waren verkauft, sondern um einen sogenannten Mischbetrieb.
(2) Es lässt sich dem Wortlaut der Verordnung nicht entnehmen, dass bei Mischbetrieben für eine vollständige Öffnung nach dem Anteil erlaubter Waren zu differenzieren wäre.
Das ergibt sich zum einen aus der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 3 der 12. BayIfSMV, nach dem der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäftes hinausgehen, untersagt ist. Zum anderen ist die Vorschrift als Ausnahme – wie bereits ausgeführt – eng auszulegen (VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht).
Die von den Beteiligten mit Verweis auf die „FAQ Corona und Wirtschaft“ vorgebrachte „50%-Grenze“ für Mischbetriebe findet auch in der 12. BayIfSMV keine Stütze, es gibt gerade keine Regelung zu Mischbetreiben, die an „erlaubte Produkte“ anknüpft. Durch die FAQ würde hier eine Sonderregelung geschaffen, die über den klaren Wortlaut von § 12 Abs. 1 12. BayIfSMV hinausgeht und für die der Wortlaut keinen Anhaltspunkt bildet (VG Augsburg, B. v. 25.1.2021 – Au 9 S 21.115 – juris Rn. 40; VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht). Die „FAQ“ entfalten keinerlei rechtliche Bindungswirkung und sind insoweit eine behördeninterne Auslegungshilfe mit allenfalls informativem Aussagewert (vgl. VG Augsburg, B. v. 28.1.2021 – Au 9 E 21.129 – juris LS 4 und Rn. 37; VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht).
Eine solche Lesart des § 12 Abs. 1 Satz 2 12. BayIfSMV würde zudem eine Vielzahl offener Fragen aufwerfen: so wäre völlig offen, an welchem von vielen möglichen Kriterien die 50%-Grenze zu bemessen wäre, weiter wäre unklar, welche zeitliche Dimension der Betrachtung zugrunde liegen müsste, ob z.B. nur auf das Warenangebot im Zeitpunkt einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre, auf das durchschnittliche Warenangebot oder Ähnliches (VG Bayreuth, B. v. 4.3.2021 – B 7 S 21.234 – noch nicht veröffentlicht).
(3) Es handelt sich bei der Filiale der Antragstellerin auch nicht um ein Ladengeschäft, das für die tägliche Versorgung unverzichtbar ist.
Die Befriedigung des jeweiligen Bedarfs muss dabei ein gewisses Gewicht haben und von der Rechtsordnung anerkannt sein. Der „täglichen Versorgung“ dienen Ladengeschäfte zwar nicht erst, wenn sie der Deckung eines im eigentlichen Wortsinn „täglich“ auftretenden Bedarfs jedes einzelnen dienen, sondern auch schon dann, wenn sie einen individuellen Bedarf abdecken, der jederzeit und damit „täglich“ eintreten kann, d. h. der sich für den Einzelnen üblicherweise nur gelegentlich ergibt, aber nicht plan- oder vorhersehbar ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber mit dem Auffangtatbestand besonderen Einzelfällen Rechnung tragen und nicht etwa ganze Branchen erfassen wollte (vgl. BayVGH, B. v. 4.3.2021 – 20 CE 21.550 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 16 f. m.w.N.).
Aufgrund der Warenzusammenstellung ist jedoch nicht davon auszugehen, dass es sich bei der Filiale der Antragstellerin insgesamt um ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft handelt. Nach seiner Gesamtprägung handelt es sich nicht um ein Ladengeschäft, das Bedürfnisse von gewissem Gewicht bedient, die von der Rechtsordnung anerkannt sind.
b) Die Regelung der 12. BayIfSMV begegnet nach Auffassung der Kammer nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Überprüfung auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar werden die betroffenen Geschäftsinhaber erheblich in ihren Grundrechten, insbesondere aus den Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG tangiert. Gleichwohl dürften die Eingriffe verhältnismäßig sein; denn den Interessen der betroffenen Geschäftsinhaber stehen das Interesse der Allgemeinheit an einem möglichst umfassenden und wirksamen Schutz von Leib und Leben sowie das Interesse an der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitssystems gegenüber. Hinzu kommt, dass der Verordnungsgeber mit der 12. BayIfSMV nunmehr eine nach Inzidenzwerten differenzierte Regelung eingeführt hat, wodurch den Interessen der Gewerbetreibenden im Vergleich zur Vorgängerregelung ein höheres Gewicht gegeben wird.
Die Kammer sieht sich im Übrigen nicht veranlasst, eine intensivere verfassungsrechtliche Überprüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmen, da auch die Antragstellerin die Verfassungsgemäßheit der restriktiveren Vorgängerregelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV, die ein vollständiges – also nicht inzidenzabhängiges – Öffnungsverbot enthielt, nicht grundlegend angezweifelt hat. Sie hat ausschließlich die Feststellung beantragt, dass sie berechtigt ist, ihr Ladengeschäft zu öffnen. Wäre sie dagegen der Auffassung, die Regelung sei verfassungswidrig, so hätte sie den Weg der verfassungsrechtlichen Prüfung des Öffnungsverbots über ein Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einschlagen müssen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz i. V. m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Angesichts der Vorwegnahme der Hauptsache erachtet es das Gericht für sachgerecht, den Streitwert auf die Höhe des für ein Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben und insgesamt damit einen Streitwert in Höhe von 5.000 € festzusetzen.


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