Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage auf Flüchtlingsanerkennung (Algerien)

Aktenzeichen  W 8 K 20.30307

Datum:
28.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26882
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3, § 3e, § 4, § 25, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1, Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln ist es in Algerien möglich, dass es zu Ehrenmorden kommen kann, insbesondere im ländlichen Bereich und insbesondere gegenüber Frauen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit muss im Einzelfall festgestellt werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2, Aufgrund des jedenfalls mangelhaften Meldewesens in Algerien ist ein Verstecken in der Anonymität einer Großstadt möglich. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. März 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Eine Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kläger nach ihren eigenen Angaben auf dem Landweg aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Al. keine politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht (vgl. auch BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; B.v.14.8.2018 – 15 ZB 18.31693 – juris).
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Den Klägern ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Kläger ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass eine außereheliche Beziehung und eine drohende Zwangsheirat grundsätzlich ein relevanter Verfolgungsgrund sein könnten. Jedoch handele es sich um keine staatlich motivierte Verfolgung hinsichtlich der außerehelichen Beziehung. Insoweit habe die Klägerin zu 1) weder staatliche noch nichtstaatliche Verfolgung vorgetragen. Die Klägerin zu 1) habe angegeben, dass niemand von der Beziehung gewusst und diese schon vor der Ausreise geendet habe. Hinsichtlich der behaupteten Zwangsheirat fehle es an der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Infolge der nach traditionellem Recht erfolgten Heirat in Frankreich sei nicht mehr beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin zu 1) ein ernsthafter Schaden drohe, weil es ihrem Vater nur wichtig gewesen sei, dass sie überhaupt verheiratet sei. Bei einer Rückkehr sei auch eine Unterschreitung des wirtschaftlichen Existenzminimums nicht zu befürchten. Insbesondere erscheine es zumutbar, den Lebensunterhalt durch einfache und gegebenenfalls befristete Tätigkeiten zu sichern. Die 26-jährige Klägerin zu 1) sei jung, gesund und erwerbsfähig. Sie verfüge über familiäre Beziehung und könne nötigenfalls darauf zurückgreifen. Außerdem gebe es in Al. Frauenhäuser und Frauenrechtsorganisationen sowie mögliche Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer.
Die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Al. vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Al. vom 26.6.2020; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 11, Al., Marokko, Tunesien, Menschenrechtslage, im Focus: vulnerable Personen, Stand: 6/2019; Länderreport 3, Al., November 2018) und mit der Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa VG Würzburg, B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.31066 – BeckRS 2020, 25104; U.v. 24.8.2020 – W 8 K 20.30714 – juris; B.v. 13.8.2020 – W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 – W 8 S 20.30912 – juris; jeweils m.w.N.).
Ergänzend ist anzumerken, dass das Vorbringen der Klägerin zu 1), insbesondere in der mündlichen Verhandlung, nicht zu einer anderen Beurteilung führt. Soweit sie erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, überhaupt nicht traditionell verheiratet zu sein, ist dies nicht glaubhaft. Ihr Vorbringen, dass der Dolmetscher sie vielleicht falsch verstanden habe – sie habe nur von einer Hochzeitsfeier gesprochen, aber nicht von einer Hochzeit; dies habe er wohl falsch verstanden -, ist dem entgegenzuhalten, dass sie zuvor bei zwei verschiedenen Anhörungen unabhängig voneinander jeweils das Gegenteil zu Protokoll gegeben hat. Bei der Anhörung beim Bundesamt am 29. November 2019 hat sie ausdrücklich angegeben, sie sei mit dem Vater des Klägers zu 2) nach traditionellem Recht verheiratet; sie habe in Frankreich geheiratet. Auch bei ihrer Anhörung bei der Regierung von Unterfranken am 11. Dezember 2019 hat sie explizit erklärt, in Frankreich traditionell verheiratet gewesen zu sein.
Des Weiteren entspricht der angeblich gegen sie vorliegende Haftbefehl nicht der Realität. Vielmehr scheint es sich offenkundig um eine Art Vermisstenanzeige des Vaters zu handeln und nicht um einen amtlichen Haftbefehl. Denn bei dem von der Klägerin zu 1) vorgelegten Ausdruck der Fotos der Schreiben fehlen sowohl behördliche Köpfe als auch Stempel. Des Weiteren hat der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung aus den Schreiben übersetzt und angeführt, dass es wohl ein Schreiben des Vaters sei mit dessen Fingerabdruck und er mit diesem bei den Behörden eine Anzeige erstattet habe, weil die Klägerin zu 1) am 24. Juli 2015 von der Wohnung weggerannt sei. Er habe sie gesucht und nicht gefunden. Deshalb sei er zur Polizei und habe Anzeige erstattet. Der Vater habe auf beiden Dokumenten unterschrieben und den gleichen Sachverhalt geschildert. Ob und wie die algerischen Behörden auf dieses Schreiben reagiert haben, konnte die Klägerin zu 1) nicht angeben. Insbesondere ist nicht ersichtlich und erst recht nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin zu 1) landesweit aufgrund eines Haftbefehls zur Fahndung ausgeschrieben sein sollte und nach mehr als fünf Jahren immer noch behördlich gesucht werde, so dass sie bei einer Rückkehr am Flughafen mit einer Verhaftung rechnen müsste.
Des Weiteren sprechen die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskünfte gegen eine beachtliche wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Zwar ist es in Al. möglich, dass es zu Ehrenmorden kommen kann, insbesondere im ländlichen Bereich und insbesondere gegenüber Frauen (vgl. BAA, Bundesasylamt der Republik Österreich, Bericht zur Fact Finding Mission, Al. 2012 mit den Schwerpunkten Menschenrechtsfragen und rückkehrrelevante Themen, Februar 2013, S. 11 f.). Tatsächlich würden sich gesellschaftliche Reaktionen primär gegen Frauen richten, die außereheliche Beziehungen eingingen. Da die Familie ihr Gesicht verlieren würde, würde die Frau verstoßen (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Al.: Strafbarkeit vom vorehelichen Geschlechtsverkehr; Gilt in solchen Fällen die Scharia oder ist dies im Strafgesetzbuch gereg…, vom 29.7.2014). Die meisten Berichte im Kontext von Ehrenmorden bezögen sich auf weibliche Opfer (ACCORD, Anfragebeantwortung: Männliche Opfer von Gewalttaten wegen außerehelicher Beziehungen, vom 22.8.2007; vgl. auch schon VG Würzburg, U.v. 24.8.2020 – W 8 K 20.30714 – juris; U.v. 5.11.2018 – W 8 K 18.31898 – juris; U.v. 23.5.2018 – W 8 K 18.30250 – juris). Insgesamt erachtet es das Gericht danach zwar als möglich, dass es in Al. zu Ehrenmorden kommen kann, aber als nicht beachtlich wahrscheinlich.
Jedenfalls droht den Klägern bei einer eventuellen Rückkehr nach Al. schon deshalb keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens Dritter – konkret ihrer Familie bzw. seitens des Vaters des Klägers zu 2) -, weil sie insoweit zum einen gehalten sind, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um um Schutz nachzusuchen, und weil zum anderen für sie eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Für die Kläger besteht in Al. eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn sie sich in einen anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Al.s niederlassen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der demokratischen Volksrepublik Al. vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 18). Die Kläger müssen sich auf interne Schutzmöglichkeiten in ihrem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Al.s ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Familie der Kläger bzw. der Vater des Klägers zu 2) die Kläger ohne weiteres auffinden können sollten, wenn sie ihren ursprünglichen Heimatort meiden und in andere Großstädte gehen. Angesichts der Größe Al.s und der Größe der dortigen Städte hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger fürchten müssten, von ihren Verwandten entdeckt und gefährdet zu werden. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzwillig und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (vgl. VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris; U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; SaarlOVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 48/15 – juris).
Ergänzend wird noch angemerkt, dass aufgrund des jedenfalls mangelhaften Meldewesens in Al. ein Verstecken in der Anonymität einer Großstadt möglich ist. Des Weiteren haben die Kläger nicht konkretisiert, inwiefern ihre Familie bzw. der Vater des Klägers zu 2) überhaupt von ihrer Rückkehr erfahren und sie ausfindig machen könnten. Wie bereits ausgeführt, ist eine Festnahme am Flughafen angesichts des angeblichen „Haftbefehls“, welcher eher eine Vermisstenanzeige darstellt, nicht beachtlich wahrscheinlich. Die Vermutung bzw. die theoretische Möglichkeit, dass die Kläger gleichwohl entdeckt werden könnten, reicht nicht aus, zumal sich die Klägerin zu 1) schon über fünf Jahre außerhalb des Landes aufhält. Weiter sind alleinstehende Mütter in Al. in Großstädten in geringerem Ausmaß von Stigmatisierung betroffen. Auch für diese gibt es bei einer unehelichen Beziehung einen zumutbaren Ausweg innerhalb Al.s (vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Al.: Strafbarkeit von vorehelichem Geschlechtsverkehr, vom 29.7.2014; vgl. dazu auch schon VG Würzburg, U.v. 24.8.2020 – W 8 K 20.30714 – juris; B.v. 14.1.2020 – W 8 S 20.30008 – juris; VG Würzburg, U.v. 5.11.2018 – W 8 K 18.31898 – juris). Die Klägerin zu 1) hat zudem angegeben, dass sie ihre beiden Kinder unehelich seien und sie für beide das alleinige Sorgerecht habe. Vor diesem Hintergrund droht dem Kläger zu 2) auch keine ungewollte Beschneidung.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass es in der Hauptstadt Algier ein von der Organisation S.O.S. Femmes en Détresse betriebenes Haus gebe, das mit einem Frauenhaus vergleichbar sei. Die Regierung führe zwei Frauenhäuser und drei weitere sollen im Bau sein. In den zwei staatlichen Frauenhäusern würden jährlich ca. 220 Frauen unterstützt. Zudem gebe es ein von einer Frauenorganisation organisiertes „Call-Center“ (vgl. auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Al. vom 26.6.2020, S. 23; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länder-Report 11, Al., Marokko, Tunesien, Menschenrechtslage – im Focus: Vulnerable Personen, Stand: 6/2019 sowie VG Würzburg, B.v. 14.1.2020 – W 8 S 20.30008 – juris).
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass der Klägerin zu 1) zusammen mit ihrem Sohn – den Kläger zu 2) – und ihrer Tochter im Anschluss an ihrer Rückkehr die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Der Klägerin zu 1) ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Al. lebenden Familienmitgliedern, so dass sie sich jedenfalls ihr Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Al.s, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Al. ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Al. vom 11.7.2020, Stand: Juni 2020, S. 6, 8 f. und 21; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Al. vom 26.6.2020, S. 27 ff.). Die Klägerin zu 1) ist noch jung, gesund und erwerbsfähig; ihr ist zuzumuten, zur Sicherung ihres Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Al. noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen oder sonstige Hilfemöglichkeiten zurückzugreifen. Letztlich ist der Klägerin zu 1) eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse ihres Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso VG München, B.v. 2.7.2020 – M 26 S 20.31428 – juris; VG Frankfurt, U.v. 5.3.2020 – 3 K 2341/19.F.A – juris; SaarlOVG, B.v. 25.9.2019 – 2 A 284/18 – juris; VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris; U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; BVerwG, U.v. 25.4.2019 – 1 C 46/18 – InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – Buchholz 402.242, § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.019 – 3 A 32/18 – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte auch schon ausgeführt, dass der Klägerin zu 1) eine Existenzsicherung auch zusammen mit ihren Kindern, etwa durch Gelegenheitsarbeit, möglich sei. Des Weiteren könne sie sich – falls nötig – als ledige Mutter mit unehelichen Kindern bei einer Rückkehr nach Al. an einen von einer Frauenorganisation organisierten „Call-Center“ wenden bzw. an ein Frauenhaus oder sonstige vergleichbare Häuser. Auch wenn die Lebensverhältnisse misshandelter und alleinerziehender Frauen ohne familiäres Netzwerk in Al. schwierig ist, ist nach Auffassung des Gerichts eine Existenzsicherung möglich und zumutbar. Jedenfalls ist die Annahme einer extremen Gefährdungslage für eine Mutter mit einem oder zwei unehelichen Kindern nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegeben, zumal es bei einer (freiwilligen) Rückkehr auch die Möglichkeit finanzieller und anderer Hilfen gibt (so ausdrücklich auch VG Stade, U.v. 1.4.2019 – 3 A 32/18 – juris sowie schon VG Würzburg, B.v. 14.1.2020 – W 8 S 20.30008 – juris).
Sonstige Gründe für das Bestehen eines Abschiebungsverbots sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Ergänzend wird lediglich noch angemerkt, dass insbesondere auch die weltweite COVID-19-Pandemie kein Abschiebungshindernis begründet, weil nach den aktuellen Fallzahlen in Al. – auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe Sitzungsprotokoll, S. 2), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder gar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Al. krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wären. Dies gilt gerade, wenn die Kläger die vom algerischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutzmasken usw.) beachten und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen, zumal der algerische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfemaßnahmen getroffen hat (siehe Auswärtiges Amt, Al.: Reise- und Sicherheitshinweise; Deutsche Botschaft Algier, aktuelle Corona-Maßnahmen in Al.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage, vom 9.7.2020, S. 14 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Al., v. 26.6.2020, S. 30; siehe auch VG München, B.v. 2.7.2020 – M 26 S 20.31428 – juris; vgl. zum Ganzen ausführlich VG Würzburg, B.v. 22.9.2020 – W 8 S 20.31066 – BeckRS 2020, 25104; B.v. 13.8.2020 – W 8 S 20.30940; B.v. 6.8.2020 – W 8 S 20.30912 – juris; B.v. 17.7.2020 – W 8 S 20.30824 – juris; jeweils m.w.N.).
Abgesehen davon haben die Kläger keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von Covid-19 in Al. darstellt, insbesondere wie viele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger Sars CoV 2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wie vielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen und welche Effektivität der algerische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Fall einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen, zu der auch eine eventuelle – bei den Klägern nicht gegebene – Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20.A – juris).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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