Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in asylrechtlicher Streitigkeit

Aktenzeichen  11 ZB 18.30286

Datum:
8.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2308
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
AsylG § 3e, § 78 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Ukrainische Binnenflüchtlinge und Rückkehrer stehen Leistungen nach dem ukrainischen Gesetz über die Rechtsstellung von Binnenflüchtlingen als auch andere Sozialleistungen (Soziale Unterstützung, Kindergeld, Unterstützung für Senioren und alleinstehende Frauen, Alters-, Behinderten- und Hinterbliebenenrenten, Arbeitslosenunterstützung sowie Obdachlosenunterstützung) zur Verfügung. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist die Grundversorgung der Rückkehrer knapp ausreichend, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Würdigung von Unterlagen (hier: Auskunft des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) ist ein Akt der richterlichen Überzeugungsbildung, der regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 16.30714 2017-12-12 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Welchen Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 AsylG die Kläger mit ihrem Vortrag, die Entscheidung verstoße gegen Verfassungsgrundsätze, geltend machen möchten, ist nicht nachvollziehbar.
1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/ 17.A). Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Berufung voraus, dass für jeden dieser Gründe die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124a Rn. 7).
2. Diese Voraussetzungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob Bürger des Donbass auf eine sichere Fluchtalternative in der Westukraine verwiesen werden können. Sie gehen diesbezüglich davon aus, dass Bürger des Donbass in den westlichen Teilen der Ukraine diskriminiert würden, da ein Schulgesetz verabschiedet worden sei, gemäß dem die russische Sprache nicht mehr als Unterrichtssprache genutzt werden dürfe. Dass man die Diskriminierung zuerst an wirtschaftlichen Tatsachen festmache, ändere nichts an der Diskriminierung. Zudem sei das Donbass-Gesetz erlassen worden. Danach mache man sich strafbar, wenn man mit den Besatzern zusammenarbeite. Da kein Rückwirkungsverbot bestehe, sei der Kläger bei einer Rückkehr Strafverfolgung ausgesetzt. Zudem sei das Existenzminimum bei der Rückkehr in die Ukraine nicht gewährleistet. Das stelle einen Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar.
Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheids nach § 77 Abs. 2 AsylG davon ausgegangen, dass kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG bestehe, da dem Vorbringen der Kläger schon keine zielgerichtete Verfolgung und kein flüchtlingsrelevantes Anknüpfungsmerkmal entnommen werden könne, sondern sich die Gefahr vielmehr aus der allgemeine Situation ergebe (S. 4 des Bescheids). Ein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG bestehe ebenfalls nicht, da in den Oblasten Luhansk und Donezk kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzunehmen sei (S. 4 bis 6 des Bescheids). Der Zulassungsantrag setzt sich auch nicht ansatzweise mit diesen Ausführungen, die hinsichtlich des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit zahlreichen Erkenntnismitteln unterlegt sind, auseinander. Der Hinweis auf zwei Presseartikel betreffend das im Januar 2018 verabschiedete Donbass-Gesetz reicht hierfür nicht aus und es ist auch nicht ersichtlich, welche rechtliche oder tatsächliche grundsätzliche Frage bezogen auf einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung oder Zuerkennung subsidiären Schutzes damit untermauert werden soll.
3. Nur darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass den Klägern in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 3e AsylG zur Verfügung stehe.
Ob eine interne Schutzalternative besteht, hängt nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG davon ab, ob der Betreffende sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 3e Abs. 2 AsylG sind bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers zu berücksichtigen. Die Frage, ob eine interne Schutzmöglichkeit zur Verfügung steht, kann daher regelmäßig nicht grundsätzlich geklärt werden, sondern hängt von der Art der geltend gemachten Verfolgung und den persönlichen Umständen des Betreffenden ab.
Im Übrigen hat sich das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf zahlreiche Erkenntnismittel mit der Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative ausführlich befasst und auch der Bescheid des Bundesamts, den das Verwaltungsgericht in Bezug genommen hat, macht unter Nennung zahlreicher Erkenntnismittel umfangreiche Ausführungen (S. 7 bis 9 des Bescheids) zu der Thematik. Damit setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander und nennt keine Erkenntnisquellen, die diese Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen unzutreffend oder zumindest zweifelhaft erscheinen lassen. Der Verweis auf eine Liste über Lebensmittelpreise in der Ukraine, die den Klägern von einer Rechtsanwältin und Beraterin des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsforschung zur Verfügung gestellt worden sein soll, ist zu unsubstantiiert, um Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu begründen. Weder ist daraus ersichtlich, um was für eine Einrichtung es sich bei dem Institut handeln soll, noch wie die Preise ermittelt worden sind. Der Hinweis auf das im Herbst 2017 verabschiedete ukrainische Bildungsgesetz, mit dem der Unterricht in den Sprachen der Minderheiten eingeschränkt wird, reicht ebenfalls nicht aus, um Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu wecken. Die Kläger haben sich bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt darüber hinaus selbst als ukrainische Volkszugehörige bezeichnet und als zweite Sprache Ukrainisch angegeben.
4. Die von den Klägern vorgetragenen Bedenken gegen die vom Verwaltungsgericht zitierte Auskunft des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom 26. Juli 2017, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, kann nicht zur Zulassung der Berufung führen. Bei der Würdigung von Unterlagen handelt es sich um einen Akt der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen ist (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 7 B 37.15 – juris Rn. 22). Eine auf die Auskunft bezogene rechtliche oder tatsächliche grundsätzliche Frage haben die Kläger nicht formuliert. Selbst wenn man dem Vortrag die Frage entnehmen wollte, ob durch die nach dem ukrainischen Gesetz über die Rechtsstellung von Binnenflüchtlingen vorgesehene Unterstützung das Existenzminimum gesichert werden kann, wäre diese Frage für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich gewesen. Es ist nämlich davon ausgegangen, dass der Kläger und die Klägerin zu 2 auch auf ihre Arbeitsfähigkeit und die Klägerin zu 3 auf die Unterstützung durch ihre Eltern zu verweisen seien. Darüber hinaus stehen in der Ukraine nach dem „Länderinformationsblatt Ukraine“ vom 26. Juli 2017, zuletzt aktualisiert am 19. Dezember 2017, neben dem IDP-Gesetz auch noch andere Sozialleistungen (Soziale Unterstützung, Kindergeld, Unterstützung für Senioren und alleinstehende Frauen, Alters-, Behinderten- und Hinterbliebenenrenten, Arbeitslosenunterstützung sowie Obdachlosenunterstützung) zur Verfügung. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. Februar 2017 (Lagebericht) ist die Grundversorgung für Rückkehrerinnen und Rückkehrer knapp ausreichend, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist gesichert (Lagebericht, S. 15). Zusätzlich werden Binnenflüchtlinge nach der Erkenntnislage auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie dem UNHCR unterstützt (Auskunft des Auswärtigen Amts vom 21.1.2015 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
5. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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