Verwaltungsrecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag: Nachträgliche Nebenbestimmungen zu einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  1 ZB 20.789

Datum:
30.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20503
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 36 Abs. 1 Alt. 2, Art. 37 Abs. 1, Art. 48
BGB § 133, § 157
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

Die Bauaufsichtsbehörde kann nachträglich Nebenbestimmungen auf die Grundlage von Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG stützen , um eine bereits bei Erteilung der Genehmigung bestehende, der Baugenehmigungsbehörde aber noch nicht bekannte, naturschutzrechtliche Rechtswidrigkeit zu beseitigen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 17.5622 2019-11-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger wenden sich gegen einen Änderungsbescheid, der nachträgliche Nebenbestimmungen zu einer Baugenehmigung anordnet.
Sie sind Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr. …, Gemarkung V* …, und betreiben dort einen landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Juni 2012 wurde den Klägern eine Baugenehmigung für den Neubau eines Betriebsleiterwohnhauses nebst Garagen und Appartements auf ihrer Hofstelle genehmigt. Als Auflage wurde im Genehmigungsbescheid angeordnet, dass das bestehende Betriebsleiterwohnhaus innerhalb von sechs Monaten nach Nutzungsaufnahme des neuen Betriebsleiterwohnhauses abzubrechen ist. Die Nutzungsaufnahme des neu errichteten Betriebsleiterwohnhauses wurde dem Landratsamt am 24. September 2014 angezeigt. Eine Beseitigung des alten Betriebsleiterwohnhauses unterblieb.
Mit Änderungsbescheid vom 17. November 2017 zur Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 ordnete das Landratsamt als Auflagen an, dass an der neuen Außenwand wieder Windbretter als Fledermausquartier zu errichten, ein hohler Balken mit Quartierfunktion beim Abriss zu erhalten und an der neuen Außenwand unter dem Dachvorstand (ohne bauliche Funktion) wieder anzubringen seien. Die Auflagen seien aus artenschutzrechtlichen Gründen zum Schutz der Fledermauskolonie erforderlich.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. November 2019 abgewiesen. Die angegriffenen Anordnungen stellten nachträgliche Auflagen zur bestandskräftigen Baugenehmigung vom 20. Juni 2012 dar, die auf der Rechtsgrundlage des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. Art. 36 BayVwVfG zu Recht ergangen seien, insbesondere seien sie auch hinreichend bestimmt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor oder werden bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die nachträgliche Anordnung der Auflagen rechtmäßig ist.
Soweit die Kläger meinen, dem Bescheid vom 17. November 2017 ermangele es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage für eine nachträgliche Anordnung der Auflagen, fehlt es bereits an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung im Urteil des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die Bauaufsichtsbehörde nachträglich Nebenbestimmungen auf die Grundlage von Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG stützen kann, um eine bereits bei Erteilung der Genehmigung bestehende, der Baugenehmigungsbehörde aber noch nicht bekannte, naturschutzrechtliche Rechtswidrigkeit zu beseitigen (vgl. VGH BW, 14.4.2008 – 8 S 2322/07 – juris Rn 21; Simon/Busse, BayBO, Januar 2020, Art. 68 Rn. 384). Dies gilt auch insoweit, als die Kläger dadurch mit weiteren Kosten belastet werden. Die Anordnung von Auflagen erfolgt von Amts wegen, ein Antrag der Kläger ist entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht erforderlich. Mit zivilrechtlichen Möglichkeiten musste sich die Beklagte nicht begnügen. Der Einwand der Kläger, dass ihnen ein kostensparender Eigenabriss infolge der Auflagen nicht mehr möglich sei, ist bereits nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt, dass die Kläger entgegen ihrem Vorbringen nicht Teile der Dachkonstruktion erhalten müssen, sondern lediglich einen hohlen Balken, der zuvor Bestandteil des Dachs des alten Betriebsleiterwohnhauses war, beim Abriss zu erhalten und wieder an der neuen Außenwand anzubringen haben. Der Vortrag, dass der Abriss des alten Betriebsleitwohnhauses eine komplette neue Dachkonstruktion bzw. einen Unterbau für den Stall und weitere kostenintensiven Maßnahmen zur Versetzung der Photovoltaikanlage vom Dach des Hauses sowie die Neuverlegung der Wasser- und Heizungsanlagen und Elektroinstallationen, die sich im Bereich des alten Betriebsleiterwohnhauses befänden, erfordere, vermag ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen, da das Verwaltungsgerichtgericht davon ausgegangen ist, dass die Abbruchanordnung bestandskräftig ist und das Zulassungsvorbringen sich zu dieser Annahme des Verwaltungsgerichts nicht verhält.
Soweit vorgetragen wird, der angegriffene Bescheid sei ermessensfehlerhaft, weil es dem Artenschutz am besten entsprechen würde, wenn das ehemalige Betriebsleiterwohnhaus bestehen bliebe, zeigt der Vortrag keine Ermessensfehler auf. Eine Ermessensentscheidung ist von den Gerichten nur daraufhin zu überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Landratsamt hat hier im Rahmen der Ermessensausübung darauf abgestellt, dass als milderes Mittel ein Belassen des ehemaligen Betriebsleiterwohnhauses aufgrund des Gebots der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs sowie der Befürchtung, dass die Splittersiedlung aufgrund der sehr hohen Bezugsfallwirkung weiter vorangetrieben werde, nicht geeignet sei. Dies lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Auch wenn das abzubrechende Gebäude Teil einer Hofstelle ist, befindet es sich gleichwohl im Außenbereich und eine negative Bezugsfallwirkung ist nicht auszuschließen.
Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, der streitgegenständliche Bescheid sei hinreichend bestimmt im Sinn von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, zeigt das Zulassungsvorbringen ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf. Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Für den Adressaten muss daher der Inhalt der getroffenen Regelung eindeutig erkennbar sein, sodass er sein Verhalten danach ausrichten kann (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 8 C 14.16 – juris Rn. 12 m.w.N.). Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist im Zweifel durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts und der speziellen Sachkunde des adressierten Fachkreises in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (stRspr, vgl. BVerwG U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81). Hinreichende Bestimmtheit liegt dann vor, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.2003 – 6 C 20.02 – BVerwGE 119, 282). Erst wenn auch unter Anwendung der anerkannten Auslegungsgrundsätze keine Klarheit über den Behördenwillen geschaffen werden kann bzw. Widersprüchlichkeiten nicht beseitigt werden können, ist Unbestimmtheit anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2020 – 15 CS 20.184 – juris Rn. 8). Hiervon ausgehend kam das Verwaltungsgericht anhand des Wortlauts der angegriffenen Anordnung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch unter Heranziehung des Gutachtens des Fledermausexperten vom 9. Juni 2017 – das den Klägern bekannt war – in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, dass für die Kläger klar erkennbar ist, welches Tun von ihnen verlangt wird. Eine weitergehende Abstimmung der Maßnahmen mit der Unteren Naturschutzbehörde wurde den Klägern im Änderungsbescheid nicht auferlegt, so dass hierauf eine fehlende Bestimmtheit nicht gestützt werden kann.
Soweit die Kläger eine unangemessene Fristsetzung rügen, bezieht sich der Vortrag im Wesentlichen auf die Beendigung des Aufschubs für die Beseitigung des Betriebsleiterhauses. Die zunächst genannte Frist wurde im Übrigen nochmals verlängert. Dem streitgegenständlichen Bescheid lässt sich keine Verpflichtung zur Erfüllung der Auflagen bis 30. November 2017 entnehmen, vielmehr wurde den Klägern im Rahmen der Zwangsgeldandrohung zur Erfüllung der Auflagen eine Frist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) von sechs Wochen nach Abbruch des Betriebsleiterwohnhauses gesetzt.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Ungeachtet der Frage der hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrunds können die von den Klägern aufgeworfenen Fragen ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag. Einwände gegen die Höhe des Streitwerts wurden im Zulassungsverfahren nicht erhoben.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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