Verwaltungsrecht

Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen aus Versäumnisurteil

Aktenzeichen  3 B 20.1553

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41350
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1
BayBeamtVG Art. 46, Art. 47, Art. 52, Art. 62
ZPO § 331 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein rechtskräftig festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld im Sinn des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann sich auch aus einem Versäumnisurteil ergeben. (Rn. 17 und 20)
2. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG enthält keine ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale; weder eine Angemessenheitsprüfung noch eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich des rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruchs. (Rn. 16)
3. Im Rahmen des Art. 97 BayBG besteht keine Bindungswirkung der im Dienstunfallverfahren nach Art. 46, 47 BayBeamtVG getroffenen Feststellungen, etwa dahingehend, dass die Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs nur soweit übernommen werden dürfte wie er sich auf der Grundlage der im Dienstunfallverfahren festgestellten Dienstunfallfolgen ergäbe. (Rn. 25 – 30)

Verfahrensgang

B 5 K 17.753 2018-11-27 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 27. November 2018 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 24. August 2017 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs in Höhe von 40.000 Euro erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Kläger zu 1/5 und der Beklagte zu 4/5.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Entscheidung über den klägerischen Antrag auf Erfüllungsübernahme ist ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig. Demnach war das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. November 2018 und der Bescheid vom 24. August 2017 aufzuheben. Die erneute Bescheidung des klägerischen Antrags hat unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu erfolgen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann der Dienstherr, wenn der Beamte oder die Beamtin wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs, den er oder sie in Ausübung des Dienstes oder außerhalb des Dienstes wegen der Eigenschaft als Beamter oder Beamtin erleidet (1.1), einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat (1.2), auf Antrag (1.3) die Erfüllung dieses Anspruchs bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrags übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist (1.4). Der Tatbestand dieser Norm ist vorliegend erfüllt.
1.1 Der Kläger hat hier unstreitig am 30. Juni 2015 – und damit innerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs des Art. 97 BayBG (ab 1.1.2015; BayVGH, B.v. 17.4.2018 – 3 ZB 17.18 – juris Rn. 2) – in Ausübung seines Dienstes einen tätlichen rechtswidrigen Angriff durch den Schädiger erlitten, indem ihm dieser anlässlich der Durchführung einer Personenkontrolle wegen des Verdachts des Besitzes von Betäubungsmitteln ohne Vorwarnung mit einem Messer einen kraftvollen Stich seitlich in den Oberkörper versetzte.
1.2 Aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils des zuständigen Landgerichts vom 23. Januar 2017 verfügt der Kläger über einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten, den Schädiger. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG enthält keine ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale; weder eine Angemessenheitsprüfung noch eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich des rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruchs (1.2.1). Im Rahmen des Art. 97 BayBG besteht zudem keine Bindungswirkung der im Dienstunfallverfahren nach Art. 46, 47 BayBeamtVG getroffenen Feststellungen (1.2.2), etwa dahingehend, dass die Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs nur soweit übernommen werden dürfte wie er sich auf der Grundlage der im Dienstunfallverfahren festgestellten Dienstunfallfolgen ergäbe.
1.2.1 Bei dem durch das Versäumnisurteil des zuständigen Landgerichts zugesprochenen Schmerzensgeldanspruch des Klägers handelt es sich um einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG (so auch UA S. 10 unter Buchst c; VG München, U.v. 7.10.2020 – M 5 K 20.2785 – juris; VG Ansbach, U.v. 30.9.2020 – AN 1 K 19.02198 – juris Rn. 50 ff.; VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 – W 1 K 19.792 – juris Rn. 18 ff.; VG Regensburg, U.v. 20.10.2020 – RO 12 K 20.689 – UA S. 7; U.v. 2.6.2020 – RN 12 K 19.2449 – UA S. 9 ff.; VG Augsburg, U.v. 10.9.2020 – Au 2 K 20.3 – UA Rn. 21; Conrad in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2020, Art. 97 BayBG Rn. 11; Buchard in BeckOK Beamtenrecht Bayern, Stand: Dez. 2019, Art. 97 BayBG Rn. 21/21.5: hält es für vertretbar in diesem Fall entweder die Angemessenheit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen oder aber die Plausibilitätskontrolle auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen des Ermessens durchzuführen).
Nach § 331 Abs. 1 ZPO kann gegen einen Beklagten ein Versäumnisurteil ergehen, wenn der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint bzw. nicht verhandelt, der Kläger einen Prozessantrag auf Erlass des Versäumnisurteils stellt und die Sachurteilsvoraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils als Sachurteil vorliegen. Folge der Versäumnis ist dann zunächst, dass das tatsächliche Vorbringen des Klägers als zugestanden gilt. Auf der Grundlage dieser Geständnisfiktion hat das Gericht dann eine Schlüssigkeitsprüfung („soweit es den Klageantrag rechtfertigt“) hinsichtlich des Klägervortrags durchzuführen. Soweit die Klage begründet erscheint, ist der Beklagte durch Versäumnisurteil (bzw. Versäumnisteilurteil) nach dem Klageantrag zu verurteilen (§ 331 Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO). Soweit die Klage dagegen unschlüssig ist, ist sie – nach Hinweis – durch streitiges Urteil (sog. „unechtes Versäumnisurteil“ gegen den erschienenen Kläger) abzuweisen (§ 331 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO). Das Versäumnisurteil bedarf nicht des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe (§ 313b Abs. 1 ZPO).
Versäumnisurteile erwachsen in Rechtskraft (§ 705 ZPO), wenn sie nicht innerhalb der Einspruchsfrist gemäß § 339 Abs. 1 ZPO angegriffen werden. Durch ein derartiges Urteil erhält der Kläger zivilrechtlich ein ebenso mit den Vollstreckungswerkzeugen der Zivilprozessordnung durchsetzbaren Anspruch wie bei einem streitigen Urteil; denn ein Versäumnisurteil ist ein Endurteil im Sinne des § 704 ZPO (BGH, B.v. 19.6.1974 – VIII ZB 14/74 – juris Rn. 4; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 704 Rn. 1, § 330 Rn. 4; Götz in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 704 Rn. 3; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 704 Rn. 2).
Nach Wortlaut, Sinn und Systematik des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG stellt ein Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 1 ZPO einen Anspruch auf Schmerzensgeld rechtskräftig fest. Eine Differenzierung dahingehend, dass ein durch Versäumnisurteil festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld eine Erfüllungsübernahme ausschließen würde, ist dem Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG gerade nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der bayerische Gesetzgeber mit der Formulierung „rechtskräftig festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld“ zum Ausdruck gebracht, dass es maßgeblich auf die materielle Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung ankommt. Mit der Formulierung nimmt das Bayerische Beamtengesetz auf zivilrechtliche und prozessuale Begrifflichkeiten Bezug (z.B. § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB „rechtskräftig festgestellte Ansprüche“). Damit steht außer Frage, dass Ansprüche aus einem Versäumnisurteil unter den Geltungsbereich dieses Tatbestandsmerkmals fallen (vgl. Peters/Jacoby in Staudinger, BGB, Stand: Juni 2020, § 197 Rn. 5). Auf die prozessuale Natur der formell rechtskräftigen Feststellung kommt es hingegen nicht an (Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 197 Rn. 17).
Eine „Auslegung“ der Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG über die Grenze ihres Wortlauts kommt nicht in Betracht. Aus der Gesetzesbegründung lässt sich zudem ein anderer Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen. Hier wird keinerlei Differenzierung hinsichtlich der Art der rechtskräftigen Feststellung vorgenommen oder angedeutet. Auch dass eine eingehende gerichtliche Überprüfung des Anspruchs auf Schmerzensgeld erfolgt sein muss, ergibt sich nicht aus den Gesetzesmaterialien (vgl. Erläuterungen zum Haushaltsgesetz 2015/2016 und den Durchführungsbestimmungen hierzu; LT-Drs. 17/2871, S. 48). Zentrale Intention des Gesetzgebers ist es vielmehr, den Beamten nach tätlichen Angriffen durch Dritte aus Fürsorgegründen wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte die Möglichkeit einzuräumen, bei uneinbringlichen, rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüchen eine entsprechende Übernahme der Erfüllung bei ihrem Dienstherrn zu beantragen. Insoweit spricht die Gesetzesbegründung von “dem titulierten Schmerzensgeldanspruch“, „Schmerzensgeldtitel“ oder „Titel“ (zu Art. 97 Abs. 2 BayBG). Darunter fällt ein entsprechendes rechtskräftiges Versäumnisurteil; eine vollständige richterliche Überprüfung des Schmerzensgeldanspruchs durch streitiges Endurteil wird nicht vorausgesetzt. Denn auch Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG knüpft den Beginn der zweijährigen Ausschlussfrist (lediglich) an die Rechtskraft des „Urteils“.
Der hier vorgenommenen Auslegung des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG steht der Normzweck nicht entgegen. Die Vorschrift soll in erster Linie unbillige Härten verhindern, die dadurch entstehen können, dass die Vollstreckung der rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüche der Beamten, die Opfer eines tätlichen Angriffs durch Dritte werden und dadurch ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen, erfolglos geblieben ist. Im Rahmen der Fürsorgepflicht sollte daher die infolge der Uneinbringlichkeit der Schmerzensgeldforderung verursachte unbillige Härte ausgeglichen werden.
Der Beamte hat seinen Schmerzensgeldanspruch vorrangig gegenüber dem Schädiger geltend zu machen (vgl. LT-Drs. 17/2871 S. 48 f.). Aber auch der dadurch zum Ausdruck kommende „subsidiäre“ Charakter der Erfüllungsübernahme (vgl. VG Augsburg, U.v. 5.12.2019 – Au 2 K 18.1445 – juris Rn. 36) rechtfertigt keine über den Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG hinausgehende Auslegung. Denn der Sonderstellung als Ausnahmevorschrift wird im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „unbillige Härte“, insbesondere unter dem Kriterium einer erfolglosen Vollstreckung, ausreichend Rechnung getragen. Zudem gilt es zu bedenken, dass der Beamte angesichts eines Versäumnisurteils schlechter gestellt wäre als bei dem Erlass eines streitigen Endurteils, obwohl ein Versäumnisurteil prozessökonomisch sinnvoll und von der Rechtsordnung ausdrücklich vorgesehen ist. Denn das prozessuale Verhalten des Schädigers liegt nicht im Einflussbereich des Beamten. Die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 97 BayBG vom Prozessverhalten des Beklagten des Schmerzensgeldprozesses abhängig zu machen, wäre willkürlich und unbillig (vgl. VG Ansbach, U.v. 30.9.2020 – AN 1 K 19.02198 – juris Rn. 51; VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 – W 1 K 19.792 – juris Rn. 19; Buchard a.a.O. Rn. 21.3).
Eine sog. Angemessenheitsprüfung nach Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG ist nach dem eindeutigen Wortlaut nur bei einem Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO durchzuführen. Eine analoge Anwendung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG auf Versäumnisurteile scheidet aus. Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 26.1.2016 – 2 B 17.15 – juris Rn. 8; U.v. 28.6.2012 – 2 C 13.11 – juris Rn. 24; U.v. 27.3.2014 – 2 C 2.13 – juris Rn. 17). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Gesetzgeber versehentlich unterlassen hat, die Regelung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG über die Angemessenheitsprüfung eines in einem Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO festgestellten Schmerzensgeldanspruchs auch auf andere rechtskräftig festgestellte Schmerzensgeldansprüche nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG – wie hier einem durch Versäumnisurteil festgestellten Anspruch – zu erstrecken. Die Annahme eines derartigen Versäumnisses liegt bereits aufgrund der Gesetzesbegründung fern, die den Grund des Satzes 2 in der fehlenden Rechtskraftfähigkeit eines Vergleiches sieht und im Hinblick auf Satz 1 allgemein auf „Schmerzensgeldtitel“ Bezug nimmt. Die Regelungssystematik zeigt, dass dem Gesetzgeber durchaus bewusst war, dass titulierte Ansprüche auch ohne vollumfassende richterliche Überprüfung (z.B. durch Vergleich) entstehen können; anzunehmen, er habe dabei Versäumnisurteile, Anerkenntnisurteile oder Vollstreckungsbescheide schlichtweg übersehen, entbehrt jeglicher Grundlage und wird auch der bewusst weitgefassten Formulierung „rechtskräftig festgestellten Anspruch“ nicht gerecht. Zudem fehlt es an einer vergleichbaren Interessenslage: Bei Versäumnisurteilen hat das Zivilgericht gemäß § 331 Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO eine Schlüssigkeitsprüfung durchzuführen. Zwar werden dabei die Tatsachenbehauptungen des Klägers als wahr unterstellt, jedoch hat auf der Rechtsfolgenseite das Gericht eine eigene Prüfung vorzunehmen, welcher Schmerzensgeldbetrag für die Schädigung angemessen ist. Dies steht im Ermessen des Gerichts (§ 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“). Somit ist eine gewisse Inhaltskontrolle vorhanden, sodass der Dienstherr vor einer Inanspruchnahme in ungerechtfertigter Höhe geschützt wird. Bei Vergleichen findet hingegen nicht immer eine richterliche Kontrolle dahingehend statt, ob die festgesetzte Schmerzensgeldhöhe aufgrund der Schädigung gerechtfertigt ist (z.B. gerichtlich nur dokumentierte Parteivergleiche oder Vergleiche zum reinen Interessenausgleich in frühem Verfahrensstadium ohne Beweiserhebung). Insoweit muss es dem Beklagten möglich sein, die Angemessenheit des Schmerzensgeldes, das im Wege eines Vergleiches vereinbart worden ist, zu überprüfen.
1.2.2 Entgegen der Auffassung des Erstgerichts beschränkt Art. 97 BayBG die Erfüllungsübernahme nicht auf dienstunfallrechtlich anerkannte Verletzungsfolgen. Dies lässt sich weder der Gesetzesbegründung entnehmen noch spricht die systematische Stellung der Vorschrift hierfür (vgl. zutreffend VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 – AN 1 K 18.02510 – juris Rn. 92; VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 – W 1 K 19.792 – juris Rn. 20). Denn andernfalls hätte es nahegelegen, die Vorschriften über die Erfüllungsübernahme in das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz zu integrieren, um einen entsprechenden Gleichlauf sicherzustellen. Da dies nicht geschehen ist, sprechen bereits gesetzessystematische Gründe hiergegen.
Ferner würde ein derartiges Verständnis der Norm erhebliche praktische Probleme aufwerfen. Der Kläger müsste bei der Geltendmachung von zivilrechtlichen Schmerzensgeldansprüchen die Klage nach dienstunfallbedingten Schäden sowie etwaigen nicht dienstunfallbedingten Schäden trennen. Dem stünde jedoch der im Zivilrecht geltende Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes entgegen. Dieser gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH, U.v. 20.1.2015 – VI ZR 27/14 – juris Rn. 8). Folglich ist eine Trennung nicht möglich.
Zu berücksichtigen ist auch, dass in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannt ist, dass auch Vorschäden bzw. eine Schadensgeneigtheit einem zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruch grundsätzlich nicht entgegenstehen. Ein Schädiger kann sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge bereits vorhandener Beeinträchtigungen und Vorschäden besonders anfällig für die erneute Beeinträchtigung gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre. Dementsprechend ist die volle Haftung auch dann zu bejahen, wenn der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und den Unfallverletzungen beruht, ohne dass die Vorschäden „richtunggebend“ verstärkt werden (BGH, U.v. 19.4.2005 – VI ZR 175/04 – juris Rn. 11). Demgegenüber kann eine Vorschädigung im Dienstunfallrecht bereits zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhanges führen (vgl. Nr. 46.1.3 Satz 3 BayVV-Versorgung; vgl. zur Problematik auch Buchard a.a.O. Rn. 30.5 f.). Zu divergierenden Ergebnissen könnte auch die in der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge geltende Lehre von der wesentlich mitwirkenden Teilursache führen, die weitergehende Anforderungen an den ursächlichen Zusammenhang als die Äquivalenztheorie stellt. Die Folge wäre, dass der Schmerzensgeldanspruch – unter Ausblendung seiner besonderen Stellung – den Leistungen der Dienstunfallfürsorge nahezu angepasst würde, was dem gesetzgeberischen Willen nicht entspricht.
Nach der Rechtsansicht des Beklagten scheiterte eine Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeldansprüchen häufig an etwaigen Vorschäden, fehlender Kausalität oder auch gegebenenfalls noch nicht beantragten oder (z.B. wegen komplexer medizinischer Fragestellungen, die in einem gelegentlich langandauernden Verfahren geklärt werden müssen) noch nicht anerkannten Dienstunfallfolgen. Dies wiederum wäre nicht mit der gesetzgeberischen Intention vereinbar, wonach das erhebliche Sonderopfer, das Beamte als Geschädigte schwerwiegender Angriffe für die Allgemeinheit erbringen, anerkannt und auch tatsächlich ausgeglichen werden soll (vgl. LT-Drs. 17/2871 S. 48). Dass der Schmerzensgeldanspruch unabhängig von den Unfallfürsorgeleistungen übernommen werden sollte, wird ferner daraus deutlich, dass der bayerische Gesetzgeber davon ausgeht, dass die in Art. 45 ff. BayBeamtVG normierte Unfallfürsorge den bayerischen Beamten einen umfassenden Ausgleich der durch einen Dienstunfall eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden bietet, und er „trotz alledem“ (LT-Drs. 17/2871 S. 48) erkannt hat, dass es nach tätlichen Angriffen durch Dritte zu besonderen Härten kommen kann, die mit den vorhandenen Leistungstatbeständen nicht angemessen abgedeckt werden.
Mit seinem Hinweis auf die Bindungswirkung der Feststellung einer Dienstunfallfolge (hier: Bescheide vom 4.8.2015 und 9.11.2016) vermag das Verwaltungsgericht nicht zu überzeugen. Zwar bindet die bestandskräftige Feststellung eines Dienstunfalls Behörden und Gerichte (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2004 – 2 C 66.03 – juris Rn. 20; BGH, U.v. 14.1.1993 – III ZR 33/88 – juris Rn. 14 f.; U.v. 27.11.2003 – III ZR 54/03 – juris Rn. 4 im Hinblick auf § 46 Abs. 2 BeamtVG). Ein Bescheid über die Anerkennung eines Dienstunfalls einschließlich bestimmter Unfallfolgen hat jedoch weder Bindungswirkung hinsichtlich eines geltend gemachten zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruchs gegenüber dem Schädiger noch hinsichtlich des Anspruchs des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn auf Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG. Denn die Bindungswirkung hat regelmäßig nur zum Inhalt, dass der Verwaltungsakt und die durch ihn für einen bestimmten Rechtsbereich getroffene Regelung als gegeben hingenommen werden muss. Eine darüberhinausgehende Feststellungs- oder Bindungswirkung bedarf einer gesetzlichen Grundlage (BVerwG, B.v. 28.1.2008 – 8 B 86.07 – juris Rn. 3; U.v. 10.10.2006 – 8 C 23.05 – juris Rn. 22; U.v. 22.4.1994 – 8 C 29.92 – juris Rn. 34; U.v. 28.11.1986 – 8 C 122.84 u.a. – juris Rn. 30). D.h. die Anerkennung einer Dienstunfallfolge ist im weiteren Vollzug der Unfallfürsorge nach Art. 45 ff. BayBeamtVG bindend. Für den Anwendungsbereich des Art. 97 BayBG hätte hingegen die Bindungswirkung der Feststellung der Dienstunfallfolge einer gesetzlichen Grundlage bedurft, die der bayerische Gesetzgeber indes nicht geschaffen hat.
Schließlich ist für die Entscheidung über die Erfüllungsübernahme die bestands- oder rechtskräftige Anerkennung einer Dienstunfallfolge keine Vorfrage oder tatbestandliche Voraussetzung. Die Feststellung einer Dienstunfallfolge ist für die Frage der Erfüllungsübernahme nicht vorgreiflich bzw. – in Anlehnung an das Prozessrecht – präjudiziell. Dafür geben weder der Gesetzwortlaut noch die Gesetzesbegründung Anhalt.
1.3 Der Kläger beantragte die Übernahme der Erfüllung am 21. Juni 2017 schriftlich innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft (9.2.2017) des Versäumnisurteils (Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG). Dabei legte er ausreichende Nachweise vor, dass die Vollstreckungsbemühungen sachgerecht durchgeführt wurden, aber erfolglos geblieben sind, indem er ein Vermögensverzeichnis des Schädigers (§ 802c ZPO, § 140 Abs. 3 GVGA) vorlegt hat (Dienstunfallakte II Teilakte Erfüllungsübernahme S. 10), wonach dieser weder über Einkommen noch Vermögen verfügt. Der Nachweis mindestens zweier Vollstreckungsversuche, worauf der Plural hindeuten könnte, ist nicht notwendig. Die im Vermögensverzeichnis dokumentierte Vermögenslosigkeit des Schädigers, der auch über kein Einkommen verfügt, machte einen weiteren Vollstreckungsversuch entbehrlich (vgl. VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 – AN 1 K 18.02510 – juris Rn. 99; U.v. 25.7.2019 – AN 1 K 18.01545 – juris Rn. 94; Buchard a.a.O. Rn. 40.1; Conrad a.a.O. Rn. 8).
1.4. Die Übernahme der Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs ist ferner zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig (Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG). Eine unbillige Härte liegt nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 Euro erfolglos geblieben ist.
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer unbilligen Härte sind als Ausnahmeregelung grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Die Uneinbringbarkeit des Schmerzensgeldanspruchs ist unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien für das Vorliegen einer unbilligen Härte zwingend erforderlich. Der bayerische Gesetzgeber machte in seiner Gesetzesbegründung deutlich, dass die Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs auf Grund seiner höchstpersönlichen Natur und Genugtuungsfunktion, grundsätzlich dem Beamten vorbehalten bleiben muss. „Nur soweit die Uneinbringbarkeit des Anspruchs wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers zu einer unbilligen Härte führt, eröffnet Art. 97 BayBG aus Fürsorgegründen die Möglichkeit, bei uneinbringlichen, rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldansprüchen eine entsprechende Übernahme der Erfüllung bei ihrem Dienstherrn zu beantragen“ (LT-Drs. 17/2871 S. 48).
In dem vorliegenden Fall liegt eine unbillige Härte im Sinne des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG vor, da der Schmerzensgeldbetrag über der Mindestschadensgrenze von 500 Euro liegt und die Vollstreckung erfolglos blieb.
2. Auf der Rechtsfolgenseite räumt Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dem Dienstherrn nach seinem Wortlaut einen Ermessenspielraum ein, ob (sog. Entschließungsermessen) und „bis zu welcher Höhe“ (Auswahlermessen) er einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten übernimmt. Durch den Halbsatz „soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist“ wird die Ausübung des Entschließungsermessens dahingehend vorgegeben, dass bei Vorliegen einer unbilligen Härte der Dienstherr zur Erfüllungsübernahme verpflichtet ist (2.1). Im Rahmen des Entschließungsermessens kann der Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern, wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde (Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG; vgl. LT-Drs. 17/2871 S. 49; 2.2).
2.1 In Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG wird der unbestimmte, einer unmittelbaren Subsumtion nicht zugängliche Rechtsbegriff „unbillige Härte“ auf der Tatbestandseite mit einem „kann“ der Behörde auf der Rechtsfolgenseite verbunden. Es handelt sich um eine sogenannte Kopplungsvorschrift (dazu allgemein: BVerwG, U.v. 26.11.2015 – 5 C 14.14 – juris Rn. 16; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 36 m.w.N.). An die (hier gerichtlich voll überprüfbare) Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs kann sich einerseits eine eigenständige Ermessensausübung (Folgeermessen) anschließen. Andererseits kann zwischen beiden eine unlösbare Verbindung bestehen, sodass der unbestimmte Rechtsbegriff in den Ermessensbereich hineinragt und zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt. Welche Konstellation zutrifft, lässt sich nur nach Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift entscheiden. Maßstab ist dabei insbesondere, ob bei der Annahme eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf der Tatbestandseite noch Raum für ein Verwaltungsermessen verbleibt (BSG, U.v. 20.3.2018 – B 1 A 1/17 R – juris Rn. 20 m.w.N.). Bei der Frage, ob der Schmerzensgeldbetrag vom Dienstherrn übernommen wird (Entschließungsermessen), hat das Wort „kann“ in Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG eine untergeordnete Bedeutung. Denn bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs („unbillige Härte“) ist bereits ein großer Teil der Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die auch Bedeutung für die Ermessensausübung haben. Damit ergeben sich bei der Normanwendung überwiegend Überschneidungen zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite. Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm gegeben oder nicht gegeben sind, bedeutet in diesen Fällen zugleich, dass der Behörde für die Ausübung ihres Entschließungsermessens („ob“) kein Spielraum verbleibt. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG vor, ist dem Dienstherrn mithin (lediglich) bei der Frage bis zu welcher Höhe er den festgestellten Schmerzensgeldanspruch übernimmt, Ermessen eingeräumt, das verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. § 114 VwGO).
2.2 Gemäß Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern, wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde.
2.2.1 Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift liegen vor, weil dem Kläger ein Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG in Höhe von 2.002,03 Euro gezahlt wurde. Wegen des Wortlauts („gezahlt wird“) und des Zwecks (Vermeidung einer Überversorgung) spielt es keine Rolle, dass der Kläger den Unfallausgleich nicht beantragt und den Bescheid nicht erhalten hat sowie den Eingang der Beträge nicht bemerkt haben will.
2.2.2 Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG ist entgegen der Auffassung des Beklagten weder als „Soll-Regelung“ auszulegen noch wird das Ermessen dahingehend intendiert, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG die Erfüllungsübernahme verweigert werden müsste. Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG enthält keine dahingehende konkrete Ermessensvorgabe. Dies folgt auch aus der Gesamtkonzeption der Norm sowie der zugehörigen Gesetzesbegründung, wonach es „im Ermessen“ (LT-Drs. 17/2871 S. 49) der Behörde steht, die Übernahme der Erfüllung zu verweigern, wenn aufgrund desselben Sachverhalts bereits ein Unfallausgleich oder eine einmalige Unfallentschädigung gezahlt wurde. Nach Auffassung des Gesetzgebers kann es „trotz“ (LT-Drs. 17/2871 S. 48) des umfassenden Ausgleichs der durch einen Dienstunfall eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden durch die in Art. 45 ff. BayBeamtVG normierte Unfallfürsorge zu besonderen Härten kommen. Dass der Gesetzgeber gerade in den Fällen, in denen es zu schwerwiegenden Verletzungen des Beamten gekommen ist, die länger als sechs Monate zu einer Beschränkung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. (Art. 52 Abs. 1 BayBeamtVG) bzw. 50 v.H. und einer dauernden Dienstunfähigkeit (Art. 62 i.V.m. Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG) geführt haben, das Ermessen in Richtung einer Verweigerung der Erfüllungsübernahme vorgegeben wissen wollte, widerspricht dem der Erfüllungsübernahme zugrundeliegenden Fürsorgegedanken. Sinn und Zweck des Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG ist es zwar, den mehrfachen Ausgleich desselben immateriellen Schadens durch den Dienstherrn zu verhindern (LT-Drs. 17/2871 S. 49). Diese Gefahr besteht jedoch bei den Unfallfürsorgeleistungen nach Art. 52 und 62 BayBeamtVG nicht in einem höheren Maße als bei den sonstigen Unfallfürsorgeleistungen. Denn obwohl der Unfallausgleich der Kompensation echter Mehraufwendungen einschließlich sonstiger immaterieller Einbußen und Unannehmlichkeiten dient (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1962 – VI C 180.60 – BeckRS 1962, 31319225; U.v. 22.7.1963 – VI C 104.61 – BVerwGE 16, 235; BayVGH, B.v. 14.1.2011 – 3 ZB 08.604 – juris Rn. 6; Weinbrenner in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, Stand April 2020, § 35 Rn. 3), zielt er (nur) auf den Ersatz solcher Beeinträchtigungen ab, die durch eine wesentliche Minderung der Erwerbsfähigkeit des unfallgeschädigten Beamten eingetreten sind. Der Schmerzensgeldanspruch (§ 253 Abs. 2 BGB) bietet hingegen einerseits einen angemessenen Ausgleich für nichtvermögensrechtliche Schäden, also für erlittene Schmerzen, Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, Verletzungen der körperlichen Integrität, die vorübergehende oder dauernde Einbuße an Lebensfreude, andererseits soll er dem Geschädigten eine Genugtuung für das erlittene Geschehen leisten.
2.2.3 Da Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG keine konkreten Ermessensvorgaben enthält, hat das Landesamt als die bei Staatsbeamten zuständige Pensionsbehörde (Art. 97 Abs. 3 Satz 2 BayBG, Art. 9 Abs. 2 BayBeamtVG i.V.m. § 4 Abs. 1 ZustV-Bezüge) ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG). Insoweit unterliegt die Ermessensausübung der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte (§ 114 Satz 1 VwGO). Danach muss eine Ermessensentscheidung über den Antrag auf Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs auf Erwägungen gestützt sein, die im Hinblick auf den Wortlaut und den Zweck der gesetzlichen Regelung sachgerecht sind.
Das Landesamt hat aber schon sein Entschließungsermessen im Hinblick auf das Ob einer Übernahme der Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruchs in rechtlich zu beanstandender Weise ausgeübt. Es ging bei seinem streitgegenständlichen Bescheid vom 24. August 2017 ersichtlich fehlerhaft von einer „Soll-Vorschrift“ bzw. einem intendierten Ermessen aus, indem es ausführt (S. 2), dass eine unbillige Härte nach Art. 97 Abs. 2 Satz 2 „in der Regel“ nicht vorliege, wenn aufgrund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung oder Unfallausgleich gezahlt werde. Bei Gewährung dieser Unfallfürsorgeleistungen finde keine Erfüllungsübernahme statt, es sei denn, der Beamte begründe im Einzelfall, dass gleichwohl eine unbillige Härte vorliege. Daraus ist ersichtlich, dass das Landesamt sein ihm zustehendes Ermessen verkannt und daher nicht in der gebotenen Art und Weise ausgeübt hat. Aus diesem Grund ist der Bescheid vom 24. August 2017 wegen Ermessensausfalls (§ 114 Satz 1 VwGO) rechtswidrig. Hinzukommt, dass es bei seiner Prüfung eines atypischen „Einzelfalls“ von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist. Es berücksichtigte nur die anerkannten und noch vorliegenden Dienstunfallfolgen und nahm deshalb ein grobes Missverhältnis zwischen den körperlichen Schäden und dem geforderten Schmerzensgeldbetrag an.
Der Beklagte war daher zu einer erneuten Entscheidung zu verpflichten. Hierbei wird das Landesamt Folgendes in seine Ermessenentscheidung einbeziehen müssen:
Als Maßstab für die Ausübung des nach Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG eröffneten Entschließungsermessens muss der Grad des durch die Unfallfürsorge abgedeckten immateriellen Schadens herangezogen werden. Ermessensleitendes Kriterium ist in erster Linie der Umfang der geleisteten Unfallentschädigung bzw. des -ausgleichs. Dabei muss auch berücksichtigt werden, ob und inwieweit die im Rahmen des Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigenden Körperschäden (inkl. erlittene Schmerzen, Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, Verletzungen der körperlichen Integrität, die vorübergehende oder dauernde Einbuße an Lebensfreude) ausgeglichen und die ihm zugrundeliegende Genugtuungsfunktion im Rahmen der Unfallfürsorgeleistungen berücksichtigt wurden, wobei die jeweils konkret im Einzelfall vorliegenden Umstände eines vorsätzlichen tätlichen Angriffs nicht außer Betracht bleiben dürfen. Eine Übernahme der Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs wird umso eher zu erfolgen haben, je weiter die Unfallfürsorge hinter dem Schmerzensgeld zurückbleibt. Denn nach dem Zweck der Vorschrift soll durch die Übernahme eines Schmerzensgeldanspruchs zwar keine Besserstellung des Beamten im Sinne eines mehrfachen Ausgleichs des erlittenen immateriellen Schadens, aber auch keine Schlechterstellung erfolgen.
3. Der Klage war daher im Sinne des Bescheidungsurteils überwiegend stattzugeben. Der Senat kann die mit dem ausdrücklich gestellten Antrag begehrte Verpflichtung des Beklagten, dem Antrag des Klägers auf Erfüllungsübernahme in Höhe von 40.000 Euro vom 18. Juni 2017 stattzugeben und im Zuge dieser Erfüllungsübernahme 40.000 Euro an den Kläger zu bezahlen, nicht entsprechen, weil die Sache insoweit nicht spruchreif ist (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Entscheidung über die Erfüllungsübernahme liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte sein Ermessen rechtmäßig allein nur noch dahin ausüben könnte, die Erfüllung des Anspruchs auf Schmerzensgeld vollumfänglich in Höhe von 40.000 Euro zu erfüllen. Die Klage hatte aber im Hilfsantrag, den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), Erfolg.
Daraus folgend hat der Kläger keinen Anspruch auf Prozesszinsen nach §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
5. Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht zuzulassen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben