Verwaltungsrecht

Keine Wiedereinweisung in Obdachlosenunterkunft mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches

Aktenzeichen  Au 7 E 16.1013

Datum:
20.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
VwGO VwGO § 123

 

Leitsatz

Ein sicherheitsrechtliches Einschreiten bei Obdachlosigkeit setzt nicht nur objektiv das Fehlen einer Wohnmöglichkeit voraus, sondern ist nur geboten, soweit und solange der Betroffene die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (Anschluss an VGH München BeckRS 2008, 27444). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird mit folgenden Maßgaben abgelehnt:
1. Die Antragsgegnerin wird dazu verpflichtet, den Antragsteller, befristet bis 31. August 2016, in die Obdachlosenunterkunft „…, …“ wieder aufzunehmen.
2. Der Antragsteller hat folgende Auflagen zu erfüllen:
Am 16. August 2016 hat der Antragsteller der Antragsgegnerin sechs Nachweise, am 31. August 2016 vier weitere Nachweise über seine Wohnungssuche, jeweils durch Vorlage des Formulars „Nachweise über die Wohnungssuche“ vorzulegen.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin zu einer Verlängerung des Benutzungsverhältnisses über den 31. August 2016 hinaus nicht verpflichtet ist, wenn der Antragsteller die unter 2. genannte Auflage aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht erfüllt.
3. Wird das Benutzungsverhältnis wegen Erfüllung der unter 2. genannten Auflage ab 1. September 2016 – befristet – fortgesetzt, hat der Antragsteller der Antragsgegnerin monatlich mindestens acht Nachweise über sein Eigenbemühen zur Anmietung einer angemessenen Wohnung vorzulegen.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller wurde auf seinen Antrag hin durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2015, befristet bis 12. November 2015, in die Obdachlosenunterkunft „…, …“ eingewiesen. Bereits mit diesem Zuweisungsbescheid wurde der Antragsteller dazu aufgefordert, sich sofort auf Wohnungssuche zu begeben und seine Bemühungen durch Vorlage des Formulars „Nachweise über die Wohnungssuche“ nachzuweisen.
Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs zur Frage der Verlängerung der Benutzungsgenehmigung gab der Antragsteller am 26. November 2015 an, er habe sich deswegen noch nicht um die Wohnungssuche gekümmert, da sein Ausweis abgelaufen sei und die Vermieter bei Vorstellungsgesprächen die Vorlage eines gültigen Ausweises forderten. Der Antragsteller wurde daraufhin nochmals darüber belehrt, dass er beim nächsten Gesprächstermin sein Eigenbemühen um anderen Wohnraum schriftlich nachzuweisen habe (vgl. Niederschrift vom 26.11.2015, Bl. 12 der Behördenakte). Das Benutzungsverhältnis wurde mit Bescheid vom 26. November 2015 bis zum 12. Januar 2016 verlängert.
Im nächsten persönlichen Gespräch am 9. Februar 2016 legte der Antragsteller seinen neuen Ausweis vor, der entgegen seiner Angabe vom 26. November 2015 bereits am 30. Oktober 2015 ausgestellt worden war. Als Begründung, dass er immer noch keine Anstrengungen zur Anmietung einer Wohnung unternommen habe, gab er an, er könne keine Kaution bezahlen. Nach der Mitteilung, dass das Amt für soziale Leistungen die Kosten für eine Kaution übernehmen werde, sagte der Antragsteller zu, sich sofort auf Wohnungssuche zu begeben (vgl. Niederschrift vom 9.2.2015, Bl. 20 der Behördenakte). Das Benutzungsverhältnis wurde daraufhin mit Bescheid vom 11. Februar 2016 bis zum 13. April 2016 verlängert.
Im persönlichen Gespräch am 4. Mai 2016 legte der Antragsteller wiederum die geforderten Nachweise zur Anmietung von Wohnraum nicht vor, sondern gab vielmehr an, ihm fehle die Motivation zur Wohnungssuche, da er Angst habe, wieder allein zu leben. Das Übergangswohnheim stelle für ihn eine gute Lösung dar, da die Unterkunft nicht viel koste und er dadurch ein höheres Einkommen zur Verfügung habe. Der Antragsteller wurde nochmals eindringlich darauf hingewiesen, nicht dauerhaft im Übergangswohnheim leben zu können und sich bis 13. Juli 2016 (Ablauf der Benutzungsgenehmigung) intensiv um anderen Wohnraum zu kümmern (vgl. Niederschrift vom 4.5.2015, Bl. 22 der Behördenakte).
Mit Bescheid vom 4. Mai 2016 wurde das Benutzungsverhältnis daraufhin bis zum 13. Juli 2016 verlängert. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass das Benutzungsverhältnis durch Fristablauf ende, falls er weiterhin kein Eigenbemühen zur Beschaffung einer angemessenen Wohnung nachweise. Er habe in diesem Fall am 14. Juli 2016, bis spätestens 8:00 Uhr, sein Zimmer im Übergangswohnheim zu räumen.
Nachdem der Antragsteller am 13. Juli 2016 wiederum keine Nachweise zur Wohnungssuche vorlegen konnte, wurde ihm mitgeteilt, dass er am 14. Juli 2016 aus dem Übergangswohnheim ausziehen müsse; dem ist der Antragsteller auch nachgekommen.
2. Mit Schreiben vom 14. Juli 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am selben Tag eingegangen, stellte der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn im Übergangswohnheim „…, …“ wieder aufzunehmen.
Zur Begründung seines Antrags führte der Antragsteller aus, die Aufnahme in der öffentlichrechtlichen Unterbringung könne seiner Meinung nach nicht an Bedingungen wie Wohnungssuche und ähnliches geknüpft werden. Aufgrund des Wohnungsmarktes könne er keine Wohnung im Hartz IV-Satz finden. Er habe keine andere Unterkunft und ein Leben auf der Straße bedeute für ihn eine Gefahr für Leib und Leben sowie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom 15. Juli 2016 die Behördenakte vor und beantragte:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Einweisungsbescheid sei immer wieder an die Auflage geknüpft worden, dass der Antragsteller sich um eine eigene Wohnung bemühe. Dies sei zulässig, da nur so sichergestellt und verdeutlicht werden könne, dass es sich bei der Obdachlosenunterbringung nur um eine vorübergehende Unterbringung handle. Der Antragsteller habe sich trotz mehrfacher Aufforderung nicht um ein Mietverhältnis bemüht. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Klagefrist gegen den Bescheid vom 4. Mai 2016 bereits abgelaufen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wird gemäß §§ 122, 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass der Antragsteller, entsprechend seinem Vorbringen in der Antragsschrift vom 14. Juli 2016, die bedingungslose Wiedereinweisung in die Obdachlosenunterkunft der Antragsgegnerin in der …, … begehrt.
Der zulässige Antrag ist mit der im Tenor ausgesprochenen Maßgabe unbegründet.
1. Eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Auch wenn aufgrund der Beendigung des Benutzungsverhältnisses durch Fristablauf am 13. Juli 2016 (um 24:00 Uhr) und der nicht erfolgten Verlängerung ein Anordnungsgrund bejaht werden kann, so fehlt es gleichwohl an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
Zwar sind die Gemeinden als Sicherheitsbehörden nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG verpflichtet, eine mit einer eingetretenen oder drohenden Obdachlosigkeit verbundene Störung der öffentlichen Ordnung und Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die für den Obdachlosen selbst drohenden gesundheitlichen Gefahren zu beseitigen. Obdachlos ist dabei derjenige, der ohne Unterkunft ist bzw. dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar droht (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, II. Kapitel 1.).
Obdachlosigkeit setzt nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung (z. B. BayVGH B.v. 23.1.2008 – 4 CE 07.2893 – juris Rn. 7, U.v. 21.9.2006 – 4 CE 06.2465 – juris Rn. 4) jedoch nicht nur objektiv das Fehlen einer Wohnmöglichkeit voraus. Vielmehr besteht ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. VG München, B.v. 1.2.2008 – M 22 S 08.376 – juris Rn. 18). Die Selbsthilfe des Betroffenen hat daher stets Vorrang vor sicherheits-, polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, VI. Kapitel 3.). Soweit ein Obdachloser über eigene Mittel, etwa über regelmäßige Renteneinkünfte verfügt, so dass er sich selbst eine Wohnung bzw. ein Zimmer verschaffen kann, besteht grundsätzlich kein sicherheits-, polizei- und ordnungsrechtlicher Handlungsbedarf. In diesen Fällen kann die betroffene Person darauf verwiesen werden, dass sie sich selbst eine Unterkunft besorgt. Weigert sich der Obdachlose, diese Mittel einzusetzen, dürfte bereits keine Obdachlosigkeit mehr vorliegen (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, VI. Kapitel 3; VG München, B.v. 23.4.2008 – M 22 S 08 1399 – juris Rn. 17, bestätigt durch BayVGH, B.v. 25.6.2008 – 4 C 08.1251 – juris). Dementsprechend bestimmt auch § 6 der Satzung über die Obdachlosenunterbringung in … vom 23.4.2001 – Obdachlosensatzung – (ABl. S. 112), dass eine Wohngelegenheit grundsätzlich nur volljährigen Personen zur Verfügung gestellt wird,….wenn sie nicht in der Lage sind, für sich…aus eigenen Kräften eine Unterkunft zu beschaffen. Grund für eine Beendigung des Benutzungsverhältnisses kann daher auch ein entsprechendes Verhalten des Benutzers sein, nämlich wenn er sich ohne ausreichende Begründung nicht genügend um die Beschaffung einer normalen Wohnmöglichkeit auf dem freien Wohnungsmarkt bemüht (§ 9 Abs. 2 Buchst. b der Obdachlosensatzung).
Gemessen an diesen Voraussetzungen kann sich der Antragsteller mangels jeglicher Eigenbemühungen zur Beschaffung von Wohnraum nicht auf Obdachlosigkeit berufen.
Der Antragsteller hat Anspruch auf Hilfe zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel von SGB XII, wie sich aus dem Bescheid des Sozialleistungsträgers vom 16. November 2015 (Bl. 9/10 der Behördenakte) ergibt. Damit erscheint es auch bei einem angespannten Wohnungsmarkt nicht von vorneherein aussichtslos, eine Wohnung oder auch z. B. im Wege eines Untermietverhältnisses ein Zimmer in einer Wohnung (mit gemeinsamer Nutzung von Küche und Bad) anzumieten etc.. Im Falle des Antragstellers liegt es vielmehr auf der Hand, dass er eine Wohnung überhaupt nicht anmieten will. Dies ergibt sich zum einen aus den ersichtlich vorgeschobenen Argumenten, die er in den Besprechungen vom 26. November 2015 (vgl. Niederschrift vom 26.11.2015, Bl. 12 der Behördenakte) und 9. Februar 2016 (vgl. Niederschrift vom 9.2.2015, Bl. 20 der Behördenakte) äußerte, warum er bisher keine Anstrengungen unternommen habe, eine Wohnung zu finden. Ganz offenkundig wird die Weigerung des Antragstellers, sich um eine Wohnung zu bemühen, aus seinen Angaben in der Besprechung am 4. Mai 2016 (vgl. Niederschrift vom 4.5.2015, Bl. 22 der Behördenakte). Hier bringt der Antragsteller deutlich zum Ausdruck, dass er einen Verbleib in der Obdachlosenunterkunft der Antragstellerin deswegen vorzieht, weil ihm aufgrund der vergleichsweise niedrigen Gebühren mehr Geld zum persönlichen Verbrauch zur Verfügung steht, als wenn er eine, im Vergleich zur Obdachlosenunterkunft teurere Miete für eine Wohnung bezahlen müsste. Damit kann beim Antragsteller aufgrund seiner bisher verweigerten Selbsthilfe zum Finden einer angemessenen Wohnmöglichkeit derzeit nicht vom Bestehen von Obdachlosigkeit ausgegangen werden.
Die vom Antragsteller vertretene Auffassung, die Antragsgegnerin wäre zu seiner bedingungslosen weiteren Unterbringung verpflichtet, weil er ja sonst auf der Straße stünde, ist ersichtlich unzutreffend. Vielmehr hat sich der Obdachlose nach dem Grundsatz des Vorrangs seiner Selbsthilfe und Eigenverantwortung zunächst selbst mit allen zumutbaren Anstrengungen zu bemühen, die Notlage zu beseitigen, da seine eigenen Interessen inmitten stehen, deren Wahrung zunächst seine Angelegenheit ist. Damit hat der Antragsteller es auch selbst zu verantworten, dass sein Benutzungsverhältnis nicht verlängert wurde, nachdem er trotz der wiederholten Gespräche und Belehrungen durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin hartnäckig jede Eigeninitiative zur Anmietung von Wohnraum verweigerte.
Nur deswegen, um dem Antragsteller, der augenscheinlich trotz der mehrfachen Hinweise und Belehrungen der Antragsgegnerin den „Ernst“ seiner Lage nicht erkannt hat, eine letzte Chance zum vorläufigen weiteren Verbleiben in der Obdachlosenunterkunft der Antragsgegnerin einzuräumen, wurden die Maßgaben bzw. Voraussetzungen für seine weitere Unterbringung im Tenor dieses Beschlusses ausgesprochen.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach Nr. 35.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn. 14) ist eine Obdachloseneinweisung mit 5.000,00 EUR anzusetzen. Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war dieser Wert zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).


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