Verwaltungsrecht

Klage gegen Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  AN 17 K 20.50084

Datum:
22.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34359
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 31 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 11 Abs. 1
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2a

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und damit abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 11. Februar 2020 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt den Kläger somit nicht in seinen Rechten, so dass die Klage abzuweisen ist, § 113 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 5 VwGO.
1. Die Klage ist in der in der mündlichen Verhandlung gestellten Form zulässig. Die Anfechtungsklage ist grundsätzlich die allein statthafte Klageart gegen den angefochtenen Bescheid. Hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG für Ungarn ist die Verpflichtungsklage die richtige Klageart.
Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Zuge der Änderung des Asylverfahrensgesetzes infolge des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I Nr. 39 v. 5.8.2016). Danach ist die Anfechtungsklage gegen Bescheide, die die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 AsylG feststellen, die alleinige statthafte Klageart. Hintergrund hierfür ist der Umstand, dass die Asylanträge in diesen Fällen ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, abgelehnt werden. Insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris, U.v. 1.7.2017 – 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris). Bei einer erfolgreichen Klage führt die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelung zur weiteren Prüfung der Anträge durch die Beklagte und damit zum erstrebten Rechtsschutzziel. Dabei bleibt es auch nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; zuvor schon angelegt in EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris), der lediglich inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf den effektiven Rechtsschutz für international Anerkannte im Sinne des Art. 47 GRCh und Art. 46 Verfahrens-RL macht, aber keine prozessualen oder verfahrensrechtlichen Vorgaben, die dem nationalen Recht überlassen sind.
Hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten in Bezug auf Ungarn gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist indes die – nach sachgerechter Auslegung hilfsweise gestell-te – Verpflichtungsklage deshalb zulässig, weil das Bundesamt insoweit gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG bereits eine Sachprüfung durchgeführt hat und deshalb eine gerichtliche Überprüfung möglich ist (vgl. BVerwG U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris, Rn. 20).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Bundesamt hat den Antrag des Klägers – im Ergebnis – zu Recht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt und zu Recht die Feststellung getroffen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Ungarn nicht vorliegen. Ebenso sind die Folgeentscheidungen in Ziffern 3 und 4 des Becheides rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist für den Kläger der Fall; ihm wurde in Ungarn am 15. Juni 2017 subsidiärer Schutz zuerkannt; der Schutzstatus besteht nach der Mitteilung der ungarischen Asylbehörde vom 20. Oktober 2020 auch fort.
Die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes in Ziffer 1 des Bescheides vom 11. Februar 2020 ist auch unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL 2013/32/EU und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris) – (a) – und der in Ungarn für international Anerkannte herrschenden tatsächlichen Verhältnisse (b) rechtmäßig (c).
a) Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Nach der Entscheidung des EuGH vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedsstaaten aber nicht möglich, von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Anerkannten in diesem Land Lebensverhältnisse erwarten, die für ihn eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh darstellen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist insofern auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen.
Zwar ist nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht, der besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen, grundsätzlich auf eine rechtstaatliche Behandlung von Flüchtlingen im gemeinsamen Rechtsraum auszugehen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3).
Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut und unwiderlegbar. Die Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte haben zu überprüfen, ob das Asylsystem in der Praxis eines Staates auf größere Funktionsstörungen stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat grundrechtswidrig behandelt werden (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
Derartige Funktionsstörungen müssen jedoch eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Asylantragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Qualifikations-RL 2011/95/EU entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91).
Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedsstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not im oben genannten Sinne befände. Dafür genügt nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96).
Bei dem so definierten Maßstab ist weiter zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige handelt oder eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (Vulnerabilität), die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 26). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch im Rahmen des Art. 4 GRCh zu berücksichtigen ist.
Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Antragsteller eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187).
Diesen Maßstab zu Grunde gelegt, war die Ablehnung des Antrags des Klägers als unzulässig im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig. Beim Kläger handelt es sich um einen alleinstehenden jungen Volljährigen mit psychischen Problemen, insbesondere einer PTBS. Als solchem droht ihm bei einer Rückkehr nach Ungarn angesichts der dortigen allgemeinen Lage für Rückkehrer aber noch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung.
b) Das Gericht geht nach Auswertung der zur Verfügung stehenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel von folgender Lage für in Ungarn anerkannte international Schutzberechtigte aus, die nach ihrer Anerkennung Ungarn verlassen haben und nun wieder zurückgeführt werden sollen:
In Ungarn anerkannte Schutzberechtigte (anerkannte Flüchtlinge ebenso wie subsidiär Schutzberechtigte) erhalten nach ihrer Anerkennung einen ungarischen Identitätsausweis mit einer Gültigkeit von drei Jahren. Nach Ablauf der drei Jahre findet von Amts wegen eine Regelüberprüfung statt, ob die Gründe für die Anerkennung weiterbestehen oder andere Gründe für eine Rücknahme der Zuerkennungsentscheidung existieren (Asylum Information Database – aida -, Country Report: Hungary Update 2018, S. 102 und 107, Auswärtiges Amt an das Bundesamt vom 5.6.2019). Bei einer Rückführung, die über den Flughafen Budapest erfolgt und von der ungarischen Polizei koordiniert wird, können Personen, die internationalen Schutz genießen, den Flughafen frei verlassen (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018) und sich in Ungarn auch im Weiteren frei bewegen (aida, S. 112). Reisedokumente für den Grenzübertritt in andere Staaten werden international Schutzberechtigten erteilt, wobei die Ausstellung aber auf bürokratische Hindernisse im Zusammenhang mit der Vorlage hierfür notwendiger Dokumente stoßen kann (im Einzelnen aida, S. 112).
Zurückgeführte Schutzberechtigte sind ab ihrer Ankunft in Ungarn auf sich selbst gestellt. Sie erhalten keine spezielle staatliche Betreuung oder Unterstützung mehr (Liaisonbeamter Ungarn des Bundesamts zur Anfrage an das Auswärtiges Amt vom 2.8.2018), sie erhalten jedoch die gleichen sozialen Leistungen wie sie ungarischen Staatsangehörigen gewährt werden (Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortungen an das VG Braunschweig vom 25.4.2018 und an das VG Trier vom 29.5.2018; aida, S. 117). Aufgrund von Sprachschwierigkeiten und bürokratischer Hürden sind international Schutzberechtigte dabei oftmals Problemen ausgesetzt (aida, S. 113, 115, 117). Die im Jahr 2013 eingeführte Möglichkeit einer Integrationsvereinbarung besteht infolge von Gesetzesänderungen im April und Juni 2016 nicht mehr (aida, S. 113). Auch spezielle Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse werden anerkannt Schutzberechtigten staatlicherseits nicht mehr angeboten. Eine kostenlose staatliche Unterbringung von Schutzberechtigten ist nur noch innerhalb der ersten 30 Tage nach der Anerkennungsentscheidung möglich (aida, S. 113). Für die Vermittlung von Sozialwohnungen ist teilweise ein längerer Aufenthalt im entsprechenden Kommunalbezirk Voraussetzung (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018), sodass Rückkehrer auf Schwierigkeiten stoßen. Für die Vermittlung von Wohnungen an Obdachlose sind die Kommunalverwaltungen zuständig. In Budapest, wo sich die meisten Flüchtlinge aufhalten, ist die Budapest Methodological Centre of Social Policy Its Institutions – BMSZKI -, offenbar eine kommunale Einrichtung mit Unterstützung von weiteren Trägern wie Caritas und ERASMUS (https://www.bmszki.hu), bei der Unterbringung von Obdachlosen tätig.
Das ungarische Sozialsystem gewährt grundsätzlich Versicherungsschutz für Krankheit, Mutterschutz, Alter, Invalidität, Berufskrankheiten und -unfälle, Hinterbliebene, Kindererziehung und Arbeitslosigkeit. Dies gilt für anerkannt Schutzberechtigte in gleicher Weise wie für ungarische Staatsangehörige. Erwerbstätige sind per Gesetz krankenversichert. Ebenso gesetzlich krankenversichert sind (u.a.) Bezieher von Einkommenshilfen (Sozialhilfeberechtigte) und Bezieher von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitssuchende (Auswärtiges Amt an das Bundesamt vom 5.6.2019 und vom 29.5.2018 an das VG Trier). Wer nicht per Gesetz Mitglied der Krankenversicherung ist, kann bei Bedürftigkeit Anspruch auf kostenlosen Krankenversicherungsschutz haben (Auswärtiges Amt an das Bundesamt vom 5.6.2019). Bei ohne eigenes Verschulden eingetretener Arbeitslosigkeit besteht ein Anspruch auf Sozialhilfe und damit auch Krankenversicherungsschutz. Ausgeschlossen hiervon ist, wer arbeitsfähig ist und zuvor nicht mindestens ein Jahr lang eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat (Auswärtiges Amt an das VG Schleswig vom 14.2.2020). Nach den ungarischen Gesetzen hat jeder Patient in dringenden Fällen darüber hinaus das Recht auf eine lebensrettende Versorgung und auf Vorbeugung gegen schwere oder bleibende gesundheitliche Schäden, wobei eine Notfallversorgung gegebenenfalls auch ohne Feststellung der Identität erfolgt (Auswärtiges Amt an das Bundesamt vom 5.6.2019). Die staatliche Grundversorgung für Asylbewerber steht Anerkannten aber nur bis sechs Monate nach der Zuerkennung eines Schutzstatus zu (aida, S. 118, Auswärtiges Amt an das Bundesamt vom 5.6.2019).
Kinder erhalten Hilfe in Form von Kindergeld, Eingliederungshilfen in der Schule und dort bei Bedarf kostenlose Schulverpflegung und Schulmaterialien (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018). Die Schulen sind zur adäquaten Unterstützung der Flüchtlingskinder tatsächlich jedoch kaum in der Lage (aida, S. 116).
Der Arbeitsmarkt steht Schutzberechtigten, bis auf einige Berufe, die ungarischen Staatsangehörigen vorbehalten sind, offen (aida, S. 115). Anerkannte Schutzberechtigten, die sich um eine Beschäftigung bemühen, haben aufgrund des Arbeitskräftemangels in Ungarn große Chancen und es relativ leicht, eine Anstellung zu finden (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018 und an das VG Greifswald vom 20.4.2020, Länderinformationsblatt Ungarn, Stand 9.3.2020, S. 20). Der ungarische Arbeitsmarkt ist – auch für ungelernte Kräfte – sehr aufnahmefähig (Auswärtiges Amt an das VG Greifswald vom 20.4.2020). Es herrscht in Ungarn Vollbeschäftigung mit einer Arbeitslosenquote von lediglich 3,5%. Arbeitgeber stellen in der Regel über dem Mindestlohn ein und leisten teils auch Integrationshilfen (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018). Nach Einschätzung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) können ungelernte Arbeitskräfte ein monatliches Einkommen von rund 180.000 bis 200.000 HUF erzielen. Das Existenzminimum liegt nach Angaben des Ungarischen Zentralen Amts für Statistik für eine Familie mit zwei Kindern bei rund 275.000 HUF (Auswärtiges Amt an das VG Greifswald vom 20.4.2020). Hauptschwierigkeit beim Finden einer Arbeitsstelle sind für Schutzberechtigte die fehlenden Sprachkenntnisse und ein mangelndes Wissen über die rechtlichen Möglichkeiten (Länderinformationsblatt Ungarn, S. 20).
Die Lücken bei den fehlenden staatlichen Integrationsleistungen und im Sozialsystem schließen zahlreiche NGOs und kirchliche Träger, insbesondere die Organisationen Menedek (https://menedek/hu) und Kalunba, die Diakonie (http://diakoweb.webnode.hu), Malteser und in Budapest BMSZKI (https://www.bmszki.hu). Sie unterstützen anerkannt Schutzberechtigte in zahlreichen Bereichen (Länderinformationsblatt Ungarn. S.19). Sie helfen insbesondere bei der Vermittlung von Unterkünften und der sozialen Integration. Sie unterstützen zurückkehrende Schutzberechtigte in allen Bereichen des täglichen Lebens und bei der Integration in der Regel bis zu einem Jahr (Auswärtiges Amt an das VG Greifswald vom 20.4.2020). Sie bieten auch Hilfen direkt bei der Ankunft aus dem Ausland an, vermitteln Sprachkurse und andere Bildungsangebote wie Job-Trainings, bieten diese zum Teil auch selbst an und kümmern sich auch um vulnerable Personen (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018; aida, S. 115/116). Rückkehrer können bis zu einem Jahr, auch kurzfristig, in von diesen Organisationen angemieteten Wohnungen untergebracht werden. Entsprechende Vermittlungen von Hilfsorganisationen waren in der Vergangenheit mehrfach erfolgreich (Auswärtiges Amt an das VG Braunschweig vom 25.4.2018). In Budapest bietet insbesondere BMSZKI Obdachlosenunterkünfte unterschiedlicher Art und für unterschiedliche Bedürfnisse an, die auch Schutzberechtigten offenstehen (Länderinformationsblatt Ungarn, S. 19). Mit den Organisationen kann dabei bereits vor der Rücküberstellung vom Ausland aus Kontakt aufgenommen werden. Sie informieren auf ihren Internetseiten nicht nur in ungarischer, sondern auch in englischer, zum Teil zusätzlich in deutscher Sprache über ihre Leistungen und Möglichkeiten. Wie sich aktuellen Auftritten im Internet entnehmen lässt, sind diese Hilfsorganisationen weiter im Bereich der Unterstützung von anerkannten Migranten tätig. Sie werden zwar nicht mehr mit staatlichen Mitteln aus Ungarn und seit 2019 auch nicht mehr durch das European Asylum, Migration and Integration Fund-Programm (AMIF-Programm) mitfinanziert, existieren aber unverändert fort, sind weiter tätig und finanzieren sich nach deren Darlegungen aus privaten Geldern. Soweit NGOs anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte unterstützen, sind sie auch nicht von der ungarischen Gesetzgebung von Juni 2018 betroffen, die die Unterstützung von Flucht und Migration mit – insbesondere strafrechtlichen – Konsequenzen belegt. Lediglich die Gruppierung Migszol (http://www.mi-gszol. com), die es sich vorwiegend zur Aufgabe gemacht hatte, Asylbewerber politisch zu unterstützen, hat – wie sich deren Internetauftritt entnehmen lässt – angesichts der politischen und rechtlichen Lage in Ungarn ihre Aktivitäten im ersten Halbjahr 2018 eingestellt.
c) Nach dem anzuwendenden Rechtsmaßstab und den dargestellten tatsächlichen Verhältnissen steht nach der Ansicht des erkennenden Gerichts der Rückführung international Schutzberechtigter nach Ungarn grundsätzlich kein rechtliches Hindernis entgegen. Das gilt nach der Rechtsprechung der Kammer auch für Familien mit minderjährigen Kindern (vgl. VG Ansbach, U.v. 12.9.20219 – AN 17 K 18.50204, U.v. 5.3.2020 – AN 17 K 18.50059/17 K 18.50411 – jeweils juris, ebenso VG Cottbus, U.v. 9.1.2020 – 5 K 1960/18.A – juris, VG Berlin, B.v. 29.1.2020 – 33 L 1/20A – juris, a.A. für Familien mit Kindern, aber zum Teil ohne Berücksichtigung neuer Erkenntnismittel etwa VG Oldenburg, U.v. 12 A 2137/18 – unveröffentlicht -, VG Augsburg, U.v. 20.5.2020 – Au 5 K 20.20088 – juris, OVG Saarlouis, B.v. 12.3.2018 – juris) und erst recht für arbeitsfähige Erwachsene bzw. Familien mit Kindern in höherem Altern (VG Ansbach, U.v. 22.9.2020 – AN 17 K 18.50051/50052 – juris). Mit der Situation von Asylbewerbern in Ungarn, die nach weitgehend übereinstimmender verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung aufgrund der dort bisher zu erwartenden haftähnlichen Unterbringungen und der erheblichen Defizite im Asylverfahren, nicht zurückgeführt werden können, sondern systemische Mängel angenommen werden (vgl. etwa BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B17.50003, B.v. 23.1.2018 – 20 B 16.50073), ist die Situation von dort Anerkannten nicht vergleichbar. Die Mängel des ungarischen Asylverfahrens treffen die dort bereits Anerkannten nicht mehr.
Eine Rückkehr nach Ungarn ist konkret auch dem Kläger trotz seiner psychischen Erkrankungen bzw. Probleme (insbesondere Depression, PTBS, Schlafstörungen) zumutbar. Das erkennende Gericht geht nach dem aus der mündlichen Verhandlung gewonnenem Eindruck und der Aktenlage davon aus, dass der Kläger arbeitsfähig ist und in Ungarn angesichts der guten Arbeitsmarktsituation auch gute Chancen hat, eine Arbeit zu finden. Damit wird er prognostisch – jedenfalls mittelfristig – in der Lage sein, die zum Lebensunterhalt und zum Wohnen erforderlichen Einkünfte für sich zu erwirtschaften. Kurzfristig und zur Überbrückung einer Anfangszeit kann er auf die Unterstützung der o.g. Hilfsorganisationen und kommunalen Einrichtungen zurückgreifen. Aufgrund der effektiven Arbeit der Hilfsorganisationen ist nicht ernsthaft zu befürchten, dass der Kläger ohne „Bett, Brot und Seife“ dastehen wird. Eine Kontaktaufnahme zu den Hilfsorganisationen ist bereits von Deutschland aus möglich. Eine Unterstützung erfolgt insbesondere bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, dem Erlernen der ungarischen Sprache, bei organisatorischen und bürokratischen Problemen, z.B. bei Antragstellungen auf Sozialleistungen bei den ungarischen Behörden, außerdem sind finanzielle Unterstützungsleistungen zur Überbrückung bis zu einer Arbeitsaufnahme möglich.
Weder ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen noch sonst aus der Akte, dass der Kläger, etwa wegen fehlender Selbständigkeit oder krankheitsbedingt fehlendem Eigenantrieb nicht in der Lage wäre, jedenfalls mit entsprechender Unterstützung der NGOs, die nötigen Schritte zur Arbeitssuche zu tun oder er eine Erwerbstätigkeit wegen gesundheitlicher oder persönlichkeitsbedingter Einschränkungen nicht bewältigen könnte bzw. voraussichtlich damit scheitern würde. Er machte auch in der mündlichen Verhandlung keinen labilen und in dieser Hinsicht eingeschränkten Eindruck, sondern wirkte realitätsorientiert, interessiert, engagiert und intellektuell dazu in der Lage; er konnte insbesondere die deutsche Sprache gut verstehen und sprechen, so dass angenommen werden kann, dass er auch in einem weiteren Land und mit einer weiteren Sprache zurecht kommen wird. Er besucht in Deutschland zur Berufsvorbereitung derzeit die Berufsschule und strebt eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker an. Er hat außerdem angegeben, bereits im Iran als Kind und Jugendlicher als Schneider und Schlüsselmacher gearbeitet bzw. geholfen zu haben. Von grundsätzlicher Arbeitsfähigkeit ist nach alledem bei ihm auszugehen. Sein psychischer Zustand ist insoweit ausreichend stabilisiert. Zwar ist nach den letzten ärztlichen Befunden vom 16. September 2020 weiterhin von einer behandlungsbedürftigen PTBS auszugehen, andererseits gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, dass es ihm jetzt im Wesentlichen gut gehe und das verordnete Psychopharmakum (Mirtazapin) gut, wenn auch nicht 100%ig wirke.
Es kann auch davon ausgegangen werden, dass die medizinische Behandlung, sowohl medikamentös als auch therapeutisch, in Ungarn adäquat fortgesetzt werden kann und hierfür das ungarische Krankenversicherungssystem einspringt. Psychische Erkrankungen können auch in Ungarn fachlich ohne weiteres behandelt werden. Es existiert mit der Cordelia Foundation in Ungarn sogar eine spezialisierte Organisation, die traumatisierten Asylbewerbern und international Anerkannten zur Seite steht und Therapeuten auch für die vom Kläger gesprochenen Sprachen Dari und Pashto zur Verfügung stellt (s. https://cordelia.hu). Der Kläger kommt im Rahmen einer Erwerbstätigkeit bzw. – anfänglich – als Arbeitssuchender in Ungarn aller Voraussicht nach auch in den Genuss der gesetzlichen Krankenversicherung. Sollte eine Arbeitsaufnahme aufgrund seiner Erkrankung bzw. psychischen Belastung scheitern, steht ihm aufgrund der dann bestehenden Bedürftigkeit nach den Ausführungen unter 2. a) eine kostenlose Krankenversorgung zu. Es ist nicht davon auszugehen, dass gesundheitlich bedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit gegebenenfalls als selbstverschuldete Arbeitslosigkeit angesehen werden und er von den ungarischen Sozialleistungen deshalb ausgeschlossen wird.
Der Arbeitsaufnahme dort steht auch nicht eine zu befürchtende Retraumatisierung entgegen. Zwar geht der ärztliche Bericht des Bezirksklinikums vom 16. September 2020 hiervon pauschal aus, dem kann die Kammer aufgrund der eigenen Angaben des Klägers jedoch nicht folgen. Traumatisierende Ereignisse haben – entgegen der ärztlichen Annahme – in Ungarn nicht stattgefunden. Der ärztliche Bericht geht davon aus, dass in Aufnahmelagern in Ungarn „Übergriffe und gewaltvolle Ereignisse“ stattgefunden haben (vgl. S. 4 unten) und deshalb dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer Retraumatisierung zu rechnen sei (S. 5 des Berichts oben). Zu Gewalt und Schlägen ist es in den ungarischen Aufnahmelagern gegenüber dem Kläger nach seinem eigenen ausdrücklichen Bekunden aber nicht gekommen. Er äußerte in der mündlichen Verhandlung konkret und unzweideutig, dass er dort nicht geschlagen worden sei, das Verhalten der Leute dort aber sonst schlecht gewesen sei. Angst- und Gewalterfahrung mit den ungarischen Sicherheitskräften hat der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nur beim versuchten ersten Grenzübertritt von Serbien aus gemacht; nach seinen Angaben beim Bundesamt kam es zur Gewaltanwendung an der türkisch-bulgarischen Grenze. Da der Kläger dennoch seine Flucht über Ungarn fortgesetzt bzw. zu einem späteren Zeitpunkt erneut angetreten hat, kann nicht angenommen werden, dass diese Erlebnisse ausschlaggebend für seine Traumatisierung gewesen sind, sondern diese eher auf Begebenheiten in Afghanistan, dem Iran oder der Flucht zuvor zurückzuführen ist. Zum anderen sind neuerliche derartige Erlebnisse mit den ungarischen Autoritäten für den Kläger auszuschließen. Er ist zwischenzeitlich in Ungarn als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt worden und muss deshalb mit einer solchen Situation nicht mehr rechnen. Er hat schon während seines Aufenthalts in Ungarn, vor allem im zweiten Camp in Fut, als unbegleiteter Minderjähriger keine vergleichbaren Erlebnisse mehr gehabt. Eine aufgrund seiner Erlebnisse beim ersten Grenzübertrittsversuch resultierende Traumatisierung und dadurch drohende Retraumatisierung bei einer Rückkehr mit Auslösen von Suizidalität oder der Gefahr von extremen Gesundheitsschäden ist realistischerweise nicht zu befürchten und damit in der Folge auch keine wesentliche Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, so dass die Prognose einer Verelendung oder bedeutenden Gesundheitsgefährdung in Ungarn nicht gestellt werden kann.
Die beim Kläger noch bestehende, aber stabilisierte PTBS und seine sonstigen psychischen Probleme stehen nach Ansicht des erkennenden Gerichts damit weder wegen der weiter bestehenden Behandlungsbedürftigkeit (die in Ungarn möglich und absehbar auch gewährleistet ist) noch im Hinblick auf seine Arbeitsfähigkeit (die hierdurch nicht wesentlich eingeschränkt ist) einer Rückkehr nach Ungarn entgegen. Insgesamt kann nicht gesehen werden, dass dem Kläger in Ungarn eine Verelendung i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof und der nationalen Rechtsprechung droht, so dass sich die Unzulässigkeitsfeststellung als rechtmäßig erweist.
3. Die Ablehnung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des AufenthG in den Ziffern 2 der Bescheide vom 11. Februar 2020 stellt sich im Ergebnis ebenfalls als rechtmäßig dar.
a) Hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK stellen sich inhaltlich die gleichen rechtlichen Fragen. Ein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ergibt sich aus der allgemeinen Lage für international Schutzberechtigte in Ungarn für die Kläger nicht. Auf die vorstehenden Ausführungen wird insoweit verwiesen.
b) Für den Kläger besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Norm setzt voraus, dass der Ausländer bei einer Rückkehr mit hoher – und nicht nur beachtlicher – Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage hinsichtlich der genannten Rechtsgüter ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 13). Er müsste „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ sein. Nur dann gebieten es die Grundrechte der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, trotz fehlender politischer Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60).
Unter Berücksichtigung dieses strengen Maßstabs steht dem Kläger kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Wie unter 2. c) bereits ausgeführt, ist eine Behandlung seiner psychischen Erkrankungen in Ungarn tatsächlich möglich und eine Behandlung über das ungarische Krankenversicherungssystem voraussichtlich erreichbar. Dass der Kläger bei Rückkehr in Ungarn eine Retraumatisierung erleidet, die zu einer realistischen Gefahr eines Suizids bei ihm führt, ist nach dem unter 2. c) Ausgeführtem nicht wahrscheinlich. Eine Retraumatisierung ist nach objektiven Maßstäben nicht zu erwarten, weil die Umstände in Ungarn nicht kausal für seine PTBS sind. Dass der Kläger dies verkennt und bei ihm irrationalerweise, d.h. entgegen objektiver Gegebenheiten derartige Folgen ausgelöst werden, ist ebenfalls nicht anzunehmen. In diese Richtung gehen weder seine eigenen Einlassungen, noch die vorliegenden ärztlichen Berichte.
c) Ein Abschiebungshindernis ergibt sich auch nicht aus dem Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Virus. Insoweit besteht keine ein Abschiebungsverbot begründende Ansteckungswahrscheinlichkeit und auch im Fall einer Ansteckung keine allgemeine Lebens- oder erhebliche Gesundheitsgefahr. Im Übrigen liegt insoweit eine Allgemeingefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG vor, die ein Abschiebungsverbot grundsätzlich nicht begründet.
4. Weiter begegnet die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3 des Bescheids vom 11. Februar 2020 keinen Bedenken. Sie beruht auf § 35 AsylG.
Die Ausreisefrist von einer Woche entspricht der Vorgabe des § 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Sie knüpft den Fristlauf allerdings an die Bekanntgabe des Bescheides. Dies könnte mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Gnandi“ (U.v. 19.6.2018 – C-181/16 – NVwZ 2018, 1625) zweifelhaft erscheinen. Allerdings ist schon fraglich, ob die Grundsätze der „Gnandi“- Entscheidung überhaupt auf die vorliegende Konstellation einer Abschiebungsandrohung mit einwöchiger freiwilliger Ausreisefrist ab Bekanntgabe des Bescheids nach § 35 und § 36 Abs. 1 AsylG in Folge einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG übertragbar sind (dafür wohl Pietzsch in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 25. Edition Stand 1.3.2020, § 36 AsylG Rn. 3 ff.; offenlassend etwa VG Würzburg, B.v. 19.12.2019 – W 4 S 19.32094 – BeckRS 2019, 34656). Denn die RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL), auf die sich der Europäische Gerichtshof in der „Gnandi“ – Entscheidung maßgeblich stützt, definiert in deren Art. 3 Nr. 3 eine Rückkehr grundsätzlich als Rückführung in Drittländer, die keine EU-Mitgliedstaaten sind (so VG Würzburg, B.v. 19.12.2019 – W 4 S 19.32094 – BeckRS 2019, 34656 Rn. 27). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls wurde die „Gnandi“ – Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bislang nur für die hier nicht gegebenen Fälle einer inhaltlichen Ablehnung des Asylantrages als (einfach oder offensichtlich) unbegründet verbunden mit einer Abschiebungsandrohung nachvollzogen (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 22.19 – BeckRS 2020, 12399; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – BeckRS 2020, 8202).
Selbst wenn man aber die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Gnandi“ für übertragbar hielte, käme man nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung nach Ungarn. Denn jedenfalls hätte das Bundesamt durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung und damit auch des Laufs der Ausreisefrist in Ziffer 5 des Bescheides vom 11. Februar 2020 nach § 80 Abs. 4 VwGO einen unionsrechtskonformen Zustand hergestellt (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 22.19 – BeckRS 2020, 12399 Rn. 52 f.). Die durch den Europäischen Gerichtshof im Weiteren statuierten Informationspflichten bei einer Verbindung von ablehnender Asylentscheidung und Rückkehrentscheidung hätten auch im Fall ihrer Missachtung keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – BeckRS 2020, 8202 Ls. 4 und Rn. 34 ff.; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 22.19 – BeckRS 2020, 12399 Ls. 4 und Rn. 60 ff.)
5. Rechtmäßig ist auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids. Diese beruht auf § 11 Abs. 1 AufenthG. Die vorgenommene Befristung ist nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Ermessensentscheidung. Das Gericht prüft die Festsetzung damit nur auf Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO), die hier nicht ersichtlich sind.
6. Die Kostenentscheidung der damit vollumfänglich abzuweisenden Klagen beruht auf § 154 Abs. 1 Satz VwGO, § 83b AsylG.


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