Verwaltungsrecht

Kostenerstattung für Inobhutnahme eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings

Aktenzeichen  M 18 K 20.968

Datum:
4.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 31851
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 42d, § 89d Abs. 1
SGB X § 113
SGG § 54 Abs. 1 Satz 2
VwGO  § 42 Abs. 2,§ 124, § 124 a Abs. 4
VerbaKJUVBG Art. 1 Nr. 9

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger EUR 3.375,52 zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte zu 4/5 und der Kläger zu 1/5.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Der ursprünglich auf Zahlung von EUR 50.866,46 nebst Zinsen gerichtete Antrag des Klägers ist nach der inzwischen erfolgten Teileinstellung und Trennung der Verfahren gemäß § 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass im vorliegenden Verfahren die Verpflichtung des Beklagten begehrt wird, dem Kläger EUR 4.150,52 zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit der Klage in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (vgl. § 291 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB analog) zu zahlen.
Die Klage ist zulässig und überwiegend – soweit die Erstattung von Kosten in Höhe von EUR 3.375,52 für den Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 begehrt wird – begründet. Im Übrigen – bezogen auf die Erstattung von Kosten in Höhe von EUR 775,00 für den Zeitraum vom 1. bis 14. Juli 2015 – ist die Klage unbegründet und daher abzuweisen.
Die Klage ist insbesondere nicht wegen fehlender Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) bzw. fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit sie auf Erstattung der im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstandenen Kosten gerichtet ist.
Der Rechtsauffassung des Beklagten, es fehle an einer Beschwer des Klägers, weil der Beklagte seine Kostenerstattungspflicht für die im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 gewährte Jugendhilfe bis zum Ablauf der Verjährungsfrist am 15. Juni 2017 anerkannt habe, der Kläger es aber unterlassen habe, die Jugendhilfeleistungen bis zum 15. Juni 2017 abzurechnen, kann nicht gefolgt werden. Ungeschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts ist das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis. Für eine unnötige oder gar missbräuchliche Ausübung von Klagemöglichkeiten brauchen die Gerichte nicht zur Verfügung zu stehen (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vorbemerkungen §§ 40-53 Rn. 11). Dementsprechend fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Kläger sein Klageziel auf anderem Weg einfacher und schneller oder effizienter erreichen könnte (Eyermann, VwGO, a.a.O. Rn. 12). Dies mag aufgrund der Anerkennung der Kostenerstattungspflicht durch den Beklagten und des durch diesen erklärten Verzichts auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zum 15. Juni 2017 der Fall gewesen sein. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 15. Juni 2017 und auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts steht dem Kläger ein solcher einfacherer und schnellerer Weg aber nicht (mehr) zur Verfügung. Da der Beklagte auf die Erhebung der Einrede der Verjährung (nur) bis zum 15. Juni 2017 verzichtet hat, war spätestens am 15. Juni 2017 die Klageerhebung geboten, um den Eintritt der Verjährung gemäß § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII (vgl. dazu unten) zu verhindern.
Der Kläger hat durch das Unterlassen der Abrechnung bis zu diesem Zeitpunkt sein Klagerecht auch nicht verwirkt. Voraussetzung der (prozessualen) Verwirkung ist, dass der Klageberechtigte sein Klagerecht lange Zeit nicht ausgeübt hat, so dass der Prozessgegner – die Behörde oder ein Dritter – darauf vertrauen durfte, Klage werde nicht mehr erhoben (Vertrauensgrundlage), und dass der Prozessgegner oder Dritte dieses Vertrauen tatsächlich gefasst (Vertrauenstatbestand) und sich entsprechend eingerichtet hat, so dass ihm durch die nunmehrige Ausübung des Klagerechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (Eyermann, VwGO a.a.O. Rn. 23 m.w.N.). Ein solcher Fall ist nicht gegeben. Der Beklagte hat am 12. Dezember 2016 auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zum 15. Juni 2017 verzichtet. Umstände, die den Beklagten dazu veranlasst haben könnten, anzunehmen, der Kläger werde keine Klage mehr erheben, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr musste der Beklagte für den Fall einer fehlenden Einigung mit einer Klageerhebung vor Ablauf des Verzichts auf die Erhebung der Verjährungseinrede rechnen.
Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht etwa deshalb entfallen, weil der Beklagte angesichts der Anerkennung seiner Kostenerstattungspflicht jedenfalls für die im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 gewährte Jugendhilfe zur Zahlung bereit wäre. Der Beklagte hat mit seinem Schriftsatz vom 17. September 2020 nochmals ausdrücklich klargestellt, dass er angesichts der inzwischen erfolgten Aufhebung des § 89d Abs. 3 SGB (a.F.) davon ausgeht, dass er für den gesamten geltend gemachten Zeitraum nicht mehr zur Kostenerstattung verpflichtet sei.
Die Klage ist überwiegend auch begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der für den Hilfeempfänger A. B. im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 im Rahmen der Jugendhilfe aufgewendeten Kosten in Höhe von EUR 3.375,52 aus § 89d Abs. 1, Abs. 3 SGB VIII in der bis 30. Juni 2017 geltenden Fassung (Im Folgenden: a.F.), § 89f SGB VIII. Er hat hingegen keinen Anspruch auf Erstattung der im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 entstandenen Kosten in Höhe von EUR 775,00, da dieser Anspruch nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII geltend gemacht worden ist.
Gemäß § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufwendet, vom Land zu erstatten, wenn innerhalb eines Monats nach der Einreise eines jungen Menschen oder eines Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII Jugendhilfe gewährt wird und sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt diese Person oder nach der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde richtet. Die Erstattungspflicht nach Satz 1 bleibt unberührt, wenn die Person um Asyl nachsucht oder einen Asylantrag stellt (§ 89d Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Gemäß § 89g SGB VIII können die Aufgaben des Landes nach § 89d SGB VIII durch Landesrecht auf andere Körperschaften des öffentlichen Rechts übertragen werden.
Die Voraussetzungen des § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII liegen vor. Dem Betroffenen (A. B.) wurde innerhalb eines Monats nach seiner Einreise Jugendhilfe gewährt. Die Gewährung von Jugendhilfe umfasst das gesamte Spektrum der in § 2 SGB VIII genannten Aufgaben der Jugendhilfe, also sowohl Leistungen nach § 2 Abs. 2 SGB VIII als auch andere Aufgaben im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB VIII, insbesondere Inobhutnahmen gemäß §§ 42, 42a SGB VIII (Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 89d Rn. 6). Jugendhilfe in Form der Inobhutnahme wurde vorliegend auch innerhalb eines Monats nach der Einreise des Betroffenen am 30. Juni 2015 gewährt. Selbst wenn die Inobhutnahme nicht schon am 1. Juli 2015, sondern entsprechend der Verfügung des Klägers vom 15. Juli 2015 und dem handschriftlichen Vermerk auf der Mitteilung der FSD-Stiftung vom 1. Juli 2015 „Inobhutnahme zum 15.07.15“ erst am 15. Juli 2015 erfolgt sein sollte, ist die Monatsfrist des § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gewahrt. Die örtliche Zuständigkeit des Klägers für die Gewährung der Jugendhilfe richtete sich zudem nach dem tatsächlichen Aufenthalt des jungen Menschen. Gemäß § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII war auf den tatsächlichen Aufenthalt des jungen Menschen abzustellen, weil weder seine Eltern noch er selbst vor Beginn der Leistung einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten.
Die Klage richtet sich auch gegen den richtigen Beklagten. Gemäß § 89 Abs. 3 SGB VIII in der bis 30. Juni 2017 geltenden Fassung (vgl. BGBl. I 2015, 1802) wurde, sofern – wie hier – die Person im Ausland geboren wurde, das erstattungspflichtige Land bzw. – wie hier – die nach Landesrecht für die Kostenerstattung zuständige Körperschaft (vgl. § 89g SGB VIII i.V.m. Art. 52 AGSG) auf der Grundlage eines Belastungsvergleichs vom Bundesverwaltungsamt bestimmt. Dies ist hier mit Bescheid vom 22. September 2015 erfolgt.
Entgegen der Auffassung des Beklagten findet § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. vorliegend Anwendung. Das Gericht schließt sich insoweit der überzeugenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Mainz (U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 38 ff., ähnlich zuvor schon U.v. 3.7.2018 – 1 K 849/17.MZ – juris Rn. 28 ff.; U.v. 22.2.2018 – 1 K 862/17.MZ – juris Rn. 31 ff.; so auch VG Potsdam, U.v. 24.1.2019 – 7 K 6403/17 – juris Rn. 21 sowie VG Bayreuth, GB v. 1.2.2018 – B 3 K 17.499 – juris Rn. 24 – für den Fall, dass die Klage bereits vor dem 1.7.2017 rechtshängig gemacht wurde) an, das in seinem Urteil vom 22. November 2018 hierzu Folgendes ausgeführt hat:
„Vorliegend findet § 89d Abs. 3 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 Anwendung. Nach Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (VerbaKJUVBG) vom 28. Oktober 2015 (BGBl. I 2015, 1802) wurde § 89d Abs. 3 SGB VIII aufgehoben, wobei Art. 5 Abs. 1 VerbaKJUVBG bestimmt, dass Art. 1 Nr. 9 VerbaKJUVBG zum 1. Juli 2017 in Kraft tritt. Weder die Vorschriften des VerbaKJUVBG noch des SGB VIII enthalten insoweit eine Übergangsreglung, etwa dergestalt, dass laufende Verwaltungsverfahren nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen sind. Da der Gesetzgeber keine Übergangsregelung erlassen hat, sind in Ermangelung derartiger Vorschriften die Regeln des intertemporalen Rechts anzuwenden.
Danach wird der unmittelbar nur die Anwendbarkeit des neuen Rechts betreffende Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung durch den Grundsatz „tempus regit actum“ ergänzt, nachdem die Beurteilung eines Sachverhalts sich grundsätzlich, insbesondere auch für in der Vergangenheit liegende oder eingetretene Tatsachen nach dem Recht richtet, das im entsprechenden Zeitpunkt in Geltung war (EuGH, Urteil vom 21. September 2017 – C-88/15 -, juris, Rn. 38; BFH, Urteil vom 8. November 2006 – X R 45/02 -, juris, Rn. 22; OVG RP, Urteil vom 11 März 1997 – 6 A 10700/96.OVG -, juris, Rn. 29 ff.). Außer Kraft getretene Rechtsnormen bleiben danach anwendbar auf Sachverhalte, die während ihrer Geltung verwirklicht worden sind. Demgemäß finden auf das vorliegende Verfahren die bisherigen Vorschriften des SGB VIII Anwendung.
Eine Leistungsklage kann demnach auch dann noch Erfolg haben, wenn der versagte Anspruch auf einer vor Klageerhebung entfallenen Rechtsgrundlage beruht, aber nicht mit deren Aufhebung erloschen ist. Insoweit gelten die zur Verpflichtungsklage aufgestellten Grundsätze entsprechend (vgl. zur Verpflichtungsklage: BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1973 – VII C 7/71 -, NJW 1973, 1812; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 34. EL Mai 2018, § 113, Rn. 267; W.-R. Schenke/R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 113, Rn. 221). Es kommt also auch hier – nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – auf das materielle Recht an (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 – 2 C 45/03 -, NJW 2004, 3581 [3582]). Daraus ergeben sich nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 – 2 C 45/03 -, NJW 2004, 3581 [3582]). So kann für das Bestehen eines Anspruchs im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nach dem materiellen Recht maßgeblich sein, ob die Tatbestandsvoraussetzungen zu einem bestimmten Zeitpunkt (spätestens) erfüllt gewesen sein mussten (W.-R. Schenke/R. P. Schenke, a.a.O., Rn. 220). […]
Dahingehend legen insbesondere die Übergangsregelungen in § 42d SGB VIII fest, wann die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch nach § 89d Abs. 1, 3 SGB VIII (a. F.) erfüllt sein mussten. Insoweit ergibt sich aus § 42d Abs. 5 Satz 1 SGB VIII, dass eine Geltendmachung der Kosten, die nach dem 1. November 2015 entstanden sind, gegenüber dem überörtlichen Träger gemäß § 89d Abs. 3 SGB VIII (a. F.) ausgeschlossen ist. Gleichzeitig setzt § 42d Abs. 4 Satz 1 für die übrigen Kosten eine finale Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Erstattungsansprüchen dem Grunde nach. Ausweislich der Gesetzesbegründung müssen „Fallkosten, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes entstanden sind, […] also innerhalb von neun Monaten nach Inkrafttreten [des VerbaKJUVBG] zur Kostenerstattung angemeldet werden“ (BT-Drs. 18/5921, S. 28). Dadurch wurde seitens des Gesetzgebers ein zügiges Ende der Erstattungsverfahren nach Maßgabe des § 89d Abs. 3 SGB VIII (a. F.) angestrebt. Dies wird durch die in § 42d Abs. 4 Satz 2 Hs. 1 SGB VIII enthaltene Verkürzung der vierjährigen Verjährungsfrist auf ein Jahr flankiert.
Daraus folgt, dass der Gesetzgeber eine zügige Erstattung erreichen wollte. Allerdings hat er sich dabei dem im restlichen Sozialrecht üblichen Instrumentarium des SGB X zum Schutz des erstattungspflichtigen Trägers bedient. Bereits durch die Anmeldung der Kostenerstattung dem Grunde nach wird der erstattungspflichtige Träger in die Lage versetzt, den Anspruch „grob“ auf seine Berechtigung zu prüfen und ggf. schon Rücklagen zu bilden. Insoweit sieht das Gesetz sogar eine finale Frist für diese Geltendmachung vor (§ 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII) und beschränkt gleichzeitig den Zeitraum, für den eine Kostenerstattung überhaupt begehrt werden kann (§ 42d Abs. 5 Satz 1 SGB VIII). Darüber hinaus, also gegenüber verspätet bezifferten bzw. verspätet gerichtlich durchgesetzten Forderungen, sieht der Gesetzgeber lediglich das Institut der Verjährung – hier sogar mit erheblich verkürzter Frist – vor. Dass darüber hinaus mit dem (ersatzlosen) Wegfall des § 89d Abs. 3 SGB VIII der zuvor entstandene Anspruch erlöschen sollte, ist daher zur Überzeugung der Kammer auszuschließen. Ein weiterer Schutzbedarf des erstattungspflichtigen Trägers besteht insoweit nicht, sodass ein – von dem Beklagten angenommener – gesetzgeberischer Wille nicht erkennbar ist. Der ersatzlose Wegfall des § 89d Abs. 3 SGB VIII stellt daher nicht die vom Beklagten behauptete „Schlussrechnung“ (Bl. 70 der Gerichtsakte – GA -) dar. Ein Endpunkt für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen der Höhe nach ist vielmehr durch den Ablauf der Verjährungsfristen gekennzeichnet.
Etwas anderes ergibt sich insoweit auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass „[d]er Ausgleich der Belastungen, die sich aus der Erstattung der Kosten nach § 89d Absatz 3 ergeben, die bis zum Tag des Inkrafttretens des Gesetzes entstanden sind, innerhalb von 18 Monaten durchgeführt werden [kann]. Dann wird § 89d Absatz 3 aufgehoben“ (BT-Drs. 18/5921, S. 30). Dem ist nur zu entnehmen, dass der Gesetzgeber prognostiziert hatte, dass voraussichtlich nicht länger als 18 Monate zur Bearbeitung der „Altfälle“ notwendig sein würden. Dass die Bezifferung der Erstattungsforderung nach dem 30. Juni 2017 ausgeschlossen sein und ein – tatbestandlich zu diesem Zeitpunkt bereits entstandener (s.o.) – Anspruch untergehen sollte, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Dies folgt insbesondere durch die übrigen vom Gesetzgeber vorgesehenen „Schutzmaßnahmen“ für den erstattungspflichtigen Träger (Ausschlussfristen und Verjährung). Eine solche Überinterpretation der Wirkung der „Aufhebung“ des § 89d Abs. 3 SGB VIII liefe dem Gesamtkonzept des § 42d SGB VIII und damit dem zuwider, was sich tatsächlich im Gesetzeswortlaut niedergeschlagen hat. Dahingehend unterscheiden Wortlaut und Systematik eindeutig zwischen der Entstehung des Anspruchs (§§ 89d, 42d Abs. 5 SGB VIII) und dessen Geltendmachung (§ 42d Abs. 4 SGB VIII). Durch die immense Belastung der Jugendämter im hier fraglichen Zeitraum und daraus folgend gleichzeitig auch der überörtlichen Träger dürfte die vom Gesetzgeber angestellte Prognose zudem auch – bei ex post Betrachtung – verfehlt gewesen sein, sodass die Vermutung naheliegt, dass der Gesetzgeber unter Kenntnis der tatsächlichen Sachlage diesen Zeitraum ohnehin länger bemessen hätte. Zusätzlich dürfte der Gesetzgeber insoweit von einer schnellen und vor allem auch weitgehend unstreitigen Abwicklung der Erstattungsverfahren ausgegangen sein. Dies wäre bereits aufgrund der hohen Anzahl der alleine am erkennenden Gericht diesbezüglich anhängig gemachten Verfahren als widerlegt anzusehen.
Zudem stellte § 89d Abs. 3 SGB VIII (a. F.) ohnehin vornehmlich eine Vorschrift zur Bestimmung der Zuständigkeit bzw. des Passivlegitimierten dar (vgl. OVG RP, Beschluss vom 12. Januar 2018 – 7 A 11652/17 -, juris, Rn. 13), die – sobald sie durch das Bundesverwaltungsamt einmal wirksam erfolgt ist – grundsätzlich nicht durch Außerkrafttreten der ihr zugrundeliegenden Norm berührt wird. Ein derartiger Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 27. August 1998 – 16 A 3477/97 -, juris, Rn. 14) erwächst insoweit jedenfalls in materielle Bestandskraft, die grundsätzlich auch nicht durch nachträgliche Gesetzesänderungen beseitigt wird.“
Der Kläger hat den Anspruch auf Erstattung der Kosten, die im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstanden sind, auch rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII geltend gemacht. Die im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 entstandenen Kosten sind hingegen frühestens mit Übersendung der Rechnung vom 9. September 2016 und damit erst nach Ablauf der Ausschlussfrist am 31. Juli 2016 geltend gemacht worden.
Gemäß § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ist ab dem 1. August 2016 die Geltendmachung des Anspruchs des örtlichen Trägers gegenüber dem nach § 89d Abs. 3 SGB VIII (a.F.) erstattungspflichtigen Land bzw. – wie hier – dem landesrechtlich als erstattungspflichtig bestimmten Träger auf Erstattung der Kosten, die vor dem 1. November 2015 entstanden sind, ausgeschlossen.
Nach der zur allgemeinen Ausschlussfrist des § 111 SGB X entwickelten Rechtsprechung setzt die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs ein unbedingtes Einfordern der Leistung voraus (vgl. BVerwG, U.v. 10.4.2003 – 5 C 18/02 – juris Rn. 14). Für die Wahrung der Ausschlussfrist erforderlich, aber auch hinreichend, ist die erkennbar auf Rechtssicherung gerichtete Mitteilung, dass und für welchen Hilfeempfänger welche Sozialleistungen gewährt werden bzw. wurden und dass und für welche Leistungen Erstattung begehrt wird; dazu müssen die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden (BVerwG, U.v. 10.4.2003 a.a.O. juris Rn. 14; OVG Berlin-Bbg, U.v. 26.11.2014 – OVG 9 B 59.11 – juris Rn. 35). Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Bestehen einer vorrangigen Leistungspflicht, an die der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch anknüpft, nach Grund und Höhe in allen Einzelheiten ausgeführt oder gar „bewiesen“ oder die Kostenerstattungsforderung beziffert wird (BVerwG, U.v. 10.4.2003 a.a.O. juris Rn. 14).
Ob für die Geltendmachung des Anspruchs im Sinne des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII die gleichen Anforderungen gelten wie im Bereich des § 111 SGB X oder strengere Anforderungen zu stellen sind, ist – soweit ersichtlich – bislang nicht abschließend geklärt.
Das Verwaltungsgericht Mainz führt in seinem oben bereits auszugsweise zitierten Urteil vom 22. November 2018 (1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 42 ff.) zur Anwendbarkeit des § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. aus, § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII setze für die vor dem 1. November 2015 entstandenen Kosten eine finale Ausschlussfrist zur Geltendmachung der Erstattungsansprüche „dem Grunde nach“. Der Gesetzgeber habe eine zügige Erstattung erreichen wollen. Insoweit sehe das Gesetz sogar eine finale Frist für die Geltendmachung der Erstattungsansprüche vor (§ 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII) und beschränke gleichzeitig den Zeitraum, für den eine Kostenerstattung überhaupt begehrt werden kann (§ 42d Abs. 5 Satz 1 SGB VIII). Darüber hinaus, also gegenüber verspätet bezifferten bzw. verspätet gerichtlich durchgesetzten Forderungen, sehe der Gesetzgeber lediglich das Institut der Verjährung – hier sogar mit erheblich verkürzter Frist – vor. Dass die Bezifferung der Erstattungsforderung nach dem 30. Juni 2017 ausgeschlossen und ein – tatbestandlich zu diesem Zeitpunkt bereits entstandener (s.o.) – Anspruch untergehen sollte, sei der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Diesen Ausführungen lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass das Gericht zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 42 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII eine konkrete Bezifferung der Forderung nicht für erforderlich hält, sondern es ausreichen lässt, wenn der Erstattungsanspruch innerhalb der Ausschlussfrist – also vor dem 1. August 2016 – dem Grunde nach geltend gemacht worden ist (vgl. auch VG Mainz, U.v. 20.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 48: „Der Anspruch ist mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 auch rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz ein SGB VIII, also vor dem 1. August 2016, (dem Grunde nach) geltend gemacht worden.“).
Zum Verhältnis zwischen § 42d Abs. 4 SGB VIII und (§ 37 Abs. 1 SGB I i.V.m.) § 111 SGB X führt das Verwaltungsgericht Mainz aus, die konkrete Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 SGB VIII trete zusätzlich neben (§ 37 Abs. 1 SGB I i.V.m.) § 111 SGB X, ohne diese Regelung zu verdrängen, und begründet dies letztlich damit, dass § 42d Abs. 4 SGB VIII eine andere Zielrichtung habe als § 111 SGB X (U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 49; so auch schon U.v. 3.7.2018 – 1 K 1463/17.MZ – juris Rn. 31):
„Insoweit bezweckt letztere Vorschrift zum einen, dass der erstattungspflichtigen Träger innerhalb kurzer Zeit nach der Leistungserbringung darüber Kenntnis erlangt, welche Ansprüche auf ihn zukommen können und er ggf. entsprechende Rückstellungen bilden kann, zum anderen dient sie der raschen Abwicklung des Erstattungsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1990 – 5 RJ 50/89 -, juris, Rn. 23). Dagegen zielt § 42d Abs. 4 SGB VIII darauf ab, die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen aus dem „Altverfahren“ nach § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. durch Setzung einer einheitlichen Frist „9 Monate nach Einführung des Verteilungsverfahrens durch Inkrafttreten des Gesetzes“ auszuschließen (BT-Drs. 18/5921, S. 28). Die Regelung verfolgt also den (einmaligen) primären Zweck, einen klaren Übergang zwischen den Neu- und Altverfahren zu schaffen, während § 111 SGB X (durchgehend) vornehmlich der Beschleunigung und zeitnahen Abwicklung des Erstattungsverfahrens dient“.
Aus der unterschiedlichen Zielrichtung der beiden Vorschriften leitet das Verwaltungsgericht Mainz jedoch – anders als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (siehe dazu sogleich) – keine unterschiedlichen Anforderungen an die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs ab, sondern lässt im Ergebnis sowohl im Anwendungsbereich des § 111 SGB X als auch des § 42d Abs. 4 SGB VIII die Anmeldung des Anspruchs dem Grunde nach genügen (so im Ergebnis wohl auch Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016 § 89d Rn. 11, wonach angesichts der extrem kurzen Fristen des § 42d Abs. 4 SGB VIII die Anforderungen an die Geltendmachung der Kostenerstattungsansprüche jedenfalls nicht überspannt werden dürften).
Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfordert das „Geltendmachen“ einer Kostenersatzforderung nach § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII hingegen regelmäßig die konkrete Bezifferung der Forderung, es sei denn, diese sei aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zum maßgeblichen Zeitpunkt (noch) nicht möglich (U.v. 17.12.2018 – 12 ZB 18.2462 – juris Rn. 7 ff.; bestätigt mit U.v. 25.9.2019 – 12 ZB 19.1325 – juris Rn. 11 ff.). Zur Begründung hat er jeweils Folgendes ausgeführt:
„Nach (§ 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII) ist die Geltendmachung des Anspruchs des örtlichen Trägers gegenüber dem nach § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. erstattungspflichtigen Land auf Erstattung der Kosten, die vor dem 1. November 2015 entstanden sind, ab dem 1. August 2016 ausgeschlossen. Fallkosten, die vor diesem Zeitpunkt entstanden waren, mussten deshalb spätestens bis zum 31. Juli 2016 geltend gemacht werden. Nach diesem Zeitpunkt ist eine Erstattung der vor dem 1. November 2015 entstandenen Kosten ausgeschlossen (vgl. BT-Drs. 18/5921, S. 28; s. hierzu auch Wiesner/Loos, SGB VIII, Nachtragskommentierung Dezember 2015, § 42d N9; Kepert/Dexheimer, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 42d Rn. 5; Bohnert, in: Hauck/Noftz, SGB VIII, § 42d Rn. 7; Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB VIII, 2014, § 42d Rn. 18 und 18.1).
Sinn und Zweck des § 42d Abs. 4 SGB VIII ist es, das Altsystem des Abrechnungsverfahrens im Sinne von § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. final zu beenden, zur Abrechnung zu bringen und sämtliche Ansprüche endgültig durchzusetzen (vgl. hierzu Umsetzungshinweise „Kostenerstattung nach der Übergangsregelung des § 42d SGB VIII“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Jugend und Frauen vom 9. Dezember 2015; s. auch aktualisierte Fassung vom 14. April 2016, JAmt 2016, 302). Die Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ist insoweit eine – ‚zusätzliche‘ (!) – Frist, die selbstständig zu den nach der Gesetzeslage bereits bestehenden Ausschlussfristen (§ 111 SGB X) hinzutritt (vgl. Umsetzungshinweise „Kostenerstattung nach der Übergangsregelung des § 42d SGB VIII“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Jugend und Frauen vom 9. Dezember 2015; aktualisierte Fassung vom 14. April 2016, JAmt 2016, 302; siehe auch Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, Rn. 18.1).
Zur Wahrung dieser neuen zusätzlichen Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII genügt es deshalb nicht, dass die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 19.8.2010 – 5 C 14.09 — BVerwGE 137, 368 Rn. 22; s. auch Roller, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 111 Rn. 13) beachtet wurde, nach der ein Darlegen in allen Einzelheiten, namentlich eine Bezifferung der Kostenerstattungsforderung, nicht geboten ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.4.2003 – 5 C 18.02 – FEVS 54, 495, 498; BSG, U.v. 22.8.2000 – B 2 U 24/99 R – FEVS 52, 145, 147) und es maßgeblich auf eine bedarfsorientierte Gesamtbetrachtung, nicht aber auf die jeweiligen Einzelleistungen ankommt (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 5 C 9.15 – BVerwGE 154, 1, 6 Rn. 14 f.; U.v. 27.4.2017 – 5 C 8.16 — NVwZ-RR 2017, 787, 788 Rn. 12). Vielmehr war, dem Sinn und Zweck des § 42d Abs. 4 SGB VIII entsprechend, das Altsystem des Abrechnungsverfahrens final zu beenden, bis zum Ablauf des 31. Juli 2016 gegenüber dem Erstattungspflichtigen überörtlichen Träger über den geltend gemachten Anspruch konkret ‚Rechnung zu legen‘ (so auch ausdrücklich die beide Verfahrensbeteiligte bindenden Umsetzungshinweise „Kostenerstattung nach der Übergangsregelung des § 42d SGB VIII“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Jugend und Frauen vom 9. Dezember 2015), jedenfalls soweit dies bereits rechtlich und tatsächlich möglich war.
Die Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII tritt — wie erwähnt — zusätzlich und selbstständig neben § 111 SGB X, ohne diesen zu verdrängen, und verfolgt insoweit eine andere Zielrichtung. Während § 111 SGB X den Zweck verfolgt, den erstattungspflichtigen Träger innerhalb kurzer Zeit nach der Leistungserbringung darüber in Kenntnis zu setzen, welche Ansprüche auf ihn zukommen, um gegebenenfalls entsprechende Rückstellungen bilden zu können, zielt § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII allein darauf ab, die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen aus dem ‚Altverfahren‘ nach § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. durch Setzen einer einheitlichen Frist von ‚neun Monaten nach Inkrafttreten‘ des Gesetzes endgültig auszuschließen (vgl. BT-Drucks. 18/5921, S. 28), indem er einen klaren Übergang zwischen Neu- und Altverfahren normiert, das Abrechnungsverfahren nach § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. final beendet und noch offene Ansprüche zur endgültigen Abrechnung und Durchsetzung bringt (vgl. VG Mainz, U.v. 3.7.2018 – 1 K 1463/17.MZ — juris, Rn. 31 m.w.N.). Diese Zielsetzung schließt es – anders als etwa im Anwendungsbereich des § 111 SGB X – aus, auf eine konkrete Bezifferung der Kostenforderung zu verzichten, sofern eine solche bis zum 31. Juli 2016 bereits tatsächlich und rechtlich möglich war. Denn ohne Bezifferung ist eine Abrechnung grundsätzlich nicht möglich.
Ein (unbeziffertes) Geltendmachen des Anspruchs durch unbedingtes Einfordern der Leistung, namentlich durch (erneute) Übermittlung des bereits bisher verwendeten Antragsformulars B2, das als Teil der ‚Empfehlungen zur Kostenerstattung gemäß § 89d SGB VIII, 2. Aufl.‘ der BAG Landesjugendämter in ihrer 100. Arbeitstagung vom 5. bis 7. April 2006 in Düsseldorf beschlossen wurde (vgl. hierzu Umsetzungshinweise „Kostenerstattung nach der Übergangsregelung des § 42d SGB VIII“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, aktualisierte Fassung vom 14.4.2016, JAmt 2016, 302) kann im Lichte des Gesetzeszwecks, das Abrechnungsverfahren nach § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. final zu beenden, die Ansprüche abzurechnen und endgültig durchzusetzen, nur dann genügen, wenn eine Bezifferung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (ausnahmsweise) noch nicht möglich war. (Nur) in diesen Ausnahmefällen konnte die (erneute) Übermittlung des Antragsformulars B2 genügen.
Dies lässt sich anhand der bekannten Auslegungstechniken ohne Weiteres aus dem Gesetz selbst, insbesondere aber in Verbindung mit den hierzu ergangenen, die Verfahrensbeteiligten unmittelbar bindenden Umsetzungshinweise des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Jugend und Frauen vom 9. Dezember 2015 und 14. April 2016, entnehmen (vgl. zur Bindung von Verwaltungsvorschriften näher Roos, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 6 m.w.N.), ohne dass insoweit neue Rechtssätze aufgestellt oder eine weitere Klärungsbedürftigkeit begründet würde (vgl. hierzu Dietz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 124 Rn. 33; Roth, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 124a Rn. 74), die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich machte.“
Ob der Begründung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die Auslegung ergebe sich bereits aus dem Gesetz, jedenfalls aber in Verbindung mit den hierzu ergangenen Umsetzungshinweisen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 9. Dezember 2015 und 14. April 2016, gefolgt werden kann, erscheint aus Sicht des erkennenden Gerichts zweifelhaft. Zwar wird in den Hinweisen vom 9. Dezember 2015 auf die Frage „Was ist erforderlich, um die neue zusätzliche Ausschlussfrist zu wahren?“ folgende Antwort gegeben: „Bis zum Ablauf des 31. Juli 2016 ist dem erstattungspflichtigen überörtlichen Träger Rechnung zu legen über den geltend gemachten Anspruch“. In den aktualisierten Hinweisen vom 14. April 2016 (JAmt 2016, 302), auf die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinen Entscheidungen ausdrücklich Bezug nimmt, findet sich diese Einschränkung hingegen nicht mehr. Die Antwort auf die o.g. Frage lautet nunmehr: „Bis zum Ablauf des 31. Juli 2016 ist demgegenüber [sic] dem erstattungspflichtigen überörtlichen Träger der Anspruch geltend zu machen. Dies erfordert lediglich ein unbedingtes Einfordern der Leistung. Ein bloß vorsorgliches Anmelden genügt aber nicht. Der Wille des Erstattungsberechtigten, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Erklärung deutlich erkennbar zugrunde liegen. Ausreichend ist hierfür beispielsweise die Übermittlung des bereits bisher verwendeten Antragsformulars B2 an den Kostenerstattungsträger, das als Teil der „Empfehlungen zur Kostenerstattung gemäß § 89d SGB VIII, 2. Auflage“ der BAGLJÄ in ihrer 100. Arbeitstagung vom 05. bis 07.04.2006 in Düsseldorf beschlossen wurde.“
Nichts anderes ergibt sich aus dem Umlaufbeschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 17. Oktober 2016, der laut Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. Oktober 2016 in den Ländern einheitlich angewendet werden soll. Unabhängig von der Frage, ob diese – erst nach Ablauf der Ausschlussfrist am 1. August 2016 gefassten – Beschlüsse zur Auslegung des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII anhand des Willen des Gesetzgebers ohne weiteres noch herangezogen werden können, wird die sich in den Umsetzungshinweisen vom 14. April 2016 bereits abzeichnende Linie bestätigt. So heißt es in dem Umlaufbeschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 17. Oktober 2016 unter Nummer 2.3, die Ausschlussfrist nach § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII sei gewahrt, wenn bis zum Ablauf des 31. Juli 2016 der Erstattungsanspruch dem Grunde nach bei der zuständigen Stelle des erstattungspflichtigen Landes unter Angabe des Leistungsempfängers, der gewährten Leistungen bzw. Maßnahmen und Kopie der Zuweisung des Bundesverwaltungsamtes schriftlich angemeldet worden sei. In Nummer 2.5 wird weiter ausgeführt, zur Wahrung der Ausschlussfrist sei eine Bezifferung der Erstattungsansprüche mangels entsprechender Anordnung im Gesetz nicht erforderlich. Sei die Verjährung der Ansprüche rechtzeitig vor dem 2. Januar 2017 gehemmt worden oder habe sie neu begonnen, könnten die erstattungspflichtigen Länder Rechnungen, die bis zum Ablauf der Verjährung nachgereicht worden seien, nicht die Einrede der Verjährung entgegenhalten. Im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. Oktober 2016 heißt es zu 2.3 ergänzend, weitere Unterlagen oder Angaben seien zur Wahrung dieser Frist nicht nötig gewesen. Zu Nummer 2.5 wird ausgeführt, diese umfasse auch die Fallkonstellationen, in denen Rechnungen im Rahmen der Kostenerstattung geltend gemacht werden könnten, die nicht vor dem 31. Dezember 2016 rechtzeitig eingeholt und vorgelegt hätten werden können. Sofern für den Einzelfall die Verjährung gehemmt sei – etwa weil Verhandlungen liefen – oder neu begonnen habe – etwa weil ein Kostenanerkenntnis dem Grunde nach vorliege -, seien alle damit verbundenen Kosten im Rahmen der dann geltenden Verjährungsfrist auch über den 31. Dezember 2016 hinaus erstattungsfähig.
Die aktualisierten Umsetzungshinweise des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 14. April 2016 lassen sich mithin ebenso wenig wie die Beschlüsse der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 17. Oktober 2016 bzw. der Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. Oktober 2016 heranziehen, um die Vorschrift des § 42d Abs. 4 SGB VIII dahingehend auszulegen, das Geltendmachen der Erstattungsansprüche setze deren konkrete Bezifferung voraus. Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankäme, sei lediglich zur Klarstellung darauf hingewiesen, dass die Gerichte bei ihrer Kontrolltätigkeit grundsätzlich weder an allgemeine Verwaltungsvorschriften noch sonstige Verwaltungsanweisungen gebunden sind (vgl. nur BVerfG, B.v. 31.5.1988 – 1 BvR 520/83 – juris Rn. 37, 43) und damit auch nicht an Beschlüsse von Minister- oder Ministerpräsidentenkonferenzen, solange und soweit diese nicht in entsprechendes Bundes- oder Landesrecht umgesetzt sind. Den Gerichten ist es hingegen unbenommen, sich bei der Auslegung von Gesetzen der Gesetzesauslegung von Ministern oder Ministerpräsidenten aus eigener Überzeugung anzuschließen. Denn gegen die Übernahme einer in einer Verwaltungsvorschrift vertretenen Gesetzesauslegung durch ein Gericht kann ebenso wenig etwas eingewandt werden wie dagegen, dass dieses die Rechtsprechung eines anderen Gerichts oder eine im Schrifttum vertretenen Rechtsanspruch darstellt und sich ihr sodann anschließt (BVerfG, B.v. 31.5.1988 a.a.O. juris Rn. 43). Die vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof vertretene Rechtsauffassung lässt sich aber jedenfalls mit den (aktualisierten) Umsetzungshinweisen vom 14. April 2016 nicht begründen.
Letztlich kann jedoch die Frage, ob der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unter Zugrundelegung der Umsetzungshinweise in ihrer ursprünglichen Fassung vom 9. Dezember 2015 oder der in den aktualisierten Umsetzungshinweisen vom 14. April 2016 und den nachfolgenden Beschlüssen der Jugend- und Familienminister- bzw. Ministerpräsidentenkonferenz zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII vertretenen Rechtsauffassung zu folgen ist, dahingestellt bleiben. Denn vorliegend sind auch die strengeren Anforderungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an die Geltendmachung des Anspruchs jedenfalls insoweit erfüllt, als der Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 in Streit steht. Denn auch nach den Maßstäben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof genügt hier insoweit das unbezifferte Geltendmachen des Anspruchs mit Schreiben vom 9. September 2016. Denn dem Kläger war die konkrete Bezifferung des Anspruchs zum maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich bis zum 31. Juli 2016, aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Soweit die Kostenerstattung für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 in Streit steht, fehlt es hingegen auch dann, wenn die weniger strengen Anforderungen an eine Geltendmachung im Sinne des § 111 SGB X zugrunde gelegt werden, an einem rechtzeitigen Geltendmachen im Sinne von § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII.
Die enorme Belastung der örtlichen und überörtlichen Träger der Jugendhilfe angesichts der hohen Anzahl von nach Deutschland eingereisten minderjährigen Geflüchteten im hier streitgegenständlichen Zeitraum ist dem Gericht bekannt. Ergänzend hierzu hat der Kläger detailliert dargelegt, aus welchen Gründen ihm eine Bezifferung des Kostenerstattungsanspruchs gegenüber dem Beklagten bis zum 31. Juli 2016 nicht möglich gewesen ist, obwohl ihm die Rechnungen für die zugunsten des Hilfeempfängers A. B. erbrachten Leistungen bereits im Herbst 2015 vorlagen. Trotz der vorgenommenen deutlichen Aufstockung von Personal ist es dem Kläger auch unter Leistung von Überstunden angesichts der Vielzahl der Kostenerstattungsverfahren nicht gelungen, die Erstattungsansprüche allesamt vor Ablauf der Ausschlussfrist konkret zu beziffern. Angesichts der Umsetzungshinweise vom 14. April 2016, nach denen zur Wahrung der Ausschlussfrist das §§ 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII die Übersendung des Antragsformulars B2 genügte und eine konkrete Bezifferung der Erstattungsansprüche nicht für erforderlich gehalten wurde, traf den Kläger auch keine Obliegenheit, zur Bewältigung der Kostenerstattungsverfahren weitergehende Anstrengungen in personeller Hinsicht zu unternehmen, um die Erstattungsansprüche nicht nur dem Grunde nach anzumelden, sondern auch zu beziffern. Dem Kläger war daher die Bezifferung des Kostenerstattungsanspruchs vor Ablauf der Ausschlussfrist am 31. Juli 2016 aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Die Erstattung der im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstandenen Aufwendungen wurde daher mit dem Antrag vom 10. März 2016 rechtzeitig, nämlich vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII am 31. Juli 2016, geltend gemacht.
Die Erstattung der im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 angefallenen Kosten wurde hingegen nicht rechtzeitig im Sinne des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII angemeldet. Denn für diesen Zeitraum wurde der Kostenerstattungsanspruch nicht einmal dem Grunde nach geltend gemacht. Für die Wahrung der Ausschlussfrist ist – selbst dann, wenn eine konkrete Bezifferung des Anspruchs entbehrlich sein sollte – zumindest eine auf Rechtssicherung gerichtete Mitteilung erforderlich, dass und für welchen Hilfeempfänger welche Sozialleistungen gewährt werden bzw. wurden und dass und für welche Leistungen Erstattung begehrt wird; dazu müssen – wie oben bereits dargestellt – die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistungen erbracht wurden, hinreichend konkret mitgeteilt werden. Nach der zu § 111 SGB X ergangenen Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg (U.v. 26.11.2014 – OVG 9 B 59.11 – juris Rn. 35) kann zwar der Anspruch wirksam und fristwahrend auch in solchen Fällen geltend gemacht werden, in denen noch nicht feststeht, ob bzw. für welchen Zeitraum der als vorrangig in Anspruch genommene Leistungsträger tatsächlich zur Leistung verpflichtet ist. § 111 Satz 1 SGB X verlange nicht, dass für laufend – etwa monatlich – gewährte Leistungen der Sozialhilfe der Erstattungsanspruch laufend – etwa monatlich – neu geltend zu machen wäre. Vielmehr lasse die Bestimmung zu, dass eine einheitliche Anmeldung auch für alle zukünftigen Leistungen abgegeben werde, für die sie dann auch wirke (so auch Weber in: BeckOK Sozialrecht, Stand 1.6.2020, SGB X, § 111 Rn 9). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs war der Hilfefall bereits abgeschlossen. Der Antrag vom 10. März 2016 war lediglich auf die Erstattung von Kosten gerichtet, die bereits in der Vergangenheit, nämlich im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstanden sind.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, er habe aufgrund eines Systemfehlers in der Datenbank in seinem Antrag versehentlich ein falsches Datum für den Leistungsbeginn – nämlich den 15. Juli 2015 anstelle des 1. Juli 2015 – angegeben, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen. In dem Antrag vom 10. März 2016, der dem Antragsformular B2 entspricht, wurde ausdrücklich ein Kostenerstattungsanspruch für den Zeitraum ab dem 15. Juli 2015 geltend gemacht. Dort heißt es, für den Hilfeempfänger sei erstmals Jugendhilfe gewährt worden „am 15.07.2015 in Form von Inobhutnahme ab 15.07.2015“ (Hervorhebung im Original). An diesen Angaben muss sich der Kläger festhalten lassen.
Bei der Geltendmachung im Sinne von § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII handelt es sich ebenso wie bei derjenigen im Sinne von § 111 SGB X nicht um einen Verwaltungsakt, sondern eine empfangsbedürftige, nicht formgebundene Willenserklärung (BSG, U.v. 22.8.2000 – B 2 U 24/99 R – juris Rn. 20; Weber in: BeckOK, Sozialrecht, Stand 1.6.2020, SGB X, § 111 Rn. 11). Die Erklärung ist dabei durchaus auslegungsfähig (Böttiger in: Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 6; Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 111 Rn. 13). Auch ein konkludentes Geltendmachen ist zulässig und ausreichend (vgl. Kater in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2020, SGB X, § 111 Rn. 46; Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 111 Rn. 14).
Ein unbedingtes Einfordern der Leistung (auch) für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 lässt sich aber auch im Wege der Auslegung des Antrags vom 10. März 2016 nicht ermitteln. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich auch den dem Antrag beigefügten Anlagen nicht entnehmen, dass der tatsächliche Beginn der Leistung nicht der 15., sondern der 1. Juli 2015 gewesen ist. Zwar ist die Mitteilung der FSD-Stiftung – EAC – über die Nichtaufnahme bzw. Weiterleitung des Hilfeempfängers A. B. an den Malteser Hilfsdienst auf den 1. Juli 2015 datiert. Das Formblatt, das sich zweifach – als Original und Kopie – in den Akten des Klägers und des Beklagten befindet, enthält als Vordruck folgenden Text: „O.G. wurde am … um … Uhr zu Betreuung hier in der EAC aufgenommen.“ Auf dem Originalexemplar ist hier als Datum handschriftlich der „1.7.15“ eingetragen, auf dem anderen, vermutlich als Fax übersandten, Exemplar fehlt dieser Eintrag hingegen. (Nur) auf dem Originalexemplar findet sich zudem der handschriftliche Vermerk „Inobhutnahme zum 15.07.15“. In der Gesamtschau aller in den Akten des Klägers vorhandenen Unterlagen, insbesondere auch der Rechnungen des Malteser Hilfsdienst, lässt dies zwar vermuten, dass der Hilfeempfänger am 1. Juli 2015 in einer Unterkunft des Malteser Hilfsdienstes untergebracht und am 15. Juli 2015, wohl rückwirkend zum 1. Juli 2015, in Obhut genommen wurde. Den dem Beklagten übersandten Unterlagen lässt sich dies jedoch nicht eindeutig entnehmen, zumal die auf den 15. Juli 2015 datierte Verfügung des Klägers über die Inobhutnahme von A. B. dem Antrag nicht beigefügt war. Diese Unklarheit geht zulasten des Klägers, da es diesem nach § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII obliegt, den Erstattungsanspruch fristgerecht geltend zu machen, mithin auch den Zeitraum, für den die Erstattung von Leistungen begehrt wird, innerhalb der vorgesehenen Frist hinreichend deutlich zu machen.
Soweit der Kläger sich zur Begründung seines Erstattungsanspruchs für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 darauf beruft, die Interessenslage entspreche derjenigen bei einem Erklärungsirrtum, kann er damit nicht durchdringen. Zweifelhaft erscheint bereits, ob die Annahme des Klägers, der falsche Seriendruck entspreche einem Verschreiben, das einen Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 BGB darstelle, richtig ist. Beim Einsatz moderner elektronischer Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, SMS), insbesondere automatisierter Willenserklärungen, ist entscheidend, ob der beachtliche Fehler lediglich in der Vorbereitungsphase oder aber – wie dies für das Recht zur Anfechtung erforderlich ist – im Zeitpunkt der Erststellung der Willenserklärung (z.B. Verklicken, Irrtümer über die Bedeutung eines Computersymbols oder über den Inhalt der eigenen oder der korrespondierenden Erklärung) vorgelegen hat. Bei der Verwendung fehlerhaften Datenmaterials schon im Zeitpunkt der Eingabe in das Computersystem ist § 119 Abs. 1 BGB von vornherein nicht anwendbar, weil der Irrtum dabei allein im Vorfeld der Willenserklärung besteht. Vertippt der Erklärende sich hingegen bei der Eingabe ins Computersystem oder verwendet er einen falschen Textbaustein, so liegt – wie in sonstigen Fällen des Verschreibens – ein zur Anfechtung berechtigender Erklärungsirrtum vor (Armbrüster in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 119, Rn. 47 m.w.N.; Wendtland in BeckOK, BGB, Stand 1.8.2020, § 119 Rn. 28 f.). Nach den Angaben des Klägers hat ein Systemfehler in der Datenbank während der Zeit der Datenerfassung zu den abweichenden Zeitangaben im Antrag und in der nachfolgenden Rechnung geführt, sodass hier viel dafür spricht, dass es sich um einen Irrtum im Vorfeld der Willenserklärung und damit nicht um einen zur Anfechtung berechtigenden Erklärungsirrtum handelt.
Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben. Denn die §§ 119 ff. BGB sind auf das Geltendmachen eines Kostenerstattungsanspruchs im Sinne des §§ 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII nicht (analog) anwendbar. Denn es fehlt an den Voraussetzungen für eine Analogie – einer planwidrigen Regelungslücke und einem vergleichbaren Sachverhalt. Zum einen hat das Geltendmachen des Erstattungsanspruchs gemäß § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII keine rechtsbegründende, sondern lediglich rechtswahrende Wirkung. Für eine Anfechtung der entsprechenden Erklärung – der Anmeldung des Anspruchs – besteht kein Bedürfnis. Bis zum Ablauf der Ausschlussfrist kann die Erklärung ohne weiteres erweitert, etwa auf einen anderen als den ursprünglich angegebenen Leistungszeitraum erstreckt werden. Nach Ablauf der Ausschlussfrist verbietet sich hingegen eine analoge Anwendung der §§ 119 ff. BGB, da dies dem Zweck des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII – hier der zügigen Abwicklung des Altsystems – widerspricht. Wäre die Erklärung, mit der der Erstattungsanspruch geltend gemacht wird, nach Ablauf der Ausschlussfrist noch anfechtbar, ließe sich der Zweck der Ausschlussfrist – nämlich der endgültige Ausschluss der verspätet geltend gemachten Ansprüche – nicht mehr erreichen.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beklagte seine Pflicht zur Kostenerstattung ohne weiteres anerkannt hätte, wenn der Kläger in dem Antrag vom 10. März 2015 den richtigen Zeitraum – beginnend mit dem 1. Juli 2015 – benannt hätte. Auch wenn es in der überwiegenden Zahl der Kostenerstattungsverfahren hinsichtlich des jeweils geltend gemachten Leistungszeitraums zu keinen Beanstandungen des Beklagten gekommen sein sollte, beruht diese Annahme des Klägers letztlich lediglich auf einer Vermutung. Tatsächlich hat der Beklagte – dem Antrag des Klägers entsprechend – seine Kostenerstattungspflicht erst ab dem 15. Juli 2015 anerkannt. Aus einem hypothetischen Anerkenntnis vermag der Kläger hingegen keine Rechte herzuleiten.
Der Kläger hat also den Anspruch auf Erstattung der im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 entstandenen Kosten nicht rechtzeitig im Sinne des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII geltend gemacht. Insoweit war die Klage daher abzuweisen.
Bezogen auf den Anspruch des Klägers auf Erstattung der im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstandenen Kosten ist neben der konkreten Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII auch die allgemeine Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 111 SGB X gewahrt.
Die Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII tritt zusätzlich neben § 37 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 111 SGB X, ohne diese Regelung zu verdrängen (VG Mainz U.v. 3.7.2018 – 1 K 1463/17.MZ – juris Rn. 31; U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 49; BayVGH, B.v. 17.12.2018 – 12 ZB 18.2462 – juris Rn. 8; bestätigt mit B.v. 25.09.2019 – 12 ZB 19.1325 – juris Rn. 13; Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 42d Rn. 18, 18.1, jeweils unter Hinweis auf die aktualisierten Umsetzungshinweise „Kostenerstattung nach der „Übergangsregelung“ des § 42d SGB VIII“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 14.4.2016).
Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (§ 111 Satz 2 SGB X).
Vorliegend hat der Kläger seinen Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 mit Schreiben vom 10. März 2016, beim Beklagten eingegangen am 14. März 2016, und damit innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X gegenüber dem Beklagten geltend gemacht. Der letzte Tag, für den die Leistung erbracht wurde, ist der letzte Tag der Inobhutnahme durch den Kläger, hier der 12. August 2015 (vgl. auch VG München, U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2745 – UA Seite 7; U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2871 – UA Seite 10). Die Ausschlussfrist für die Inobhutnahme durch den Kläger endete mithin gemäß § 111 Satz 1 SGB X am 12. August 2016. Auf die Frage, ob § 111 Satz 2 SGB X auf den Kostenerstattungsanspruch nach § 89d SGB VIII jedenfalls entsprechend anwendbar und der Beginn der Ausschlussfrist daher im Fall der in Rede stehenden Gewährung von Jugendhilfe an einen im Ausland geborenen, unbegleitet eingereisten jungen Menschen auf den Zeitpunkt hinauszuschieben ist, in dem der örtliche Träger von den Tatsachen Kenntnis erlangt, die zur Bestimmung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers erforderlich sind (offengelassen von BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 5 C 9/15 – juris Rn. 20 ff.), – das wäre der Zeitpunkt, in dem örtliche Träger Kenntnis über die Bestimmung des Passivlegitimierten durch das Bundesverwaltungsamt erlangt hat (vgl. VG Mainz, U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 33f.) – kommt es hier daher nicht mehr an.
Dem Anspruch des Klägers auf Erstattung der im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstandenen Kosten steht auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen, da diese von den Beklagten jedenfalls nicht wirksam erhoben worden ist. Von Amts wegen wird die Verjährung nicht beachtet (Weber in: BeckOK, Sozialrecht, Stand 1.6.2020, SGB X, § 113 Rn. 9; BSG, U.v. 6.12.1989 – 2 RU 30/89 – juris Rn. 12; VG Mainz, U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 55). Dem Vorbringen des Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass er sich auf die Einrede der Verjährung beruft. Seinen Antrag auf Klageabweisung begründet er im Wesentlichen damit, dass die Vorschrift des § 89d Abs. 3 SGB VIII a.F. nicht mehr anwendbar sei und dem Anspruch auf Erstattung der im Zeitraum vom 1. bis 14. Juli 2015 entstandenen Kosten zudem die Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII entgegenstehe. Die Frage einer eventuellen Verjährung hat er – wohl im Hinblick auf den von ihm erklärten Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung (vgl. dazu sogleich) – hingegen nie thematisiert.
Im Übrigen wäre hier auch keine Verjährung eingetreten. Die einjährige Verjährungsfrist des § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ist zwar abgelaufen. Dem Beklagten ist es jedoch wegen des von ihm erklärten Verzichts auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verwehrt, sich auf den Ablauf der Verjährungsfrist zu berufen.
Gemäß § 42d Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 SGB VIII verjährt der Erstattungsanspruch des örtlichen Trägers gegenüber dem nach § 89d Abs. 3 SGB VIII erstattungspflichtigen Land in einem Jahr. Im Übrigen gilt § 113 SGB X entsprechend (§ 42d Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 SGB VIII).
Gemäß § 113 Absatz 1 Satz 1 SGB X verjähren Erstattungsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in der dem erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über die Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat, sofern nicht ein Fall der Hemmung, Ablaufhemmung oder des Neubeginns der Verjährung nach § 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. §§ 203 ff. BGB vorliegt.
Vorliegend ist die einjährige Verjährungsfrist des § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII unabhängig davon abgelaufen, ob für den Beginn der Verjährungsfrist entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf den Zeitpunkt, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und der Entscheidung des Bundesverwaltungsamts über die Bestimmung des erstattungspflichtigen Landes Kenntnis erlangt hat (vgl. VG Mainz, U.v. 22.2.2018 – 1 K 862/17.MZ – juris Rn. 36; U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 56), oder auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII (Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 42d Rn. 19 unter Hinweis auf die aktualisierten Umsetzungshinweise „Kostenerstattung nach der „Übergangsregelung“ des § 42d SGB VIII des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 14.4.2016) abgestellt wird. Denn der Bescheid des Bundesverwaltungsamts über die Bestimmung des Beklagten zum erstattungspflichtigen Träger ist auf den 22. September 2015 datiert und § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ist gemäß Art. 1 Nr. 4, Art. 5 des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher (VerbaKJUVBG) vom 28. Oktober 2015 (BGBl. I 2015, 1802) am 1. November 2015 in Kraft getreten. Nach beiden Ansätzen ist danach die Verjährungsfrist ein Jahr nach Ablauf des Jahres 2015, mithin am 31. Dezember 2016 (so die aktualisierten Umsetzungshinweise des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 14.4.2016) bzw. gemäß § 26 Abs. 1 und 3 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 2. Januar 2017 (so VG Mainz, U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 57; Umlaufbeschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 17.10.2016 unter Nr. 2.5) abgelaufen (vgl. dazu bereits VG München, U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2745 – UA Seite 8; U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2781 – UA Seite 11).
Vorliegend kann sich jedoch der Beklagte auf den Ablauf der Verjährungsfrist nicht wirksam berufen. Der Beklagte hat unter dem 12. Dezember 2016 auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zum 15. Juni 2017 verzichtet. Bis zum Ablauf dieses bzw. – wegen des gesetzlichen Feiertags Fonleichnam am 15. Juni 2017 – gemäß § 26 Abs. 3 SGB X des nächsten Tages (vgl. VG München, U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2745 – UA Seite 10; U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2871 – UA Seite 12) hätte der Erhebung der Einrede der Verjährung daher der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegengestanden (vgl. BSG, U.v. 30.9.1993 – 4 RA 6/92 – juris Rn. 23 m.w.N.; Weber in: BeckOK Sozialrecht, Stand 1.6.2020, SGB X, § 113 Rn. 20). Mit der Klageerhebung am 15. Juni 2017 – und damit vor Ablauf der auf den 15. (bzw. 16.) Juni 2017, 24:00 Uhr, hinausgeschobenen Verjährungsfrist – ist die Verjährung gemäß § 42d Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 SGB VIII, § 113 Abs. 2 SGB X, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.
Der vom Beklagten unter dem 12. Dezember 2016 erklärte Verzicht auf die Einrede der Verjährung ist auch wirksam. Zwar wird im Hinblick auf den Zweck des § 42d Abs. 4 SGB VIII – das Altsystem zügig zu einem Abschluss zu bringen – die Auffassung vertreten, dass jedenfalls ein formularmäßiger Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig sei (Kirchhoff in: jurisPK-SGB VIII, § 42d Rn. 19 unter Hinweis auf die aktualisierten Umsetzungshinweise des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 14.4.2016). Zum einen handelt es sich hier – ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte, wie dem Gericht aus anderen Kostenerstattungsverfahren nach § 89d Abs. 1, Abs. 3 SGB VIII bekannt ist, auch in anderen derartigen Verfahren (befristet) auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet hat – nicht um einen formularmäßigen Verzicht; vielmehr wurde der Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung – soweit ersichtlich – nicht pauschal für sämtliche, noch offene Kostenerstattungsverfahren, sondern bezogen auf den jeweils konkret zugrundeliegenden Hilfefall – hier des A. B. – erklärt. Die Erklärung des Verzichts erscheint in der Gesamtschau der hier vorliegenden Umstände auch nicht als rechtsmissbräuchlich. Zum einen bestand hier angesichts der unterschiedlichen Rechtsauffassung der Beteiligten zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII ein erhöhter Verhandlungsbedarf. Zum anderen erscheint der (zeitlich befristete) Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung angesichts der extrem kurzen Verjährungsfrist auch vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Belastung der örtlichen Träger der Jugendhilfe, insbesondere auch des Klägers, aufgrund der Vielzahl der seinerzeit unbegleitet aus dem Ausland eingereisten und demzufolge in Obhut zu nehmenden Geflüchteten sowie der nachfolgend zu bewältigenden Kostenerstattungsverfahren als sachlich gerechtfertigt. Im Übrigen wurde der Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis zum 15. Juni 2017 zeitlich befristet, mithin dem Zweck des § 42d Abs. 4 SGB VIII hinreichend Rechnung getragen (so bereits VG München, U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2745 – UA Seite 9; U.v. 16.1.2019 – M 18 K 17.2871 – UA Seite 11 f.).
Die Kosten sind auch in Höhe von EUR 3.375,52 erstattungsfähig.
Der Umfang der Kostenerstattung ergibt sich zunächst aus § 89f SGB VIII. Gemäß § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die aufgewendeten Kosten nur zu erstatten, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspricht (sog. Grundsatz der Gesetzeskonformität). Ziel ist es, damit einerseits sicherzustellen, dass der erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger bei der Leistungsgewährung nicht in Erwartung einer Erstattungsleistung die durch das SGB VIII gezogenen Grenzen überschreitet, und andererseits den erstattungspflichtigen Jugendhilfeträger davor zu bewahren, Aufwendungen für solche Leistungen zu erstatten, die bei ordnungsgemäßer Leistungsgewährung nach Art oder Umfang so nicht hätten erbracht werden müssen (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 5 C 30/12 juris Rn. 14).
Vorliegend nahm der Kläger den Betroffenen A. B. in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII in Obhut. Dabei handelte es sich um eine Aufgabe der Jugendhilfe gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seiner Obhut zu nehmen, wenn ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Dass diese Voraussetzungen grundsätzlich vorliegen, hat der Beklagte hier wieder in Abrede gestellt noch ist Gegenteiliges anderweitig ersichtlich.
Der Beklagte hat auch keine Anhaltspunkte substantiiert vorgetragen, die den Erstattungsanspruch der Höhe nach in Zweifel ziehen können, sodass eine weitere gerichtliche Überprüfung – insbesondere der sachlichen und rechnerischen Grundlagen – nicht geboten war (vgl. auch VG Mainz, U.v. 24.3.2020 – 1 K 1121/19.MZ – juris Rn. 41). Der Kläger hat dem Gericht mit Schriftsatz vom 7. September 2020 mitgeteilt, dass von den im Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 12. August 2015 entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt EUR 4.150,52 EUR 775,00 auf den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 14. Juli 2015 und EUR 3.375,52 auf den Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August entfielen. Hiergegen hat der Beklagte keine Einwendungen erhoben.
Soweit in den im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 12. August 2015 angefallenen Kosten in Höhe von EUR 3.375,52 nicht nur Kosten für die eigentliche Inobhutnahme, insbesondere die Unterbringung des Betroffenen, sondern auch Kosten für dessen ärztliche Behandlung sowie für die Heranziehung eines Dolmetschers anlässlich seiner Befragung im Inobhutnahmeverfahren am 15. Juli 2015 enthalten sein sollten, erstreckt sich der Erstattungsanspruch auch auf diese Kosten.
Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII hat das Jugendamt während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen. Die Krankenhilfe des § 40 SGB VIII findet mithin auf die Inobhutnahme im Sinne des § 42 SGB VIII sinngemäße Anwendung (vgl. auch VG Mainz, U.v. 22.2.2018 – 1 K 862/17.MZ – juris Rn. 39).
Auch die (wohl) am 15. Juli 2015 entstandenen Dolmetscherkosten in Höhe von EUR 23,32 sind von dem Erstattungsanspruch gemäß § 89d Abs. 1, Abs. 3 SGB VIII (a.F.) umfasst und unterliegen keiner Bagatellgrenze.
Gemäß § 89f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII werden Kosten unter EUR 1.000,00 nur bei vorläufigen Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen (§ 89b SGB VIII), bei fortdauernder oder vorläufiger Leistungsverpflichtung (§ 89c SGB VIII) und bei Gewährung von Jugendhilfe nach der Einreise (§ 89d SGB VIII) – wie im vorliegenden Fall – erstattet.
Auch aus § 109 Satz 2 SGB X ergibt sich insoweit nichts anderes. Danach sind zwar Auslagen auf Anforderung nur zu ersetzen, wenn sie EUR 200,00 übersteigen. Auslagen sind dabei Kosten, die der erstattungsberechtigte Leistungsträger zur Durchführung der Leistung, für die er Erstattung begehrt, aufgewendet hat, soweit sie nicht zu den Verwaltungskosten im Sinne von § 109 Satz 1 SGB X gehören oder einen Teil der erbrachten Sozialleistung darstellen (Kater in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2020, SGB X, § 109 Rn. 6). Dazu gehören an sich auch Dolmetscherkosten (Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018 § 89f Rn. 10). Allerdings ist § 89f Abs. 2 SGB VIII auch gegenüber der Bagatellgrenze des § 109 Satz 2 SGB X als lex specialis einzuordnen (VG Mainz, U.v. 6.9.2018 – 1 K 1376/17.MZ – juris Rn. 44; vgl. auch den Umlaufbeschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 17.10.2016 unter Nr. 2.6.; a.A wohl Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 2. Aufl. 2018 § 89f Rn. 10).
Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich für den Kläger in entsprechender Anwendung von § 291 Satz 1 und Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dem Anspruch steht dabei die Vorschrift des § 89f Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nicht entgegen, da danach zwar Verzugszinsen, nicht aber Prozesszinsen ausgeschlossen sind (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2001 – 5 C 34/00 – juris Rn. 14; Loos in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 89f Rn. 12, VG Mainz, U.v. 22.11.2018 – 1 K 1434/17.MZ – juris Rn. 64).
Der Beklagte war daher zu verpflichten, dem Kläger EUR 3.375,52 zuzüglich Zinsen ab Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils und die Abwendungsbefugnis haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.


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