Verwaltungsrecht

Nachholung des Visumverfahrens für abgelehnten Asylsuchenden mit deutschem Kind grundsätzlich zumutbar

Aktenzeichen  10 CE 20.2030

Datum:
10.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6072
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 146
ZPO § 920 Abs. 2
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 25 Abs. 5, § 60a Abs. 2 S. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1. Reisebeschränkungen aufgrund von Covid-19 sind, unabhängig davon, ob sie tatsächlich einer freiwilligen Ausreise eines Ausländers entgegenstehen oder nicht, jedenfalls nicht als ein auf unabsehbare Zeit bestehendes Hindernis für eine Abschiebung anzusehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 20.1223 2020-08-27 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. August 2020 wird der Streitwert für beide Instanzen jeweils auf 3.750,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Eilantrag weiter, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm einstweilen bis zur Verbescheidung des zuletzt gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Duldung samt Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.
Der am 14. Januar 1987 geborene Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2016 mit einem von der italienischen Botschaft in Lagos ausgestellten und für zehn Tage gültigen Schengen-Visum für touristische Zwecke in das Bundesgebiet ein und stellte dort in der Folge einen Asylantrag.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. Mai 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Nigeria an.
Am 2. Oktober 2017 erkannte der Antragsteller die Vaterschaft für seine am 12. Januar 2018 geborene deutsche Tochter an. Er hat für sie zusammen mit der deutschen Lebensgefährtin das elterliche Sorgerecht.
Mit Formblatt vom 3. September 2018 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner Tochter. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Oktober 2018 lehnte die Antragsgegnerin jenen Antrag ab.
Mit Schriftsatz vom 1. April 2020 beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers „angesichts der veränderten Situation in Deutschland und in der Welt“ eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Am 20. Juli 2020 zog die Antragsgegnerin die dem Antragsteller zuvor wegen dessen Passlosigkeit erteilte Duldung wieder ein und händigte ihm stattdessen eine Grenzübertrittsbescheinigung aus.
Am 21. Juli 2020 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht − zusammengefasst − im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm bis zur Erteilung der zuletzt beantragten Aufenthaltserlaubnis eine Duldung samt Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.
Mit angegriffenem Beschluss vom 27. August 2020 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung führt es im Wesentlichen Folgendes an: Die Abschiebung des Antragstellers sei nicht tatsächlich unmöglich, weil dieser nunmehr im Besitz eines gültigen nigerianischen Reisepasses und der Flugverkehr nach Nigeria wiederaufgenommen worden sei. Sie sei zudem nicht rechtlich unmöglich, weil die zu veranschlagende Dauer für die Nachholung des Visumverfahrens von zwei Wochen aufgrund der von der Antragsgegnerin angekündigten Vorabzustimmung auch unter Berücksichtigung der familiären Bindungen des Antragstellers, insbesondere zu seiner kleinen Tochter, zumutbar sei. Die psychisch kranke Lebensgefährtin und die Tochter seien in einer Mutter-Kind-Einrichtung untergebracht und würden dort betreut und versorgt. Zwar ergäbe sich aus den ärztlichen Stellungnahmen, dass der die elterliche Sorge ausübende Antragsteller sich um die Familie kümmere und eine nicht unerhebliche Stütze darstelle, allerdings seien diesen Aussagen nennenswerte Belastungen aufgrund eines zeitlich begrenzten Aufenthalts des Antragstellers im Ausland, insbesondere für dessen Tochter, nicht zu entnehmen. Eine Verfahrensduldung scheide aus, weil der Antragsteller das Visumerfordernis des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt habe und nichts für eine Ermessensreduzierung auf Null spreche, die für ein Absehen hiervon nach § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG erforderlich sei.
Mit Schriftsatz vom 2. September 2020 hat der Antragsteller hiergegen Beschwerdeeingelegt der Sache nach mit dem Antrag,
die Antragsgegnerin − unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2020 − zu verpflichten, dem Antragsteller bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den am 1. April 2020 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Duldung samt Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.
Zur Begründung führt er an, dass er das Sorgerecht für seine Tochter ausübe, indem er Mutter und Tochter in der Mutter-Kind-Einrichtung fast täglich besuche. Aus den fachärztlichen Attesten über die psychische Erkrankung ergebe sich, dass die Mutter das Kind nicht alleine betreuen könne. Dazu lägen mehrere ärztliche Atteste und Stellungnahmen vor, wonach der Antragsteller die wesentliche seelische Stütze für seine Lebensgefährtin sei, die panisch werde bei dem Gedanken, dass er ausreisen solle. Er sei die alleinige Konstante im Leben von Mutter und Tochter. Zwar sei eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde zu beachten, aber die deutsche Botschaft in Lagos sei daran nicht gebunden und habe in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Angesichts der ständig wechselnden und tatsächlich völlig veränderten Umstände, die die Corona-Pandemie mit sich bringe, sei unsicher, ob und wann der Antragsteller aus- und wieder einreisen könne. Es erscheine fast ausgeschlossen und decke sich nicht mit den Erfahrungen anderer Bewerber, dass selbst bei Unterstellung günstiger Umstände das Visumverfahren innerhalb von zwei Wochen durchgeführt werden könne. Der Antragsteller erfülle die Beistandsgemeinschaft zu seinem Kind, weil ein anderes Familienmitglied auf seine Lebenshilfe angewiesen sei. Dieser Beistand könne nur im Bundesgebiet erbracht werden. Krankheitsfälle, also Personen, die mehr als üblich auf persönlichen Beistand angewiesen seien, seien verfassungsrechtlich gebotene Anwendungsfälle des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Es komme nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden könne, wie hier der Mutter-Kind-Einrichtung.
Mit Schreiben vom 11. Januar 2021 hat die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Ergänzend trägt sie − unter anderem − vor, dass das Generalkonsulat in Lagos nunmehr auf Nachfrage mitgeteilt habe, dass ein Termin für die Beantragung des Visums voraussichtlich ab Juli 2021 möglich sei, wobei der Antragsteller circa vier bis sechs Wochen vorher eine E-Mail mit dem genauen Zeitpunkt erhalte. Bei Vorlage einer Vorabzustimmung sei mit einer Bearbeitungszeit von circa fünf Wochen zu rechnen. Die Antragsgegnerin habe bereits zugesichert, dem Antragsteller eine solche bei Vorlage eines Flugtickets auszustellen und die Frist zur Ausreise mittels Grenzübertrittsbescheinigung an den Ausreisetermin anzupassen.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Überprüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2020 abzuändern. Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung beziehungsweise auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen hierfür als nicht erfüllt angesehen hat.
a) Dies gilt insbesondere für die der Sache nach geltend gemachte tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss festgestellt, dass der Antragsteller im Besitz eines gültigen nigerianischen Reisepasses ist und der Flugverkehr nach Nigeria wiederaufgenommen wurde. Dies greift die Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren nicht an. Gründe für die von ihr geäußerten Zweifel, ob die deutsche Botschaft (gemeint wohl: das Generalkonsulat in Lagos) überhaupt arbeiten würde (gemeint wohl: einen etwaigen Antrag auf Erteilung eines Visums bearbeiten würde), hat die Antragstellerseite nicht dargelegt. Derartige Gründe erschließen sich dem Senat auch nicht anderweitig (vgl. AA, Deutsche Vertretungen in Nigeria: „Schichtbetrieb“, abrufbar unter: https://nigeria.diplo.de/ng-de), zumal nach der Beschwerdeerwiderung der Antragsgegnerin – und insofern von Antragstellerseite unwidersprochen − das Generalkonsulat in Lagos einen Termin voraussichtlich ab Juli 2021 in Aussicht gestellt hat. Konkrete Schwierigkeiten bei Reisen in und aus dem Zielstaat der Abschiebung sind insgesamt weder substantiiert vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Senats Reisebeschränkungen aufgrund von Covid-19 − unabhängig davon, ob diese tatsächlich einer freiwilligen Ausreise entgegenstehen oder nicht − jedenfalls nicht als ein auf unabsehbare Zeit bestehendes Hindernis anzusehen sind (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2020 – 10 CS 20.886 – juris Rn. 10). Zu all dem verhält sich die Beschwerdeschrift nicht.
b) Auch die der Sache nach geltend gemachte rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Der Abschiebung stehen nicht die familiären Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK wegen der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens entgegen.
aa) Art. 6 GG gewährt keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Der Betroffene muss es nicht hinnehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner oder Kind ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – BVerfGE 76, 1 = juris Rn. 96, 102 u. 103).
Mit diesem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient und daher die Nachholung nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Ausländer hat es durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er beispielsweise − unter Mitwirkung der zuständigen Ausländerbehörde – deren Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5).
Dass der Ausländer ein kleines Kind hat, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist regelmäßig nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2019 – 10 C 19.1700 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5).
Allerdings muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar sein. Dazu muss geklärt sein, welche Ausländerbehörde für die Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (vgl. B.v. 22.1.2019 – 10 CE 19.149 – juris Rn. 15; B.v. 30.08.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 26 f.).
bb) Gemessen an diesen Anforderungen zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf, dass die mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene Trennung für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Das Verwaltungsgericht ist zu Gunsten des Antragstellers von dem Bestehen einer schützenswerten familiären Beistands- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner deutschen Tochter und deren Mutter ausgegangen. Es ist allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall mit Blick hierauf und die entgegenstehenden öffentlichen Interessen eine unverhältnismäßig lange Trennung nicht zu befürchten ist. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren präzisiert, dass der Antragsteller nach Auskunft der zuständigen Auslandsvertretung voraussichtlich ab Juli 2021 einen Termin für die Beantragung eines nationalen Visums erhalten kann, wobei dieser vier bis sechs Wochen vorher konkretisiert wird, und die Bearbeitungszeit fünf Wochen beträgt. Dem hat, wie bereits erörtert, die Antragstellerseite nichts entgegengesetzt (s.o.). Die genannte Zeitspanne ist auch überschaubar. Dazu hat die Antragsgegnerin in Aussicht gestellt, bei Vorlage eines Flugtickets die für die Erteilung des Visums nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 AufenthV erforderliche Vorabzustimmung zu erteilen und die Frist zur Ausreise mittels Grenzübertrittsbescheinigung an den Ausreisetermin anzupassen. Sie hat damit das für eine familienfreundliche Ausgestaltung der Nachholung des Visumverfahrens Erforderliche getan.
Daran ändert auch nichts, dass die Auslandsvertretung, wie die Antragstellerseite vorträgt, an die Vorabzustimmung der Ausländerbehörde nicht gebunden ist. Die Auslandsvertretung kann in der Tat die Erteilung des beantragten Visums trotz Vorabzustimmung mit eigenständigen Erwägungen zu den aufenthaltsrechtlichen Maßstäben ablehnen (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.1985 – 1 A 6/85 − juris Rn. 3 f.; NdsOVG, B.v. 13.3.2006 − 11 ME 313/05 – juris Rn. 13; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Juli 2019, § 6 Rn. 243). Der Umstand, dass sich dies per se nicht mit letztverbindlicher Gewissheit ausschließen lässt, führt nicht dazu, dass die Dauer des Visumverfahrens als unabsehbar und damit unzumutbar anzusehen ist. In der Praxis besteht nicht zuletzt aufgrund der einschlägigen Verwaltungsvorschrift, welche verwaltungsintern die Rechtsanwendung einheitlich regelt, zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde insoweit regelmäßig Übereinstimmung (vgl. Nr. 6.4.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz v. 26.10.2009: „Eine abschließende Entscheidung über die Erteilung nationaler Visa, bei der die Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV beteiligt worden ist, soll grundsätzlich im Einvernehmen getroffen werden.“). Angesichts dessen reicht der Verweis auf die lediglich abstrakte Möglichkeit einer von einer Vorabzustimmung der Ausländerbehörde abweichenden Versagung des Visums durch die Auslandsvertretung nicht aus. Konkrete Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine derartige Abweichung von dem für den Regelfall vorgesehenen Einvernehmen nahelegen würden, hat die Antragstellerseite nicht vorgetragen.
Auch im Übrigen zeigt die Beschwerdeschrift keine besonderen Umstände für eine etwaige Unzumutbarkeit auf. Dass mit der Tochter des Antragstellers ein dreijähriges Kind betroffen ist, vermag einen derartigen Umstand allein nicht zu begründen (s.o.). Was die näheren Umstände der familiären Beziehungen, insbesondere unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes der Lebensgefährtin des Antragstellers, angeht, wiederholt die Antragstellerseite im Wesentlichen ihren Vortrag gegenüber dem Verwaltungsgericht. Der Wertung des Verwaltungsgerichts, wonach sich den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen nicht konkret entnehmen lasse, dass ein zeitlich begrenzter Auslandsaufenthalt des Antragstellers und damit ein zeitlich begrenzter Wegfall seiner fast täglichen Besuche eine nennenswerte Belastung für dessen Tochter beziehungsweise dessen Lebensgefährtin darstellen würde, hat die Antragstellerseite nichts an Substanz entgegengesetzt.
Das Verwaltungsgericht hat dabei auch nicht unterstellt, wie die Antragstellerseite nahelegt, dass die Mutter-Kind-Einrichtung den spezifisch elterlichen Fürsorge- und Erziehungsbeitrag des Antragstellers beziehungsweise den spezifischen Beitrag als Lebensgefährte ersetzen könnte. Es hat lediglich auf die zu prognostizierenden Folgen einer zeitlich begrenzten Abwesenheit des Antragstellers und damit eines zeitlich begrenzten Wegfalls seiner fast täglichen Besuche abgestellt, diese bewertet und sie abgewogen. Dies begegnet keinen Einwänden, zumal zu berücksichtigen ist, dass es grundsätzlich möglich ist, mit Kindern der einschlägigen Altersgruppe den Kontakt mit Hilfe traditioneller und auch moderner Kommunikationsmittel – wenngleich auf niedrigem Niveau – aufrechtzuerhalten und diese die vorübergehende Trennung nicht als endgültigen Verlust erfahren müssen (vgl. OVG Bremen, B.v. 14.2.2020 – 2 B 23/20 – juris Rn. 27). Diese Möglichkeit gilt für die Tochter des Antragstellers – und entsprechend für die Konstellation einer psychischen Erkrankung eines Erwachsenen – auch für die Lebensgefährtin des Antragstellers. Dass dies im vorliegenden Fall nicht möglich sein soll, ist jedenfalls weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verfahrensduldung.
aa) Grundsätzlich kann vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bei einer Einreise ohne das − mit Blick auf den beantragten Aufenthaltstitel − erforderliche Visum nur gewährt werden, wenn keine Zweifel an dem Anspruch auf die Titelerteilung oder an der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können (vgl. zur Nachholung des Visumverfahrens: BayVGH, B.v. 27.5.2020 – 10 CS 20.883 u.a. – juris Rn. 7 m.w.N.).
bb) Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf. Zwar handelt es sich bei dem hier als Bezugspunkt geltend gemachten Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG um einen Aufenthaltstitel des 5. Abschnitts, so dass dem Antragsteller, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde (s.o.), die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegensteht. Allerdings sind aus den genannten Gründen erkennbar die Tatbestandsvoraussetzungen der tatsächlichen und rechtlichen Unmöglichkeit nicht erfüllt (s.o.). Außerdem mangelt es weiterhin an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen eines fehlenden Ausweisungsinteresses gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sowie des erfüllten Visumerfordernisses gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Im Hinblick auf letzteres greift der Befreiungstatbestand des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht, weil es an einem Rechtsanspruch, an der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens (s.o.) und schließlich auch an einer im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 GG und von Art. 8 EMRK erkennbaren Ermessensreduktion auf Null fehlt. Auch der Befreiungstatbestand des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV ist diesbezüglich nicht einschlägig, da der Antragsteller weder über eine Duldung noch über den erforderlichen Rechtsanspruch verfügt (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 ZB 18.2188 – juris Rn. 11 m.w.N.).
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die den Beschluss des Verwaltungsgerichts abändernde Streitwertfestsetzung beruht auf dem Umstand, dass das Begehren des Antragstellers im Eilrechtsschutzverfahren die Streitgegenstände der Erteilung einer Duldung und der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis umfasst, die zu addieren sind. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und § 39 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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