Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Ausweisung wegen sicherheitsgefährdenden Handelns

Aktenzeichen  10 ZB 18.1437

Datum:
13.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19738
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 3, § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 31 Abs. 3 S. 1, § 42 S. 1

 

Leitsatz

Hat ein Ausländer durch den Besuch eines Ausbildungslagers eine Terrororganisation unterstützt, was ein sicherheitsgefährdendes Handeln darstellt, genügt allein die Flucht aus dem Ausbildungslager nicht, um ein Abstandnehmen iSd § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anzunehmen. (Rn. 2 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 18.384 2018-06-06 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Juni 2018 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 20. Februar 2018 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre befristet sowie Meldepflichten und eine Aufenthaltsbeschränkung angeordnet wurden.
Anlass der auf § 53 Abs. 1 und 3, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gestützten Ausweisung war die Unterstützung der Terrororganisation PKK; unter anderem hatte sich der Kläger längere Zeit in einem Ausbildungslager in den Kandil-Bergen im Nord-Irak aufgehalten.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. In der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung wendet sich der Kläger zum einen gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, vom persönlichen Verhalten des Klägers gehe nach wie vor eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus; insbesondere habe er bisher nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen.
In der ausführlichen Begründung dieser Ansicht legt das Verwaltungsgericht dar (UA S. 20-31, Rn. 46-65), der Kläger habe sich von der PKK und ihrer Ideologie derart einnehmen lassen, dass er hierfür ein Jahr zunächst freiwillig und später unfreiwillig unter unwirtlichen Bedingungen im Gebirge zugebracht habe. Dass er sich innerhalb von sechs Monaten vom Anhänger einer kurdischen Studentenorganisation in München zum schulungsbereiten PKK-Kader in den Niederlanden und schließlich im Irak entwickelt und radikalisiert habe, spreche für eine rasche und nachhaltige Indoktrinierung durch die PKK, zumal er sich im Juni 2015 innerhalb einer Woche spontan zur Schulungsteilnahme entschlossen habe. Damit liege eine enge Verbundenheit des Klägers mit der PKK vor, die eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeute.
Für die Annahme einer umgekehrten nachhaltigen Lösung von einer solchen Organisation und Ideologie bedürfe es einer glaubwürdigen und nachvollziehbaren äußeren und inneren Lösung, für welche nach der Überzeugung des Gerichts auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung noch keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte vorlägen. Seine äußere Lösung von der PKK habe der Kläger durch seine Flucht zunächst in die Türkei, anschließend nach Griechenland und schließlich nach Deutschland durchgeführt. Seine inneren Beweggründe hierfür ergäben sich nach Überzeugung des Gerichts aus einer Mischung aus enttäuschten Erwartungen an den Aufenthalt im Irak, enttäuschten Erwartungen an die militärische Stärke und politische Durchsetzungskraft der PKK und in den Vordergrund getretenen, in seinem Engagement für die PKK aber bereits früh angelegten Widersprüchen zwischen atheistischer Ideologie und politischen Zielen der PKK einerseits und seiner Prägung aus einem gläubigen und traditionellen Elternhaus andererseits.
Um nach seiner vertieften Hinwendung zur PKK eine glaubwürdige innere Distanzierung und äußere Lösung von der PKK hinreichend sicher annehmen und so eine gegenwärtige Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausschließen zu können, bedürfe es eines umgekehrten aktiven Tätigwerdens des Klägers, das sich nach Überzeugung des Gerichts unter Würdigung der Aktenlage und des persönlichen Eindrucks vom Kläger in der mündlichen Verhandlung noch nicht feststellen lasse. Dies erfordere, dass er glaubwürdig „reinen Tisch“ gegenüber den Behörden der Bundesrepublik Deutschland mache, also des Staates, in dem er sich – aus Angst sowohl vor seinem Heimatstaat Türkei als auch vor einem Attentat dort durch die PKK – weiter aufhalten wolle. Daran fehle es bis heute. Der Kläger habe sich seit seiner räumlichen Lösung von der PKK zwar den türkischen Behörden umfassend offenbart, nicht aber jenen der Bundesrepublik Deutschland. Im Gegenteil habe er deutschen Behörden gegenüber mehrfach nachweislich falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht und taktisch motiviert nur eingeräumt bzw. einräumen lassen, was die deutschen Behörden ihm bereits aus anderen Quellen hätten vorhalten können; diesen Vorwurf erläutert das Verwaltungsgericht dann im Einzelnen.
Für das Verwaltungsgericht habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Eindruck eines durch äußere negative Umstände (Lagerleben im Irak, Erfahrungen mit türkischer Polizei, Geheimdiensten und Gerichten) in seiner früheren inneren Einstellung gegenüber der PKK und deren politischen und bewaffneten Kampf für (vorgeblich) kurdische Interessen zwar erschütterten, aber noch nicht wirklich innerlich geläuterten kurdischen Nationalisten und ehemaligen Aktivisten der PKK gemacht. Auffallend sei zunächst die Emotionslosigkeit, geradezu Teilnahmslosigkeit, gewesen, mit welcher der Kläger Angaben zu äußeren Geschehnissen und inneren Motiven gemacht habe; er habe gewirkt, als würde er nicht über sich und seine Erlebnisse sprechen, sondern über einen Dritten. Dass er nun sein Engagement für die PKK als Fehler einsehe, sei ein erster Schritt, aber keine hinreichende Abwendung; insbesondere verurteile er nicht die PKK als Terrororganisation, ihre politische Propaganda oder gar ihren bewaffneten Kampf, sondern distanziere sich nur. Eine tiefgreifende innere Läuterung sei nicht erkennbar; er mache eher den Eindruck, lediglich „in Ruhe gelassen“ werden zu wollen.
a) Ernstliche Zweifel „an der Würdigung des Verwaltungsgerichts zur Verneinung der Glaubhaftigkeit eine Distanzierung von der PKK im konkreten Fall“ hat der Kläger nicht mit Erfolg geltend gemacht.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Kläger bringt zunächst vor, in den Gründen der Verwaltungsgerichtsentscheidung werde nicht abgewogen, dass er „nach unwiderlegtem Sachvortrag“ aus dem Ausbildungslager der PKK in den Kandil-Bergen „aus eigenem Antrieb geflohen“ sei; das Tatbestandsmerkmal der „Erkennbarkeit“ sei bereits damit gegeben, dass er aus dem Camp heimlich geflohen sei und für den Fall einer Ergreifung sicherlich mit dem Tode zu rechnen gehabt hätte.
Jedoch hat das Verwaltungsgericht die Umstände der Flucht aus dem Ausbildungslager und die Motive hierfür durchaus aufgrund der Angaben in der mündlichen Verhandlung gewürdigt und als eine „Mischung aus enttäuschten Erwartungen an den Aufenthalt im Irak, enttäuschten Erwartungen an die militärische Stärke und politische Durchsetzungskraft der PKK und in den Vordergrund getretenen, in seinem Engagement für die PKK aber bereits früh angelegten Widersprüchen zwischen atheistischer Ideologie und politischen Zielen der PKK einerseits und seiner Prägung aus einem gläubigen und traditionellen Elternhaus andererseits“ bewertet (UA S. 22, Rn. 51), jedoch in der Gesamtschau nicht als nachhaltige innere Distanzierung ausreichen lassen. Ein Abstandnehmen im Sinn des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nämlich ein innerer Vorgang und erfordert daher das Vorliegen äußerlich feststellbarer Umstände, die eine Veränderung der bisher gezeigten Einstellung als wahrscheinlich erscheinen lassen (BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – Rn. 53 m.w.N.); das Verwaltungsgericht hat zu Recht allein aus der Flucht aus dem Ausbildungslager in den Kandil-Bergen noch keine Wahrscheinlichkeit für einen nachhaltigen inneren Einstellungswandel abgeleitet.
Auch trifft es nicht zu, dass das Verwaltungsgericht Ausführungen dazu vermissen lasse, worin eine erkennbare und glaubhafte Distanzierung zu sehen wäre und somit keinen rechtlichen Maßstab für diese Beurteilung darlege. Der „rechtliche Maßstab“ ist dabei in der Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, die eben ein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen verlangt, vorgegeben und nicht weiter aufgliederbar, sondern im Wege der Subsumtion auf den Einzelfall anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen auch dargelegt, dass es einer „glaubwürdigen und nachvollziehbaren äußeren und inneren Lösung“ von einer sicherheitsgefährdenden Organisation und Ideologie bedürfe (UA S. 21, Rn. 49). Zu verlangen sei im Fall des Klägers ein „umgekehrtes aktives Tätigwerden“ des Klägers, was auch erfordere, dass er glaubwürdig „reinen Tisch“ gegenüber den Behörden der Bundesrepublik Deutschland mache (UA S. 23, Rn. 53-54).
Ferner wendet sich der Kläger gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, auffallend sei zunächst die Emotionslosigkeit, geradezu Teilnahmslosigkeit, gewesen, mit welcher er Angaben zu äußeren Geschehnissen und inneren Motiven gemacht habe; er habe gewirkt, als würde er nicht über sich und seine Erlebnisse sprechen, sondern über einen Dritten (UA S. 29, Rn. 64). Dies berücksichtige nicht die Erlebnisse, die er in den zurückliegenden Jahren gemacht habe und die zu seiner Nachreifung geführt hätten, allerdings in einer Art und Weise, die man auch als traumatisch einordnen könne. Der als emotionslos bzw. teilnahmslos empfundene Eindruck könne auch darin begründet sein, dass der Kläger die Erlebnisse keineswegs verarbeitet habe, diese vielmehr eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst hätten.
Die vorgetragenen Vermutungen, das Aussageverhalten des Klägers in der mündlichen Verhandlung beruhe möglicherweise auf einer posttraumatischen Belastungsstörung, entbehren aber jeder substanziellen Grundlage. Weder wurde bisher etwas dazu vorgetragen, noch lagen sonstige Anhaltspunkte für das Verwaltungsgericht vor, derartige Umstände in Erwägung zu ziehen.
Weiter rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe nicht gewürdigt, dass er in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Vertreter des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) bereitwillig bei Vorlage von Fotos die Namen von PKK-Mitgliedern bezeichnet habe und dass er auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Behörden gezeigt habe; es habe aber offenbar von Seiten der deutschen Sicherheitsbehörden kein Interesse an detaillierten Auskünften seitens des Klägers bestanden.
Die vom Kläger in Bezug genommenen Feststellungen im Sitzungsprotokoll (S. 15) stützen diese Aussage in diesem Umfang nicht. Dort heißt es lediglich, auf Vorhalt des LfV-Vertreters „eines Demonstrationsfotos aus dem Facebook-Zugang des Klägers schreibt dieser als Zeichen seiner Distanzierung die Namen der abgebildeten Personen dazu“. Nach der Auskunft des LfV-Vertreters, „es habe seines Wissens keinen direkten Kontakt zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz und dem Kläger gegeben“, habe der Klägerbevollmächtigte „ergänzt, er habe der Ausländerbehörde in München gegenüber schriftlich die Bereitschaft des Klägers zur Zusammenarbeit angedeutet und mündlich konkretisiert“. Das in der Begründung des Zulassungsantrags weiter genannte Schreiben des Bevollmächtigten an die Ausländerbehörde vom 15. Januar 2018 (nicht 25.1.2018, wie genannt; Bl. 615 der Ausländerakte) enthält lediglich den Satz: „Soweit gewünscht, wird der Mandant seinen Aufenthalt in dem Lager gegenüber deutschen Behörden detailliert berichten.“
Die Namensnennungen bezüglich des Demonstrationsfotos hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen durchaus gewürdigt (UA S. 30, Rn. 64). Die weiteren eher vagen und punktuellen Auskunftsangebote können die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass kein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen vorliege, nicht erschüttern. Denn der Kläger hat sowohl schriftlich durch seinen Bevollmächtigten wie auch persönlich in der mündlichen Verhandlung (unter anderem) über seinen Aufenthalt in dem Ausbildungslager der PKK berichtet; das Verwaltungsgericht hat seine Angaben der Entscheidung zugrunde gelegt, allerdings nicht in der vom Kläger gewünschten Weise.
Schließlich bringt der Kläger vor, das Verwaltungsgericht habe ihm vorgeworfen, er habe sich „rasend schnell“ für die PKK einspannen lassen; dann sei aber, bei der damals gegebenen jugendlichen Naivität, umgekehrt ebenso eine rasche Distanzierung von den Zielen der PKK möglich. Eine wirklich „eingefahrene Beziehung“ zur PKK könne bei diesem jugendlichen Alter nicht bestanden haben; die Distanzierung sei entsprechend schnell zu erreichen.
Insoweit trifft lediglich zu, dass das Verwaltungsgericht festgestellt hat, der Umstand, dass der Kläger sich innerhalb von sechs Monaten vom Anhänger einer kurdischen Studentenorganisation in München zum schulungsbereiten PKK-Kader in den Niederlanden und schließlich im Irak entwickelt und radikalisiert habe, spreche für eine rasche und nachhaltige Indoktrinierung durch die PKK, was zu einer engen Verbundenheit mit dieser geführt habe (UA S. 21, Rn. 48). Dass dann im Fall des Klägers eine „rasche“ Distanzierung stattgefunden habe, findet keine Grundlage in den festgestellten Tatsachen; das Verwaltungsgericht hat vielmehr dargelegt, dass beim Kläger überhaupt eine Distanzierung im Sinn eines glaubhaften Abstandnehmens nicht festzustellen sei.
b) Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2019 – 10 ZB 19.275 – juris 7; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Klärungsbedürftig sind solche Rechts- oder Tatsachenfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend ober- und höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2011 – 1 BvR 3007/07 – juris Rn. 21; Roth in Posser/Wolff BeckOK, VwGO, Stand 1.7.2019, § 124 Rn. 55 m.w.N; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 38). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (stRspr, BVerwG, B.v. 9.4.2014 – 2 B 107.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 64).
Nach Meinung des Klägers hat die Frage grundsätzliche Bedeutung, „welche objektiven Kriterien für die Distanzierung von sicherheitsgefährdendem Handeln zu verlangen sind“.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das „erkennbare Abstandnehmen“ im Sinn des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – das dem „Distanzieren“ im Sinne der früheren Rechtsprechung entspricht (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 30) – ein innerer Vorgang ist und daher das Vorliegen äußerlich feststellbarer Umstände erfordert, die eine Veränderung der bisher gezeigten Einstellung als wahrscheinlich erscheinen lassen. Dabei genügt nicht das bloße Unterlassen weiterer Unterstützungshandlungen, vielmehr bedarf es hierzu eindeutiger Erklärungen und Verhaltensweisen des Ausländers, mit denen er glaubhaft zum Ausdruck bringt, dass er sich nunmehr von zurückliegenden Aktivitäten erkennbar aus innerer Überzeugung distanziert. Grundvoraussetzung für eine solche Annahme ist jedenfalls die Einsicht des Ausländers in die Unrichtigkeit des ihm vorgeworfenen Handelns; er muss in jedem Fall sein sicherheitsgefährdendes Handeln in der Vergangenheit einräumen und offenlegen (BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – juris Rn. 53; VGH BW, B.v. 17.6.2019 – 11 S 2118/18 – juris Rn. 12; OVG NW, U.v. 15.3.2016 – 19 A 2330/11 – juris Rn. 65 f.; jew. m.w.N.).
Eine weitere Konkretisierung von „objektiven Kriterien“ für ein erkennbares und glaubhaftes Abstandnehmen von sicherheitsgefährdenden Handlungen – etwa im Sinne von zu fordernden Erklärungen oder Handlungen – ist im Rahmen einer Grundsatzfrage nicht möglich. Ob aus den jeweiligen Verhaltensweisen eines Ausländers im konkreten Fall erkennbar und glaubhaft ein Abstandnehmen abgeleitet werden kann oder nicht, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalles und hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab, auch etwa davon, welcher Art das vorgeworfene sicherheitsgefährdende Verhalten war.
2. Mit seinem weiteren Vorbringen wendet sich der Kläger gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, nicht in die Gesamtabwägung über die Ausweisung einzubeziehen sei die vom Kläger befürchtete drohende Folter und erniedrigende Behandlung im Falle einer Verhaftung in der Türkei, da es sich hierbei um ein allein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu prüfendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot handle (UA S. 36, Rn. 81).
Der Kläger trägt vor, in der asylrechtlichen Klage (Au 6 K 18.30744) habe das Verwaltungsgericht mit ebenfalls am 6. Juni 2018 ergangenem Urteil die beklagte Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich der Türkei festzustellen; dieses Abschiebungsverbot entfalle, „sobald die Beklagte dem Kläger eine weiteren Maßstäben entsprechende Zusicherung der Türkischen Republik vorgelegt hat, dass gegen ihn weder die Todesstrafe verhängt oder vollstreckt noch er im Falle einer Inhaftierung gefoltert, erniedrigend oder unmenschlich behandelt wird“. Im Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil (9 ZB 18.31668) argumentiere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dahingehend, dass für ein Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht die Asylbehörde, sondern die Ausländerbehörde zuständig sei. Wenn das Bundesamt damit Erfolg habe, wäre vom Verwaltungsgericht im Rahmen der Ausweisung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu entscheiden gewesen.
Auch aus diesem Vorbringen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Es trifft nicht zu, dass in dem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das asylrechtliche Urteil vom 6. Juni 2018 (Au 6 K 18.30744), über den noch nicht entschieden ist (9 ZB 18.31668), streitig ist, ob für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder die Ausländerbehörde zuständig ist.
Dass das Bundesamt für die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zuständig ist und die Ausländerbehörden an diese Entscheidung gebunden sind, ergibt sich aus § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 42 Satz 1 AsylG und ist auch in dem Verfahren 9 ZB 18.31668 unstreitig. Das Bundesamt hat in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verschiedene Grundsatzfragen zur Berechtigung der Feststellung eines Abschiebungsverbots insgesamt und zur vom Verwaltungsgericht verlangten Zusicherung aufgeworfen, unter anderem die Frage, ob die Einholung einer solchen Zusage dem Aufgabenbereich des Bundesamtes oder dem Aufgabenbereich der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde unterfällt. Streitig ist also nicht die Zuständigkeit für die Feststellung des Abschiebungsverbots, sondern die Zuständigkeit für die Einholung der Zusicherung, die das Abschiebungsverbot wieder entfallen ließe.
Sollte der Fall eintreten, dass das Bundesamt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung und im nachfolgenden Berufungsverfahren Erfolg hat und das verwaltungsgerichtliche Urteil bezüglich der Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG (insgesamt) aufgehoben wird, hätte diese Entscheidung gemäß § 42 Satz 1 AsylG Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren über die Ausweisung des Klägers; sie würde dagegen nicht dazu führen, dass im Verfahren über die Ausweisung über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entschieden werden müsste.
Die Feststellung des Verwaltungsgerichts in dem hier angegriffenen Urteil, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nicht hier, sondern im asylrechtlichen Verfahren zu prüfen ist, ist damit nicht in Frage gestellt.
b) Damit ist auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht erkennbar. Der Kläger formuliert keine derartige Grundsatzfrage, zielt aber nach seinem Vorbringen offenbar auf die Frage ab, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im asylrechtlichen Verfahren oder die Ausländerbehörde im Rahmen der Ausweisung für die Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zuständig sind. Wie soeben dargelegt, ergibt sich die Antwort auf diese Frage unmittelbar aus den gesetzlichen Bestimmungen § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 42 Satz 1 AsylG und wäre im vorliegenden Verfahren auch nicht entscheidungserheblich.
Bezüglich der weiteren Verfügungen in dem streitgegenständlichen Bescheid (Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, auf sieben Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot, Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung) hat der Kläger im Antrag auf Zulassung der Berufung nichts vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung unter Abänderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Neben der Ausweisung und dem Begehren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind für die Aufenthaltsbeschränkung und die Meldepflicht ebenfalls 5000 Euro anzusetzen (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – juris Rn. 71).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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