Verwaltungsrecht

Rückführung eines jungen, gesunden und alleinstehenden anerkannten Flüchtling nach Griechenland

Aktenzeichen  M 30 K 18.32643

Datum:
25.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43573
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Die Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 kann nicht als konkrete Zusicherung im Sinne der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Mai 2017 (2 BvR 157/17, BeckRS 2017, 110739) und vom 31. Juli 2018 (2 BvR 714/18, BeckRS 2018, 26628) verstanden werden (BayVGH BeckRS 2019, 15384). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, anerkannte Schutzberechtigte mit Unterkunft zu versorgen, lässt sich der Rechtsprechung des EGMR und EuGH gerade nicht entnehmen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig (1.), aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland, so dass die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig im streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Mai 2018 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (2.). Bezüglich Griechenlands bestehen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (3.).
1. Trotz Klagerhebung erst am 29. Juni 2018 ist die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 24. Mai 2018 noch fristgerecht innerhalb der vierzehntägigen Klagefrist nach § 74 Abs. 1 AsylG erhoben worden.
Das Bundesamt hat den Bescheid mit zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung:trotz Vertretungsanzeige und Vollmachtsvorlage des Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 6. April 2016 (Bl. 134 f. d. Behördenakte) direkt an den Kläger gemäß Postzustellungsurkunde zugestellt. Der Klägerbevollmächtigte erhielt (nur) eine Kopie des (unterschriebenen) Bescheids i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 7 AsylG, der jedoch i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 5 AsylG nicht im vorliegenden Fall der Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, sondern nur im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bzw. § 26a AsylG einschlägig ist. Die Zustellung hätte daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG an den Klägerbevollmächtigten erfolgen müssen. Damit ist für den Fristbeginn nicht auf die Zustellung an den Kläger gemäß Zustellvermerk am 14. Juni 2018 abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kopie des unterschriebenen Bescheids beim Klägerbevollmächtigten, somit ausweislich des dem Gericht in der mündlichen Verhandlung zur Einsicht gegebenen deutlichen Eingangsstempels des Klägerbevollmächtigten am 15. Juni 2018. Der Zugang der mit Willen des Bundesamtes an den Klägerbevollmächtigten übersandten Kopie des unterschiebenen Bescheids vermochte den Zustellmangel gemäß § 8 VwZG zu heilen (str., bejahend: BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43-95 – beck-online; Bader/Ronellenfitsch, VwZG, Stand 1.10.2019, § 8 Rn. 12 – beck-online; a.A. Danker, Verwaltungszustellungsgesetz, 1. Aufl. 2012, § 8 Rn. 7 m.w.N. – beck-online).
2. Das Bundesamt hat die Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland und insoweit den Asylantrag des Klägers in beanstandungsfreier Weise gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Der Kläger hat gemäß Auskunft vom 6. März 2018 nach Asylantragstellung am 21. Januar 2015 in Griechenland bereits am 10. März 2015 den Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen. Dem ist der Kläger im Rahmen des Klageverfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auch nicht entgegengetreten. Dass der Kläger die sich daraus ergebende Aufenthaltserlaubnis gemäß der weiteren Angaben in der Auskunft Griechenlands nicht erhalten haben mag, ändert an der Schutzgewährung i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nichts.
3. Ein Abschiebungsverbot des Klägers nach Griechenland i.S.v. § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor.
Der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geforderte hohe Maßstab für eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Bezug auf die Abschiebung eines Schutzberechtigten in einen anderen Mitgliedstaat der EU ist unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls bezüglich des Klägers (noch) nicht erfüllt.
a) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst:
„In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen, das heißt, dass der Flüchtling dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt ist. Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. hierzu insgesamt EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S. gg. Belgien und Griechenland, Rn. 263 f. und 365 ff., vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – NVwZ-RR 2019, 209).
Das setzt allerdings voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK erforderliche „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) erreicht wird. Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist nach der Rechtsprechung des EGMR, der das Bundesverwaltungsgericht folgt (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 9 m.w.N. zur Rechtsprechung von EuGH und EGMR), relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenden körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen.
Ein derartiger Schweregrad kann demnach erreicht sein, wenn die Betroffenen ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – NVwZ 2019, 61 – juris Rn. 11).
Auch in seiner neuen Entscheidung zum Vorliegen einer Verletzung des Art. 3 EMRK bei Abschiebung von Asylantragstellern aufgrund der Lebensbedingungen für die Betroffenen in EU-Mitgliedstaaten bestätigt der EuGH diese Rechtsprechung („extreme materielle Not“). Demnach führen nach den Grundsätzen der Inländergleichbehandlung auch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse nicht zu einer Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK infolge der Abschiebung. Auch das Fehlen der Rückgriffsmöglichkeit für den Betroffenen auf familiäre Strukturen und Solidarität (wie sie für Angehörige des Mitgliedstaates regelmäßig bestehen dürften) ist kein Grund für eine derartige Annahme. Nach dieser Rechtsprechung rechtfertigt weder ein fehlender Zugang zu Integrationsprogrammen noch bessere Sozialhilfestandards oder Lebensbedingungen im überstellenden Mitgliedstaat die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK (EuGH Große Kammer, Urteil vom 19.3.2019 – C-163/17 – juris, insbes. Rn. 92-95).
Möglich ist aber der Nachweis durch den Betroffenen, dass in seiner Person außergewöhnliche Umstände vorliegen, so dass er sich nach Gewährung internationalen Schutzes aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Wollen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH a.a.O., Rn. 95).
Für die Prüfung, ob im Einzelfall das dargestellte Mindestmaß an Schwere erreicht ist und daher die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen, ist das Bundesamt nach § 24 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG zuständig. Aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass das Bundesamt den Sachverhalt klärt und die erforderlichen Beweise erhebt. Für das hier relevante Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bedeutet dies, dass alle für die Beurteilung des Vorliegens einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen sind (BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 1 B 40.18 – juris Rn. 14).“
(BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 20 ZB 19.31553 – juris Rn. 8 – 14)
b) Eine Gefahr extremer materieller Not i.S.d. o.g.Rechtsprechung von EGMR, EuGH und BVerfG ist in Bezug auf die zu erwartenden Umstände bei Rückkehr des Klägers nach Griechenland (noch) nicht einem „real risk“ bzw. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Es ist (noch) nicht beachtlich davon auszugehen, dass sich der Kläger aufgrund Gleichgültigkeit der Behörden Griechenlands bei Rückkehr nach Griechenland unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not begäbe, die es ihm nicht erlaube, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die seine psychische oder physische Gesundheit beeinträchtige oder ihn in einen Zustand der Verelendung, der mit der Menschenwürde nicht vereinbar wäre, versetzen würde (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C 163/17 „Jawo“ – juris Rn. 92; U.v. 19.3.2019 – C 297/19 u.a. – juris Rn. 90). Diese „besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit“ ist vorliegend beim Kläger, der nicht „völlig von öffentlicher Unterstützung abhängig“ (vgl. EuGH,a.a.O.) ist, nicht erfüllt.
(1) Soweit das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid auf die Zusicherung Griechenlands vom 8. Januar 2018 verweist, wonach Schutzberechtigten alle Rechte gemäß der RL 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie – nach Umsetzung in griechisches Recht auch unter Berücksichtigung der EMRK gewährt würden, und das Bundesamt dadurch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Vergewisserung bezüglich des Zugangs zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen nach Rückkehr in den Mitgliedstaat als erfüllt ansieht, genügt dies allerdings nicht.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat ausdrücklich verneint, dass die Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 als konkrete Zusicherung im Sinne der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Mai 2017 (2 BvR 157/17 – juris) und vom 31. Juli 2018 (2 BvR 714/18 – juris) verstanden werden könne (BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 20 ZB 19.31553 – juris Rn. 20). Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Erklärung des griechischen Ministeriums, die sich auf die Feststellung, dass die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 in nationales Recht umgesetzt worden sei, beschränke und eine richtlinienkonforme Behandlung der Rückkehr zu sichere. Eine – im Sinne der dargestellten Rechtsprechung bei Bestehen eines Abschiebungsverbot notwendige – Einzelfallregelung werde darin jedenfalls nicht getroffen (BayVGH, a.a.O.).
Soweit in Beschlüssen des Verwaltungsgerichts München die Zusicherung vom 8. Januar 2018 (noch) als ausreichend angesehen wurde (vgl. VG München, B.v. 15.03.2019 – 8 K 18. 31796, VG München, B.v. 26.06.2019 – 25 S 19.31992 und VG München, B.v. 28.06.2019 – 17 S 19. 32249), folgt dem das Gericht nicht.
(2) Den vorliegenden – und in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingeführten – Erkenntnismittel nach haben anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland grundsätzlich den gleichen Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie zu Sozialleistungen wie die griechische Bevölkerung (vgl. Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid, S. 8; Auswärtiges Amt (AA) vom 26.9.2018 an das VG Greifswald; AIDA vom 31.12.2017, S. 176; VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris Rn. 23). Fraglich ist nach einhelliger Meinung hingegen die faktische und praktische Umsetzung dieser gewährten Rechte. In Folge divergiert jedoch die Rechtsprechung in der Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel in Bezug auf die Unterbringungssituation von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland.
Das Verwaltungsgericht Bremen kommt im Urteil vom 19. Juni 2019 zu dem Schluss, dass anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland bei Rückkehr eine akute Obdachlosigkeit und Verelendung drohe (VG Bremen, U.v. 19.6.2019 – 5 K 652/19 – juris Rn.23), während das Verwaltungsgericht Berlin noch keine ernsthafte Gefahr einer Obdachlosigkeit für Personen ohne besonderen Schutzbedarf sieht, wenngleich wenig dafür spreche, dass die eigene Arbeitsleistung des Schutzberechtigten ausreiche, der Obdachlosigkeit entgegenzuwirken (VG Berlin, U.v. 6.12.2018 – 9 L 703.18A – juris Rn. 18 ff.). Dabei wird vielmehr davon ausgegangen, dass anerkannt Schutzberechtigte die Möglichkeit hätten, in Unterkünften für Asylbewerber zu leben und in Folge dessen auch über das Cash-Card-Programm versorgt seien (VG Berlin, 6.12.2018, a.a.O. Rn. 20 f.). Das Verwaltungsgericht Würzburg stellt hingegen darauf ab, dass der Zugang zu Sozialleistungen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt vom eigenverantwortlichen Handeln der Schutzberechtigten geprägt sei (VG Würzburg, U.v. 19.7.2019 – W 2 K 18.30717 – juris Rn. 20). Der jeweilige Schutzberechtigte müsse daher grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Bei vulnerablen Personen könne sich daher die Verweigerung staatlicher Hilfeleistungen zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hänge das Ausmaß, in dem der Einzelne von den zweifelsohne harten Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland getroffen werde, von den individuellen Verhältnissen des jeweils Einzelnen ab (VG Würzburg, a.a.O. Rn. 20). Insoweit sei auch der Umstand zu berücksichtigen, dass anerkannte Schutzberechtigte anders als die griechische Bevölkerung nicht über ein familiäres Netzwerk verfügten, welches in Griechenland bei der sozialen Absicherung eine besondere Rolle spiele. Gleichermaßen hat das Verwaltungsgericht Regensburg darauf abgestellt, dass der Zugang zu Obdach von eigenverantwortlichem Handeln geprägt sei (VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – Rn 11 K 18. 31292 – juris Rn. 25), und bei Personen des vulnerablen Personenkreises eine nicht aus eigener Kraft abwendbare Gefahr von Obdachlosigkeit und existentieller Not bejaht (VG Regensburg, a.a.O. Rn 24). Das Verwaltungsgericht Magdeburg sieht darüber hinausgehend – bei Fehlen einer individuellen Zusicherung – zumindest in der Anfangszeit bei anerkannt Schutzberechtigten die Gefahr, über längere Zeit keinen Zugang zu Obdach etc. zu erhalten und insofern auch keine Chance auf Obdach durch Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen (VG Magdeburg, GB v. 13.2.2019 – 8A 156/19 – juris Rn 22 f.). Auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf verweist darauf, dass anerkannt Schutzberechtigten bei Rückkehr weder staatliche Unterkunft noch Unterkunft im UNHCR-Unterbringungsprogramm oder einem Flüchtlingslager etc. gewährt werde (VG Düsseldorf, U.v. 6.5.2019 – 12 K 1446/19.A – juris Rn. 25). Bezüglich der bestehenden Obdachlosenunterkünfte wird auf entsprechende Wartelisten verwiesen. Jedenfalls bezüglich besonders schutzbedürftiger Personen sei daher eine Gefahr im Sinne von Art. 3 EMRK zu bejahen (VG Düsseldorf, a.a.O. Rn 27 ff.). Während das Verwaltungsgericht Osnabrück ebenfalls die Möglichkeit einer Unterkunftserlangung in den ESTIA-Unterkünften des UNHCR-Programms bzw. einer Flüchtlingsunterkunft verneint und die Anmietung privater Unterkünfte als schwierig qualifiziert, sieht es angesichts vorhandener, wenngleich begrenzter und nicht ausreichender Obdachlosenunterkünfte, der Hilfe von Nichtregierungsorganisationen bei der Wohnungsfindung mit teilweise eigenem Wohnungsangebot, weiteren inoffiziellen und noch nicht von offizielle Stellen erfassten Wohnprojekten und insbesondere dem Vorhandensein informeller – landmannschaftlicher – Netzwerke die Erheblichkeitsschwelle noch nicht als überschritten an (VG Osnabrück, U.v. 2.9.2019 – 5 A 326/18 – juris Rn. 26 – 30 u. Rn. 40 f.).
Auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München divergiert. Im Beschluss der 22. Kammer vom 5. Juni 2019 wurde von Defiziten in allen Lebenslagen, insbesondere bezüglich Obdach, ausgegangen und ausgeführt, dass die Befriedigung elementarer Bedürfnisse für anerkannte Schutzberechtigte nicht gewährleistet sei (VG München, B.v. 5.6.2019 – M 22 S 19.30871 – UA S. 8 ff.). Demgegenüber wird teilweise auf notwendiges, aber auch hinreichendes eigenverantwortliches, eigeninitiatives Handeln des Schutzberechtigten abgestellt (VG München, U.v. 29.11.2018 – M 12 K 17.40576 – UA Seite 9 bzw. im Ergebnis auch B.v. 9.9.2019 – M 31 S 19.31067 -) bzw. neben der erforderlichen Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative auf eine Unterstützung einiger Nichtregierungsorganisationen bei einer temporären Unterbringung verwiesen und daher bei einem jungen, arbeitsfähigen Mann keine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bejaht (VG München, B.v. 17.12.2018 – M 4 S 18.34491 – UA Seite 10, 12).
(3) Nach eigener Auswertung der vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2019 ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und in Auseinandersetzung mit der zuvor zitierten Rechtsprechung geht das Gericht im Hinblick auf die Rückkehrsituation anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland grundsätzlich von Folgendem aus:
Der griechische Staat steht den Bedürfnissen der anerkannt Schutzberechtigten nicht mit völliger Gleichgültigkeit gegenüber und gewährt ihnen grundsätzlich formal die gleichen Rechte wie der griechischen Bevölkerung. Die konkrete Inanspruchnahme dieser Rechte gestaltet sich in der Praxis jedoch für anerkannte Schutzberechtigte insbesondere dann schwierig, wenn sie nicht noch in einer zuvor im Asylverfahren zugewiesenen Unterkunft mit Cash-Card-Programm wohnen und dort eine Zeit lang weiterverbleiben können. Der Neueintritt in das Cash-Card-Programm ist für bereits anerkannte Schutzberechtigte bei Rückkehr nicht möglich (AA v. 6.12.2018 an VG Stade; a.A. noch VG Berlin, U.v. 6.12.2018, a.a.O. bezugnehmend auf AA v. 11.10.2017 an VG Berlin). Problematisch i.S.v. des Maßstabs extremer materieller Not ist die Erlangung von Obdach. Für die Annahme, dass anerkannt Schutzberechtigte bei einer Rückkehr in den staatlichen Unterkünften bzw. des UNHCR etc. unterkommen, gibt es keine hinreichenden Erkenntnismittel (vgl. die Ausführungen des VG Osnabrück, a.a.O. Rn 27 m.w.N., Rn 36; siehe auch AA v. 6.12.2018 an VG Stade, S. 3; ProAsyl v. 30.8.2018/28.12.2018, S. 5). Die Anmietung einer Unterkunft vom privaten Wohnungsmarkt dürfte nicht realistisch sein (Auswärtiges Amt vom 22.8.2017, S. 5; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Länderinformation, Stand Mai 2017, S. 6). Obdachlosenunterkünfte sind insbesondere in der Region Athen vorhanden. ProAsyl hat diesbezüglich umfangreich ausgeführt (ProAsyl v. 30.8.2018/ 28.12.2018, S. 6 f.) Allerdings ist die Anzahl der Obdachlosenunterkünfte insgesamt nicht ausreichend und Wartelisten vorhanden (ProAsyl a.a.O., AA v. 6.12.2018 an VG Stade, S. 2). Während ProAsyl ausführt, eine Vielzahl anerkannter Schutzberechtigter sei dementsprechend obdachlos und lebe auf der Straße oder unter erbärmlichen Zuständen in verlassenen oder überfüllten Häusern (ProAsyl v. 23.6.2017, Seite 16 f. und v. 30.8.2018/28.12.2018, S. 5), lässt dies die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Dezember 2018 an das Verwaltungsgericht Stade gerade nicht erkennen, da Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstelle. Vielmehr ist von informellen (wohl in erster Linie landmannschaftlichen) Netzwerken auszugehen (vgl. AA v. 6.12.2018 an VG Stade S. 3; so auch VG Osnabrück, a.a.O.). Zudem bieten einige Nichtregierungsorganisation Unterstützung bei der temporären Unterbringung mit teilweise eigenem Unterkunftsangebot an (AA v. 27.12.2017 an VG Leipzig, S. 3; AA v. 6.12.2018 an VG Stade, S. 3, S. 10-11; Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 24.5.2018 S. 4).
(4) Für den jungen, gesunden und alleinstehenden Kläger bedeutet dies zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände daher, dass er bei Abschiebung nach Griechenland zwar vermutlich keinen Zugang zu staatlichen Unterkünften bzw. des UNHCR und zum Cash-Card-Programm erhalten wird. Eine staatliche Unterstützung wird der Kläger bei der Unterkunftssuche nicht erhalten. Mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit ist auch davon auszugehen, dass der Kläger nicht innerhalb kürzester Zeit Zugang zu den vorhandenen Obdachlosenunterkünften erhalten wird, sondern erst mit einer gewissen Wartezeit bzw. nur vorübergehend. Es wird ihm auch kaum gelingen, auf dem freien Wohnungsmarkt ohne weiteres eine Wohnung zu finden. Hingegen wird er in eigener, aber auch zumutbarer Anstrengung unter Zuhilfenahme der Unterstützungsmöglichkeiten oder Wohnangebote von Nichtregierungsorganisationen (vgl. AA vom 26.9.2018 an VG Regensburg; AA vom 6.12.2018 an VG Stade; Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 24.5.2018 S. 4) sowie landmannschaftlicher Unterstützung (vgl. VG Osnabrück) eine Unterkunft suchen und ggf. die Wartezeit bis zu einem Zugang zu den Obdachlosenunterkünften überbrücken müssen. Dabei ist nicht auszuschließen, dass der Kläger kurzzeitig auch obdachlos sein könnte. Dass der Kläger über einen (monate) langen Zeitraum gezwungen wäre, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln zu haben (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 15 mit Verweis auf EGMR, a.a.O. Rn. 263 f. und 365 ff.) vermag das Gericht demgegenüber nicht festzustellen (vgl. auch VG Osnabrück, a.a.O. Rn. 41). Der Kläger ist aber auf eigenverantwortliches, engagiertes Handeln angewiesen, um der Gefahr einer extremen materiellen Notlage zu entgegen. Dies ist ihm vor dem Hintergrund der Rechtsprechung von EMGR, EuGH und BVerfG auch unter Berücksichtigung von Art. 3 EMRK zumutbar. Der Kläger ist aufgrund seiner individuellen Umstände nicht völlig von staatlicher Unterstützung abhängig und gehört insbesondere nicht dem vulnerablen Personenkreis an. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, anerkannte Schutzberechtigte mit Unterkunft zu versorgen, lässt sich der Rechtsprechung des EGMR und EuGH gerade nicht entnehmen.
Nur ergänzend sei auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Osnabrück verwiesen, es dürfe nicht gänzlich unbeachtet bleiben, dass sich der Kläger aus freiem Willen um seine Unterkunft in Griechenland im Asylverfahren gebracht hat, indem er Griechenland verlassen hat, und darin maßgeblich begründet liege, dass er nunmehr bei Rückkehr keinen Zugang mehr zu einer Flüchtlingsunterkunft zu erhalte (VG Osnabrück, a.a.O., Rn. 41; vgl. auch AA vom 6.12.2018 an VG Stade, S.2).
Die Angaben der Klägers und seines Prozessbevollmächtigten stehen den vorangehend skizzierten Annahmen des Gerichts nicht entgegengetreten. So hat der Klägerbevollmächtigte in der Klagebegründung (nur) allgemein auf „desolate Zustände“ verwiesen und nicht weiter, insbesondere nicht zur Unterbringungssituation anerkannt Schutzberechtigter, ausgeführt. Der Kläger selber hat von der Möglichkeit, seine eigenen Erfahrungen aus dem fünfmonatigen Aufenthalt in Griechenland ins Verfahren einzubringen, keinen Gebrauch gemacht, weder gegenüber dem Bundesamt, beispielsweise in der „Zweitbefragung“ am 11. August 2015, noch gegenüber dem Gericht in der Klagebegründung oder mündlichen Verhandlung.
(5) In Bezug auf die im Bundesamtsbescheid ausführlich dargestellten Aspekte der medizinischen Grundversorgung, Zugang zu Arbeit, Nahrung und hygienischer Grundbedürfnisse wurde den Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 24. Mai 2018 klägerseits nicht entgegengetreten. Daher wird auf die zutreffenden Angaben im Bundesamtsbescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen und ergänzend auf die zuvor zitierte Rechtsprechung und die vorliegenden Erkenntnismittel verwiesen. Daraus lässt sich unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers nicht entnehmen, dass der junge, gesunde und alleinstehende Kläger seine diesbezüglichen elementaren Bedürfnisse in eigenverantwortlicher und eigeninitiativer Anstrengung nicht zu decken vermag, sondern dem „real risk“ einer extremen materiellen Notlage ausgesetzt wäre. Insbesondere die medizinische Grundversorgung ist gewährleistet (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Länderinformation, Stand Mai 2017, S. 7; AA v. 6.12.2018 an VG Stade, S. 4; VG Osnabrück, a.a.O. Rn 39).
4. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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