Verwaltungsrecht

vorbeugender einstweiliger Rechtsschutz, befürchtete infektionsschutzrechtliche Maßnahmen bei künftigen Parteiversammlungen, qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis (besonders schützenswertes Interesse), unbestimmter Unterlassungsantrag, „volatile“ (infektionsschutzrechtliche) Rechtslage

Aktenzeichen  10 CE 22.557

Datum:
4.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10611
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123, § 146 Abs. 4
GG Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 33 E 22.409 2022-02-11 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro zu unterlassen, Parteiversammlungen der Antragstellerin, insbesondere solche des Kreisverbandes L. am Lech, zu stören oder aufzulösen.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die beantragte Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht hat den begehrten vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz zu Recht mangels des erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgelehnt.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die verwaltungsgerichtliche Untersagung von Kontrollmaßnahmen („zu stören“) oder einer Auflösung ihrer Parteiveranstaltungen durch den Antragsgegner und damit die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gegen künftige behördliche Maßnahmen bzw. Anordnungen (Verwaltungsakte im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (s. Art. 20 Abs. 2 GG) grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern reaktiv ausgestaltet ist und dieses System nachgängigen – gegebenenfalls einstweiligen – Rechtsschutzes zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich ausreicht. Die demgemäß nur ausnahmsweise – nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles – mögliche Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes setzt nach ständiger Rechtsprechung ein besonders schützenswertes Interesse in dem Sinn voraus, dass es für den Betroffenen nicht zumutbar ist, auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung für den Regelfall vorgesehenen nachgängigen Rechtsschutz verwiesen zu werden (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 29.4.2019 – 6 B 141.18 – juris Rn. 8; BayVGH, zuletzt B.v. 12.1.2022 – 10 CE 22.68 – juris Rn. 17; VGH BW, B.v. 8.2.2021 – 1 S 3952/20 – juris Rn. 18 jew. m.w.N.; vgl. auch Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, VwGO § 123 Rn. 45 ff.).
Das Vorliegen bzw. die Glaubhaftmachung (i.S.v. § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920, 294 ZPO) eines solchen besonders schützenswerten Interesses (qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses) hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Ein schützenswertes Interesse an einem vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz kann nach zutreffender Rechtsauffassung des Erstgerichts insbesondere dann nicht anerkannt werden, wenn bzw. solange sich – wie hier – noch nicht mit der dafür erforderlichen Bestimmtheit absehen lässt, welche Maßnahmen künftig überhaupt drohen und unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sie ergehen werden (VGH BW, B.v. 8.2.2021 – 1 S 3952/20 – juris Rn. 18 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 30.9.1981 – 3 B 39.81 – juris). Wohl aus diesem Grund ist das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin auch inhaltlich völlig unbestimmt (s. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) auf die Unterlassung u.a. jeglicher „Störung“ ihrer Parteiversammlungen gerichtet. Soweit sie insoweit geltend macht, sie wisse nicht, „welche konkreten Störerhandlungen der Antragsgegner künftig gedenkt, vorzunehmen“ und deshalb könne und müsse der „Antrag nicht konkreter gefasst werden“, bestätigt das diesen Befund nur. Die im Beschwerdeverfahren erwogene „Antragsergänzung“ dahingehend, dass es der Antragsgegner zu unterlassen habe, Parteiversammlungen der Antragstellerin „rechtswidrig“ zu stören oder aufzulösen, bedeutete lediglich eine Scheinlösung dieser Problematik.
Das Verwaltungsgericht hat entgegen der Auffassung der Antragstellerin zu Recht auch auf die „volatile“ infektionsschutzrechtliche Rechtslage hingewiesen, wonach schon deshalb nicht bzw. schwer absehbar sei, welche infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen bei künftigen Parteiversammlungen der Antragstellerin konkret drohen könnten. Der Einwand der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, die 15. BayIfSMV gelte entgegen der Auffassung des Erstgerichts „bis heute unverändert fort und es ist auch nicht absehbar, wie sich die Rechtslage bezüglich Parteiversammlungen im Weiteren ‚entschärft‘ (Wegfall der Einschränkungen der Versammlungsfreiheit)“, ist schon mit Blick auf die aktuell gültige Sechzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (16. BayIfSMV) vom 1. April 2022 (BayMBl. Nr. 210), zuletzt geändert durch Verordnung vom 29. April 2022 (BayMBl. Nr. 266), und die danach noch geltenden Regelungen zum Infektionsschutz überholt bzw. obsolet.
Nach alledem kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob, wie der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung vom 25. März 2022 unter Verweis auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt B.v. 22.11.2021 – 6 VR 4.21 – juris Randnummer 8 f. m.w.N.) rügt, das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin auch mangels ausreichender Vorbefassung des Antragsgegners durch einen entsprechenden Antrag an das zuständige Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration zu verneinen ist, sowie ob sich die behördlichen Maßnahmen des Antragsgegners vom 17. Dezember 2021 anlässlich einer Parteiveranstaltung des Kreisverbands L. am Lech der Antragstellerin in einer Gaststätte bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig, erweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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