Verwaltungsrecht

Zuerkennung des internationalen Schutzes

Aktenzeichen  Au 7 K 19.31087

Datum:
5.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7173
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
GRCh Art. 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
RL 2013/33/EU Art. 21, Art. 33 Abs. 2 Buchst. a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Das Gericht kann durch die Einzelrichterin entscheiden, da ihr der Rechtsstreit durch Beschluss vom 20. Januar 2020 zur Entscheidung übertragen wurde (§ 76 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG).
II.
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2020 entschieden werden, da die Beteiligten mit der Ladung darauf hingewiesen wurden, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
III.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der in seinen Nummern 1 bis 4 angegriffene Bescheid vom 22. Juli 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Italiens nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) zu.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheids. Sein Asylantrag wurde zu Recht als unzulässig abgelehnt. Das Gericht folgt zunächst der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Auf die Bescheidsbegründung wird somit in vollem Umfang verwiesen und nur ergänzend wie folgt ausgeführt:
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Mit Schreiben vom 9. April 2019 lehnte Italien das Übernahmeersuchen ab und teilte mit, dass dem Kläger in Italien am 3. Februar 2016 internationaler Schutz in Form des subsidiären Schutzes gewährt worden ist (Bl. 190 der Bundesamtsakte).
b) Es ist der Beklagten auch nicht aus Gründen höherrangigen Rechts verwehrt, den Asylantrag des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzulehnen. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass die Ablehnung des Asylgesuchs als unzulässig gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCh) i.V.m. Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl EG Nr. L 180, S. 60; Verfahrensrichtlinie) verstößt, dessen Umsetzung in deutsches Recht mit Inkrafttreten des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfolgt ist.
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris) ist Art. 33 Abs. 2 lit. a der RL 2013/32/EU dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis auszuüben, einen Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abzulehnen, wenn der Kläger keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh zu erfahren. Dabei ist unionsrechtlich von der grundlegenden Prämisse auszugehen, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer grundlegender Werte teilt. Dies rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden, und gegenseitigen Vertrauens darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der in der Charta anerkannten Grundrechte, insbesondere ihren Art. 1 und 4, in denen einer der Grundwerte der Union und ihrer Mitgliedstaaten verankert ist, zu bieten (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 81 ff.).
In Weiterführung der dargelegten Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof in dem Beschluss vom 13. November 2019 (Rs. C-540/17 – Rn. 40) darauf hingewiesen,
„dass der bloße Umstand, dass das deutsche Recht es offenbar verbietet, einen Kläger in den Mitgliedstaat abzuschieben, der internationalen Schutz gewährt hat, falls er dort Gefahr liefe, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, und dieses Recht die Ausstellung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis und die zumindest teilweise oder vorläufige Gewährung von Rechten und Vorteilen zur Deckung seiner Grundbedürfnisse vorsieht, keine Auslegung rechtfertigen kann, die im Gegensatz zu der steht, die im Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. (C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17, ECLI:EU:C:2019:219), vorgenommen wurde (…).“
Nach den Ausführungen des EuGH vom 13. November 2019 biete das deutsche Recht zwar einen gewissen Schutz für einen Kläger, der aufgrund der ernsthaften Gefahr, in dem Mitgliedstaat, der ihm bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, nicht dorthin zurückgeführt werden kann; es sehe jedoch ohne ein neues Asylverfahren nicht die Anerkennung dieser Eigenschaft und die Gewährung der damit verbundenen Rechte auch in Deutschland vor.
Danach sei Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Kläger bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – a.a.O. Rn. 42, 43).
Ansonsten ergeben sich aus der neuesten Entscheidung des EuGH vom 13. November 2019 keine inhaltlichen Änderungen. Der EuGH hat vielmehr in der Entscheidung vom 13. November 2019 (Rs. C-540/17 – Rn. 38) bekräftigt, dass die mit der „Ibrahim-Entscheidung“ (U.v. 19.3.2019 – Rs C-297/17 u.a.) gesetzten hohen Maßstäbe im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte weiterhin Bestand haben.
Danach schließen mögliche Schwachstellen bei der Versorgung von Asylbewerbern in dem Mitgliedsstaat, in den eine Rückführung erfolgen soll, nur dann eine Abschiebung aus – und begründen ernstliche Zweifel an der angefochtenen Entscheidung des Bundesamts -, wenn diese eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann der Umstand, dass Flüchtlinge in dem Mitgliedstaat, der dem Kläger diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Kläger dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Kläger aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v.19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 93). Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. hierzu insgesamt EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S. gg. Griechenland und Belgien – juris Rn. 263 f. und 365 ff.).
Allerdings verpflichtet diese Norm nicht, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen oder sie finanziell zu unterstützen, um ihr einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, B.v 2.4.2013 – 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande – ZAR 2013, 336 f.; U.v. 21.1.2011 – 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland – juris Rn. 249 m.w.N.). Auch gewährt sie von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bei einer Überstellung bedeutend geschmälert würden, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Vorschrift (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande – ZAR 2013, 336/337). Die Verantwortlichkeit eines Staates ist jedoch dann begründet, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und – trotz ausdrücklich im nationalen Recht verankerter Rechte – behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91; EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel/Schweiz, Nr. 29217/12 – juris Rn. 98; EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland – juris Rn. 250; siehe auch EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – juris Rn. 88 ff.). Bei der Prüfung einer Überstellung kommt es nicht nur auf die generellen Verhältnisse im Zielstaat an, sondern auch auf die individuellen Umstände des konkret Betroffenen. Wenn etwa mit Blick auf bestimmte Erkrankungen ernstliche Zweifel über die Folgen einer Abschiebung bestehen, müssen individuelle und ausreichende Zusicherungen des Zielstaates eingeholt werden (vgl. auch OVG NW, B.v. 8.12.2017 – 11 A 585/17.A – juris Rn. 15). Jedenfalls ist es erforderlich, dass die dort gewährleisteten Rechte praktisch sowie effektiv und nicht nur theoretisch und illusorisch zur Verfügung stehen (hierzu: EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10, Paposhvili/Belgien -juris Rn. 182, 187, 191 m.w.N.). Die spezifischen Hilfsbedürfnisse international Schutzberechtigter verlangen, dass ihnen zumindest in einer ersten Übergangsphase ein Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung bei der Integration zukommt. Die – möglicherweise garantierte – Inländergleichbehandlung muss auch faktisch und nicht nur formalrechtlich gewährleistet sein (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 21 unter Verweis auf HessVGH, U.v. 4.11.2016 – 3 A 1322/16.A – juris Rn. 25). Anerkannte Schutzberechtigte können nicht ohne weiteres die Rechtspositionen, die die Rechtsordnung des Zielstaates formal gewährt, effektiv einfordern. Sie müssen erst in eine der einheimischen Bevölkerung vergleichbare tatsächliche Position einrücken, die ihnen die Teilhabe an den gewährten Rechten ermöglicht (vgl. VGH BW, B.v. 15.3.2017 – A 11 S 2151/16 – juris Rn. 25).
Ob einem in einem anderen Mitgliedsstaat anerkannten Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, erfordert grundsätzlich eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris Rn. 15). Die Bewertung, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat drohenden Gefahren ein „Mindestmaß an Schwere“ erreichen, ist von einer Vielzahl einzelner Umstände und Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, Ausbildung, Vermögen, familiäre oder freundschaftliche Verbindung) abhängig (OVG Saarland, B.v. 15.4.2019 – 2 A 80/18 – juris Rn. 10).
Das Gericht geht hierbei davon aus, dass in Italien anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich menschenrechtskonform behandelt werden und in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken, zumal sie in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und auch tatsächlich die Möglichkeit des Zugangs zu ausreichender gesundheitlicher Versorgung haben (vgl. VG Trier, B.v. 20.7.2017 – 5 L 7778/17.TR – juris; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, VG München, U.v. 6.12.2016 – M 12 K 16.33413 – und B.v. 6.3.2017 – M 17 S 17.33096 -). Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. dazu insgesamt VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316; VG Augsburg, B.v. 2.10.2019 – Au 3 S 19.50716; VG Augsburg, B.v. 30.5.2017 – Au 7 S 17.50041).
Auch eine in Italien eventuell drohende Obdachlosigkeit ist nicht ohne weiteres geeignet, generell eine mit den Grundsätzen des europäischen Asylrechts unvereinbare Behandlung anerkannter Flüchtlinge in Italien anzunehmen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A; VG Trier, a.a.O.). Art. 3 EMRK verpflichtet gerade nicht dazu, anerkannten Flüchtlingen eine Wohnungsunterkunft zur Verfügung zu stellen, sie finanziell zu unterstützen oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127, 129). Insoweit ist davon auszugehen, dass die Erlangung von Wohnung und der Zugang zum Arbeitsmarkt stark vom eigenverantwortlichen Handeln des Einzelnen geprägt sind. Allerdings ist vor dem Hintergrund der eingeführten gesetzlichen Regelungen zur Absicherung des Lebensnotwendigen gewährleistet, dass für anerkannte Schutzberechtigte nicht grundsätzlich aufgrund systemischer Mängel von einer ernsthaften Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im o.g. Sinn auszugehen ist.
Dies gilt zumindest für nicht-vulnerable anerkannte Schutzberechtigte wie den Kläger.
c) Dass der Kläger unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh in Italien wegen der dortigen Aufnahmebedingungen ausgesetzt ist bzw. sein wird, lässt sich vorliegend nach der Auskunftslage nicht erkennen. Er ist zum einen international Schutzberechtigter und zum anderen keiner vulnerablen Personengruppe zugehörig.
Das Gericht hat in seiner Entscheidung insbesondere den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers zitierten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – indes in seiner aktuellen Fassung – vollumfänglich berücksichtigt (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 8.5.2019).
aa) Die Schweizerische Flüchtlingshilfe geht gestützt auf Berichte von NGOs, Auskünfte von Kontaktpersonen in Italien, internationale Medien und eigene Beobachtungen (inkl. Dokumentation der Situation von überstellten Personen) von einer zunehmenden Verschlechterung der Situation von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus in Italien aus (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 8.5.2019, S. 26).
Danach stehen die sog. SPRAR-Zentren („Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati“), nunmehr aussagekräftig SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) genannt, welche im italienischen Aufnahmesystem als vergleichsweise gute Unterkünfte zu bezeichnen seien und in denen Familien gemäß den von Italien ausgesprochenen Garantien (nach dem Urteil des EGMR vom 14.11.2014 in der Sache Tarakhel v. Switzerland, Application no. 29217/12) und andere verletzliche Personen im Asylverfahren untergebracht werden könnten, seit dem 5. Oktober 2018 nur noch Minderjährigen und Personen mit Schutzstatus offen. Diese Informationen sind am 8. Januar 2019 durch eine E-Mail der italienischen Dublin Unit an alle anderen europäischen Dublin Units bestätigt worden. In dieser E-Mail hat die italienische Dublin Unit mitgeteilt, dass auf der Grundlage der „Bemühungen der italienischen Regierung, die Migrationsströme stark zu reduzieren“, künftig nur noch Personen mit internationalen Schutzstatus und unbegleitete minderjährige Asylsuchende in den SPRAR-Zentren untergebracht würden (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 8.5.2019, S. 5f.).
Die italienische Dublin-Einheit hat hierzu im Wortlaut mitgeteilt: Im Hinblick auf die Aufnahme von Asylbewerbern (einschließlich Personen, die dem Dublin-Verfahren unterliegen) und Flüchtlingen werden mit der neuen Verordnung die Bestimmungen hinsichtlich des SPRAR-Systems, das in System für den Schutz von Personen mit internationalem Schutzstatus und unbegleiteten ausländischen Minderjährigen (SIPROIMI) umbenannt wurde, dahingehend geändert, dass die Aufnahme in den Einrichtungen ausschließlich folgenden Personen vorbehalten wird: 1. Personen, die internationalen Schutz genießen (subsidiärer Schutz und Flüchtlingsstatus), 2. unbegleiteten ausländischen Minderjährigen, 3. Inhaber “neuer“ Aufenthaltstitel humanitärer Art.
Nach dem Bericht des Swiss Refugee Council OSAR vom Januar 2020, „Reception Conditions in Italy, Updated report on the situation of asylum seekers and beneficiaries of protection, in particular Dublin returnees, in Italy“ (der vollständige Bericht ist im Internet veröffentlicht unter https://www.o…ch › assets › dublin › italien › 20012…) werden auch weiterhin nur Personen, die internationalen Schutz genießen (subsidiärer Schutz und Flüchtlingsstatus), unbegleitete ausländische Minderjährige und Inhaber „neuer“ Aufenthaltstitel humanitärer Art in den SPRAR- bzw. (nunmehr) SIPROIMI-Einrichtungen aufgenommen; Ausnahmen für vulnerable Asylsuchende bestehen nicht.
Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Kläger gerade internationalen Schutz in Italien genießt und damit anders als Dublin-Rückkehrer grundsätzlich bezüglich der SPRAR- bzw. nunmehr SIPROIMI-Einrichtungen aufnahmeberechtigt ist.
bb) Auch wenn man davon ausgeht, dass – entsprechend der Bewertung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – die mangelnde Unterstützung von verletzlichen Personen in Italien sowohl Personen, die sich noch im Asylverfahren befinden, als auch Personen, die einen Schutzstatus in Italien erhalten haben, betrifft (vgl. SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, vom 8.5.2019, S. 19), ergibt sich hieraus für den Kläger nichts anderes.
Er gehört nämlich keiner vulnerablen Personengruppe an. In Art. 2 lit. k) i.V.m. Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, werden als schutzbedürftige Personen Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z. B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien, aufgezählt.
Für diese vulnerablen Personengruppen sind im Vergleich zum Durchschnitt erhöhte Anforderungen an das Vorhandensein einer Unterkunft inklusive Verpflegung sowie medizinischer und gesundheitlicher Versorgung zu stellen. Nötigenfalls bedarf es in derartigen Fällen der Einholung einer individuellen Zusicherung des zuständigen Mitgliedstaats, dass diesen erhöhten Anforderungen im Rahmen der Überstellung sowie in der Folgezeit Rechnung getragen wird.
Die aktuelle Rechtsprechung geht daher davon aus, dass Asylbewerber, die besonders schutzbedürftig und deshalb auf staatliche Hilfe angewiesen sind, derzeit in Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt sind, wenn eine konkret-individuelle Zusicherung der italienischen Behörden, dass ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen werde, nicht vorliegt (vgl. Nds. OVG, B.v. 20.12.2019 – 10 LA 192/19 – juris Rn. 19 ff.; Bay. VGH, B.v. 5.11.2019 – 7 AS 19.50020 – juris Rn. 18; siehe auch BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 23; sowie Schweizer Bundesverwaltungsgericht, U.v. 17.12.2019 – E-962/2019).
Der Kläger fällt indes unter keine dieser besonders schutzbedürftigen Personengruppen, da er ein erwachsener gesunder junger Mann ist. Besondere Umstände, die eine entsprechende Bewertung für den Kläger rechtfertigten, sind weder vorgetragen noch aufgrund des Akteninhalts erkennbar.
d) In der Gesamtschau aller vorliegenden Erkenntnisse ist somit davon auszugehen, dass der Kläger in Italien nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen in eine Situation extremer materieller Not geraten und damit eine Verletzung der Menschenwürde erleiden wird.
2. Soweit in Nummer 2 des angefochtenen Bescheids für den unzulässigen Asylantrag des Klägers auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint worden ist, begegnet dies ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Insbesondere droht ihm in Italien aufgrund der dortigen Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK.
a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist nicht erkennbar. Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zum – mit Art. 3 EMRK gleichlautenden – Art. 4 EU-GRCh und die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
Ob einem in einem anderen Mitgliedsstaat anerkannten Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, erfordert grundsätzlich eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris Rn. 15). Die Bewertung, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat drohenden Gefahren ein „Mindestmaß an Schwere“ erreichen, ist von einer Vielzahl einzelner Umstände und Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, Ausbildung, Vermögen, familiäre oder freundschaftliche Verbindung) abhängig (OVG Saarland, B.v. 15.4.2019 – 2 A 80/18 – juris Rn. 10). Insoweit liegen nach den obigen Ausführungen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass anerkannten Schutzberechtigten ohne besonderen Schutzbedarf in Italien generell eine mit Art. 3 EMRK nicht zu vereinbarende Behandlung droht. Italien gewährt anerkannten Schutzberechtigten prinzipiell Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung. Der Kläger ist nach den obigen Ausführungen, auf die an dieser Stelle verwiesen wird, ein solcher anerkannter Schutzberechtigter ohne besonderen Schutzbedarf, da er nicht zu einer vulnerablen Personengruppe gehört.
b) Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht zu bejahen. Nach dieser Vorschrift soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Zielstaat, also vorliegend in Italien, eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dafür ist nichts vorgetragen oder sonst erkennbar.
c) Auch der Vortrag des Antragtellers, mit seiner Frau und seinem Kind gemeinsam in Deutschland leben zu wollen, begründet ebenfalls kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die vorgenannten Abschiebungsverbote stellen stets nur auf solche Umstände ab, die sich der Sache nach aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für den Ausländer herleiten lassen und damit in Gefahren begründet liegen, welche dem Asylbewerber im Zielstaat der Abschiebung drohen, sog. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote. Treten die befürchteten negativen Auswirkungen jedoch allein durch die Abschiebung als solche und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein, so handelt es sich nur um ein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Dieses ist nicht vom Bundesamt, sondern durch die Ausländerbehörde gemäß § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG zu berücksichtigen. Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass auch die Lebensgefährtin des Klägers – eine zivilrechtlich wirksame Ehe konnte nicht belegt werden – mit der Tochter rechtskräftig ebenfalls nach Italien zurückkehren muss im Rahmen deren Dublin-Verfahrens (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.11.2019, Au 3 K 19.50619).
3. Die auf § 35 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung (Nr. 3 des Bescheids) ist mithin ebenfalls rechtmäßig, da die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen.
Auf die Bescheidsbegründung wird erneut gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Die Festsetzung einer Ausreisefrist von einer Woche in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids ergibt sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Soweit Zweifel am Beginn der Ausreisefrist von einer Woche bereits mit Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids bestehen sollten (vgl. EUGH, U.v. 19.6.2018 – C-181/16 (Gnandi) Celex-Nr. 62016CJ0181), so ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt die Vollziehung der Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids ohnehin ausgesetzt hat.
4. Hinsichtlich der Festsetzung und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (Nr. 4 des angefochtenen Bescheids) bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt ebenfalls keine Bedenken. Auf die Bescheidsbegründung wird erneut gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im – pflichtgemäß ausgeübten – Ermessen des Bundesamts und insbesondere im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine weitere Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Im Hinblick auf den Schutz des familiären Zusammenlebens ist darauf hinzuweisen, dass dieser zum einen vor einer Abschiebung von der Ausländerbehörde im Rahmen des § 43 Abs. 3 AsylG zu beachten ist und zum anderen die Lebensgefährtin des Klägers – eine zivilrechtlich wirksame Ehe konnte nicht belegt werden – mit der Tochter ebenfalls nach Italien zurückkehren muss im Rahmen deren Dublin-Verfahrens (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.11.2019, Au 3 K 19.50619).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylG.


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