Arbeitsrecht

Erfolgreiche Klage auf Erteilung einer Daueraufenthaltsbescheinigung

Aktenzeichen  B 6 K 19.581

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44330
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 1a, Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 4a

 

Leitsatz

1. Die Bescheinigung der zuständigen Agentur für Arbeit, dass die Arbeitslosigkeit unfreiwillig war, ist konstitutiv für das Nachwirken der vorherigen Beschäftigung auf die Arbeitnehmereigenschaft (Anschluss an BSG BeckRS 2017, 132777). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Arbeitnehmereigenschaft geht nicht verlustig, wer Ansprüche auf ALG 1 erworben hat und sie im Inland in Anspruch nimmt (Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg BeckRS 2016, 66506). (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei Bezug von ALG-2-Leistungen ist ein Unionsbürger nicht länger freizügigkeitsberechtigt, wenn er zwar nicht dauern arbeitsunfähig, aber auf Dauer nicht mehr vermittelbar ist. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft besteht auch während eine Sperrzeit für den Bezug von ALG I fort (Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg BeckRS 2016, 66506). (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Bescheinigung über ein Daueraufenthaltsrecht zu erteilen. Ziffern 1 bis 4 des Bescheides vom 22.05.2019 werden aufgehoben
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Hs.1 VwGO). Die Beteiligten wurden vor Erlass des Gerichtsbescheides gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.
I. Die Klage ist zulässig und begründet, soweit der Kläger begehrt, ihm eine Bescheinigung über ein Daueraufenthaltsrecht auszustellen.
1. Die Klage ist insoweit zulässig.
Statthafte Klageart ist eine allgemeine Leistungsklage. Der Kläger begehrt mit der Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts gem. § 5 Abs. 5 FreizügG/EU ein schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln (BVerwG, U. v. 31.05.2012 – 10 C 8.12 – InfAuslR 2012, 348 Rn. 12f.).
2. Die Klage ist insoweit auch begründet.
Gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht).
Ein ständiger rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren setzt voraus, dass der Unionsbürger während des gesamten Zeitraums freizügigkeitsberechtigt war. Der Zeitraum muss aber nicht bis zur Entscheidung des Gerichts angedauert haben, sondern kann auch weiter zurück in der Vergangenheit liegen (BVerwG, a. O. Rn.20f.).
a) Der Kläger hat, wie sich aus einer Meldebestätigung der Stadt … vom 28.12.2017 ergibt, seinen ständigen tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet durch Wohnsitznahme in … am 02.05.2012 begründet (zur Begründung des ständigen Aufenthalts vgl. BayVGH, U. v.18.07.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 27).
b) Der Aufenthalt des Klägers war bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheides, der seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 27.05.2019 zugestellt wurde, über einen Zeitraum von fünf Jahren rechtmäßig, weil der Kläger fünf Jahre freizügigkeitsberechtigt war.
Vom 02.05.2012 bis 07.05.2012 war der Kläger, der nach seiner Einreise als Arbeitsloser aus Ungarn, um im Bundesgebiet eine Arbeit zu finden, am 02.05.2012 einen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, der vorsah, dass er am 07.05.2012 seine Erwerbstätigkeit beginnen sollte, arbeitssuchend und damit gem. § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt (zu § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU vgl. Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, Stand 01.01.2021, § 2 FreizügG/EU Rn.26).
Vom 07.05.2012 bis 16.10.2012 war er als Kraftfahrer beschäftigt und damit als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt.
Vom 17.10.2012 bis 14.05.2013 war der Kläger ohne Beschäftigung und damit kein Arbeitnehmer. Ein Nachwirken seiner vorherigen Beschäftigung von 5 Monaten und 9 Tagen gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU scheidet, wie im übrigen auch für die weiteren Zeiten der Arbeitslosigkeit in den darauf folgenden Jahren, aus, weil er trotz Aufforderung des Gerichts keine Bescheinigung der zuständigen Agentur für Arbeit vorgelegt hat, dass die Arbeitslosigkeit unfreiwillig war. Denn bei dieser Bestätigung handelt es sich um eine konstitutive Bedingung für das Nachwirken der vorherigen Beschäftigung (BSG, U. v. 13.07.2017 – B 4 AS 17/16 R – InfAuslR 2018, 190 Rn. 34; Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, Stand 01.01 2021, § 2 FreizügG/EU Rn. 49). Schließlich blieb dem Kläger die Arbeitnehmereigenschaft trotz Verlustes seines Arbeitsplatzes auch nicht wegen des Bezugs von ALG 1-Leistungen erhalten. Denn er hatte durch seine vorangegangene gut fünfmonatige Erwerbstätigkeit noch keine Ansprüche darauf erworben und konnte deshalb noch kein ALG 1 im Bundesgebiet beziehen.
Da der Kläger damit jedenfalls von 17.10.2012 bis 14.05.2013 nicht freizügigkeitsberechtigt war, konnte der Fünfjahreszeitraum erst mit dem Beginn der nächsten Erwerbstätigkeit am 15.05.2013 anfangen.
Vom 15.05.2013 bis 15.02.2014 war der Kläger in Vollzeit als Kraftfahrer beschäftigt und damit als Arbeitnehmer i.S. v. § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt.
Vom 16.02.2014 bis 17.07.2014 war er nicht erwerbstätig, ging seiner Arbeitnehmereigenschaft aber nicht verlustig, weil er Ansprüche auf ALG 1 erworben hatte und sie im Inland in Anspruch nahm (LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 27.10.2015 – L 20 AS 2197/15 B ER – juris Rn. 13; Epe in: GK-AufenthG, Stand Feb. 2021, § 2 FreizügG/EU Rn. 121).
Vom 18.07.2014 bis 05.08.2014 war er als Leiharbeiter im Einsatz und damit als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt (§ 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU).
Vom 06.08.2014 bis 16.06.2015 war er erneut ohne Beschäftigung. Vom 07.08.2014 bis 07.09.2014 bezog er ALG-1 – Leistungen, so dass der Verlust seines Arbeitsplatzes die Arbeitnehmereigenschaft unberührt ließ. Auch in der sich anschließenden Zeitspanne, in der er ALG-2 – Leistungen in Anspruch nahm und sich bei verschiedenen Stellen um einen neuen Arbeitsplatz bewarb, blieb er Arbeitnehmer und damit freizügigkeitsberechtigt. Bei Bezug von ALG-2 – Leistungen ist ein Unionsbürger nicht länger freizügigkeitsberechtigt, wenn er zwar nicht dauernd arbeitsunfähig, aber auf Dauer nicht mehr vermittelbar ist (Brinkmann in: Huber, AufenthG, 2. Aufl.2016, § 2 FreizügG/EU Rn. 54 unter Verweis auf VGH Mannheim, U. v. 15.02.1989 – 11 S 3126/87 – InfAuslR 1989, 188 Ls.1). Wie der Antrag auf pauschalierte Erstattung von Bewerbungskosten zeigt, stand der Kläger dem deutschen Arbeitsmarkt weiter zur Verfügung und war, wie nicht zuletzt seine erneute Anstellung ab 17.06.2015 deutlich macht, weiterhin vermittelbar.
Vom 17.06. 2015 bis 30.04.2016 war er als Fahrer für eine Großhandelsfirma in Vollzeit Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU und hatte damit ein Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet.
Vom 01.05.2016 bis 31.05.2016, als er als Leiharbeiter für eine Spedition im Einsatz war, war er ebenfalls Arbeitnehmer i.S. v. § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU und besaß damit das Recht auf Freizügigkeit.
Vom 01.06.2016 bis 01.11.2016 war er erwerbslos. Er bezog jedoch ALG-1 – Leistungen und unterzog sich einer medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch während der Rehabilitationsmaßnahme verlor er seinen Arbeitnehmerstatus gem. § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU nicht und blieb freizügigkeitsberechtigt. Denn Leistungen der medizinischen Rehabilitation, die von einem Träger der Rentenversicherung erbracht werden, dienen dazu, den Auswirkungen einer Krankheit auf die Erwerbstätigkeit des Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbstätigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).
Vom 02.11.2016 bis 22.08.2017 war er bei einem Transportunternehmen in Vollzeit als LKW-Fahrer beschäftigt und damit als Arbeitnehmer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt.
Vom 23.08.2017 bis 15.05.2018, als der Fünfjahreszeitraum seit Beginn der Freizügigkeitsberechtigung am 15.05.2013 ablief, war der Kläger schließlich ebenfalls freizügigkeitsberechtigt.
Die Arbeitnehmereigenschaft blieb in diesem fast zehnmonatigen Zeitraum allerdings nicht gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU aufgrund einer von der zuständigen Bundesagentur für Arbeit bestätigten unfreiwilligen Arbeitslosigkeit nach einjähriger Tätigkeit unberührt. Dafür fehlt es schon daran, dass der Kläger die entsprechende Bescheinigung trotz Aufforderung des Gerichts nicht vorgelegt hat. Darüber hinaus währte die vorherige Beschäftigung bei dem Transportunternehmen nur ca. 8 ½ Monate, so dass sich ohnehin nur eine Nachwirkung von sechs Monaten ergeben hätte (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU).
Offenlassen kann das Gericht, ob dem Kläger das Freizügigkeitsrecht erhalten blieb, weil bei ihm seit 23.07.2017 eine vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit vorlag. Zwar hatte das dafür zuständige Jobcenter für diesen Zeitraum keine andauernde Leistungsminderung per Bescheid festgestellt (vgl. dazu BayVGH, U. v. 18.07.2017 – 10 B 17.339 – juris Rn. 38). Vielmehr war der Kläger während der gesamten Zeitraums lediglich arbeitsunfähig und damit vorübergehend erwerbsgemindert. Allerdings war sein Arbeitsverhältnis, das die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers begründet hat, bei Eintritt der vorübergehenden Erwerbsminderung am 23.07.2017 bereits durch die fristlose Kündigung beendet. Endet das Arbeitsverhältnis eines Unionsbürgers unabhängig von dessen Verhalten, d.h. unfreiwillig (zu dieser Definition vgl. Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOKAuslR, § 2 FreizügG/EU Rn. 49), tritt die Fiktion des Fortbestehens der Arbeitnehmereigenschaft gem. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ein, auch wenn das Arbeitsverhältnis nicht mehr existiert (BayVGH, a. O. Rn.51). Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist deshalb keine Voraussetzung für die „Fiktionswirkung“ des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU, weil in der Freizügigkeitsrichtlinie (EG-Freizügigkeits-RL) die Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit mit krankheitsbedingten Fehlzeiten gleichgestellt sind und diese beiden Zeiten als Zeiten der Erwerbstätigkeit gelten (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG). Eine vergleichbare Regelung für den hier zu entscheidenden Fall, dass das Arbeitsverhältnis geendet hat, weil das Verhalten des Arbeitnehmers, hier der Verlust der Fahrerlaubnis aufgrund einer Trunkenheitsfahrt, berechtigten Anlass zu seiner Kündigung gegeben hat und er deshalb i.S. v. Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Freizügigkeits-RL, § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU freiwillig arbeitslos geworden ist, bevor die Erwerbsminderung eingetreten ist, sieht dagegen weder die EG-Freizügigkeits-RL die Freizügigkeitsrichtlinie noch § 2 Abs. 3 Satz 1 FreizügG/EU vor. Deshalb spricht viel dafür, dass § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU hier nicht zugunsten des freiwillig arbeitslos gewordenen Klägers eingreift.
Der Kläger blieb aber im entscheidungserheblichen Zeitraum Arbeitnehmer, weil er ab 12.11.2017 bis 15.05.2018 ALG 1-Leistungen bezog bzw. so lange er im Klinikum … stationär behandelt wurde und eine medizinische Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung durchführte, Krankengeld und Reha-Leistungen beanspruchen konnte. Zudem bewarb er sich jedenfalls vom 02.11.2017 bis 03.11.2017 bei verschiedenen Stellen um einen neuen Arbeitsplatz.
Auch im Zeitraum vom 23.08.2017 bis 12.11.2017, als gegen ihn gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III eine Sperrzeit für den Bezug von ALG 1 – Leistungen verhängt worden war, weil er durch sein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hatte, und sein Anspruch auf ALG 1 deshalb gem. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruhte, bestand seine unionrechtliche Arbeitnehmereigenschaft fort. Ausschlaggebend dafür ist, dass er auch währenddessen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V weiterhin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterlag (LSG Berlin – Brandenburg, B. v. 27.10.2015 – L 20 AS 2197/15 B ER – juris Rn. 19).
Damit hielt sich der Kläger fünf Jahre lang ständig rechtmäßig im Bundesgebiet auf und hat ein Daueraufenthaltsrecht erworben, das ihm auf seinen Antrag hin unverzüglich zu bescheinigen ist (§ 5 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU).
II. Soweit der Kläger die Aufhebung der Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt (Ziff. 2 des Bescheides vom 22.05.2019) begehrt, ist der Rechtsbehelf ebenfalls zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Richtige Klageart für das auf die Aufhebung eines feststellenden Verwaltungsaktes gerichtete Klagebegehren ist die Anfechtungsklage (BVerwG, U. v.16.07.2015 – 1 C 22/14 – InfAuslR 2015, 420 Rn. 12).
2. Die Klage ist begründet. Der angegriffene feststellende Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt werden, wenn die Voraussetzungen des Rechts innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen sind oder nicht vorliegen.
Daraus leitet sich ab, dass die Möglichkeit zur Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts erlischt, wenn der Unionsbürger ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrecht wird dabei nicht mehr berührt, wenn später die Voraussetzungen wegfallen (BVerwG, a. O. Rn. 16).
Da der Kläger am 15.05.2018 ein Daueraufenthaltsrecht gem. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erworben hatte, war der Beklagte am 22.05.2019 nicht mehr befugt, den Verlust des Freizügigkeitsrechts festzustellen.
3. Die Klage hat weiter auch insoweit Erfolg, als der Kläger die Aufhebung der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung nach Ungarn (Ziff. 3 des Bescheides) begehrt.
Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Unionsbürger ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. In dem Bescheid soll die Abschiebung angedroht und eine Ausreisefrist gesetzt werden (§ 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU).
Nachdem die Verlustfeststellung rechtswidrig und damit aufzuheben ist, ist der Kläger nicht ausreisepflichtig, so dass die Grundlage für die Ausreiseaufforderung, die Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung entfallen ist.
4. Schließlich hat die Klage auch insoweit Erfolg, als der Kläger die Festsetzung eines dreijährigen Einreise- und Aufenthaltsverbots im Bundesgebiet ab der Ausreise (Ziff. 4 des Bescheides) angreift. Zu dieser Anordnung war der Beklagte, unabhängig davon, dass der Kläger nicht ausreisepflichtig ist, von vornherein nicht befugt.
Unionsbürger, die ihr Freizügigkeitsrecht gem. § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren haben, dürfen kraft Gesetzes nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Unionsbürger. bei denen das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Absatz 7 FreizügG/EU festgestellt worden ist, kann die Ausländerbehörde die erneute Einreise und der erneute Aufenthalt untersagen. Das Verbot wird von Amts wegen befristet (§ 7 Abs. 2 Sätze 1, 2 und 5 FreizügG/EU).
Dagegen dürfen sich Unionsbürger, bei denen der Verlust ihres Freizügigkeitsrechts gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU festgestellt wurde, zwar nicht weiter im Bundesgebiet aufhalten. Das Gesetz sieht aber nicht vor, dass gegen sie eine Wiedereinreisesperre verhängt wird (Gerstner-Heck in: Decker/Bader/Kothe, BeckOKMigR, Stand 01.01.2021, § 7 FreizügG/EU Rn. 12).
II. Als unterliegender Teil trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO).


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