Bankrecht

Kein Auskunftsanspruch über krankenversicherungsrechtliche Beitragsanpassungen in früheren Versicherungsjahren

Aktenzeichen  24 O 2120/20

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40474
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 254
VVG § 3 Abs. 3, Abs. 4, § 203 Abs. 5
BGB § 666, § 675, § 810

 

Leitsatz

1. Liegen einem Versicherungsnehmer begründete Mitteilungen über die Anpassung von Beiträgen seines Krankheitskostenversicherungsvertrages vor, so ist eine Stufenklage auf Auskunft über sie unzulässig. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Mitteilung zu den Gründen einer Beitragsanpassung muss nicht die Information enthalten, dass der Versicherungsnehmer nicht selbst für die Prämienerhöhung verantwortlich ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zum notwendigen Inhalt einer Mitteilung über die Gründe einer Beitragsanpassung in der Krankenversicherung gehört keine Negativerklärung dazu, dass eine Änderung der Sterbewahrscheinlichkeiten nicht zu den Gründen gehört. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Auskunftsanspruch über Beitragsanpassungen und ihre Begründung in früheren Versicherungsjahren besteht nicht. (Rn. 25 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 14.921,24 € festgesetzt.

Gründe

Die teilweise zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aufgrund der vorgenommenen Beitragsanpassungen zu.
I. Die Klage ist nur teilweise zulässig.
1. Das Landgericht Memmingen ist gemäß § 215 VVG örtlich und nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.
2. Daneben liegt das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO bezüglich der gestellten Feststellungsanträge Ziffer 1 und 6 vor.
a) Der Feststellungsantrag zu 1 ist zulässig, da alleine mit einem Leistungsantrag und einem hieraus folgenden Leistungsurteil nicht rechtskräftig festgestellt wäre, dass der Kläger zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus der angegriffenen Beitragsanpassung ergebenden Erhöhungsbeitrags verpflichtet ist (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17). Die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen stellt zudem eine Vorfrage für den Leistungsantrag dar und geht über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17).
b) Darüber hinaus ist auch der Feststellungsantrag zu 6 zulässig. Die von der Beklagten gezogenen Nutzungen aus den nach Auffassung des Klägers rechtsgrundlos gezahlten Prämienanteilen waren für ihn im Zeitpunkt der Klageerhebung nur teilweise bezifferbar. Daher fehlt es an der Zumutbarkeit der Erhebung einer Leistungsklage (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17).
3. Dagegen liegen die Voraussetzungen für eine Stufenklage im Sinne des § 254 ZPO nicht vor, so dass die Klageanträge Ziffer 4. und 5. unzulässig sind. Die Verbindung zwischen Auskunftsund Leistungsansprüchen in der in § 254 ZPO vorgesehenen Weise ist entsprechend dem Zweck der Vorschrift nur zulässig, wenn die begehrte Auskunft dazu dient, den Leistungsanspruch zu beziffern oder in sonstiger Weise zu konkretisieren (vgl. Bacher in BeckOK ZPO, 40. Auflage, § 254 Rn. 4).
Die Klagepartei hat in ihrer Replik auf Bl. 62 d. A. selbst wie folgt vorgetragen:
„Dem Grunde nach ergeben sich die hier klageweise verfolgten Ansprüche nämlich nicht aus den Versicherungsscheinen, sondern aus den mit den jeweiligen Erhöhungen verschickten defizitären Begründungen. Diese wurden von der Beklagten wortlautgleich in der ganzen Republik versandt und liegen der Klägerseite vor.“
Hieraus ergibt sich, dass der Kläger im Besitz der Begründungen der Beitragserhöhungen ist und die geltend gemachten Ansprüche aus diesem Grund bezifferbar sind, so dass kein Raum für eine Stufenklage besteht. Da die Klagepartei auf Bl. 62 d. A. von defizitären Begründungen spricht, liegen ihr nach ihrem eigenen Vortrag offensichtlich die jeweiligen Anpassungsmitteilungen im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG vor, so dass sie die formelle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen prüfen und die Ansprüche beziffern kann.
II. Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, nicht unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Rückerstattung der gezahlten Versicherungsprämien gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 BGB aufgrund der durchgeführten Beitragsanpassungen in den Jahren 2017 und 2019. Darüber hinaus hat sie keinen Anspruch auf die mit Klageantrag Ziffer 3. geltend gemachten Auskünfte.
1. Die Beitragsanpassungen zum 01.05.2017 und 01.05.2019 genügen den formalen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG und waren mithin wirksam. Die Mitteilungen der Beklagten zu den Beitragsanpassungen zum 01.05.2017 und 01.05.2019 genügen den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19 und IV ZR 294/19, die Anforderungen an die Begründung der Beitragsanpassung konkretisiert. Danach ist allein die Angabe der Berechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Änderung die neue Anpassung veranlasst hat, erforderlich. Hierdurch würde der Zweck, den Versicherungsnehmer darüber zu informieren, dass für die Beitragsanpassung nicht sein individuelles Verhalten ursächlich war, erreicht werden. Eine gesonderte Erklärung des Versicherungsunternehmens, dass nicht der Kläger allein für die Beitragsanpassung verantwortlich ist, ist somit nicht erforderlich. Zudem müssen weitere Faktoren, welche Einfluss auf die Prämienberechnung haben, wie beispielsweise die Änderung des Rechnungszinses, nicht angegeben werden. Auch muss nicht mitgeteilt werden, in welcher Höhe sich die Berechnungsgrundlage verändert hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19).
Gemessen an diesen Maßstäben genügen die Mitteilungen zu den Beitragsanpassungen zum 01.05.2017 und 01.05.2019 den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG. Dem Erfordernis der Angabe der sich nicht nur vorübergehend veränderten Berechnungsgrundlage ist mit diesen Ausführungen Genüge getan.
Soweit die Klagepartei darüber hinaus meint, dass sich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19, das Erfordernis entnehmen lassen würde, dass für die weitere in Betracht kommende Berechnungsgrundlage „Sterbewahrscheinlichkeiten“ eine Negativerklärung aufzunehmen sei, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Der Bundesgerichtshof nennt dieses Erfordernis in der entsprechenden Entscheidung nicht. In Rn. 33 dieser Entscheidung ist lediglich aufgeführt, dass die Angabe der Berechnungsgrundlage deshalb erforderlich ist, weil neben den Leistungsausgaben die Sterbewahrscheinlichkeit wegen einer Reform des Versicherungsvertragsgesetzes als zweite Berechnungsgrundlage hinzugetreten ist und sich seitdem nicht mehr ohne Weiteres erschließt, welche Berechnungsgrundlage sich verändert hat. Im entsprechenden Abschnitt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs findet sich jedoch nicht die Vorgabe, dass für die sich nicht veränderte Berechnungsgrundlage eine Negativerklärung vorzunehmen ist.
2. Der geltend gemachte Auskunftsanpruch lässt sich auf keine denkbare Anspruchsgrundlage stützen.
a) Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 3 Abs. 4 VVG. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kann der Versicherungsnehmer nur Abschriften der Erklärungen verlangen, welche er selbst in Bezug auf den Vertrag abgegeben hat. Erklärungen des Versicherers sind dagegen nicht umfasst.
b) Ein Auskunftsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 3 Abs. 3 VVG. Der Kläger begehrt gerade nicht eine Ersatzausfertigung eines Versicherungsscheins, sondern Auskunft über alle Beitragsanpassungen in den Jahren 2011 bis 2016 sowie Zurverfügungstellung von Unterlagen. Diese Begehren sind nicht mit einer Ersatzauslieferung eines Versicherungsscheines deckungsgleich.
c) Auch aus § 810 BGB folgt ein entsprechender Auskunftsanspruch der Klagepartei nicht. Der Kläger verfolgt nicht das Ziel, Einsicht in die bei der Beklagten geführte Versicherungsakte zu erhalten, sondern begehrt von dieser Auskunft sowie Zurverfügungstellung von Unterlagen. Bei der begehrten Auskunftserteilung handelt es sich um ein aktives Tun, während nach § 810 BGB nur die Gestattung der Akteneinsicht, mithin ein passives Verhalten geschuldet ist (vgl. Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 2020, § 810 Rn. 13).
d) Aus § 666 BGB i.V.m. § 675 Abs. 1 BGB ergibt sich ein entsprechender Auskunftsanspruch ebenfalls nicht, da zwischen den Parteien kein Geschäftsbesorgungsvertrag besteht. Bei einem Krankenversicherungsvertrag geht es nicht um die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen.
e) Aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DSGVO folgt ein Auskunftsanspruch auch nicht.
aa) Soweit die Auskunft über die zum Zwecke der Beitragserhöhung übermittelten Informationen aus den Begründungsschreiben samt Beiblättern begehrt wird, handelt es sich bereits nicht um personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Diese Schreiben beziehen sich auf eine Vielzahl von Versicherungsnehmern, ohne dass eine Personalisierung stattfindet.
bb) Soweit das Auskunftsbegehren des Klägers darüber hinausgeht, darf die Beklagte nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 b DSGVO die Auskunft verweigern, da die Informationen nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei (vgl. Bl. 62 d. A.) vorliegen. Der Kläger führt selbst aus, dass ihm die defizitären Begründungsschreiben samt Versicherungsscheinen vorliegen, so dass eine Bezifferung der Ansprüche möglich ist.
f) Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die geltend gemachten Auskunftsansprüche verjährt wären. Mit Urteil vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Ansprüche auf Rückerstattung von Versicherungsbeiträgen innerhalb der regulären Verjährungsfrist von 3 Jahren verjähren. Aus dieser Entscheidung ergibt sich auch im Umkehrschluss (BGH aaO, Rn. 72), dass der Verjährungsbeginn mit Kenntnis des Versicherten von der Beitragsanpassung als solcher eintritt. Auf weitere äußere Umstände, wie zum Beispiel die Kenntnis der Person des Treuhänders, kommt es hingegen nicht an. Der Kläger muss auch nicht den Schluss gezogen haben, dass die Beitragserhöhung unwirksam ist (vgl. dazu OLG Köln, Urteil vom 07.04.2017, Aktenzeichen 20 U 128/16).
3. Aus den genannten Gründen stehen dem Kläger auch nicht die geltend gemachten Nebenforderungen zu.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
IV. Der Streitwert wurde gemäß §§ 63, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO festgesetzt. Aufgrund der Klageerweiterung wurde der von der Klagepartei angesetzte Streitwert in der Klage (11.921,24 €) um 3.000,00 € erhöht.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben