Baurecht

Anerkenntnis im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Aktenzeichen  M 1 S7 16.1570

Datum:
27.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132173
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 156, § 173 S. 1
ZPO § 307 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Anerkenntnis kann auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erklärt werden. (Rn. 15 – 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 SN 15.4734 2016-02-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Auf das Anerkenntnis der Antragstellerin hin wird unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Februar 2016 (M 1 SN 15.4734) der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (M 1 K 15.2408) gegen den Bescheid vom 12. Mai 2015 in der Fassung vom 29. März 2016 insoweit abgelehnt, als er die Errichtung des Vorhabens und die Baufertigstellung betrifft.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Beigeladene zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beigeladene zu 1) begehrt die sofortige Vollziehbarkeit der ihr mit Bescheid vom 12. Mai 2015 in der Fassung vom 29. März 2016 erteilten Baugenehmigung für den Neubau einer Produktionshalle mit Brauerei.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 913/6 Gemarkung … (… Straße …), das südlich an die …straße grenzt. Die Bebauung entlang der …straße, zu der das Grundstück der Antragstellerin gehört, ragt spornartig in den Außenbereich hinein. Nordwestlich vom Anwesen der Antragstellerin und jenseits der …straße befinden sich die Grundstücke u. a. FlNr. 621, 627 und 628, die im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet … III“ liegen. Westlich hiervon schließen sich die Geltungsbereiche der Bebauungspläne „Gewerbegebiet … II“ und „Gewerbegebiet …“ an. Bezüglich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet … III“ ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein Normenkontrollverfahren anhängig (1 N 15.840).
Unter dem … April 2015 beantragte die Beigeladene zu 1) auf den Grundstücken FlNr. 621, 627 und 628 eine Baugenehmigung für den „Neubau einer Produktionshalle mit Brauerei und deren zugehörige Logistikhalle, Büros, Bewirtungsraum und einem Getränkeladen (…)“. Nach den eingereichten Plänen ist die Errichtung einer etwa 40 m x 75 m großen Halle mit Stellplätzen geplant. Die Halle ist in drei Abschnitte gegliedert: Im südöstlichen, der Antragstellerin zugewandten Teil befindet sich der Fertigungsbereich der Firma … GmbH, in dem mittels Metallbearbeitungsmaschinen Brauereianlagen hergestellt werden sollen. Im nordwestlichen und im mittleren Teil soll durch die Firma … GmbH eine kleine Brauerei mit Flaschenabfüllanlage und Bewirtungsraum sowie ein kleiner Getränkeladen betrieben werden, an der Nordost-Fassade sind im Wesentlichen Kühlräume und Büros angeordnet. Dem Antrag liegen u. a. eine Betriebsbeschreibung vom 30. April 2015 sowie eine Lärmprognose des Büros … (…) vom 22. April 2015 zugrunde.
Gegen die mit Bescheid vom 12. Mai 2015 erteilte Baugenehmigung hat die Antragstellerin am … Juni 2015 Klage erheben lassen (M 1 K 15.2408). Auf ihren Antrag vom … Oktober 2015 hin ordnete die Kammer am 10. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage an (M 1 SN 15.4734), da der Bescheid in Ermangelung einer ausreichenden Beschreibung des Betriebsumfangs und -ablaufs voraussichtlich zu unbestimmt sei und die Antragstellerin daher voraussichtlich in ihren Rechten verletze.
Mit Bescheid vom 29. März 2016 „zur Konkretisierung und Ergänzung des Baugenehmigungsbescheids vom 12. Mai 2015“ wurde der Bescheid vom 12. Mai 2015 in seinen immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen ergänzt, wobei eine Fortschreibung der Betriebsbeschreibung, eine Fortschreibung des Freiflächenplans 2 und des Aufstellungsplans Maschinen jeweils vom 10. März 2016 sowie eine schalltechnische Untersuchung von … vom 16. März 2016 zugrunde liegen.
Am 4. April 2016 stellte die Beigeladene zu 1) einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und beantragt zuletzt,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 1 K 15.2408) gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung vom 12. Mai 2015 insoweit aufzuheben, als sie die Errichtung des Vorhabens und die Bauumsetzung betrifft.
Was den Betrieb des genehmigten Vorhabens betreffe, werde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch Beschluss vom 10. Februar 2016 derzeit weiter hingenommen.
Der Antragsgegner beantragt,
dem Antrag auf Aufhebung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stattzugeben.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin erklärte mit Schriftsatz vom … Mai 2015: „Unter Zurückstellung aller Bedenken wird dem Antrag zugestimmt.“ Die bestehenden Bedenken würden Gegenstand des anhängigen Hauptsacheverfahrens bleiben.
Die Beigeladene zu 2) äußerte sich in diesem Verfahren bisher nicht.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Nach § 87a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 VwGO entscheidet der Berichterstatter über den Antrag der Beigeladenen zu 1) (ebenso VG Bayreuth, B. v. 14.4.2003 – B 4 S 03.79 – juris Rn. 22). Diese Vorschrift findet auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Anwendung (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 87a Rn. 2 m. w. N.). Bezüglich § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gilt nichts anderes. Denn beim Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO handelt es sich um ein neues, selbstständiges, vom vorangegangenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO getrenntes Verfahren, das ausschließlich in die Zukunft gerichtet ist (Gersdorf in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2015, § 80 Rn. 198). Es betrifft zwar denselben Streitgegenstand wie das Ausgangsverfahren, allerdings wird allein die Fortdauer der ursprünglichen Entscheidung geprüft, nicht deren Richtigkeit (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 80 Rn. 3). Damit hindert die Tatsache, dass über das Ausgangsverfahren (M 1 SN 15.4734) die Kammer entschieden hatte, aufgrund der rechtlichen Selbstständigkeit des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht die Anwendbarkeit des § 87a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 VwGO.
2. Der Antrag ist zulässig, insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vor. Hiernach kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Bei der mit Bescheid vom 29. März 2016 erteilten Tekturgenehmigung handelt es sich um einen veränderten Umstand in diesem Sinne, der eine erneute Sachentscheidung im Abänderungsverfahren rechtfertigt (BayVGH, B. v. 21.2.2007 – 15 CS 07.162 – NVwZ-RR 2007, 821).
3. Der Antrag ist begründet. Das Gericht hat nach § 173 Satz 1 VwGO i.V. m. § 307 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) dem Antrag der Beigeladenen zu 1) entsprechend dem Anerkenntnis der Antragstellerin stattzugeben.
a) § 307 ZPO findet nach § 173 Satz 1 VwGO auch in Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO Anwendung (vgl. auch Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 156 Rn. 1). Nach § 173 Satz 1 VwGO ist die Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden, soweit die Verwaltungsgerichtsordnung keine Bestimmungen über das Verfahren enthält und wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Diese Voraussetzungen liegen vor.
aa) Zwar regelt § 87a VwGO die Entscheidungszuständigkeit in den Fällen eines Anerkenntnisses und § 156 VwGO enthält eine besondere Kostenregelung für den Fall eines sofortigen Anerkenntnisses. In der Verwaltungsgerichtsordnung finden sich jedoch keine Bestimmungen dazu, wie zu entscheiden ist, wenn ein Beteiligter den gegen ihn geltend gemachten Anspruch anerkennt.
bb) Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen zivil- und verwaltungsgerichtlichem Verfahren schließen die entsprechende Anwendung von § 307 ZPO in verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht aus.
§§ 87a und 156 VwGO setzen die Möglichkeit eines Anerkenntnisses voraus. Grundlage für § 307 ZPO ist die Dispositionsmaxime der Parteien, die selbst über den Streitgegenstand verfügen können. Die Dispositionsmaxime liegt auch verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugrunde: Ein Rechtsstreit wird nur durch Klageerhebung oder Antragstellung anhängig, § 81 VwGO, er kann durch Klage- oder Antragsrücknahme des Klägers oder Antragstellers beendet werden, § 92 VwGO. Es besteht für die Beteiligten die Möglichkeit, Vergleiche zu schließen oder den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt zu erklären, womit sie die Rechtshängigkeit beenden. Auch das Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs stellt eine Möglichkeit dar, den Rechtsstreit einvernehmlich zu beenden und damit über den Streitgegenstand zu verfügen. Es ist also Ausdruck der Dispositionsmaxime.
Der verwaltungsgerichtliche Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) schließt die Anwendbarkeit des § 307 ZPO nicht aus, da er die Befugnis der Beteiligten, über das Prozessrechtsverhältnis zu disponieren, unberührt lässt. Der Amtsermittlungsgrundsatz beschränkt allein die Herrschaft der Beteiligten über den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachenstoff, da dieser von Amts wegen zu ermitteln ist. Er lässt jedoch die Möglichkeit, von der Rechtsverfolgung oder -verteidigung überhaupt Abstand zu nehmen, unberührt.
Da im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit Ausnahme des Erfordernisses einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich alle Vorschriften für das Urteilsverfahren entsprechend gelten, spricht kein sachlicher Grund dafür, die Möglichkeit des Anerkenntnisses auf das Klageverfahren zu beschränken (ausführlich zu dem Ganzen VG Bayreuth, B. v. 14.4.2003 – B 4 S 03.79 – juris Rn. 27 ff. m. w. N.).
b) Dem Antrag der Beigeladenen zu 1) ist stattzugeben.
Nach § 173 VwGO i.V. m. § 307 ZPO ist einem Antrag entsprechend dem Anerkenntnis stattzugeben, wenn eine Partei den gegen sie geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil anerkennt. Dies ist vorliegend der Fall. Gegenstand des Anerkenntnisses ist der prozessuale Anspruch selbst (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, § 307 Rn. 2), der auf Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Februar 2016 (M 1 SN 15.4734) sowie auf Ablehnung des ihm zugrunde liegenden Antrags der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichtet ist, soweit es um die Errichtung des Vorhabens der Beigeladenen zu 1) und die Bauumsetzung – mit anderen Worten um die Baufertigstellung – geht.
Diesen Anspruch hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom … Mai 2016 anerkannt. Die Anerkenntniserklärung muss nicht ausdrücklich, aber eindeutig und bedingungslos sein (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, § 307 Rn. 3). Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin hat dem Antrag wörtlich „zugestimmt“. Diese Zustimmung kann nur so verstanden werden, dass die Antragstellerin mit der Abänderung des Beschlusses vom 10. Februar 2016 und einem dem Antrag der Beigeladenen zu 1) entsprechenden Ausspruch einverstanden ist. Mit anderen Worten erkennt sie den von der Beigeladenen zu 1) geltend gemachten prozessualen Anspruch an.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 156, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Voraussetzungen des § 156 VwGO, der auch im Eilverfahren Anwendung findet (vgl. Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 156 Rn. 2), liegen vor. Die Antragstellerin hat durch ihr Verhalten keine Veranlassung zur Stellung des Antrags gegeben und den Anspruch sofort anerkannt.
a) Die Antragstellerin hat keinen Anlass zur Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO gegeben. Anlass hierfür waren vielmehr die veränderten Umstände i. S. d. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, nämlich die von der Beigeladenen zu 1) geänderten und ergänzten Unterlagen sowie der vom Antragsgegner erlassene Änderungsbescheid vom 29. März 2016. Diese veränderten Umstände und darauf gründend die Antragstellung nach § 80 Abs. 7 VwGO wurden vom Antragsgegner und der Beigeladenen zu 1), nicht aber von der Antragstellerin veranlasst.
b) Die Antragstellerin hat den Anspruch sofort anerkannt. Sofortige Anerkennung bedeutet vorliegend, dass die Antragstellerin innerhalb einer den Umständen nach angemessenen Frist, nachdem sie die antragsbegründenden Tatsachen kannte oder kennen musste und Gelegenheit zur Prüfung der Berechtigung des Anspruchs hatte, den Anspruch als berechtigt anerkennt (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 156 Rn. 4). Dies ist hier der Fall. Die Beigeladene zu 1) hat ihren am 4. April 2016 gestellten Antrag am 20. April 2016 nochmals geändert. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Antragstellerin noch nicht zum Antrag der Beigeladenen zu 1) geäußert. Ihr wurde durch das Gericht eine Äußerungsfrist bis zum 10. Mai 2016 eingeräumt, innerhalb derer sich die Antragstellerin auch äußerte und den geltend gemachten Anspruch anerkannte (vgl. auch Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 156 Rn. 4). Diese Anerkennung erfolgte mithin sofort i. S. d. § 156 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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