Baurecht

Anordnung des Sofortvollzuges einer Beseitigungsanordnung

Aktenzeichen  9 CS 19.1170, 9 CS 19.1171, 9 CS 19.1173

Datum:
2.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19825
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Ein schadloser Hochwasserabfluss und die Gefahr von Verklausungen an einer Brücke durch von einem Grundstück abgeschwemmtes Material kann ein besonderes öffentliches Interesse in Form der Abwehr konkreter Gefahren für gewichtige Rechtsgüter und die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründen, welches die Anordnung des Sofortvollzuges einer Beseitigungsanordnung für einen Kuhstall rechtfertigt.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 19.202 2019-05-15 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird bis zur Verbindung im Verfahren 9 CS 19.1170 auf 1.500,- Euro, im Verfahren 9 CS 19.1171 auf 500,- Euro und im Verfahren 9 CS 19.1173 auf 250,- Euro, danach auf insgesamt 2.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Landratsamts M… vom 12. Februar 2019 mit dem er aufgefordert wurde, mehrere bauliche Anlagen auf den Grundstücken FlNr. … und … Gemarkung E… zu beseitigen.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung E… Er nutzt zudem das nördlich gelegene Grundstück FlNr. … Gemarkung E…, das im Eigentum des Beigeladenen steht. Beide Grundstücke grenzen an das Gewässer zweiter Ordnung E… an und liegen im Außenbereich sowie innerhalb des mit Verordnung des Landkreises M… vom 30. Oktober 2015 festgesetzten Überschwemmungsgebietes. Auf den Grundstücken befinden sich, teilweise seit Jahrzehnten, verschiedene bauliche Anlagen, u.a. ein Kuhstall und eine Unterstellhalle für landwirtschaftliche Gerätschaften.
Mit Bescheid vom 12. Februar 2019 verpflichtete das Landratsamt M… nach Anhörung den Antragsteller, den Kuhstall (ehemaliges Wirtschaftsgebäude) mit überdachtem Laufgehege und angebauter Überdachung, die offene Unterstellhalle nördlich des Kuhstalles sowie sämtliche weitere Nebengebäude (u.a. Verkaufsgebäude auf Paletten, Überdachungen) auf dem Grundstück FlNr. … sowie alle Nebengebäude auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung E… zu beseitigen. Unter Nr. II wurde der Beigeladene zur Duldung verpflichtet, unter Nr. III die sofortige Vollziehung der Nrn. I und II angeordnet. In Nr. IV wurden gegenüber dem Antragsteller unterschiedliche Zwangsgelder im Falle der Nichterfüllung der verschiedenen Verpflichtungen aus Nr. I des Bescheids bis spätestens 31. März 2019 angedroht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die baulichen Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stünden. Die Grundstücke würden im Hochwasserfall bis zu 1 m überschwemmt und die vorhandenen nicht genehmigten und nicht genehmigungsfähigen baulichen Anlagen stellten Abflusshindernisse dar.
Mit Schriftsätzen vom 28. Februar 2019 erhob der Antragsteller Klage und stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Das Verwaltungsgericht trennte die Verfahren hinsichtlich der einzelnen Anlagen; über die Hauptsacheklagen ist noch nicht entschieden. Mit Beschluss vom 15. Mai 2019 ordnete das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung betreffend die Beseitigung des Kuhstalls die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers an; im Übrigen wurden die Anträge mit Beschlüssen vom 15. Mai 2019 abgelehnt. Hiergegen richten sich die Beschwerden des Antragstellers.
Der Antragsteller ist der Ansicht, dass ihm die Umsetzung des angefochtenen Bescheids kurzfristig nicht möglich sei, weil er aktuell keine anderweitige Unterbringungsmöglichkeit für die Tiere habe und zunächst eine bauliche Alternative suchen müsse. Zudem liege keine Eilbedürftigkeit vor, weil die Situation problem- und sanktionslos seit Jahrzehnten bestehe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass plötzlich planungs- und wasserrechtliche Aspekte gefährdet seien. Da der Kuhstall privilegiert sei, sei bei Abwägung der Belange jedenfalls kein Sofortvollzug erforderlich. Der Hochwasserschutz und der Ablaufschutz werde bestritten. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Der Antragsteller wiederhole lediglich seinen bisherigen Vortrag und zeige keine Rechtsfehler auf.
Der Beigeladene hat sich am Verfahren nicht beteiligt und keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Beschlüsse. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht die Anträge des Antragstellers – soweit sie hier im Hinblick auf die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung betreffend die Beseitigung des Kuhstalls durch das Verwaltungsgericht noch Gegenstand der Beschwerde sind – zu Recht abgelehnt, weil die Klagen im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben. Die Interessenabwägung fällt damit zu Lasten des Antragstellers aus.
1. Der angefochtene Bescheid stützt die Anordnung des Sofortvollzugs zutreffend auf ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung.
Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung des Sofortvollzugs ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich. Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden. Eine baurechtliche Beseitigungsanordnung ist in aller Regel eine schwerwiegende Maßnahme, deren Vollzug dem Betroffenen hohe Kosten verursacht und nur mehr schwer rückgängig zu machende Zustände schafft. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung verstärkt, weil dadurch die Entscheidung in der Hauptsache im Kern vorweggenommen wird. Erforderlich ist deshalb ein besonderes Vollzugsinteresse, das im Falle der Baubeseitigung grundsätzlich nicht mit dem Interesse am Erlass des Bescheids identisch ist und regelmäßig im Hinblick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 80 Abs. 1 und 2 VwGO nur ausnahmsweise vorliegen wird. Bei Beseitigungsanordnungen ist deshalb regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 23 m.w.N.; B.v. 19.3.2019 – 9 CS 18.2340 – juris Rn. 21). Mit seinen Einwänden, insbesondere dazu, dass die Situation problem- und sanktionslos seit Jahrzehnten bestehe und wegen der Privilegierung des Kuhstalls kein Sofortvollzug erforderlich sei, hat der Antragsteller keinen Erfolg.
Unabhängig davon, dass sich die Situation aufgrund der Festsetzung des Überschwemmungsgebiets durch Verordnung des Landkreises M… vom 30. Oktober 2015 geändert hat und der bloße lange Zeitablauf weder Bestandsschutz begründen kann noch die Bauaufsichtsbehörden am Einschreiten hindert (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2016 – 9 ZB 14.2173 – juris Rn. 10), können hier der im angefochtenen Bescheid angeführte schadlose Hochwasserabfluss und die Gefahr von Verklausungen an der E…brücke durch vom Grundstück des Antragstellers abgeschwemmtes Material ein besonderes öffentliches Interesse in Form der Abwehr konkreter Gefahren für gewichtige Rechtsgüter und die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2018, Art. 76 Rn. 344; Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand Februar 2019, Art. 76 Rn. 124). Das bloße Bestreiten der Gefährdung der baulichen Anlagen durch Hochwasser und des Bestehens von Abflusshindernissen durch den Antragsteller genügt im Hinblick auf die o.g. Festsetzung des Überschwemmungsgebiets und die Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes, dessen amtlichen Auskünften und Gutachten regelmäßig besondere Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, U.v. 27.7.2017 – 8 BV 16.1030 – juris Rn. 29; B.v. 7.5.2018 – 8 CS 18.455 – juris Rn. 15), nicht.
2. Soweit der Antragsteller insgesamt einwendet, ihm sei die kurzfristige Beseitigung nicht möglich, da er aktuell keine anderweitige Unterbringungsmöglichkeit für seine Tiere habe und zunächst eine bauliche Alternative einschließlich Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens suchen müsse, spielt dies für die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnungen keine Rolle. Abgesehen davon, dass sich dieser Einwand ausschließlich auf den Kuhstall bezieht, enthält Nr. I. des Bescheids vom 12. Februar 2019 keine Frist. Das Landratsamt hat hier mit Erlass der Beseitigungsanordnung eine Verpflichtung begründet, die mit der Bekanntmachung dieser Anordnung beginnt und erst endet, wenn der Betroffene diese Verpflichtung erfüllt hat. Die Bestimmung einer (zusätzlichen) Frist zur Beseitigung ist hierbei aber nicht erforderlich (vgl. Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, Stand März 2019, § 18 Rn. 188b, § 22 Rn. 18; Decker in Simon/Busse, a.a.O., Art. 76 Rn. 194; BayVGH, U.v. 2.6.1976 – 310 II 74 – juris Rn. 20; SächsOVG, U.v. 27.1.2009 – 4 B 809/06 – juris Rn. 52). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Verpflichtung zur Beseitigung des Kuhstalls im Hinblick auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung hinsichtlich der Beseitigung des Kuhstalls durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Mai 2019 (derzeit) nicht vollstreckbar ist. Bei der erneuten Festsetzung einer Vollstreckungsfrist für die Beseitigung des Kuhstalls wird das Landratsamt neben dem zeitlichen Einwand des Verwaltungsgerichts wegen der notwendigen Abstimmung mit dem Energieträger zur Beseitigung des Stromdachständers auf dem Kuhstall auch die Möglichkeiten des Antragstellers zur anderweitigen Unterbringung seiner Tiere und gegebenenfalls tierschutzrechtliche Belange im Hinblick auf die Hochwassergefahr zu berücksichtigen haben. Auf die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung, hier des Beseitigungsverlangens, wirkt sich dies jedoch nicht aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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