Baurecht

Bauaufsichtliches Einschreiten wegen Abstandsflächenunterschreitung – Hauptsacheerledigung

Aktenzeichen  15 ZB 19.2388

Datum:
17.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9540
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 92 Abs. 3 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2, § 161 Abs. 2
BayBO Art. 6 Abs. 8 Nr. 1, Art. 63, Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

1. Spricht Überwiegendes für einen Erfolg des Zulassungsantrags, werden im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO neben den Erfolgsaussichten des Zulassungsantrags regelmäßig auch die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen sein. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO privilegiert nur Bauteile, die im Verhältnis zur Außenwand untergeordnet sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Nachbar, dessen Grundstück unmittelbar an das Baugrundstück angrenzt, kann sich erfolgreich gegen eine Unterschreitung der bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsfläche zu seinem Grundstück berufen, wenn keine diesbezügliche Abweichung zugelassen wurde. Eine spürbare tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn ist bei der Geltendmachung einer Verletzung des generell nachbarschützenden Art. 6 BayBO nicht erforderlich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 K 18.581 2019-10-15 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Das Zulassungsverfahren wird eingestellt.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beigeladene ist Eigentümerin eines Grundstücks mit einem Wohnhaus, für das mit Bescheid des Landratsamts Straubing-Bogen vom 5. Mai 2017 im vereinfachten bauordnungsrechtlichen Verfahren ein Flachdachanbau baurechtlich genehmigt wurde. Die nordöstlichen Außenwände des Anbaus halten nach Maßgabe der genehmigten Bauvorlagen gegenüber dem Nachbargrundstück des Klägers einen Abstand von ca. 3 m ein; auf ca. 12 m Länge wird das Flachdach ca. 1,20 – 1,30 m über die Außenwände in Richtung des Klägergrundstücks fortgeführt. Ebenerdig darunter befinden sich laut Bezeichnung in den genehmigten Bauvorlagen eine „Holzlagerung“ (vgl. „Grundriss Erdgeschoss“) sowie eine „Terrasse“ (vgl. „Ansicht von Nordwesten“, gemeint: von Nordosten).
Der Kläger beantragte mit Schreiben seines vormaligen Bevollmächtigten vom 16. Oktober 2017 ein bauordnungsrechtliches Einschreiten wegen Verletzung des Art. 6 BayBO ihm gegenüber. Mit Bescheid vom 12. März 2018 lehnte das Landratsamt ein bauordnungsrechtliches Einschreiten ab, weil aus seiner Sicht die Vorgaben des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts eingehalten seien. Die hier vorliegende (ortsübliche) Fortführung des Flachdachs um ca. 1,20 m über die Außenwand hinaus sei ein gem. Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO nicht abstandsflächenpflichtiger Dachüberstand.
Auf die vom Kläger erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 15. Oktober 2019 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 12. März 2018 den Beklagten, über den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten vom 16. Oktober 2017 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wurde die Verpflichtungsklage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, ein formeller Bestandsschutz hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen liege nicht vor, weil Art. 6 BayBO wegen Art. 59 BayBO a.F. nicht zum Prüfprogramm im vereinfachten Genehmigungsverfahren zur Baugenehmigung vom 5. Mai 2017 gehört habe. Entgegen der der Ansicht des Landratsamts sei die Flachdachfortführung abstandsflächenpflichtig und halte angesichts eines Abstands von ca. 1,70 m die gem. Art. 6 BayBO mindestens einzuhaltende Abstandsfläche von 3 m nicht ein. Die Voraussetzungen für eine abstandsflächenrechtliche Privilegierung gem. Art. 6 Abs. 8 Nr.1 BayBO lägen nicht vor. Sonstige Sonderregelungen, nach denen keine Abstandsflächen eingehalten werden müssten, wie z.B. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2, Abs. 9 BayBO, seien ebenfalls nicht einschlägig. Auch wenn die bauliche Anlage wegen Verstoßes gegen Art. 6 BayBO materiell rechtswidrig sei, habe der Kläger nach der Ermessens-Befugnisnorm des Art. 76 Satz 1 BayBO mangels Ermessensreduzierung auf null keinen strikten Anspruch auf Beseitigung der Flachdachfortführung. Aufgrund dessen sei die Klage, soweit sie im Hauptantrag auf (teilweise) Beseitigung gerichtet gewesen sei, abzuweisen gewesen. Die Klage sei aber begründet, soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2018 und konkludent eine erneute Verbescheidung seines Antrags auf bauordnungsrechtliches Einschreiten begehre. Das Landratsamt sei im Ablehnungsbescheid vom 12. März 2018 zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Flachdachfortführung keine Abstandsflächen einzuhalten habe. Wegen Verstoßes gegen die nachbarschützende Regelung des Art. 6 BayBO habe der Kläger aber einen Anspruch darauf, dass die Behörde unter Zugrundelegung der dargelegten Rechtsansicht des Gerichts eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen treffe.
Die Beigeladene richtete sich mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 15. Oktober 2019, soweit der Klage (hinsichtlich der Neubescheidungsverpflichtung) stattgegeben wurde.
Der Beklagte hat dem Verwaltungsgerichtshof im laufenden Berufungszulassungsverfahren einen Bescheid des Landratsamts Straubing-Bogen vom 10. März 2020 vorgelegt, mit dem der Antrag des Klägers vom 16. Oktober 2017 auf bauordnungsrechtliches Einschreiten gegen die Fortführung des Flachdachs der Beigeladenen in Richtung seines Grundstücks erneut abgelehnt wurde. Laut der Begründung dieses Bescheids widerspreche die verfahrensgegenständliche Flachdachfortführung zwar Art. 6 Abs. 1, Abs. 5 und Abs. 8 BayBO. Nach der zu berücksichtigenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sei sie auch nicht nachträglich genehmigungsfähig, sodass auch die Zulassung einer Abweichung gem. Art. 63 BayBO ausscheide. Im Rahmen der eröffneten Ermessensausübung sei das Landratsamt nach Abwägung der widerstreitenden Interessen aber zu dem Ergebnis gekommen, den Antrag des Klägers auf bauordnungsrechtliches Einschreiten erneut abzulehnen. Die Ermessensausübung wird auf Seiten 4 und 5 des Bescheides näher ausgeführt und begründet.
Der Beklagte hat mit Vorlage des vorgenannten Bescheids schriftsätzlich unter dem 11. März 2020 einer Erledigungserklärung im Voraus zugestimmt. Mit Schriftsatz vom 31. März 2020 ließ die rechtsmittelführende Beigeladene über ihre Bevollmächtigte den „Rechtsstreit in der Hauptsache“ für erledigt erklären. Der Kläger ist mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 7. April 2020 der Erledigungserklärung beigetreten.
II.
1. Das durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen beendete Zulassungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Beendigung eines Rechtsstreits in Form übereinstimmender Erledigungserklärungen ist Ausfluss der auch den Verwaltungsprozess beherrschenden Dispositionsmaxime (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 161 Rn. 13). Beendet durch die Erledigungserklärung der Beigeladenen, der die übrigen Beteiligten zugestimmt haben, ist vorliegend nur das Zulassungsverfahren – und nicht auch das erstinstanzliche Verfahren -, weil die hier rechtsmittelführende Beigeladene nur insoweit dispositionsbefugt war (BayVGH, B.v. 26.6.2008 – 1 ZB 07.1506 – juris Rn. 7 m.w.N.; vgl. auch Wysk in Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 161 Rn. 13). Da sich die Erledigungserklärungen vorliegend in der Sache nur auf den Antrag auf Zulassung der Berufung bezieht, wird das erstinstanzliche Urteil vom 15. Oktober 2019, das von dem Beklagten mit Erlass des neuen Bescheids des Landratsamts vom 10. März 2020 umgesetzt wurde, rechtskräftig (Clausing in Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 161 Rn. 20; Wysk a.a.O., § 161 Rn. 27).
2. Über die Kosten des Verfahrens ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO).
a) In der Regel entspricht es billigem Ermessen, dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. In der vorliegenden prozessualen Situation ist wie folgt zu differenzieren: Wäre das Zulassungsverfahren voraussichtlich erfolglos geblieben, weil etwa die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht erfüllt waren oder die geltend gemachten Zulassungsgrund nicht gegeben waren, entspricht es in der Regel der Billigkeit, das Zulassungsverfahren mit einer Kostenentscheidung zu Lasten des insoweit erfolglosen Rechtsmittelführers (hier: der Beigeladenen) abzuschließen. Spricht hingegen Überwiegendes für einen Erfolg des Zulassungsantrags, werden im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO neben den Erfolgsaussichten des Zulassungsantrags regelmäßig auch die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen sein (BayVGH, B.v. 18.8.2015 – 15 ZB 13.418 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 18.9.2017 – 15 ZB 17.1813 – juris Rn. 17; B.v. 24.4.2019 – 8 ZB 18.32096 – juris Rn. 3).
b) Im vorliegenden Fall wäre die Berufung auf den Antrag der Beigeladenen hin voraussichtlich schon nicht zugelassen worden. Die von der Beigeladenen geltend gemachten Zulassungsgründe gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 VwGO, auf die sich die Prüfung des Senats im Zulassungsverfahren beschränkt hätte, lagen nicht vor bzw. wurden nicht in einer Weise dargelegt, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügten.
aa) Nach Maßgabe des Vortrags in der Antragsbegründung ist die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Flachdachfortführung an der nordöstlichen Außenwand des Anbaus auf dem Beigeladenengrundstück in Richtung des klägerischen Nachbargrundstücksgrundstücks abstandsflächenrelevant sei, weil sie nicht dem bauordnungsrechtlichen Privilegierungstatbestand des Art. 6 Abs. 8 BayBO unterfalle, nicht ernstlich zweifelhaft i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Die nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO geforderte Darlegung des Zulassungsgrundes gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfordert eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss konkret dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und / oder Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat. Eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret bei der Berufung auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen. Mit bloßer Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens wird dem Gebot der Darlegung im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ebenso wenig genügt wie mit der schlichten Darstellung der eigenen Rechtsauffassung (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 14 m.w.N.). Diesen Anforderungen hat das Vorbringen der Beigeladenen nicht genügt. Die Beigeladene hat sich in ihrer Antragsbegründung lediglich mit einzelnen Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, einen gewichtigen – für sich tragenden – Begründungstrang zur Verneinung des Privilegierungstatbestands des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO hingegen nicht substantiiert angegriffen und deswegen ernstliche Zweifel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht hinreichend dargelegt:
Obwohl der Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO in der aktuell geltenden Fassung nach seinem von Art. 6 Abs. 3 S. 7 BayBO 1998 abweichenden Wortlaut keine Maßbegrenzung enthält und im Gegensatz zu den Vorbauten gem. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO nicht ausdrücklich von „untergeordneten“ vortretenden Bauteilen spricht, müssen die von Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO privilegierten Bauteile im Verhältnis zur Außenwand dennoch kraft Auslegung der Vorschrift dennoch untergeordnet sein. Der Gesetzgeber hatte für alle Untergruppen des Art. 6 Abs. 8 BayBO eine „Unterordnung“ im Blick, weil es in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 15/7161 S. 43) ausdrücklich heißt: „Abs. 8 regelt – sachlich an Abs. 3 Satz 7 a.F. anknüpfend – die Zulässigkeit u n t e r g e o r d n e t e r Bauteile und Vorbauten in den Abstandsflächen.“ Auch Bauteile i.S. von Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO dürfen daher als solche nach ihrem Umfang, ihrer Nutzung und Konstruktion im Vergleich zum jeweiligen Gebäude nicht nennenswert ins Gewicht fallen und müssen insbesondere in ihrer Baumasse gegenüber dem Gebäude und der Außenwand unbedeutend erscheinen. Ist das im jeweils zu beurteilenden Einzelfall zu verneinen, liegt kein abstandsflächenrechtlich privilegiertes „vor die Außenwand tretendes Bauteil“ i.S. von Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO vor (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2010 – 15 B 08.2180 – juris Rn. 25; Dhom/Franz/ Rauscher in Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2019, Art. 6 Rn. 392, 393; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 49; Schönfeld in Spannowsky/ Manssen, Bauordnungsrecht Bayern – BeckOK, zu Art. 6 BayBO Rn. 212; ebenso in der Sache vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2014 – 9 ZB 13.1015 – juris Rn. 2; VG Augsburg, U.v. 6.2.2013 – Au 4 K 12.1310 – juirs Rn.37). Genau hierauf hat das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht, warum die Flachdachfortführung an der Nordostseite des Beigeladenengrundstücks zu einer Verletzung des Art. 6 BayBO zu Lasten des Klägers führe, abgestellt: Bauteile seien nach Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO nicht privilegiert, wenn sie eine zusätzliche eigenständige Nutzungsfunktion aufwiesen oder im Vergleich zur Außenwand nennenswert ins Gewicht fielen und daher nicht untergeordnet seien. Im vorliegenden Fall führten bereits die Dimensionierung und Massivität des streitgegenständlichen Baus zum Eindruck einer Vorverlagerung der Außenwand und somit zur Nichtanwendbarkeit des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO. Die Fortführung des Flachdachs sei auch nach dem Eindruck vorgelegter Lichtbilder mit ihrer Dicke von ca. 0,5 m, mit ihrer Tiefe von ca. 1,30 m und mit ihrer Länge von über 12 m optisch zu dominierend, um noch von einem bloßen vortretenden Bauteil ausgehen zu können.
Lediglich ergänzend – und hierzu betonend, dass es darauf nicht mehr ankomme – hat das Verwaltungsgericht auch darauf verwiesen, dass die Dachfortführung eine den Tatbestand des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO ausschließende eigenständige Nutzungsfunktion aufweise, weil der so überdachte erdgeschossige Freibereich nach Maßgabe der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 5. Mai 2017 als Holzlager und Terrasse genutzt werde. Darauf, ob Dachüberstände mit einer Tiefe von 1,20 m im Landkreis Straubing-Bogen ortsüblich seien und welche Maßbegrenzungen Dachüberstände einzuhalten hätten, komme es mangels Vorliegens eines Dachüberstands i.S. von Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO nach Ansicht des Erstgerichts nicht an.
Die Beigeladene trug zur Begründung des aus ihrer Sicht vorliegenden Zulassungsgrunds des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO lediglich vor, dass Dachüberstände mit einer Tiefe von 1,20 m im Alpenraum und im Landkreis Straubing-Bogen ortsüblich seien und dass bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise von einem Dachüberstand im Sinne des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO auszugehen sei. Ein solcher sei – so die Beigeladene weiter – zudem stets nicht nur ein rein optisches Stilelement, sondern weise zumeist eine eigenständige Nutzungsfunktion auf (Schutz der Fassaden; Verhinderung größerer Schneeablagerungen am Haus, die das Verlassen des Hauses erschweren könnten; Schutz von Laubengängen und Außentreppen; Schutz von Balkonen und aufgeschichteten Brennholzstapels vor Niederschlägen). Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass eine eigenständige Nutzungsfunktion gegeben sei, die das Gepräge eines Dachüberstands abspreche. Es sei – wovon auch das Urteil ausgehe – lediglich der Bereich unter der Dachfortführung als Holzlager und Terrasse legal nutzbar. Es liege daher ein klassischer Fall des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO vor, wie im ursprünglichen Bescheid des Landratsamts zu Recht angenommen worden sei. Soweit man mit dem Verwaltungsgericht von einer eigenständigen Nutzungsfunktion ausgehe, halte sich diese jedenfalls im Rahmen einer typischen Nutzungsfunktion eines (typisch alpenländischen) Dachüberstands. Auch weit vortretende Außenteile fielen unter Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO in der heutigen Fassung. Allenfalls Laubengänge und Balkone, die die gesamte Gebäudewand ausmachten, stellten eine Ausnahme dar.
Mit der primär tragenden Begründung, wonach der Flachdachfortführung die optische Unterordnung fehle und schon deshalb – gerade unabhängig von ihrer Nutzungsfunktion – kein privilegiertes Bauteil i.S. von Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO vorliege, hat sich die Beigeladene in der Antragsbegründung allerdings nicht substantiiert auseinandergesetzt und deswegen den o.g. Maßstäben an die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht genügt. Auch im Rahmen der begründenden Ausführungen zu § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (vgl. Seiten 3 ff. der Antragsbegründung vom 20. Dezember 2019, hierzu noch im Folgenden) hat die Beigeladene lediglich pauschal vorgetragen, dass der ca. 60 cm hohe Aufbau der Konstruktion nicht gegen die Annahme eines Dachüberstandes spreche. Soweit sie in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass die Höhe des Flachdachaufbaus „bedingt durch die Berücksichtigung einer entsprechenden Hinterlüftung und der Unterbringung der Dachisolierung sowie der Entwässerungseinrichtung“ sei, bringt sie auch hiermit keine sachlichen Argumente gegen die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts vor, dass die Flachdachfortführung optisch zu dominierend sei, um noch von einem vortretenden Bauteil i.S. von Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO ausgehen zu können. Soweit sich die Beigeladene mithin in der Antragsbegründung lediglich mit den Ausführungen des Erstgerichts zur eigenständigen Nutzungsfunktion der Flachdachfortführung auseinandergesetzt und sich zudem erneut (wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren) zur Frage der Ortsüblichkeit eines Flachdachüberstandes in der hier vorliegenden Größenordnung näher ausgelassen hat, genügt dies nicht, um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Verneinung der Einschlägigkeit des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO zu begründen. Denn ist ein angefochtenes Urteil – wie hier – entscheidungstragend auf mehrere selbständige Begründungen gestützt (sog. kumulative Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt, da anderenfalls das Urteil mit der nicht in zulassungsbegründender Weise angefochtenen Begründung Bestand haben könnte (vgl. BayVGH, BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 – juris Rn. 17 m.w.N.).
bb) Soweit die Beigeladene am Ende ihrer Antragsbegründung vom 20.12.2019 (Seite 5) eingewendet hat, eine Rechtsverletzung des Klägers scheide aus, weil der betroffene Dachüberstand zu keiner spürbaren Reduzierung der Belichtung, Besonnung und Belüftung des klägerischen Grundstücks führe, wäre auch dies mit Blick auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO irrelevant gewesen. Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, es bestehe ein Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauordnungsrechtliches Eingreifen, weil Art. 6 BayBO ihm gegenüber verletzt sei, kann mit der Einwendung, der Flachdachüberstand führe zu keiner spürbaren Reduzierung der Belichtung, Besonnung und Belüftung des klägerischen Grundstücks, nicht ernstlich zweifelhaft sein. Ein Nachbar, dessen Grundstück unmittelbar an das Baugrundstück angrenzt, kann sich erfolgreich gegen eine Unterschreitung der bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsfläche zu seinem Grundstück berufen, wenn (wie hier) keine diesbezügliche Abweichung zugelassen wurde (vgl. Art. 63 BayBO). Eine spürbare tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn ist bei der Geltendmachung einer Verletzung des generell nachbarschützenden Art. 6 BayBO nicht erforderlich (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 13.1.1993 – 1 CS 92.3651 – juris Rn. 12; U.v. 8.6.2010 – 9 B 08.3162 – juris Rn. 20; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 111; Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2019, Art. 6 Rn. 606, 607, 616).
cc) Die Zulassung der Berufung hätte ferner nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfolgen können. Auch diesen Berufungszulassungsgrund hatte die Beigeladene nicht in einer den Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat, wobei zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage nicht nur auszuformulieren, sondern zudem auch substantiiert auszuführen ist, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 30 m.w.N.; B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 – juris Rn. 19). Diesen Anforderungen wird die Antragsbegründung mit den vorher zusammenfassend dargestellten Erwägungen nicht gerecht. In der Sache hat sich die Beigeladene mit ihren Ausführungen auf Seiten 3 bis 5 der Antragsbegründung vom 20. Dezember 2019 ausschließlich gegen die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende gerichtliche Subsumtion bzw. Sachverhaltswürdigung gewandt, ohne damit jedoch eine – zumal eine über den Einzelfall hinausgehende – Klärungsbedürftigkeit einer entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachenfrage darzulegen. Die Beigeladene hat schon nicht im o.g. Sinn herausgearbeitet, welche konkrete Frage im vorgenannten Sinn grundsätzliche Bedeutung haben soll. Zudem hängt die aus Sicht des Verwaltungsgerichts hier entscheidungstragende Frage (s.o.), ob und unter welchen Voraussetzungen eine Dachfortführung noch als untergeordnetes Bauteil angesehen werden kann (oder nicht) und deshalb der abstandsrechtlichen Privilegierung des Art. 6 Abs. 8 Nr. 1 BayBO unterfällt (oder nicht), typischerweise von den jeweils konkreten Umständen des Einzelfalls ab, sodass diese Frage von vornherein über den jeweiligen Einzelfall hinaus nicht bedeutsam sein kann (vgl. auch BayVGH, B.v. 23.7.2012 – 2 ZB 12.1209 – juris Rn. 19; B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 – juris Rn. 22).
dd) Soweit die Beigeladene auf Seite 5 der Antragsbegründung behauptet, dass die erstinstanzliche Entscheidung „in Widerspruch mit obergerichtlichen Urteilen“ stehe und deshalb gem. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO „auch die Divergenzrüge vorliegend angezeigt“ erscheine, fehlt es auch diesbezüglich an der Erfüllung der Darlegungsobliegenheiten dieses Berufungszulassungsgrunds. Eine Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 15 m.w.N.). Die Darlegung der Divergenz erfordert zunächst die genaue Benennung des Gerichts und die zweifelsfreie Angabe seiner Divergenzentscheidung. Darzulegen ist sodann, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Diese Anforderungen erfüllen der Zulassungsantrag und seine Begründung nicht. In der Antragsbegründung wird schon keine Entscheidung, von der das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll, konkret zitiert.
c) Da mithin der Antrag auf Zulassung der Berufung voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte, entspricht es unter Berücksichtigung von § 154 Abs. 2 VwGO billigem Ermessen, der rechtsmittelführenden Beigeladenen die Kosten des Zulassungsverfahrens aufzuerlegen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG und entspricht in der Höhe der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben worden sind. Die Bedeutung der Sache für einen Kläger bei einem geltend gemachten Nachbaranspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist ähnlich zu bewerten wie bei der nachbarlichen Anfechtung einer Baugenehmigung (BayVGH, B.v. 11.4.2018 – 15 C 18.750 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 48; vgl. insofern Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1; § 158 Abs. 2 VwGO).


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