Baurecht

Baueinstellung hinsichtlich des Neubaus einer Fertiggarage

Aktenzeichen  1 CS 20.1204

Datum:
21.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20500
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 2, Abs. 9, Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, lit. b, Art. 75 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Voraussetzung einer Baueinstellung sind objektiv konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht materiell oder auch formell widersprechender Zustand (hier durch die Errichtung einer Fertiggarage unter Verletzung der erforderlichen Abstandsflächen) geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer Baueinstellung steht nicht entgegen, dass dem Bauherrn dadurch wirtschaftliche Nachteile zu verbuchen hat. Es ist dem Bauherrn zuzumuten, mit der Fortsetzung der Bauarbeiten zuzuwarten, bis die baurechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 S 19.6133 2020-04-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Baueinstellung.
Er ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung O* …, das mit einem Wohnhaus und im nord-westlichen Bereich mit einem Garagengebäude bebaut ist. Zu dem Bauantrag des Antragstellers vom 26. April 2019 für den Neubau einer Fertiggarage in der nord-östlichen Grundstücksecke verweigerte die Gemeinde mit Beschluss vom 29. Mai 2019 das Einvernehmen. Nach Eingang des Bauantrags beim Landratsamt wurde festgestellt, dass bereits eine Fundamentierung für die Bodenplatte erfolgt war. Mit Bescheid vom 23. Juli 2019 stellte das Landratsamt unter Androhung eines Zwangsgeldes von 5.000 € die Bauarbeiten ein und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller trug vor, dass er sich vorbehalte, eine kleinere – genehmigungsfreie – Fertiggarage zu errichten. Nach Vorlage der gerichtlich erbetenen vollständig ausgefüllten Abstandsflächenübernahme des östlichen Nachbarn (FlNr. …*) wies das Landratsamt darauf hin, dass eine Überdeckung der Abstandsflächenübernahme mit der bestehenden Abstandsfläche des Gebäudes auf FlNr. … vorliege und diese daher nicht anerkannt werden könne. Der Antragsteller führte in einem persönlichen Schreiben aus, dass seiner Ansicht nach keine Abstandsflächenproblematik vorliege.
Er erhob gegen den Bescheid vom 23. Juli 2019 Klage und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Das Verwaltungsgericht lehnte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab, da die Baueinstellungsverfügung gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO aller Voraussicht nach rechtmäßig sei. Die Bauarbeiten seien, auch wenn die Fundamente schon vor längerer Zeit erstellt worden seien, noch nicht abgeschlossen. Unter Zugrundelegung der eingereichten Planunterlagen und des Vortrags des Antragstellers sei – auch bei Zugrundelegung einer etwaigen Höhenreduzierung der Fertiggarage – von einer Genehmigungspflichtigkeit des Vorhabens auszugehen.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 Nr. 1 BayBO nicht erfüllt seien. Er habe im Februar 2019 mit einer Sachbearbeiterin der Bauabteilung im Landratsamt ein Gespräch geführt und abgeklärt, dass – auch hinsichtlich der Abstandsflächenfrage – keine Einwendungen bezüglich des Vorhabens bestünden. Auch würden die Abstandsflächen eingehalten. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, wonach keine Anhaltspunkte für eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vorlägen, sei völlig überraschend ohne gerichtlichen Hinweis erfolgt. Jedenfalls habe das Verwaltungsgericht sich nicht damit befasst, ob ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO bestehe. Die Ermessensausübung sei fehlerhaft.
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage des Antragstellers gegen die Baueinstellung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der angefochtenen Baueinstellungsverfügung nachrangig ist.
Bauarbeiten sind dann unzulässig, wenn sie entgegen öffentlich-rechtlicher Vorschriften durchgeführt werden (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Voraussetzung einer Baueinstellung sind objektiv konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht materiell oder auch formell widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2020 – 1 CS 20.396 – juris Rn. 2; B.v. 24.8.2018 – 1 CS 18.308 – juris Rn. 9 m.w.N.; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Januar 2020, Art. 75 Rn. 48). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat, ohne das Ergebnis des Bauantragsverfahrens abzuwarten, mit dem Bau der beantragten Fertiggarage begonnen. Die Behörde konnte nach dem vorliegenden Bauantrag für eine Fertiggarage davon ausgehen, dass diese auf den Fundamenten errichtet werden sollte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt es daher nicht darauf an, ob die Fundamente bereits im Herbst 2018 fertig gestellt worden seien bzw. dass zum Zeitpunkt der Errichtung der Fundamente noch nicht festgestanden habe, ob eine genehmigungsfreie oder eine genehmigungspflichtige Fertiggarage aufgestellt werden sollte. Auch kann nicht die Rede davon sein, dass die Baueinstellung nur provisorische und nicht genehmigungspflichtige Arbeiten, nämlich die Verlegung eines Elektrokabels, umfassen soll.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich angesichts des Bauantrags des Antragstellers bei der beantragten Errichtung einer Fertiggarage um ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben handelt. Die Genehmigungspflicht ist nicht deswegen entfallen, weil nach den vorliegenden Plänen die Abstandsflächen auf der nord-westlichen Grundstücksfläche eingehalten werden. Soweit das Garagengebäude danach in einem Abstand von 1,30 m zur Grundstückgrenze errichtet werden soll, kann sich die übrige Abstandsfläche auf öffentlichen Gemeindegrund erstrecken (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO). Das Garagengebäude ist jedoch nicht offensichtlich genehmigungsfähig, weil es zum östlich benachbarten Grundstück FlNr. … die in den vorgelegten Plänen eingezeichneten Abstandsflächen nicht einhält. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Abstandsflächenübernahme des Eigentümers des östlich benachbarten Grundstücks nach den vorliegenden Unterlagen aufgrund einer Überschneidung mit den Abstandsflächen nicht beachtlich ist. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit des Garagengebäudes ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Zwar trägt der Antragsteller insoweit vor, dass die Fertiggarage aufgrund der unterhalb des Planniveaus befindlichen Fundamente die geforderte mittlere Wandhöhe von 3 m, gemessen von der natürlichen Geländeoberfläche, einhalte. Die vorliegenden und für das Beschwerdeverfahren maßgeblichen ergänzten Pläne des Antragstellers sowie dessen Angaben im Verfahren zeigen aber unterschiedliche Maße für das Fundament auf, weshalb auch die natürliche Geländeoberfläche nicht eindeutig bestimmbar ist. Eine etwaige Umplanung des Vorhabens mit der Folge, dass die mittlere Wandhöhe der Garage zweifelsfrei auf bis zu 3 m begrenzt wird, kann im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden. Soweit der Antragsteller weiter ausführt, die Genehmigungsfähigkeit des beantragten Garagenbaus könne durch die Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 BayBO erreicht werden, liegt die hierfür erforderliche atypische Fallgestaltung nicht vor (vgl. BayVGH, U.v. 9.11.2017 – 2 B 17.1742 – juris Rn. 21 m.w.N. zu den Anforderungen an eine atypische Fallgestaltung). Denn der Umstand, dass die Garage sinnvollerweise nicht anders als an die östliche Grundstücksgrenze errichtet werden kann, geht nicht auf objektiv grundstücksbedingte Gegebenheiten zurück, sondern darauf, dass an der nord-westlichen Grundstücksgrenze bereits ein größeres Garagengebäude zugelassen wurde. Eine weitere Optimierung dieser bereits großzügigen Garage rechtfertigt keine Verkürzung der Abstandsflächentiefe (vgl. BayVGH, U.v. 9.11.2017 a.a.O.). Unabhängig von der Abstandsflächenproblematik ergibt sich jedoch bereits aus der im Baugenehmigungsverfahren offen gebliebenen Frage, ob bzw. welchen Abstand das beabsichtigte Vorhaben zu dem verrohrten Mühlaugraben einhalten muss, dass das beantrage Vorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist.
Soweit sich der Antragsteller erstmals im Beschwerdeverfahren auf den Schutz des Vertrauens in Auskünfte einer Mitarbeiterin des Bauamts beruft, kommt es hierauf für die Rechtmäßigkeit der Baueinstellungsverfügung bereits nicht an. Die Fortführung von Bauarbeiten kann allein wegen formeller Baurechtswidrigkeit verhindert werden (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2017 – 1 ZB 16.2186 – juris Rn. 2; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn. 8 m.w.N.). Den Behördenakten lässt sich jedenfalls kein Hinweis auf das behauptete Gespräch entnehmen. Hinzukommt, dass die Fundamente zum Zeitpunkt des angeblichen Gesprächs im Februar 2019 bereits fertiggestellt waren. Ermessensfehlerhaft ist auch nicht, dass die Baueinstellung ohne vorherige Anhörung nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG erfolgte. Darauf kann in der Regel verzichtet werden, der Antragsteller hatte zudem im Klageverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Besondere Gründe, um eine andere Entscheidung als die Baueinstellung zu rechtfertigen, liegen nicht vor (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – BVerwGE 105, 55; BayVGH, B.v. 2.8.2000 – 1 ZB 97.2669 – juris Rn. 5 zum sogenannten intendierten Ermessen bei der Einstellung von Bauarbeiten).
Der Baueinstellung steht ferner nicht entgegen, dass der Antragsteller dadurch wirtschaftliche Nachteile zu verbuchen hat. Es ist dem Bauherrn zuzumuten, mit der Fortsetzung der Bauarbeiten zuzuwarten, bis die baurechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2000 – 2 ZS 00.371 – juris Rn. 6). Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht den gerichtlichen Hinweis zur Abstandsflächenübernahme auf die (weitere) Abstandproblematik erstrecken musste, kommt es vorliegend nicht an, da der Antragsteller im Beschwerdeverfahren seine Einwände vorbringen konnte (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2006 – 1 CS 06.2014 – NVwZ-RR 2007, 371). Im Übrigen gibt zwar Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten des Verfahrens das Recht, sich zu dem für die jeweilige gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist allerdings zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage – wie hier – umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, B.v. 15.4.2005 – 1 BvR 952/04 – juris 2 m.w.N; BVerwG, B.v. 24.7.2008 – 6 PB 18.08 – DÖV 2008, 1005).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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