Baurecht

Bescheid, Vorhaben, Bauvorbescheid, Gebietserhaltungsanspruch, Gerichtsbescheid, Dorfgebiet, Vorbescheid, Neubau, Nachbarschutz, Bauvorhaben, Gemarkung, Auflagen, Nutzung, Baugebiet, Art der baulichen Nutzung, baulichen Nutzung, Kosten des Verfahrens

Aktenzeichen  RN 6 K 21.1791

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45981
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ein Einverständnis der Parteien ist nicht erforderlich.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Durch den Bescheid vom 3. August 2021 liegt keine Rechtsverletzung der Klägerin vor, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach Art. 71 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ist vor Einreichung des Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen, der wegen seiner Bindungswirkung für die getroffenen Feststellungen Wirkungen wie ein vorweggenommener Teil einer Baugenehmigung hat. Gemäß Art. 71 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO i.V.m. Art. 59 f. BayBO ist ein Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die geprüft wurden. Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung des Vorbescheids grundsätzlich nicht zu. Er kann einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94 – juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris). Es ist daher unerheblich, ob der Vorbescheid einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält.
Der angefochtene Vorbescheid verletzt keine nachbarschützenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften innerhalb des Prüfumfangs.
1. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des zur Prüfung gestellten Bauplanungsrechts ist nicht gegeben.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 1, 2 Nr. 3 und 5 Baunutzungsverordnung (BauNVO), da das Grundstück des Beigeladenen in einem faktischen Dorfgebiet im südwestlichen Randbereich der Stadt Straubing und nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegt. Der Einordnung als Dorfgebiet, welche auch der Darstellung im Flächennutzungsplan entspräche, ist die Klägerseite nicht entgegengetreten. Für das Gericht sind zudem keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass hinsichtlich der näheren Umgebung eine abweichende bauplanungsrechtliche Einordnung veranlasst wäre. So sind entsprechend verfügbarer Luftbildaufnahmen im maßgeblichen Bereich zahlreiche landwirtschaftliche Hofstellen erkennbar. Nicht erheblich ist in diesem Zusammenhang, ob vereinzelte Betriebe ihre landwirtschaftliche Betätigung mittlerweile eingestellt haben. Dass sämtliche Betriebe dauerhaft die Landwirtschaft eingestellt hätten und somit eine andere bauplanungsrechtliche Umgebung anzunehmen wäre, hat auch die Klägerseite nicht behauptet, obwohl aufgrund der ersichtlichen Annahme diesen Umstandes durch die Beklagte in Ziff. 2 der Nebenbestimmungen des Bescheids ansonsten hierzu Anlass bestanden hätte.
a) Die Klägerin ist nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
Eigentümer von Grundstücken, die in einem (faktischen) Baugebiet liegen, haben unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen das Recht, sich gegen Vorhaben zur Wehr zu setzen, die in dem Gebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässig sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – juris m.w.N.). Ein – von der Klägerin auch schon nicht geltend gemachter – Gebietserhaltungsanspruch ist nicht verletzt. Das Vorhaben ist der Art nach als Wohngebäude und als Gaststätte in dem faktischen Dorfgebiet allgemein zulässig, § 5 Abs. 1, 2 Nr. 3 und 5 BauNVO, sodass die Klägerin nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt ist.
b) Die Errichtung des Bauvorhabens verstößt nicht gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot, das in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB Anwendung über § 15 Abs. 1 BauNVO findet bzw. im Anwendungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans unmittelbar in § 15 Abs. 1 BauNVO verankert ist, wodurch Anlagen für unzulässig erklärt werden, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris; BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die der Klägerin aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihr als Nachbarin billigerweise noch zumutbar ist. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich, da insbesondere der Betrieb der Schank- und Speisewirtschaft in der genehmigten Form gegenüber der Klägerin nicht rücksichtslos ist.
Die Klägerin wird durch das geplante Vorhaben nicht unzumutbaren Lärm- oder Geruchsimmissionen ausgesetzt.
Bezüglich der Grenze dessen, was ihr an Geräuschbelastungen rechtlich zuzumuten ist, orientiert sich die Rechtsprechung regelmäßig an den Regelungen der gemäß § 48 BImSchG erlassenen TA Lärm in deren derzeitiger Fassung vom 26.8.1998 (GMBl. 1998, 503), zuletzt geändert durch die Verwaltungsvorschrift vom 1.6.2017 (BAnz AT 08.6.2017 B5). Soweit man keine Funktion der TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift annehmen möchte, kann sie im Rahmen einer Einzelfallbewertung als antizipiertes Sachverständigengutachten herangezogen werden (BayVGH, U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – GewA 2016, 204, Rn. 58-60).
Von der Einhaltung eines (Gesamt-)Immissionsrichtwertes in Dorfgebieten von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) nach Ziff. 6.1 Buchst. d) der TA Lärm an den Fenstern der Klägerin als maßgeblichem Immissionsort gem. A.1.3 des Anhangs zur TA Lärm, nämlich 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raums nach DIN 4109, ist auszugehen. Nicht zu beanstanden ist vorliegend, dass eine detaillierte Immissionsprognoseberechnung nicht erfolgt ist. Bereits aufgrund des geringen Umfangs der Gaststätte mit einem Gastraum von lediglich 70 m² und nur etwa 35 Gastplätzen ist bei ordnungsgemäßem Betrieb der Gaststätte bei Einhaltung der Auflagen nicht damit zu rechnen, dass die aufgrund nicht bekannter Vorbelastungen nach Ziff. 3.2.1 der TA Lärm reduzierten Immissionsrichtwerte von 54 dB(A) tags und 39 dB(A) nachts überschritten werden. Eine Unterschreitung der Immissionsrichtwerte zur Nachtzeit ist bereits dadurch sichergestellt, dass entsprechend der zum Gegenstand des Bauvorbescheids gemachten gewerblichen Baubeschreibung ein Betrieb lediglich zur Tagzeit vorgesehen ist. Auch ansonsten wurden umfangreiche und hinsichtlich Gaststättenbetrieben übliche Nebenbestimmungen zum Schutz der Nachbarschaft vor Lärm und Gerüchen aufgenommen, welche bei deren Einhaltung und in Anbetracht des geringen gewerblichen Umfangs die Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens ausschließen. Von der Klägerseite wurde auch schon nicht substantiell behauptet, dass das Vorhaben rücksichtslos sei und unzumutbare Immissionen erwartet würden.
Sofern es dennoch zu sozialen Äußerungen durch Gaststättenbesucher kommen sollte, betrifft dies nicht die Einhaltbarkeit der Auflagen und grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens. Im Bedarfsfall wäre dem Problem durch den Betreiber der Gaststätte bzw. durch das Ordnungsrecht entgegenzutreten.
Eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens ergibt sich auch nicht durch eine erdrückende oder einmauernde Wirkung der gegenständlichen Baukörper. Diese wurde zudem weder geltend gemacht noch ist eine solche für das Gericht sonst ersichtlich, sodass auch diesbezüglich eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ausscheidet, da dies nur bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht käme (BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris; BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalbgeschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange Siloanlage bei einem 7 m breitem Nachbargrundstück). Ausgehend von diesen Maßstäben kann vorliegend weder von einem „übergroßen“ Baukörper noch von einem zu geringen Abstand zum Wohngebäude der Klägerin gesprochen werden.
Bereits die hier unproblematisch gegebene Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften führt dazu, dass gerade nicht von der Unzumutbarkeit für die Klägerin auszugehen ist.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen, dürfen bis zu deren Mitte aber auch auf öffentlichen Verkehrsflächen liegen, Art. 6 Abs. 2 BayBO. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO nach der Wandhöhe und wird senkrecht zur Wand gemessen. Die Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut. Die Höhe von Dächern mit einer Neigung von bis einschließlich 70 Grad wird zu einem Drittel der Wandhöhe, von Dächern mit einer Neigung von mehr als 70 Grad voll zur Wandhöhe hinzugerechnet, Art. 6 Abs. 4 Sätze 2 und 3 BayBO. Das sich ergebende Maß ist H, Art. 6 Abs. 4 Satz 5 BayBO. Die Tiefe der einzuhaltenden Abstandsfläche beträgt 0,4 H, aber mindestens 3 m, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO.
Die beiden Hauptgebäude sollen mit einer Dachneigung von 40° verwirklicht werden, sodass die Höhe des Daches zu den Wandhöhen von 5,85 m bzw. 6,88 m (= H) nur zu einem Drittel hinzuzurechnen ist. Eine Abstandsflächentiefe von 0,4 H betrüge im Ergebnis demnach 3 m bzw. 3,34 m, sodass die gesetzlichen Abstandsflächen gegenüber dem klägerischen Grundstück durch die zulässige, bis zu hälftige Inanspruchnahme der öffentlichen Verkehrsfläche deutlich eingehalten sind.
2. Die Feststellungen der Beklagten, dass sich das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche einfügt, verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten.
Der Nachbarschutz in faktischen Baugebieten nach § 34 Abs. 2 BauGB richtet sich grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie in den festgesetzten Baugebieten (EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 34, Rn. 143).
Eine Überschreitung des Maßes der in der Umgebung anzutreffenden baulichen Nutzung begründet unabhängig davon, ob sie hier tatsächlich vorliegt, für sich genommen im Rahmen einer baurechtlichen Nachbarklage keinen Rechtsanspruch auf Aufhebung eines Vorbescheids. Grundstückseigentümer haben keinen Anspruch darauf, dass die Nachbargrundstücke im Wesentlichen genauso bebaut und genutzt werden wie das eigene Grundstück. Für die Verletzung von nachbarlichen Rechten bedingt durch das Maß der genehmigten baulichen Nutzung kommt es vorliegend allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens geforderte Rücksichtnahme einhält. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist hier aber gerade nicht anzunehmen (vgl. Ziff. 1).
Weitere Anhaltspunkte dafür, dass der streitgegenständliche Bauvorbescheid in bauplanungs- oder – hier nicht Gegenstand der gestellten Vorbescheidsanfragen – bauordnungsrechtlicher Hinsicht drittschützende Normen verletzt, sind nicht ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenenseite sind der Klägerin nicht aufzuerlegen, weil beigeladenenseits kein eigener Antrag gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt wurde (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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