Baurecht

Beschwerde, Rechtsschutzbedürfnis, Offene Erfolgsaussichten, Interessenabwägung

Aktenzeichen  15 CS 21.2546

Datum:
24.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36711
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5, 146 Abs. 4 S. 4
BauGB § 212a

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 6 S 21.1580 2021-09-17 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses im südöstlichen Bereich des Grundstücks FlNr. … Gemarkung D* … (Baugrundstück), das im nordöstlichen Bereich an der M* …gasse schon mit einem Gebäudekomplex bebaut ist. Die Beigeladene ist eine städtische Baugesellschaft.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung D* …, das südlich auf einer Länge von ca. 12 m und westlich auf einer Länge von ca. 9 m an das Baugrundstück angrenzt, von der P* …gasse aus erschlossen wird und in seiner südlichen Hälfte mit einem Wohn- und Geschäftshaus (P* …gasse **) bebaut ist. Auf der nördlichen Hälfte des Grundstücks befand sich früher an der westlichen Grundstücksgrenze zu FlNr. … grenzständiges Nebengebäude, das bis an die nördliche Grundstücksgrenze zu FlNr. … heranreichte. Dieser Anbau wurde schon vor längerer Zeit abgerissen und die nördliche Grundstücksfläche der FlNr. … wird nunmehr als Garten genutzt, während das auf FlNr. … an der Grundstücksgrenze zu FlNr. … vorhandene Nebengebäude weiterhin besteht.
Das Baugrundstück und das Grundstück der Antragstellerin liegen im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. … „Wohnen am … …“ der Antragsgegnerin vom 26. Oktober 2000, dessen Vorhabenträger die Beigeladene ist. Mit diesem Bebauungsplan wurde für den Bereich zwischen M* …gasse und P* …gasse teilweise ein Mischgebiet und ein Besonderes Wohngebiet festgesetzt. Die Bebauung auf dem Baugrundstück wurde mit einer vorderen Baulinie zur M* …gasse hin, verschiedenen rückwärtigen Baugrenzen, die die von Bebauung freizuhaltenden Grundstücksflächen umschließen, und der Festsetzung einer geschlossenen Bauweise nach § 22 Abs. 3 BauNVO (Nr. 6 der textlichen Festsetzungen) geordnet. Die geplante Bebauung (geregelt unter „Planliche Festsetzungen – Sonstige Planzeichen“) ist dabei rot hinterlegt. Dadurch ergibt sich ein dreigeschossiger Bauriegel (mit Pultdach, Wandhöhe 8,75 m, Firsthöhe 9,4 m) auf dem nordwestlichen Grundstücksteil des Grundstücks der Antragstellerin, der an den bestehenden Anbau auf FlNr. … und südlich auf einer Länge von ca. 5 m an eine ebenfalls dreigeschossige geplante Bebauung auf dem Baugrundstück angrenzt. Unter Nr. 3.1 „Abweichende Abstandsflächen“ ist geregelt, dass zu bestehenden grenzständigen Nachbargebäuden ein ausreichender Brandschutz und eine ausreichende Belichtung und Lüftung gewährleistet sein müssen. Im Übrigen wird unter Nr. 3.3 abweichend von Art. 6 BayBO eine Mindesttiefe von 0,5 H festgesetzt.
Der Durchführungsvertrag betrifft das Vorhaben zur Errichtung von ca. 31 Wohnungen, ca. 60 Tiefgaragenstellplätzen und ca. 4 gewerblichen Einheiten auf FlNr. … und verpflichtete die Beigeladene zu deren Errichtung spätestens bis 24 Monate nach Inkrafttreten des Bebauungsplans. Die Beigeladene errichtete das Vorhaben im Jahr 2001 im Rahmen des Freistellungsverfahrens nur teilweise (Tiefgarage und Bebauung M* …gasse … und **).
Mit Bescheid vom 6. Juli 2021 genehmigte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die Errichtung eines zweiten Gebäudeteils im rückwärtigen Teil des Baugrundstücks, das, entsprechend der im Bebauungsplan rot hinterlegten Fläche, auf einer Länge von ca. 5 m mit einer fast 9 m hohen Außenwand an das Grundstück der Antragstellerin angrenzt.
Die Antragstellerin hat Klage gegen den Bescheid vom 6. Juli 2021 erhoben, über die das Verwaltungsgericht Regensburg nach Aktenlage noch nicht entschieden hat (Az. RN 6 K 21.1434). Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. September 2021 abgelehnt. Nach summarischer Prüfung werde die Klage nicht erfolgreich sein, da keine subjektiven Rechte der Antragstellerin verletzt seien. Es könne dabei offenbleiben, ob der vorhabenbezogene Bebauungsplan wirksam sei. Im Falle seiner Wirksamkeit werde im maßgeblichen Bereich der nördlichen Grundstücksgrenze der Antragstellerin eine überbaubare Grundstücksfläche festgesetzt. Dass die Baugrenze die Grünfläche umschließe und nicht die geplante Bebauung, stelle ersichtlich eine irrtümliche Darstellung dar. Es bestünden aber Bedenken gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans, da der Bebauungsplan das Vorhabengrundstück nicht hinreichend bezeichne und zahlreiche andere Grundstücke einbeziehe. Es sei damit nicht klar, auf welchen Bereich sich der Durchführungsvertrag überhaupt beziehe und ob die Einbeziehung der anderen Flächen für eine geordnete städtebauliche Entwicklung erforderlich gewesen sei. Darüber hinaus sei schon ein sehr langer Zeitraum verstrichen und es sei nicht klar, ob der Durchführungsvertrag nach Ablauf der festgesetzten Durchführungsfrist des Vorhabens noch Wirkung entfalten könne. Diese Fragen seien im Hauptsacheverfahren zu klären. Aber auch bei etwaiger Unwirksamkeit des Bebauungsplans verletze die Baugenehmigung keine die Antragstellerin schützenden Rechte und das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Es liege hinsichtlich der grenzständigen Situierung kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Nach den planungsrechtlichen Vorschriften dürfe an die seitlichen Grundstücksgrenzen gebaut werden, wenn die maßgebliche Umgebung sowohl von offener als auch von halboffener oder geschlossener Bauweise geprägt sei, selbst wenn die tatsächlich vorhandene Bebauung regellos erscheine. Es sei daher unproblematisch, dass das Gebäude an der östlichen Grundstücksgrenze (grenzständig zu FlNr. **) errichtet werde. Für die rückwärtige Grundstücksgrenze sei damit jedoch keine Aussage getroffen. Es komme diesbezüglich auf die Frage an, ob sich das Vorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche einfüge, wobei die Grenzen des Baugrundstücks keine Rolle spielten. Hier füge sich das Gebäude in die vorhandene rückwärtige Bebauung ein, denn die westlich an das Grundstück der Antragstellerin angrenzende FlNr. … sei mit einem knapp 33 m langen grenzständigen Gebäude bis zur rückwärtigen Grundstücksgrenze bebaut und auch das der Antragstellerin östlich benachbarte Grundstück sei auf einer Länge von ca. 24 m bis zur rückwärtigen Grundstücksgrenze bebaut. Das dem Baugrundstück benachbarte Grundstück FlNr. … sei entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans grenzständig bebaut, so dass ein Innenhof entstanden sei. Der Antragstellerin sei es auch möglich, an das grenzständige Gebäude anzubauen. Die Breite des grenzständigen Anbaus sei, wie nach den vorgelegten Unterlagen vom verstorbenen Ehegatten der Antragstellerin gewünscht, durch die Breite des bestehenden nördlichen Anbaus an das Gebäude der Antragstellerin vorgegeben. Auch an anderen Stellen seien Freiflächen lediglich im Sinne einer Hofbebauung vorhanden. Unter Berücksichtigung der Hofbebauung könne davon ausgegangen werden, dass sich die genehmigte Bebauung auch unter dem Gesichtspunkt einer abweichenden Bauweise nach § 22 Abs. 4 BauNVO, die durch die Innenhöfe geprägt sei, einfüge. Die Bebauungstiefe betrage von der M* …gasse maximal 30 m. In der näheren Umgebung seien aber weitere Gebäude vorhanden, die dem vergleichbar seien. Es gebe weder eine faktische rückwärtige Baugrenze noch eine faktische Bebauungstiefe, der das Vorhaben widersprechen könnte. Das genehmigte Gebäude habe auch keine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Antragstellerin, da es nicht höher als deren vorhandenes Gebäude sei und nur einen Teil der rückwärtigen Grundstücksgrenze berühre. Es verbleibe der Antragstellerin ausreichende Freifläche auf ihrem Grundstück. Durch das nördlich gelegene Gebäude sei keine Veränderung der Belichtungssituation und keine unzumutbare Verschattung des Grundstücks zu befürchten. Es bestehe auch kein Planungsbedürfnis, da sich aus der Verdichtung der Bebauung im Blockinnenbereich keine Spannungen ergeben würden, die nur im Rahmen einer Bauleitplanung gelöst werden könnten. Aus den vorgenannten Gründen verstoße das Vorhaben auch nicht gegen die Abstandsflächenvorschriften, da nach Planungsrecht an die Grenze gebaut werden dürfe. Selbst bei offenen Erfolgsaussichten falle im vorliegenden Einzelfall die Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Lasten der Antragstellerin aus. Hierfür spreche neben der gesetzgeberischen Wertung aus § 212a Abs. 1 BauGB die Überlegung, dass die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung klar und nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht habe, dass die bei abweichender Betrachtung der Rechtslage ggf. erforderliche Abweichung im Hinblick auf die Grenzbebauung unter Würdigung nachbarlicher Interessen und der hier vorliegenden Einzelfallgestaltung mit bereits rechtmäßig erfolgter Errichtung des Kellergeschosses und der Tiefgarage und der Lage im verdichteten innerstädtischen Bereich sowie keiner unzumutbaren Betroffenheit der Antragstellerin, auch erteilt werden könne und ein Baustopp zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen auf Seiten der Bauherrin führen würden.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Die Antragstellerin macht geltend, es liege ein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften vor. Unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans müssten Abstandsflächen gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin eingehalten werden. Im Bebauungsplan sei festgesetzt, dass zumindest 0,5 H einzuhalten sei. Die bloße Darstellung einer geplanten Bebauung in Form eines Bebauungsvorschlags setze dies nicht außer Kraft. Nehme man mit dem Verwaltungsgericht an, die zeichnerische Darstellung der geplanten Bebauung beinhalte eine planliche Festsetzung zu den überbaubaren Grundstückflächen, hätte dies die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge, da damit unauflösbare Widersprüche entstehen würden. Auch wenn der Bebauungsplan unwirksam sei, füge sich das Vorhaben nicht ein. Schon die Abgrenzung der Reichweite der näheren Umgebung begegne erheblichen Bedenken. Die Baustrukturen im Blockinneren unterschieden sich im östlichen und westlichen Bereich. Die Freifläche im westlichen Bereich umfasse ca. 2.700 m2, von der bislang lediglich etwa 120 m2 bebaut seien. Die Baustruktur werde daher durch die straßenseitige Blockrandbebauung entlang der M* …gasse und der P* …gasse mit einer großen, im Wesentlichen nicht überbauten Freifläche im Blockinnern, geprägt. Es fänden sich allenfalls kleine eingeschossige remisenartige Gebäude auf den rückwärtigen Grundstücksteilen. Zudem sei es für die Antragstellerin nicht möglich, von dem auf ihrem Grundstück bestehenden Gebäude mit verglastem Anbau bis an die Grundstücksgrenze anzubauen. Es sei auch nicht möglich, die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Grenzbebauung im unbeplanten Innenbereich aus einer auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht vorhandenen und von ihr auch nicht beabsichtigten Bebauung abzuleiten. Bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache sei dem Interesse der Antragstellerin der Vorzug zu geben, denn ansonsten würden entgegen den Schutzzwecken des Abstandsflächenrechts vollendete Tatsachen geschaffen, die nur schwer rückgängig zu machen seien. Die Beigeladene habe vor Bestandskraft der angefochtenen Genehmigung die wirtschaftlichen Dispositionen auf eigenes Risiko getroffen.
Die Antragsgegnerin macht demgegenüber geltend, die Beschwerde sei zu verwerfen, da ihr das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Rohbau einschließlich des Dachaufbaus seien bereits erstellt. Eine Baueinstellung hätte lediglich zur Folge, dass der Innenausbau nicht weiter betrieben werden könne. Dies hätte für die Beigeladene einen extrem hohen wirtschaftlichen Schaden zur Folge und bringe der Antragstellerin keinen wesentlichen Vorteil. Die von der Antragstellerin behauptete Beeinträchtigung ihres Gartengrundstücks sei nunmehr Bestand und werde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch bei einem obsiegenden Urteil aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zurückgebaut werden können. Die Beschwerde habe sich insofern erledigt, da bereits ein irreversibler Vollzug eingetreten sei. Selbst wenn das Rechtsschutzbedürfnis weiterhin zu bejahen sei, sei die Beschwerde unbegründet. Zutreffend habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass sich das Vorhaben unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans in die nähere Umgebung einfüge und Rechte der Antragstellerin nicht verletzt seien. Auch die Interessenabwägung sei nicht zu beanstanden, da es sich hier nicht um die Durchsetzung eines Bauvorhabens eines privaten Bauträgers zur Gewinnmaximierung, sondern um ein Bauvorhaben eines gemeinwohlorientierten kommunalen Wohnungsbauunternehmens zur Herstellung von sozial verträglichen Wohnungen und Gewerberäumen im Innenstadtbereich handele. Die moderate Grenzbebauung zum Grundstück der Antragstellerin habe keine unzumutbare Beeinträchtigung ihres Grundstücks zur Folge.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre.
1. Dabei kann offenbleiben, ob der Antragstellerin noch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht, da der Rohbau nach Angaben der Antragsgegnerin schon fertiggestellt ist, weil zur Aufklärung dieser Frage weitere Ermittlungen erforderlich wären. Zwar trifft es zu, dass nach Fertigstellung des Rohbaus das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig entfällt, wenn sich die Rechtsbehelfsführer nur gegen die Errichtung des Vorhabens aber nicht gegen seine Nutzung wenden (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2021 – 15 CS 21.1209 – juris Rn. 11). Hier ist allerdings weder mit aktuellen Lichtbildern noch mit Auskünften der Baufirmen oder des zuständigen Architekten glaubhaft gemacht, dass der Rohbau tatsächlich entsprechend fertiggestellt ist. Auch die Beigeladene hat sich innerhalb der gesetzten Frist zur Beschwerdeerwiderung nicht dazu erklärt. Es bedürfte daher weiterer Aufklärungsmaßnahmen, um den Baufortschritt festzustellen, die im Eilverfahren regelmäßig nicht veranlasst sind.
2. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, da eine von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängige Interessenabwägung zu Gunsten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ausfällt.
2.1 Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans Nr. … „Wohnen am … …“ der Antragsgegnerin bestehen, die nur im Hauptsacheverfahren abschließend aufgeklärt werden können. Auch ob das Vorhaben sich nach § 34 BauGB planungsrechtlich einfügt, da eine nur durch Innenhöfe unterbrochene durchgehende Bebauung von der M* …- bis zur P* …gasse besteht, die das Baugrundstück und das Grundstück der Antragstellerin prägt, kann nach Ansicht des Senats nur durch eine Inaugenscheinnahme geklärt werden. Die Antragsgegnerin trägt zwar mit Schriftsatz vom 26. August 2021 vor, im Geviert zwischen O* … …platz, M* …- und P* …gasse seien bereits einige rückwärtige Grenzbebauungen vorhanden, die für Wohn- und Gewerbezwecke genutzt würden. Demgegenüber trägt die Antragstellerin aber vor, die nähere Umgebung sei anders zu bestimmen, als vom Verwaltungsgericht vorgenommen und beschränke sich auf die straßenseitige Blockrandbebauung entlang der M* …gasse und der P* …gasse mit einer großen, im Wesentlichen nicht überbauten Freifläche im Blockinnern. Anhand der vorhandenen Licht- und Luftbilder stellt sich die Frage, ob die zum O* … …platz hin orientierten Grundstücke mit ihrer rückwärtigen Bebauung, die wohl auch Fenster nach Osten zur FlNr. … aufweist, tatsächlich noch die Situation auf dem östlichen Teil des sehr großen Baugrundstücks und dem Grundstück der Antragstellerin prägen, da dort vermehrt kleinteiligere Bebauung vorhanden ist, die sich an der M* …- und P* …gasse orientiert. Des Weiteren trägt die Antragstellerin vor, es finde sich nur eine eingeschossige remisenartige Bebauung auf den rückwärtigen Grundstücksbereichen. Dazu finden sich keine weiteren Aussagen in den Schriftsätzen und dem Bebauungsplan kann nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob sich die im schraffierten Bestand eingezeichneten Wand- und Firsthöhen auf den vorhandenen Bestand beziehen und/oder als Festsetzungen für zukünftige Baumaßnahmen zu verstehen sind.
2.2 Die vom Verwaltungsgericht unter Annahme von offenen Erfolgsaussichten vorgenommene Interessenabwägung (s. S. 21 des Beschlusses), bei der es sich um eine tragende Alternativbegründung handelt, konnte die Antragstellerin nicht erschüttern (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 19. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22b).
Unabhängig davon, ob die diesbezüglich eher pauschalen Ausführungen in der Beschwerdebegründung überhaupt dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügen, fällt auch eine Interessenabwägung des Senats zugunsten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen aus. Allerdings trifft die Auffassung der Antragsgegnerin nicht zu, dass durch die Errichtung des Gebäudes nunmehr vollendete Tatsachen geschaffen sind, sich die Sache damit erledigt hat und ein Rückbau aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ohnehin nicht mehr verfügt werden kann. Zwar haben nach § 212a Abs. 1 BauGB Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung, gleichwohl verbleibt das Risiko, ein trotz erhobener Nachbarklage errichtetes Gebäude wieder zurückbauen oder abreißen zu müssen, beim Bauherrn. § 212a BauGB soll nur die Möglichkeit zur Errichtung von Bauvorhaben beschleunigen (vgl. Kalb/Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Mai 2021, § 212a BauGB Rn. 16).
Bei der hier anzustellenden Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass das Vorhaben nach den unwidersprochenen Angaben der Antragsgegnerin schon im Rohbau fertig gestellt ist und durch den Innenausbau keine weitere Beeinträchtigung für die Antragstellerin entsteht. Zudem ist zu beachten, dass dem Vorhaben ein Bebauungsplan zugrunde liegt, der zwar möglicherweise an Fehlern leidet, die zu seiner Unwirksamkeit führen, die Antragstellerin und ihr verstorbener Ehegatte aber in die diesbezüglichen Planungen einbezogen waren und der Ehegatte der Antragstellerin gemäß einer Gesprächsnotiz vom 22. Juni 1998 gegen eine Grenzbebauung an seinem Grundstück nichts einzuwenden hatte. Zusammenfassend wurde damals festgehalten, dass keine Einwendungen gegen die Planungen bestünden und mit der Aufnahme eines Baurechts auf dem Grundstück der Antragstellerin die nachbarlichen Belange als berücksichtigt angesehen würden. Im Folgenden setzten sich die Antragstellerin und ihr Ehegatte auch weder gegen den Bebauungsplan noch gegen die Errichtung der grenzständigen Tiefgarage zur Wehr, die sogar im Zuge einer Nachbarvereinbarung mit Injektionsankern auf dem Grundstück der Antragstellerin verankert wurde. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass auf den rückwärtigen Grundstücksbereichen zwischen der M* …- und der P* …gasse eine eher ungeregelte Bebauung besteht, aber nach den Luftbildern insbesondere im östlich gelegenen Bereich eine von der M* …- bis zur P* …gasse durchgängige Bebauung unter Bildung von Innenhöfen zu finden ist. Es erscheint daher durchaus möglich, dass das Vorhaben der Beigeladenen sich auch bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans nach § 34 BauGB hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bebauungstiefe einfügt. Des Weiteren erscheint auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, ggf. könne in Anbetracht der eher ungewöhnlichen Grundstückssituation und der vorhandenen Bebauung auf den Nachbargrundstücken, der Situierung des Neubaus nur an einem Teil der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks der Antragstellerin und der schon im Einvernehmen mit dem Ehegatten der Antragstellerin errichteten Tiefgarage an der Grundstücksgrenze eine Ausnahme von den Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt werden, nachvollziehbar, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch die Antragstellerin noch ein weiteres Gebäude auf ihrem Grundstück errichten könnte. Dass sie nicht beabsichtigt, an der westlichen Grundstücksgrenze einen bis zur nördlichen Grundstücksgrenze reichenden Neubau zu errichten und derzeit ein Anbau am bestehenden Gebäude auf Grund eines Wintergartens nicht möglich erscheint, führt auch nicht dazu, dass ihr diese Möglichkeit, ggf. unter Rückbau des Wintergartens, grundsätzlich verwehrt wäre. Die Antragstellerin hat der Begründung des Verwaltungsgerichts mit ihrer Beschwerdebegründung auch nichts entgegengesetzt, sondern nur darauf verwiesen, dass die Beigeladene auf eigenes Risiko zu bauen begonnen habe. Demgegenüber ist aber die gesetzliche Wertung des § 212a BauGB zu berücksichtigten, dass Nachbarrechtsbehelfe gegen Baugenehmigungen von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung haben, sodass es weiterer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu treffen (vgl. Kalb/Külpmann a.a.O. § 212a BauGB Rn. 47). Alleine die Behauptung, der Bau schaffe „vollendete Tatsachen“, genügt dabei nicht (vgl. OVG MV, B.v. 4.4.2017 – 3 M 195/17 – juris Rn. 16). Die Antragstellerin hat aber nicht dargelegt, aus welchen Gründen selbst bei offenen Erfolgsaussichten ihrem Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Vorrang vor dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen gebührt.
3. Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang) und entspricht der Festsetzung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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