Baurecht

Bestimmtheit einer Baugenehmigung – Nachbarschutz

Aktenzeichen  1 CS 20.1595

Datum:
23.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24682
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG Art. 37 Abs. 1
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

1. Eine Rechtsverletzung des Nachbarn kommt in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht.  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anforderungen an Bauvorlagen vermitteln keine drittschützenden Abwehrrechte. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine fehlende Bestimmtheit ergibt sich nicht im Hinblick auf die abstandsflächenrechtliche Beurteilung, wenn eine Höhenangabe zwar fehlt, sie jedoch nach den Maßen der Baupläne unschwer errechnet und eine abstandsflächenrechtliche Relevanz ausgeschlossen werden kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 20.2657 2020-06-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) geben keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klage des Antragstellers gegen die den Beigeladenen erteilte Genehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird und das Vollzugsinteresse demnach das gegenläufige Interesse des Antragstellers überwiegt. Die den Beigeladenen erteilte Tekturgenehmigung vom 9. April 2020 verletzt den Antragsteller voraussichtlich nicht in seinen Rechten.
Die Tekturgenehmigung ist hinreichend bestimmt im Sinn des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Eine Rechtsverletzung des Nachbarn kommt dabei nur in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris Rn. 13). Eine Genehmigung ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn sich einem Nachbarn gegebenenfalls unter Heranziehung der Gründe des Bescheids und sonstiger dem Nachbarn bekannter oder für ihn ohne Weiteres erkennbarer Umstände Zweck, Sinn und Inhalt der Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erschließen, dass er feststellen kann, ob und in welchem Umfang er betroffen ist und er sein Verhalten entsprechend ausrichten kann. Insbesondere muss der Nachbar aus der Baugenehmigung in Verbindung mit den ihr zugrunde liegenden Unterlagen die Reichweite des genehmigten Vorhabens und deren Nutzung erkennen können (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2019 – 1 ZB 17.2407 – juris Rn. 5).
Nach diesen Maßstäben zeigt das Beschwerdevorbringen keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis der angegriffenen Genehmigung auf. Die der Genehmigung zugrunde gelegten Bauzeichnungen lassen eine Prüfung der nachbarschützenden Vorschriften – insbesondere der Abstandsflächen – zu. Das Beschwerdevorbringen, die Bauvorlage entspreche nicht den Vorgaben des Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. BauVorlV, vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, da die Anforderungen an die Bauvorlagen keine drittschützenden Abwehrrechte vermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4; B.v. 10.7.2006 – 1 CS 06.407 – juris). Dass die Planunterlagen nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in einzelnen Punkten widersprüchlich, aber auslegungsfähig bzw. nicht stringent sind, vermag die hinreichende Bestimmtheit der Genehmigung in Bezug auf die Überprüfbarkeit nachbarschützender Vorschriften nicht in Zweifel zu ziehen, da nach der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Betrachtung – trotz einzelner Mängel der Bauvorlage – eine Verletzung der Abstandsflächen zu Lasten des Antragstellers bei jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen werden konnte. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich anhand der Planunterlagen hinreichend klar eine Beurteilung der Einhaltung der Abstandsflächen vornehmen lässt. Aus den genehmigten Planunterlagen ergeben sich sämtliche zur Beurteilung der Abstandsflächen erforderlichen Angaben, insbesondere die Länge und Breite des Gebäudes, die Wandhöhen, die Firsthöhen, die Dachneigung sowie die wesentlichen Maße der Dachgauben, die Höhenlage des Geländes und die Abstände der Außenwände zu den Grundstücksgrenzen. Eine fehlende Bestimmtheit ergibt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht im Hinblick auf die abstandsflächenrechtliche Beurteilung der Dachgauben. Zwar fehlt bei der Dachgaube an der Nordostseite des geplanten Gebäudes die Angabe der Höhe. Jedoch ist die Ansichtsfläche und die Breite der Dachgaube im Plan vermaßt, so dass die fehlende Angabe zur Höhe unschwer errechnet und eine abstandsflächenrechtliche Relevanz der Dachgaube im Sinn von Art. 6 Abs. 8 Nr. 3 BayBO ausgeschlossen werden kann. Die so errechnete Höhe der Dachgaube von ca. 1,32 m deckt sich auch mit der zeichnerischen Darstellung im Plan. Soweit der Antragsteller aus dem Plan eine Höhe von 1,40 m entnimmt, legt er seiner Messung augenscheinlich einen unzutreffenden Fußpunkt zugrunde. Maßgeblich für die Bestimmung der Höhe ist die Unterkante der Dachgaube und der höchste Punkt der Ansichtsfläche (vgl. Schönfeld in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Stand Juni 2020, Art. 6 Rn. 219). Die Abmessungen der Dachgaube sind somit im Hinblick auf eine abstandsflächenrechtliche Beurteilung hinreichend bestimmbar. Es kann daher offenbleiben, ob die Dachgaube überhaupt gegenüber dem Grundstück des Antragstellers oder vollständig gegenüber dem nördlich zum Antragsteller angrenzenden Grundstück FlNr. … liegt. Das Beschwerdevorbringen, die Dachgaube auf der Südwestseite sei abstandsflächenpflichtig, ist bereits nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die Dachgaube an der Südwestseite ist im Plan vollständig vermaßt, die zeichnerische Darstellung entspricht unter Berücksichtigung der maßgeblichen Ober- und Unterkante der Gaube diesen Maßangaben.
Soweit der Antragsteller beanstandet, dass auch weitere abmessbare Daten aus dem Plan nicht mit den Zahlenangaben im Plan übereinstimmen würden, legt er bereits nicht dar, dass bzw. inwiefern dies auch für die Beurteilung der Abstandsflächen relevant ist. Das Verwaltungsgericht ist entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht davon ausgegangen, dass das bestehende Gelände auch das Gelände neu sein werde. Es hat hierzu lediglich ausgeführt, dass selbst wenn das natürliche Gelände tatsächlich höher sein sollte als im Bauplan angegeben, die Errichtung des Hauses nur auf der Grundlage des im Bauplan angegebenen Geländeniveaus zulässig und nicht ersichtlich sei, weshalb dies den Antragsteller belasten soll. Mit der Auflage in der Baugenehmigung, dass mit den Bauarbeiten erst begonnen werden darf, wenn die Einhaltung der festgelegten Grundflächen und Höhenlage nachgewiesen wird (Art. 68 Abs. 6 Satz 2 BayBO) ist sichergestellt, dass die Errichtung des Gebäudes entsprechend der Genehmigung erfolgt (vgl. den Absteckplan vom 23.6.2020).
Der Vortrag des Antragstellers, dass die Beigeladenen das 16 m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 BayBO aufgrund einer Überdeckung der Abstandsflächen zum westlichen Nachbargrundstück nicht in Anspruch nehmen können, vermag der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dass für das Vorhabengrundstück eine Abstandsflächenübernahme zugunsten des westlich gelegenen grenzständigen Wohngebäudes bestehe, ist eine bloße Behauptung, für die sich nach Aktenlage keine Anhaltspunkte ergeben. Der planende Architekt der Beigeladenen hatte zwar sowohl beim Bau- als auch beim Tekturantrag angegeben, dass eine Abstandsflächenübernahme zugunsten des Grundstücks FlNr. … vorhanden sei. Diese Angabe beruhte aber lediglich auf der Einschätzung des planenden Architekten der Beigeladenen aufgrund der Gebäude- und Grundstückssituation (vgl. Schreiben vom 28. Juli 2020), ohne dass ihm tatsächlich die Existenz einer Abstandsflächenübernahmeerklärung bekannt gewesen ist. Der Antragsgegner hat in der Beschwerdeerwiderung substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Genehmigung des Gebäudes auf dem westlichen Grundstück FlNr. … das Vorhabengrundstück noch Teil dieses Grundstücks war, erst mit Teilungsgenehmigung vom 16. April 1993 in die Grundstücke FlNr. … und FlNr. … aufgeteilt worden ist und somit im Zeitpunkt der Baugenehmigung kein Bedürfnis für eine Abstandsflächenübernahme bestanden hat. Eine Abstandsflächenübernahme ist dem Landratsamt auch nicht bekannt. Dies deckt sich mit den Angaben der Voreigentümer, die die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren vorgelegt haben. Damit kann offenbleiben, ob der Antragsteller überhaupt rügen kann, dass an der zweiten Seite, an der das 16 m-Privileg in Anspruch genommen wird, die erforderliche Abstandsflächentiefe nicht eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2006 – 1 CS 06.983 – juris).
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, weil die Ausführungen der Beigeladenen für das Beschwerdeverfahren förderlich waren.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nummern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).


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