Baurecht

Bindungswirkung eines Bauvorbescheids

Aktenzeichen  M 9 K 19.1245

Datum:
16.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30780
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1, Abs. 4, Art. 51 Abs. 1, Abs. 5
BauGB § 34 Abs. 1 S. 2, § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 7
BauNVO § 12, § 15 Abs. 1 S. 2
BGB § 242

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der gegen die Baugenehmigung gerichtete Rechtsbehelf ist so zu verstehen, dass er auch die Ersetzungsentscheidung mit einschließt, was vor dem Hintergrund von § 44a VwGO auch einzig sinnvoll ist (VGH BW, U.v. 21.2.2017 – 3 S 1748/14 – KommJur 2017, 151; Scheidler, ZfBR 2019, 543, 548). Inhaltlich ist die Sachentscheidung auf den Rechtsbehelf der Gemeinde hin unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten umfassend zu prüfen, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB ergibt (vgl. auch BVerwG, U.v. 3.8.2016 – 4 C 3/15 – NVwZ 2016, 1477). Für diese Prüfung ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Bescheids abzustellen. Später eingetretene Änderungen und die Frage, ob der Bauherr im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Baugenehmigung hat, müssen dagegen unberücksichtigt bleiben (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – juris).
§ 31, § 33, § 34 und § 35 BauGB sind vorliegend keine Gründe zu entnehmen, die der Kläger dem Bauvorhaben (noch) entgegenhalten dürfte. Dies folgt bereits daraus, dass zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ein bestandskräftiger Vorbescheid existierte, dessen Rücknahme nicht betrieben worden war (1.). Dem Bauvorhaben standen im Februar 2019 auch im Übrigen keine materiell-rechtlichen Gründe entgegen (2.). Nur ergänzend wird deshalb darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme des Vorbescheids generell (3.) und die tragende Einwendung des Klägers – nach § 242 BGB – ausgeschlossen wären (4.), selbst wenn man die späteren Entwicklungen in die Betrachtung miteinbeziehen wollte.
1. Es existiert ein bestandskräftiger Vorbescheid, den der Kläger nicht angefochten und dessen Rücknahme er nicht betrieben hatte und an dessen Inhalten er sich festhalten lassen muss.
Der Vorbescheid stellt die Bebaubarkeit des Grundstücks in den einzelnen Varianten nach der Art der baulichen Nutzung, der Situierung der Hauptbaukörper, der Geschossigkeit, der Wandhöhe, der Dachneigung und der Grundfläche fest. Die Baugenehmigung greift dabei die Vorbescheidsvariante 3 auf und setzt sie eins zu eins um (vgl. auch Bl. 1 / Rückseite und Bl. 5 d. BA-BG), sowohl hinsichtlich der im Vorbescheid vorgesehenen Grundfläche der Hauptbaukörper (20 m x 12 m) als auch in Bezug auf ihre Situierung (siehe die jeweiligen Lagepläne), ihre Geschossigkeit (E + I + D) und ihre Dachneigung (45°). Die nominell leicht abweichende Wandhöhe – 6,32 m in der Baugenehmigung gegenüber 6,50 m im Vorbescheid – resultiert aus der Darstellung im Plan G03, Schnitte, bzw. aus der Gründung des Vorhabens; rechnet man die Bodenplatte hinzu (0,18 m), ergibt sich die im Vorbescheid ausgewiesene Wandhöhe. Der Vorbescheid wurde – zu Recht, vgl. nur die Liste der Anlieger auf Bl. 58 f. d. BA-BG – öffentlich bekanntgemacht und nicht beklagt.
Damit kam ihm Bindungswirkung gegenüber der Baugenehmigungsbehörde und gegenüber dem Kläger zu. Daran ändert auch das jetzige Vorbringen nichts:
Der Kläger hat es nicht nur versäumt, im Jahr 2016 den Vorbescheid anzufechten, sondern auch, in der Folge des Urteils der Kammer aus Oktober 2018 bis zum Ergehen der Baugenehmigung seine Rücknahme zu betreiben. Eine vernünftig handelnde Gemeinde hätte direkt im Anschluss an dieses Verfahren, spätestens aber im Zuge der Anhörung zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Baugenehmigungsverfahren die Rücknahme des seit 2016 bestandskräftigen Vorbescheids betrieben – war doch spätestens mit dem Anhörungsschreiben klargestellt, dass der Beklagte an seiner Rechtsmeinung festhalten würde. Da dies unterblieb und da die erteilte Baugenehmigung der gemeindlichen Planungshoheit eine Grenze setzt, stellen sich vorliegend von vorn herein keine Folgefragen um eventuelle Rücknahmeansprüche mehr. Der Erlass der Baugenehmigung markiert den Zeitpunkt für die Frage, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen zu Recht versagt hat. Sie hat ein Recht zu erfahren, ob die (planungs-) rechtlichen Schritte, die sie bis zum Erlass der Baugenehmigung unternommen hat, ausreichend waren, um auf das streitige Vorhaben Einfluss zu nehmen (siehe auch BayVGH, B.v. 5.8.2019 – 9 CS 19.581 – juris m. w. N.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt hatte der Markt die Rücknahme des Vorbescheids nicht betrieben.
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass Art. 48 BayVwVfG grundsätzlich eine Rücknahme ex tunc zuließe. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (von BVerwG, U.v. 1.7.2010 – 4 C 4.08 – ZfBR 2010, 682 entschieden zu einem in Aufstellung befindlichen Ziel der Raumordnung) kann zwar auch eine spätere tatsächliche Entwicklung nach dem maßgebenden Zeitpunkt, in dem die Prognose zu stellen ist, Bedeutung gewinnen; zum maßgeblichen Zeitpunkt, hier dem Zeitpunkt des Erlasses der mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Baugenehmigung, muss diese Entwicklung aber hinreichend sicher zu erwarten sein. Unabhängig davon, dass diese Rechtsprechung auf einen Rücknahmeantrag nicht übertragbar sein dürfte – der Raumordnung kommt bereits in der Entstehungsphase von Zielbestimmungen maßgebliche Bedeutung zu, was auch die Notwendigkeit einer Prognose rechtfertigt -, unternahm der Kläger diesbezüglich bis zum Erlass der Baugenehmigung jedenfalls keinerlei Schritte. Auch die Möglichkeit einer im Übrigen im Ermessen des Beklagten stehenden Aufhebung ex tunc verhilft der Klage somit nicht zum Erfolg.
2. Dem Bauvorhaben standen im Februar 2019 auch im Übrigen keine materiell-rechtlichen Gründe entgegen.
Mit dem Bauvorbescheid wurde festgestellt, dass die nähere Umgebung eine anhand bestimmter Merkmale (Wandhöhe usw.) beschriebene Bebauung zulasse. Diese Einordnung wurde, wie dem Verwaltungsvorgang zu entnehmen ist, auf Basis von § 34 BauGB getroffen. Es waren sich schließlich zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt auch alle Seiten über die Innenbereichslage des Vorhabengrundstücks einig, trotz anderslautender Entscheidung der Kammer. Auch die gegen das Vorhaben vonseiten des Klägers vorgebrachten Argumente bezogen sich stets und auch im Rahmen der Anhörung zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nur auf § 34 BauGB. Zwar hätte die Feststellung des Vorbescheids, d. h. der Tenor, bei unbefangener Lesart auch für ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB getroffen werden können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte die Gebietseinordnung für das Vorhabengrundstück aber an der Bindungswirkung des Vorbescheids teilnehmen (siehe BVerwG, B.v. 24.10.2018 – 4 B 15.18 – ZfBR 2019, 155). Um das gemeindliche Einvernehmen nicht künstlich „aufzuspalten“ und alle Gegenargumente zwanghaft nur auf § 34 BauGB oder auf § 35 BauGB zu beziehen, wird in der Folge dennoch umfassend geprüft.
Dem Bauvorhaben standen keine im Rahmen von § 34 BauGB oder § 35 BauGB gleichermaßen zu prüfenden Gründe entgegen, die in Ansehung des bestandskräftigen Vorbescheid noch relevant gewesen wären. Auszuscheiden waren aufgrund der Bindungswirkung des Vorbescheids und aufgrund des anzuwendenden Prüfungsmaßstabs – Bauplanungsrecht – jedenfalls die Erwägungen (vgl. auch Bl. 215 f. d. BA-BG), dass das Bauvorhaben sich dem Maß der baulichen Nutzung nach nicht einfüge und dass die Zu- bzw. Ausfahrt die parallele Tiefgaragenzufahrt für FlNr. 80, Gemarkung W., und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtige. Im Übrigen gilt Folgendes:
a) Bei Annahme einer Innenbereichslage wurden weder gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse beeinträchtigt, § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, noch stand eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, durch die Situierung der Stellplätze zu befürchten.
Der Vortrag der Klägerseite zur angeblich problematischen Grundwassersituation – festgemacht an § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB und im Vorbescheidsverfahren explizit aus der Prüfung ausgeklammert – ist nicht nachvollziehbar.
Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB der Bebauung nur eine äußerste Zulässigkeitsgrenze zieht und seine Anwendung auf die Abwehr städtebaulicher Missstände zielt (BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1991, 879), für die vorliegend rein gar nichts dargetan und/oder ersichtlich ist. Sämtliche klägerischen Ausführungen hierzu bleiben unsubstantiiert, was für einen Angriff jedenfalls dann keinesfalls ausreicht, wenn – wie hier – mit den Schreiben des Wasserwirtschaftsamtes (Bl. 92 ff. d. BA-BG in Zusammenschau mit Bl. 142 ff., Bl. 192 ff. und Bl. 200 ff. d. BA-BG) fachliche Stellungnahmen vorliegen, die die Unbedenklichkeit des Vorhabens auch in wasserrechtlicher Hinsicht bescheinigen (statt aller BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 15 ZB 17.767 – BeckRS 2017, 133274). Das Wasserwirtschaftsamt als Fachbehörde, Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayWG, legte dabei u. a. ein Geotechnisches Gutachten zugrunde und befasste sich auch im Übrigen ausführlich mit dem Bauvorhaben. Eine von Nachbarn erstellte Karte oder der Verweis auf das Vorhandensein von Leitungen und/oder Schächten unklarer Funktion hilft nicht weiter.
Unabhängig davon gilt rechtlich ohnehin Folgendes:
Etwaige Bedenken hätten eventuell im Rahmen des (Plan-) Genehmigungsverfahrens für die Weiherverfüllung, d. h. im Jahr 2014, geltend gemacht werden können. Selbst unterstellt, es sei zu erwarten gewesen, dass das Bauvorhaben zu Grundwasserveränderungen führen werde – wofür rein gar nichts dargetan wurde -, so wären diese dennoch nicht geeignet gewesen, die Anfechtung der Baugenehmigung zu begründen, da sie nicht Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens sind und weder im Rahmen des bau- (planungs-) rechtlichen Gebots der Rücksichtnahme noch im Rahmen von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu prüfende Belange darstellen. Die Baugenehmigung ist nicht etwa eine sog. Schlusspunktentscheidung, in der alle Aspekte des öffentlichen Rechts gewürdigt werden, zumal keine entsprechende gesetzliche Anordnung wie bspw. Art. 20 Abs. 5 Satz 1 BayWG einschlägig ist (vgl. zum Ganzen nur BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 15 CS 15.1141 – juris; VG Ansbach, U.v. 4.6.2019 – AN 3 K 19.00340 – juris). Das bau- (planungs-) rechtliche Gebot der Rücksichtnahme und § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB stellen auch kein „Sammelbecken“ für derlei Befürchtungen dar; die Anwendung der hierzu entwickelten Grundsätze wird durch den Regelungsumfang der jeweils erteilten Baugenehmigung begrenzt (BayVGH, B.v. 24.7.2014 – 15 CS 14.949 – juris; VG München, U.v. 3.7.2019 – M 9 K 18.3944 – juris). Auch öffnet sich so nicht etwa eine Hintertür für Erwägungen, die vorzutragen im jeweiligen Verfahrensstadium versäumt wurde.
Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i. V. m. § 3 Abs. 1, Abs. 2 BImSchG wegen der Situierung der Stellplätze – ebenfalls im Vorbescheidsverfahren ausgeklammert – war ausgeschlossen. Das Gericht geht davon aus, dass die Bevollmächtigte des Klägers darauf abstellt, wenn sie „bodenrechtliche Spannungen“ ins Feld führt.
Hinsichtlich der Stellplätze greift – aufgrund der bekannten und vor Ort bestätigten Lage des Vorhabengrundstücks im faktischen Mischgebiet – § 12 Abs. 1 BauNVO, d. h. die Stellplätze bzw. die von ihnen ausgehenden Emissionen sind grundsätzlich ohne Weiteres zumutbar, da die Einschränkungen insbesondere von § 12 Abs. 2, Abs. 3 BauNVO nicht greifen (VG München, U.v. 2.5.2018 – M 9 K 17.325 – juris m. w. N.). Ein rückwärtiger Ruhebereich existiert nicht, alleine schon wegen der bestehenden Zufahrt auf 83/2, Gemarkung W. Die Anordnung der Stellplätze im östlichen Grundstücksbereich liegt in der Natur der Sache, weil so die eben beschriebene – bereits vorhandene – Zufahrt genutzt werden kann und nicht weitere Unruhe in das Geviert getragen wird. Der gewählte Standort – und nur dieser ist relevant – ist rücksichtsvoll. Jede andere Unterbringung führte dazu, dass der Weg Zufahrt – Stellplätze noch weiter ausgedehnt würde, was den Vorgaben der Parkplatzlärmstudie widerspricht (vgl. Ziff. 11.2). Die Baugenehmigungsbehörde verweist weiter zu Recht auf 10.2.3 der Parkplatzlärmstudie, wonach Stellplatzimmissionen selbst in (reinen) Wohnbereichen zu den üblichen Alltagserscheinungen gehören. Auch mit Blick auf Ziff. 11.1 der Parkplatzlärmstudie ergibt sich nichts anderes: Sollte der dort beschriebene Abstand von 15 m eingehalten werden, so führte dies dazu, dass schalltechnische Untersuchungen von vorn herein entbehrlich wären; vorliegend aber hat sich das Sachgebiet Immissionsschutz mit der Situierung befasst und keine Bedenken angemeldet, eine Untersuchung liegt mithin vor. Einen Umkehrschluss, dass eine Unterschreitung des Abstandes von 15 m generell und stets zur Unzulässigkeit der Stellplätze führte, gibt es nicht. Letztlich resultierte die städtebauliche Konfliktlage – wollte man eine solche ausmachen – vorliegend einzig und allein aus dem Umstand, dass die Nachbarschaft (FlNr. 80, Gemarkung W.) ihr Baurecht durch Erwirkung einer Abstandsflächendienstbarkeit auf dem jetzigen Vorhabengrundstück bis zum äußersten ausgereizt hat. Auch nach dieser Dienstbarkeit aber sind sowohl offene Stellplätze als auch nach Art. 6 Abs. 9 BayBO privilegierte Anlagen an diesem Standort zulässig.
b) Bei Annahme einer Außenbereichslage wären die Stellplätze umso eher zulässig (vgl. VG München, U.v. 2.5.2018 – M 9 K 17.325 – juris m. w. N.). Auch das zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB vorgebrachte Argument der „ungeklärten“ Grundwasserlage trägt nicht (siehe hierzu bereits Ziff. 2 Buchst. a der hiesigen Entscheidung).
Unter Anlegung des richtigen Beurteilungsmaßstabs und -Zeitpunkts – siehe oben – konnte dem Bauvorhaben weiter im Grunde nicht (mehr) entgegengehalten werden, dass ein Planungsbedürfnis bestehe und/oder dass die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung zu befürchten wäre, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Beide Punkte beziehen sich auf die Frage der grundsätzlichen Bebaubarkeit des Standorts und sind der Prüfung aufgrund des bestandskräftigen Vorbescheids entzogen.
Mit Blick auf das Verfahren M 9 K 17.4480 ist dennoch Folgendes klarzustellen:
Die Kammer hatte damals die Bebaubarkeit der südlich gelegenen FlNr. 1051, Gemarkung W., mit einem großen Seniorenwohnheim und Kongresszentrum mit 78 Appartements und 190 Kongressteilnehmern („Riegelbebauung“) zu beurteilen. Der Standort war und ist geprägt von den südlich und westlich gelegenen festgesetzten Gewerbegebieten und von einem südlich direkt angrenzenden, großen KFZ-Betrieb u. a. mit eigener Spenglerei. Angesichts dessen hielt die Kammer dem Vorhaben ein Planungserfordernis als ungeschriebenen Belang entgegen und ging eingedenk des dort weitestgehend von Bebauung freigehaltenen Areals davon aus, dass das Bauvorhaben die Entstehung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Tragend waren dabei folgende Erwägungen (Rn. 36 und 38, zitiert nach juris:)
Weiter ergeben sich daraus, dass sich das Vorhaben der bereits vorhandenen Bebauung nicht unterordnet, sondern über diese weit hinausgeht, als auch daraus, dass es sich Immissionen aussetzt, weitere städtebauliche Spannungen; für Letzteres geht § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Var. 2 BauGB im Merkmal des siedlungsstrukturellen „Befürchtens“ auf (BVerwG, U.v. 3.6.1977, a.a.O.). […]
Das vorliegend abgefragte Außenbereichsvorhaben bedarf aufgrund seines Umfangs – qualitativ zu verstehen, d.h. im Hinblick auf Grad und Reichweite der von ihm berührten, potentiell koordinierungsbedürftigen öffentlichen und privaten Belange -, einer bauleitplanerischen Entscheidung. Das Vorhaben wäre so im Geviert und auch im weiteren Umgriff beispiellos, würde nicht nur aufgrund seiner Dimensionen eine unübersehbare Vorbildwirkung zeitigen und riefe schwerwiegende und sich konkret abzeichnende Interessenkonflikte hervor – Wohnheim generell bzw. sogar immissionsschutzrechtlich besonders schutzbedürftige Personengruppe der Senioren (statt aller OVG NW, B.v. 14.6.2018 – 8 B 594/18 – juris m.w.N.) neben dem störenden Gewerbebetrieb der Beigeladenen zu 2. (1.700 m², u.a. Spenglerei und Lackiererei) und neben dem im Westen ausgewiesenen Gewerbegebiet -, die es sachgerecht durch eine planerische Abwägung aufzulösen gilt (vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 18.2.1983 – 4 C 19.81 – juris).
Diese Erwägungen lassen sich naturgemäß auf ein Bauvorhaben wie das vorliegende in der hier gegebenen Lage nicht übertragen. Die im Urteil der Kammer genannten Bedenken sind für den nördlichen Bereich („Hammerstiehl“, u. a. das Baugrundstück) und für das hier streitgegenständliche Bauvorhaben (zwei Mehrfamilienhäuser, die den Rahmen der Umgebungsbebauung aufnehmen) nicht virulent. Weder verbleibt im sog. Hammerstiehl „nicht unerheblicher Raum für weitere bauliche Anlagen“ (dazu für die Vorbildwirkung BayVGH, U.v. 27.7.2018 – 15 B 17.1169 – NJOZ 2019, 274) noch ist eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange aufgrund der Ausdehnung des Bauvorhabens (quantitativ wie qualitativ) oder aufgrund eines Immissionskonflikts gegeben.
3. Angesichts des hier anzuwendenden Beurteilungszeitpunkts wird nur ergänzend – v. a. mit Blick auf das Verfahren M 9 K 19.5090 – darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme des Vorbescheids ausgeschlossen ist. Der Markt kann das Vorbescheidsverfahren über das „jetzt“ von ihm erkannte Gegenargument, das Vorhabengrundstück liege im Außenbereich, nicht wieder aufrollen:
a) Es besteht kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne, Art. 51 BayVwVfG, da bereits kein Wiederaufgreifensgrund gegeben ist. Eine erstinstanzliche Gerichtsentscheidung stellt weder eine Änderung der Rechts- noch eine Änderung der Sachlage dar, Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG. Gerichtsentscheidungen, die nur inter partes wirken, § 121 VwGO, treffen nur eine zwischen den Beteiligten bindende Entscheidung, die sich schon deshalb nicht auf die Rechtslage im Sinne der Nr. 1 auswirkt (Stelkens u.a., VwVfG, Stand: 9. Aufl. 2018, VwVfG § 51 Rn. 103). Eine nachfolgende Rechtsänderung stellt bspw. das Inkrafttreten einer Veränderungssperre oder eines Bebauungsplans dar, gegen die sich der Vorbescheid aber ebenfalls durchsetzen würde (vgl. nur BVerwG, U.v. 3.2.1984 – 4 C 39.82 – BeckRS 1984, 30431359). Die Änderung der Rechtslage erfordert mithin, dass sich das einschlägige materielle Recht, dem eine allgemeinverbindliche Außenwirkung zukommt, nachträglich zugunsten des Betroffenen ändert (Falkenbach, in: BeckOK VwVfG, Stand: 44. Edition, 1.7.2019, § 51 Rn. 37); die Anforderungen des § 34 BauGB oder des § 35 BauGB aber haben sich nicht geändert. Weiter lag und liegt das Vorhabengrundstück, jedenfalls solange sich auch die Umgebungsbebauung – wie hier – nicht geändert hat, entweder im Außenbereich oder es lag und liegt im Innenbereich. Eine abweichende Einordnung bzw. Bewertung des Standorts – nach § 34 BauGB bzw. nach § 35 BauGB – ist weder eine tatsächliche Änderung der sachlichen bzw. rechtlichen Gegebenheiten noch wäre diese Änderung als „nachträglich“ zu qualifizieren (Falkenbach, in: BeckOK VwVfG, Stand: 44. Edition, 1.7.2019, § 51 Rn. 31).
Ohne dass es tragend darauf ankommt, wird darauf hingewiesen, dass gegen das Urteil der Kammer (M 9 K 17.4480) die Zulassung der Berufung beantragt wurde; eine Entscheidung hierüber steht noch aus.
Sonstige Wiederaufgreifensgründe sind nicht ersichtlich.
Weiter findet auch die Präklusionsvorschrift des Art. 51 Abs. 2 BayVwVfG Anwendung. Der Markt hätte den Vorbescheid angreifen können und müssen.
b) Auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, Art. 51 Abs. 5, Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG, scheidet bereits auf der sog. ersten Stufe aus, d. h. bei der im Ermessen der Behörde stehenden Beantwortung der der Sachentscheidung vorgelagerten Frage, ob überhaupt wiederaufgegriffen wird (zur Zweistufigkeit des Verfahrens BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 15/08 – NVwZ 2010, 656; Fehling u.a., Verwaltungsrecht, Stand: 4. Auflage 2016, § 51 Rn. 22), da keinerlei Gründe dafür dargetan wurden oder ersichtlich sind, dass der Markt einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen hätte.
Die unterstellte „einfache“ Rechtswidrigkeit des Vorbescheids begründet keinesfalls einen entsprechenden Anspruch (statt aller Mann u.a., VwVfG, Stand: 2. Aufl. 2019, § 51 Rn. 9). Der Bescheid war/ist auch nicht offenkundig rechtswidrig (was als Prüfungspunkt schon auf die erste Stufe gezogen werden kann, vgl. BeckOK VwVfG, Stand: 44. Ed. 1.7.2019, § 51 Rn. 5b), da die Abgrenzung Innenbereich – Außenbereich stets eine Streitfrage darstellt. Zudem ist die Entscheidung der Kammer noch nicht rechtskräftig. Damit ist die Rechtssicherheit höher zu gewichten als die materielle Gesetzmäßigkeit. Dass bis dato keine – entsprechende – Rückmeldung des Landratsamtes P. auf den Antrag des Marktes hin vorliegt, ist der klägerischen Verfahrensgestaltung geschuldet. Der Antrag auf Rücknahme des Vorbescheids datiert vom 26. September 2019.
Unabhängig davon ist die Rücknahmefrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG, die auch auf Vorbescheide und sog. Rechtsanwendungsfehler anzuwenden ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.12.1984 – Gr. Sen. 1/84, Gr. Sen. 2/84 – NJW 1985, 819; Simon/Busse, BayBO, Stand: 133. EL April 2019, Art. 68 Rn. 716 und 730 ff.), abgelaufen. Der Vorbescheid ist ein begünstigender Verwaltungsakt, weswegen die Absätze 2-4 zur Anwendung kommen, Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG. Dem Beklagten waren alle für eine etwaige Rücknahmeentscheidung erheblichen Umstände vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei (dazu BVerwG, a. a. O.) bereits seit dem 10. Oktober 2018 – Datum des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung – bekannt. Ein Abwarten der (ausformulierten) Entscheidungsgründe ist insofern nicht notwendig, wurde die Sach- und Rechtslage doch vor Ort ausführlich erörtert. Doch selbst wenn man darauf abstellen wollte – wie nicht -, so ist die Rücknahmefrist am 23. Oktober 2019 abgelaufen (Zustellung der damaligen, ausformulierten Urteilsgründe an den Beklagten am 23. Oktober 2018; Auslauf der hiesigen Entscheidung am 24. Oktober 2019). Zu diesem Zeitpunkt war die entsprechende Verpflichtungsklage auf Rücknahme des Vorbescheids (Az. M 9 K 19.5090) im Übrigen noch unzulässig, § 75 Satz 2 VwGO.
4. Weiter wird angesichts des hier anzuwendenden Beurteilungszeitpunkts ebenfalls nur ergänzend darauf hingewiesen, dass der Kläger unabhängig von alledem mit seinem auf die Außenbereichslage gestützten Gegenargument nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist, § 242 BGB.
Der Kläger hat das Recht, sich auf diesen Umstand zu berufen, verwirkt bzw. die Berufung auf diesen Umstand ist gerade angesichts der Chronologie des Verfahrens rechtsmissbräuchlich. Inhaltlich geht es vorliegend um das der Gemeinde über § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB (vermeintlich, dazu unter 2.) zustehende materielle Abwehrrecht, einer Bebaubarkeit des Vorhabengrundstücks mit Mehrfamilienhäusern wegen dessen Außenbereichslage entgegenzutreten (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11.9.2018 – 4 B 34/18 – NVwZ 2019, 245). Im Rahmen des Verfahrens M 9 K 19.5090 wäre die Klage deshalb bereits unzulässig, betrifft der Einwand unzulässiger Rechtsausübung dort doch das (nicht mehr gegebene) Verfahrensrecht der Gemeinde.
Die Rechtsmeinung der Kammer (Außenbereichslage) war den Vertretern des Klägers seit 10. Oktober 2018 bekannt, die Urteilsgründe seit 23. Oktober 2018 (Landratsamt P.) bzw. 29. Oktober 2018 (Markt) in der Welt. Dennoch stellte der Kläger erst Ende September 2019 Antrag auf Rücknahme des Vorbescheids und machte die Verpflichtungsklage anhängig – die gegenwärtig mangels Ablaufs der 3-Monats-Frist des § 75 VwGO zudem ohnehin unzulässig ist. Die darauf gestützte Klagebegründung des Drittrechtsbehelfs erfolgte erst unter dem 10. Oktober 2019. Zuvor hatte sich der Kläger stets auf die Innenbereichslage des Grundstücks berufen und hielt daran auch im Rahmen der der mündlichen Verhandlung zur Streitsache M 9 K 17.4480 nachfolgenden Anhörung zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Dezember 2018 fest. Das Grundstück wurde zudem im Flächennutzungsplan stets als Baufläche (Mischgebiet) dargestellt. Auch verzichtete der Kläger trotz Anhörung zur Ersetzung seines gemeindlichen Einvernehmens im Rahmen des Vorbescheidverfahrens auf den Einsatz von Sicherungsmitteln nach §§ 14 f. BauGB.
Angesichts all dessen durften die Beteiligten und v. a. die Beigeladene zu Recht darauf vertrauen, dass der Kläger sich nicht (mehr) auf eine etwaige Außenbereichslage des Grundstücks berufen würde; er hat sein diesbezügliches Recht verwirkt. Verwirkung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist zu bejahen, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen hätte (BVerwG, B.v. 22.5.1990 – 8 B 156.89 – BeckRS 1990, 31261595; OVG LSA, B.v. 6.11.2009 – 1 A 760/08 – BeckRS 2009, 42450). Davon ist vorliegend nicht nur, aber v. a. aufgrund der Reaktion auf die Anhörung zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens auszugehen – oder besser aufgrund der fehlenden Reaktion. Die Rücknahme des Vorbescheids hätte jede vernünftig handelnde Gemeinde direkt im Anschluss an das Urteil der Kammer aus Oktober 2018, spätestens aber im Zuge der eben erwähnten Anhörung betrieben – war doch spätestens damit klar, dass der Beklagte an seiner Rechtsmeinung festhalten würde.
Dass der Markt sich nun erstmals unter dem 10. Oktober 2019 und damit weniger als eine Woche vor der mündlichen Verhandlung auf die Außenbereichslage berief, spricht unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände einzig dafür, dass der Kläger eine Verlegung bzw. Vertagung des Termins erzwingen und den Prozess weiter verschleppen wollte. Er handelte damit weiter auch rechtsmissbräuchlich: Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt insbesondere vor, wenn das Prozessrecht zu verfahrensfremden Zwecken missbraucht wird; zweckwidrig und damit rechtsmissbräuchlich ist eine Maßnahme, die nur der Prozessverschleppung dient (vgl. OVG NW, U.v. 19.4.1994 – 11 A 799/94 – NVwZ 1995, 396). Dies umso mehr, als sich das Gericht unter dem 9. August 2019 an die Beteiligten gewandt hatte – mit Verweis auf die beabsichtigte Terminierung im Oktober und mit explizitem Hinweis auf die Entscheidung der Kammer vom Oktober 2018. Wieso sich die Klagebegründung dennoch bis zum 10. Oktober 2019 „verzögerte“, blieb auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Dunkeln. Dass die Kammer die Umstände des Falles an sich nicht mehr verwundern, sei bei alledem nur am Rande erwähnt, stellt das Areal doch seit Jahren einen Streitfall in der Gemeinde dar und werden Planungsabsichten nicht (ernstlich) betrieben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben, weswegen es der Billigkeit entspricht, der Klägerseite auch ihre außergerichtlichen Kosten aufzubürden. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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