Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Erweiterung einer Holzlagerhalle

Aktenzeichen  M 9 SN 16.720

Datum:
29.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 63 Abs. 1
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 1 Abs. 3, § 6 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG BImSchG § 48
VwGO VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) legen die Grenzen der Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang ihres Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest. (redaktioneller Leitsatz)
2. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Ein nachbarlicher Interessenausgleich und damit der Schutz von Nachbarn sind nur ausnahmsweise bezweckt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf € 3.750,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich mit einer Anfechtungsklage gegen eine den Beigeladenen zu 1) und 2) auf FlNr. …2 der Gemarkung … (Baugrundstück) erteilte Baugenehmigung zur Erweiterung einer bestehenden Holzlagerhalle. Vorliegend begehrt er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage.
Das Grundstück des Antragstellers (… 14) im hiesigen und die Grundstücke der Antragsteller im Verfahren M 9 SN 16.394 befinden sich südwestlich des Baugrundstücks. Sie liegen ebenso wie das Baugrundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 17 „…“ der Beigeladenen zu 3).
Im Jahr 2007 stellten die Beigeladenen zu 1) und 2), wie aus dem Behördenakt, Bl. 19 und 65, hervorgeht, einen Antrag auf Hallenverlängerung der bestehenden Lagerhalle sowie auf Einbau einer Nagelmaschine. Diesen nahmen sie 2008 wieder zurück. Unter dem 06. November 2015 beantragten sie eine Baugenehmigung zur Erweiterung der bestehenden Holzlagerhalle in …, Nähe … auf FlNr. …2.
Mit streitgegenständlichem Baugenehmigungsbescheid vom … Januar 2016 (Az. …) erteilte das Landratsamt Eichstätt die baurechtliche Genehmigung für folgendes Bauvorhaben: Erweiterung der bestehenden Holzlagerhalle, Gemarkung …, FlNr(n). … 2. Der Bescheid enthält eine beantragte Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen zu FlNr. … der Gemarkung … nach Art. 63 Abs. 1 BayBO und eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Einhaltung der Baugrenzen nach § 31 Abs. 2 BauGB.
Weiter wurden u.a. folgende Auflagen aufgenommen:
„…Nr. 3. Es gelten die Bestimmungen der TA Lärm […].
Nr. 4. Der Beurteilungspegel der von dem Betrieb ausgehenden Geräusche einschließlich des Be- und Entladeverkehrs darf an den nächstgelegenen Immissionsorten (FlNr. …, …1, …2, …1) nachfolgende reduzierte Immissionsrichtwerte durch den Betrieb des neuen Anlagenteils von
tagsüber (06.00 bis 22.00 Uhr) = 53 dB(A)
nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) = 39 dB(A)
nicht überschreiten. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die nicht reduzierten Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) tags und 30 dB(A) nachts um nicht mehr als 40 dB(A) am Tag und 20 dB(A) in der Nacht überschreiten. Maßgebend für die Beurteilung der Nacht ist die volle Nachtstunde mit dem höchsten Beurteilungspegel, zu dem die zu beurteilende Anlage relevant beiträgt.
Nr. 5. Bei Maschinen-Tätigkeiten innerhalb der Halle ist das südliche Tor stets geschlossen zu halten.“
Der Antragsteller hat am 27. Januar 2016 Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes Eichstätt vom … Januar 2016 erhoben. Unter gleichem Datum hat er im vorliegenden Verfahren beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Mit ebendiesem und weiterem ergänzenden Schriftsatz vom 21. März 2016 wurde ausgeführt, dass dem hiesigen Antragsteller das westlichste Grundstück des südlich des Baugrundstücks gelegenen Wohngebiets gehöre. Der Abstand von der Südwestecke der bestehenden Holzlagerhalle zur Nordostecke des nächstgelegenen Wohnhauses betrage unter 50 m. Auf dem Baugrundstück, FlNr. …2, befände sich derzeit eine Holzlagerhalle, die auch entsprechend genutzt werde. Die Lärmimmissionen, die von der Halle ausgingen, seien der Situation entsprechend hinnehmbar. Aus dem Bauantrag sei ersichtlich, dass die Nutzung der bestehenden Holzlagerhalle nun geändert werde. Es würden ein Roboter sowie eine Nagelungsmaschine aufgestellt. Hinsichtlich der Erweiterungsfläche sei im Bauantrag eingetragen „Roboter zur Vorkonfektionierung von Paletten“, weitere Erkenntnisse fehlten. Es sei davon auszugehen, dass das Zuschneiden der Holzstämme zu den Palettenbrettern im Bereich der Erweiterung stattfinden und die Zusammensetzung der Paletten im westlichen Teil der bestehenden Halle erfolgen solle. Es werde eine komplette Fertigungsstraße zur Herstellung von Euro-Paletten verwirklicht. Gerüchteweise solle der Erweiterungsbereich eventuell eine zweite Fertigungsanlage für Paletten aufnehmen. Die Halle werde wohl auch von Westen her beschickt werden, ihre Westwand deshalb voraussichtlich offenstehen – Gegenteiliges sei aus den Plänen nicht ersichtlich, eine Beschickung von Osten her unmöglich. Die Begründung für die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans und für die Abweichung von den Abstandsflächen sei untauglich. Es seien nach dem Bescheid Lärmimmissionen von bis zu 100 dB(A) tagsüber bzw. 60 dB(A) nachts zulässig; bei 100 dB(A) liege die Schwelle, bei der mit dauerhaften Gehörschäden bei den betroffenen Menschen zu rechnen sei. Die Grenzwerte würden weiter nur als Dauerschallpegel genannt, weswegen den Betroffenen eine tatsächliche Überprüfung, ob die Auflagen eingehalten werden, nicht möglich sei, sondern stets eine Begutachtung erfolgen müsse. Die Auflage, dass das südliche Tor geschlossen sein müsse, sei ohnehin unpraktikabel und wirkungslos. Bei der streitgegenständlichen Nutzung handele es sich um ein Vorhaben, das sich durch einen dauerhaften Sägebetrieb zur Zerkleinerung von Holzstämmen und durch eine dauerhafte Nagelung zur Herstellung von Euro-Paletten auszeichne; dabei handele es sich um Lärmimmissionen, die stark belästigend und geeignet seien, gesundheitliche Schäden hervorzurufen. Das Landratsamt habe eine Prüfung der zu erwartenden Lärmbeeinträchtigung unterlassen. Es habe die gegenwärtige Gemengelage durch seine Befreiungen und Abweichungen verschärft, wodurch die Grundsätze jeglichen Baurechts und Umweltschutzes massiv verletzt seien. Es läge auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor. Die Festsetzungen des Bebauungsplans, der eine ganze Reihe unzutreffender und enteignender Festsetzungen enthalte, seien vom Antragsgegner korrekt dargestellt worden. Die immissionsschutzrechtliche Stellungnahme sei widersprüchlich. Da die Bodenplatte für die Erweiterungsflächen bereits hergestellt sei, sei die schnelle Außerkraftsetzung der Baugenehmigung geboten.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 09. Februar 2016 beantragt,
Ablehnung des Antrags.
Mit Schriftsatz vom selben Tag, vom 16. Februar 2016 und vom 14. März 2016 führte der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des Sachgebiets 44, Immissionsschutz, vom 05. Februar 2016 und vom 08. März 2016, die E-Mail der Beigeladenen zu 2) vom 07. März 2016 und das Gutachten der Firma … vom … Februar 2016 aus, dass das Vollzugsinteresse der Bauherren überwiege, da die Hauptsache keinen Erfolg haben werde. Im Hinblick auf die vom Antragsteller angeführte Nutzungsänderung der Halle und die Nagelmaschine sei die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da beide Aspekte nicht Gegenstand der Baugenehmigung seien. Diese beträfe nur die von den Bauherren ausschließlich beantragte Erweiterung der bestehenden Holzlagerhalle mit Roboter zur Vorkonfektionierung von Paletten. In den Eingabeplänen sei die bauliche Anlage mit Nagelmaschine und Roboter als Bestand gekennzeichnet. Der Antragsteller könne sein Ziel, etwaige Emissionen durch die Nagelmaschine zu verhindern, durch die Aufhebung der Baugenehmigung nicht erreichen, da diese im Baugenehmigungsbescheid nicht genehmigt worden sei. Die Grundstücke der Antragsteller in den Verfahren M 9 SN 16.394 und M 9 SN 16.720, FlNr. …2 und …3, und das Baugrundstück lägen in einem kraft Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet. In diesem sei eine Erweiterung der Lagerhalle zulässig. Das Grundstück des Antragstellers läge ca. 75 m von der nächsten Gebäudeecke des geplanten Neubaus entfernt. Die Auflagen würden nach Stellungnahme des Sachgebiets Immissionsschutzes sicherstellen, dass bei dem Antragsteller nicht mehr Lärm ankomme und keine unzulässigen Immissionen für die Wohnbebauung bestehe. Von den Baugrenzen habe deshalb befreit werden können, weil die 20 kV-Leitung, derentwegen die Baugrenze festgesetzt worden sei, mittlerweile abgebaut worden sei. Darüber hinaus sei von dieser Festsetzung schon mehrmals befreit worden, weswegen eine Bindungswirkung bestehe. Die bauordnungsrechtliche Abweichung belaste den Antragsteller nicht, da er nicht unmittelbarer Grundstücksnachbar sei. Aus den Plänen ergebe sich, dass die Hallenerweiterung nach Westen hin nicht offen gestaltet werde. Da die als Bestand gekennzeichnete Verlängerung der bestehenden Lagerhalle mit Einbau einer Nagelmaschine und eines Roboters nicht genehmigt worden sei, seien die Bauherren zur Einreichung eines Bauantrags aufgefordert worden. Bis dato seien aber im Hinblick auf diese nicht genehmigten Anlagen keine Nachbarbeschwerden eingegangen. Im Hinblick auf den noch zu stellenden Bauantrag bezüglich der baulichen Anlage mit der Nagelmaschine sei zu sagen, dass der Teilbeurteilungspegel, der durch den Betrieb der Nagelmaschine hervorgerufen werde, am Wohnhaus des Antragstellers nach dem Gutachten der Firma … trotz Impulszuschlags gesichert unter 42 dB(A) liege. Er unterschreite damit den zulässigen Richtwert von 60 dB(A) um mehr als 10 dB(A), weswegen der Lärmbeitrag der Nagelmaschine irrelevant im Sinne der TA Lärm sei. Ein Betrieb im Nachtzeitraum sei nicht vorgesehen. Für den streitgegenständlichen Bescheid sei dies aber ohnehin ohne Belang, da er die bauliche Anlage mit Nagelmaschine nicht erfasse. Nach alledem dürfe der Nagelmaschinenkomplex bei den Wohnhäusern der Antragsteller im hiesigen und im abgetrennten Verfahren kaum wahrnehmbar sein, was sich auch indirekt aus der Antragsbegründung ergebe, da diese ausführe, dass die derzeitige Situation hinnehmbar sei, der ungenehmigte Betrieb der Nagelmaschine nach Recherchen des Landratsamts Eichstätt aber seit 2009 kontinuierlich vorgenommen werde. Wie aus der mit E-Mail vom 07. März 2016 gesendeten Betriebsbeschreibung hervorgehe, solle der neue Hallenanbau nur zur Lagerung von Palettenbrettern und zum Bereitstellen von Gestellen mit Holzteilen dienen, eine Verlagerung des auf FlNr. … gelegenen, 2015 errichteten Standorts der Erzeugung von handvorgefertigten Teilen in die Erweiterung sei nicht geplant. Der momentan als Bestand gekennzeichnete Roboter zur Vorkonfektionierung solle nur eventuell in den Anbau verlegt werden, was nach Angaben der Betreiber noch nicht sicher sei und vom bearbeitenden Architekten nur im Vorgriff bereits so dargestellt worden sei. Der durch diesen Roboter verursachte Lärm sei bereits unmittelbar vor der Halle kaum mehr wahrnehmbar. Der Außenpegel werde nach Messabnahme mit ca. 47 dB(A) angesetzt, wobei er dabei sogar noch erheblich beeinflusst worden sei durch Fremdgeräusche wie gerade stattfindende Bauarbeiten. Aufgrund der Entfernung zum festgelegten Ersatzstandort von ca. 55 m und einer Schallpegelabnahme aufgrund der Entfernung von ca. 43 dB(A) führe der Betrieb des Roboters zu keiner maßgeblichen Beeinflussung der Beurteilungspegel.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Behördensowie auf die Gerichtsakten im hiesigen Verfahren und im Verfahren M 9 SN 16.394 Bezug genommen, insbesondere auf die Stellungnahmen des Sachgebiets 44, Immissionsschutz, vom 05. Februar 2016 und vom 08. März 2016, auf die E-Mail der Beigeladenen zu 2) vom 07. März 2016 und auf das Gutachten der Firma … vom … Februar 2016.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 1, 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Das Gericht trifft im Rahmen des vorliegenden auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gerichteten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse der Bauherren oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Die Anfechtungsklage ist voraussichtlich zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Anfechtungsklage ist nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Beantragt wird ausdrücklich nur die Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids vom … Januar 2016. Soweit der Antragsteller vorbringt, die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergebe sich aus einer unzumutbaren Lärmbelästigung durch die „Fertigungsstraße zur Herstellung von Euro-Paletten“ im Gesamten, begründet er damit die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten. Da die durch die Baugenehmigung legalisierte Hallenerweiterung nach den genehmigten Plänen auch einen „Roboter für Vorkonfektionierung von Paletten“ beinhaltet, der Bestandteil des eventuell unzumutbar lauten Gesamtfertigungsprozesses der Paletten ist, kann eine Verletzung des Antragstellers in drittschützenden Normen nicht von vornherein und nach jeder erdenklichen Betrachtungsweise ausgeschlossen werden.
Die Anfechtungsklage ist aber voraussichtlich unbegründet.
Der angefochtene Verwaltungsakt verletzt den Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die den Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (BayVGH, B. v. 24.03.2009 – 14 CS 08.3017 -, juris).
1. Die geltend gemachte Beeinträchtigung durch die Lärmimmissionen begründet keinen Verstoß gegen drittschützende Vorschriften, da die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Mischgebiet am Wohnhaus des Antragstellers nach Aktenlage nicht überschritten werden.
Das Gebot der Rücksichtnahme, dessen Verletzung vorliegend gerügt wird, soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Baugenehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständiger und unabweisbarer die Interessen des Bauherren sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Ob Geräuschimmissionen unzumutbar und im planungsrechtlichen Sinne rücksichtslos sind, ist bei Anlagen, die den Anforderungen des Zweiten Teils des BImSchG unterliegen, grundsätzlich anhand der auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassenen Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – vom 26. August 1998 zu bestimmen. Denn das BImSchG und die TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang ihres Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U. v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 -, BVerwGE 145, 145 ff.).
a) Die Beurteilung richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans i.V.m. §§ 1 Abs. 3, 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, da das Grundstück des Antragstellers im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 17 „…“ der Gemeinde … liegt. Dieser setzt als Art der baulichen Nutzung Misch- und Sondergebiete fest. Die Abgrenzung zwischen den Gebieten erfolgt durch eine Perlschnur (Zeichen Nr. 15.14 der Anlage zur PlanZV), was auch A.3 des Bebauungsplans klarstellt. Demnach liegt das Grundstück des Antragstellers – als für die Lärmbelästigung nach TA Lärm maßgeblicher Immissionsort, siehe Nr. 2.3 TA Lärm – im Mischgebiet, das sich im westlichen Teilbereich des Bebauungsplans befindet. Die TA Lärm ist vorliegend auch anwendbar, da die Erweiterung der Lagerhalle samt Roboter zur Vorkonfektionierung ihrem Regelungsregime nicht nach Nr. 1 TA Lärm entzogen ist. Als Immissionsrichtwerte sind somit, wie sich aus Nr. 6.1 lit. c) der TA Lärm und auch aus den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans (D.2.2.) ergibt, 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts einzuhalten.
b) Eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans ist nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich. Mischgebiete zeichnen sich dadurch aus, dass Wohnnutzungen neben Gewerbebetrieben bestehen, § 6 Abs. 1 BauNVO. Die im Bestand genehmigte Holzlagerhalle der Beigeladenen zu 1) und 2) ist ein derartiger Gewerbetrieb, unabhängig davon, ob man sie als selbstständige oder unselbstständige Anlage ansieht, da jedenfalls nichts dafür ersichtlich ist, wieso sie nicht mit der Zweckbestimmung des Mischgebiets vereinbar sein sollte (BVerwG, U. v. 08.11.2001 – 4 C 18/00 -, juris; EZBK/Söfker BauNVO § 6 Rn. 28). Auf dem Grundstück des Antragstellers (FlNr. …3) und auf FlNr. …2 befindet sich jeweils Wohnnutzung. Weitere mit dem Charakter eines MI nicht vereinbare Nutzungen im westlichen Bereich des Bebauungsplans sind den beigezogenen Akten nicht zu entnehmen. Die Nutzungen, die das Wohnen eventuell über das Maß des § 6 Abs. 1 BauNVO hinausgehend stören würden, sind im (nord-) östlichen Teil des Geltungsbereichs des Bebauungsplans in Sondergebieten konzentriert und somit von der Wohnbebauung getrennt worden. Auch der Vortrag des Antragstellers betrifft nur eine einzige angeblich überholte Festsetzung im südöstlichen Bereich des Bebauungsplans und gibt damit nicht zu begründeten Zweifeln dahingehend Anlass, dass der Bebauungsplan funktionslos geworden sein könnte.
Die weitere Annahme des Antragstellers, im Bereich der Erweiterung würden die Baumstämme zugeschnitten und eine solche Nutzung sei nur im Industriegebiet zulässig bzw. in der Erweiterung solle – gerüchteweise – eine zweite Fertigungsanlage entstehen, ist baurechtlich nicht belegt. Der Antragsgegner hat dem entgegnet, dass die Zuschnitte in einer östlich des Baugrundstücks gelegenen Anlage durchgeführt würden (Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 05. Februar 2016), womit es sich wohl um die Anlage auf der FlNr. … zur „Erzeugung von handvorgefertigten Teilen“ (Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 08. März 2016) handelt. Dies ist plausibel, da im östlichen Teilbereich des Bebauungsplans Sondergebiete „Sägewerk“ ausgewiesen sind. Unabhängig davon würde auch die Annahme einer Gemengelage, wie sie der Antragsteller andenkt, zu keinen anderen Richtwerten führen, da bei einer Spannungslage aus GE-, GI- und WA-Anteilen nach Nr. 6.7 S. 1 und S. 2 der TA Lärm ein Ansatz der Grenzwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete nicht zu beanstanden wäre (vgl. auch VG Gelsenkirchen, U. v. 10.11.2015 – 6 K 6069/13 -, juris).
c) Die Baugenehmigung greift vorliegend die MI-Richtwerte auf und reduziert sie – soweit ersichtlich im Hinblick auf Nr. 3.2.1 TA Lärm (vgl. dazu VG München, B. v. 16.08.2012 – M 9 SN 12.2390 -, juris) – auf 53 dB(A) bzw. 39 dB(A), was dem Antragsteller entgegenkommt. Die in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik des Antragstellers, dass die Grenzwerte lediglich als Dauerschallpegel genannt würden, weswegen eine tatsächliche Überprüfung, ob sie eingehalten werden, nicht möglich sei, ist nicht nachvollziehbar. Das Landratsamt muss bei Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer noch nicht gebauten Anlage ex ante bestimmte Grenzwerte festlegen können, die einzuhalten sind. Die TA Lärm sieht hierbei mangels anderer praktikabler Beurteilungsgrundlagen gerade Durchschnittswerte vor. Ergänzt werden diese durch sog. kurzfristige Geräuschspitzen und seltene Ereignisse. Die Baugenehmigung enthält vorliegend eine explizite Bezifferung reduzierter Grenzwerte und kurzzeitiger Geräuschspitzen. Die Angabe auf S. 2 der Baugenehmigung, dass einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die nicht reduzierten Werte tagsüber um nicht mehr als 40 dB(A) überschreiten dürfen, ist nach der einleitenden Klarstellung, dass die Bestimmungen der TA Lärm gelten sollen und mit Rücksicht darauf, dass in der Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 15. Dezember 2015 bei den dortigen Auflagenvorschlägen noch 30 dB(A) vorgesehen waren, als offensichtlicher Schreib- bzw. Übernahmefehler zu werten. Nach Verwirklichung der Anlage sind von der TA Lärm ex post-Kontrollen vorgesehen, die durch Überwachungsmessungen erfolgen können, vgl. Nr. 6.9 TA Lärm.
d) Bei der konkreten Beurteilung des Vorhabens ist entscheidend, dass nur bestimmte Lärmquellen von der Baugenehmigung im hier streitgegenständlichen Zuschnitt überhaupt erfasst werden. Eine vom Antragsteller befürchtete einheitliche Lärmquelle „Fertigungsstraße“ nimmt sie gerade nicht in sich auf. Genehmigt wurde nur die Erweiterung der bestehenden Lagerhalle inklusive eines Roboters zur Vorkonfektionierung bereits geschnittener Holzteile. Die Nagelmaschine, die im Plan „Grundriss, Schnitt, Ansichten, Lageplan“ als Bestand geführt wird, ist nicht Bestandteil der Baugenehmigung.
Für eine Überschreitung der festgelegten Richtwerte nur durch die Erweiterung der Lagerhalle und den Roboter zur Vorkonfektionierung der Paletten hat der Antragsteller nichts vorgetragen. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die eine erhebliche Lärmentwicklung bedingen würden, vielmehr sind laut Aussage der Bauherren auf der Erweiterungsfläche keine lärmintensiven Arbeiten geplant, was auch mit ihrer nunmehr per E-Mail vom 07. März 2016 nachgereichten Beschreibung des Betriebs konform geht. Bereits nach Stellungnahme des zuständigen Sachgebiets 44 des Landratsamtes Eichstätt vom 05. Februar 2016 ist der durch die Genehmigung abgedeckte Teil immissionsschutzrechtlich unproblematisch. Um die Belastungen für die südwestlich gelegene Wohnbebauung unabhängig davon von vornherein möglichst gering zu halten, wurde den Beigeladenen zu 1) und 2) zur Auflage gemacht, das Südtor bei Maschinen-Betrieb stets geschlossen zu halten. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso diese Auflage unpraktikabel oder wirkungslos sein sollte, wie es der Antragsteller ohne weitere Begründung für sich in Anspruch nimmt, da sich die Lärmentwicklung bei geschlossenem Tor nochmals reduziert. Derartige Bestimmungen sind nach den Erfahrungen des Gerichts zudem gang und gäbe. Schließlich befindet sich das Wohnhaus des Antragstellers laut eigener Aussage auf dem westlichsten der drei südwestlich des Baugrundstücks gelegenen Grundstücke – nach amtlichem Lageplan und Aussage des Antragsgegners handelt es sich damit, anders als der Bevollmächtigte vorträgt, um die FlNr. …3 – und ist damit nicht das am unmittelbarsten betroffene östlichste Anwesen. Mit weiterer Stellungnahme des Sachgebiets 44 vom 08. März 2016 wurde nunmehr auch nachvollziehbar dargelegt, dass der Betrieb des Roboters zur Vorkonfektionierung zu keiner erheblichen Lärmentwicklung führt. Davon abgesehen, dass eine Verlegung dieses Roboters in den neuen Hallenteil noch nicht gesichert sei, bewirke sein Betrieb bei einem Außenpegel von maximal ca. 47 db(A) ohnehin keine maßgebliche weitere Pegelbeeinflussung; die Arbeiten mit dem Roboter seien bereits unmittelbar vor der Anlage stehend fast nicht wahrnehmbar. Aufgrund der Entfernung des Antragstellers von mehr als 75 m seien bei einer mit diesem Abstand gegebenen Schallpegelabnahme von ca. 43 db(A) keine unzumutbaren Lärmimmissionen zu befürchten. Die Kammer hat keine Veranlassung, diese Stellungnahme anzuzweifeln. Auch eine Widersprüchlichkeit der immissionsschutzrechtlichen Stellungnahmen ist nicht ersichtlich, da der Roboter zur Vorkonfektionierung zum einen nur eventuell in der Erweiterung betrieben werden soll und im Übrigen ohnehin keine lärmintensiven Arbeiten durchführt. Auch der jüngste Vortrag der Antragsteller zur „Beschickungsproblematik“, wonach wegen der Lage der bestehenden Halle und der Straße eine Beschickung vom östlich gelegenen Standort, an dem die Schneidearbeiten nach Angabe des Antragsgegners stattfinden, unmöglich sein solle, was dafür spreche, dass die Schneidearbeiten in der Erweiterung stattfinden müssten, ist nach Aktenlage nicht nachvollziehbar. An den Stirnseiten des Erweiterungsbaus befinden sich nach dem genehmigten Plan „Grundriss, Schnitt, Ansichten, Lageplan“ Schiebetore, die zur Anlieferung auch geöffnet werden dürfen. Auch eine Anlieferung über die bestehende Halle erscheint möglich, da der Bestand mit der Erweiterung wiederum durch ein innenliegendes Tor verbunden ist. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass selbst bei Annahme eines allgemeinen Wohngebiets nach § 4 BauNVO ohne jegliche Erhöhungen der Grenzwerte aufgrund einer Gemengelage die entsprechenden Richtwerte von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts (Nr. 6.1 lit. d) TA Lärm) nach dem Gutachten und den Stellungnahmen des Immissionsschutzes für das Grundstück des Antragstellers eingehalten wären, selbst wenn man alle Lärmquellen – also auch den ungenehmigten Bestand – miteinbezöge. Das Gutachten der Firma …, auf das der Antragsgegner verweist und das den Betrieb der Nagelmaschine untersucht, wird durch den unsubstantiierten Vortrag des Antragstellers nicht erschüttert.
2. Der Antragsteller kann weiter nicht geltend machen, durch die nach § 31 Abs. 2 BauGB gewährte Befreiung von den Baugrenzen in eigenen Rechten verletzt zu sein. Davon abgesehen, dass diese Bebauungsplanfestsetzung durch den Wegfall der 20 kV-Leitung und der damit für Bebauung einzuhaltenden Sicherheitszone für das Baugrundstück überholt scheint, entfaltet die Festsetzung von Baugrenzen regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche vermitteln Drittschutz nur dann‚ wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (BayVGH‚ B. v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207 -, B. v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3058 -, B. v. 26.3.2002 – 15 CS 02.423 -, jeweils zitiert nach juris). Ein nachbarlicher Interessenausgleich und damit der Schutz von Nachbarn sind nur ausnahmsweise bezweckt. Eine solche ausnahmsweise drittschützende Zielrichtung muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan‚ seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde (Gemeinderatsprotokolle etc.) ergeben. Vorliegend enthalten weder der Bebauungsplan noch seine Begründung entsprechende Hinweise. Speziell im Hinblick auf das Baugrundstück wurde die Baugrenze zur Errichtung einer Pufferzone um die 20 kV-Leitung festgelegt, um (Neu-) Bebauung in diesem Bereich zu verhindern. Wie aus den textlichen Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans Nr. 17 „…“ hervorgeht, handelt es sich insoweit um eine Schutzzone. Geschützt werden soll dadurch in erster Linie die Leitung selbst zur Vermeidung von Versorgungsstörungen durch Beeinträchtigung infolge von Bauarbeiten in unmittelbarer Nähe. Dass die Baugrenze aber nachbarlichen Interessen dienen sollte, ist nicht ersichtlich. Eine Befreiung nach § 31 Absatz 2 BauGB würde damit dem Antragsteller selbst im Falle fehlender objektiv-rechtlicher Voraussetzungen kein Abwehrrecht unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung einräumen.
3. Der Antragsteller kann schließlich nicht geltend machen, durch die nach Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften in eigenen Rechten verletzt zu sein, da er dem Baugrundstück nicht unmittelbar benachbart ist bzw. keine Abweichung für Abstandsflächen genehmigt wurde, die auf sein Grundstück fielen. Eine Beeinträchtigung in seinem Recht auf Belichtung, Belüftung und Besonnung ist nicht gegeben, da die durch die Erweiterung geworfenen Abstandsflächen ausschließlich die FlNr. … und … betreffen. Ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch besteht nicht, weswegen der Antragsteller auch nicht unabhängig von einer eigenen Beeinträchtigung rügen könnte, dass die Begründung der zugelassenen Abweichung untauglich ist.
Da die Anfechtungsklage nach alledem voraussichtlich erfolglos bleiben wird, fällt auch die Interessenabwägung zuungunsten des Antragstellers aus. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt, weswegen es nicht der Billigkeit entspricht, ihre außergerichtlichen Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 und 1.5 Streitwertkatalog.


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