Baurecht

Erfolgloser Eilantrag in baurechtlichem Nachbarverfahren gegen im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung für ein Wohn- und Geschäftshaus

Aktenzeichen  RN 6 S 21.1580

Datum:
17.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36712
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80, § 80a, § 113 Abs. 1
BauGB § 212a
BayBO Art. 59, Art. 68 Abs. 1
BauGB § 30 Abs. 2, § 34, § 212a

 

Leitsatz

Wird eine Baugenehmigung auf der Grundlage eines (vorhabenbezogenen) Bebauungsplans erteilt, wird ein Abwehranspruch des Nachbarn noch nicht allein dadurch geschaffen, dass der (vorhabenbezogene) Bebauungsplan unwirksam ist. Darauf, ob die Baugenehmigung objektiv zu (Un-)Recht erteilt worden ist, namentlich ob sie in einem geltenden bzw. Geltung beanspruchenden (vorhabenbezogenen) Bebauungsplan eine ausreichende Rechtsgrundlage findet, und welche Vorstellungen die Genehmigungsbehörde dazu hatte, kommt es bei einer Drittanfechtung nicht entscheidungserheblich an.   (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses auf dem Grundstück Flurnummer 40 der Gemarkung … (rückwärtiger Bereich des Gebäudes …gasse … und …). Die Antragstellerin ist Eigentümerin des südlich gelegenen Grundstücks Flurnummer 58 der Gemarkung … ( …gasse …). Das geplante Gebäude soll auf einer Breite von 4,80 m grenzständig an der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet werden.
Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 103 „…“ der Antragsgegnerin, bekanntgemacht am 26.10.2000. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist Teil des Vorhaben- und Erschließungsplans zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan mit integrierter Grünordnung Nr. 103 „…“. Der gesamte Geltungsbereich des Bebauungsplans umfasst eine Fläche von ca. 5370 m², die Grundstücksgröße des Vorhabenträgers beträgt 2436 m². Nach § 3 des Durchführungsvertrags zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan betrifft das Vorhaben die Errichtung von ca. 31 Wohnungen, ca. 60 Tiefgaragenstellplätzen und von ca. 4 gewerblichen Einheiten gemäß eines Entwurfs des Architekturbüros … vom 28.08.2000. Gemäß § 4 des Durchführungsvertrages vom 21.09.2000 verpflichtete sich die Beigeladene als Vorhabenträger spätestens 6 Monate nach Inkrafttreten des vorhabenbezogenen Bebauungsplans einen vollständigen und genehmigungsfähigen Bauantrag für das Vorhaben einzureichen. Sie werde spätestens 6 Monate nach Rechtskraft der Genehmigung mit dem Vorhaben beginnen und es innerhalb von 24 Monaten fertigstellen.
In der Folge wurde das Vorhaben, dessen Durchführung am 02.04.2001 im Genehmigungsfreistellungsverfahren angezeigt wurde, nur teilweise (Bebauung …gasse … und … sowie Tiefgarage) verwirklicht.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.01.2021 wurde der Beigeladenen auf Grund der Vorlage von Planunterlagen eine Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt, wonach abweichend von Art. 28 Abs. 8 BayBO Öffnungen zur Belichtung in der äußeren Brandwand zugelassen wurden.
Mit Bauantrag, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 10.05.2021, beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung. Es handele sich um die Fertigstellung des 1. Bauabschnitts. Neben 4 Wohnungen solle ein Friseur sowie ein Büro entstehen.
Auf entsprechenden Antrag vom 09.06.2021 erteilte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16.06.2021 die Genehmigung, dass entsprechend den vorgelegten Eingabeplänen und unter den in Ziffer II genannten Auflagen und Bedingungen bereits vor Zustellung des Baugenehmigungsbescheides folgende Arbeiten ausgeführt werden dürften: Erd- und Fundamentarbeiten, Hochbauarbeiten (Rohbau) bis einschließlich des Erdgeschosses.
Mit Antragsformular vom 28.06.2021 beantragte die Beigeladene eine Abweichung von den Baugrenzen („Gebäudevorbau im Bereich Innenhof mit Balkon im EG/OG“) von den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr.103 „…“. Zur Begründung wird ausgeführt, dass dies einer Eingabeplanung vom 01.02.2007 entspreche.
Mit Bescheiden vom 06.07.2021 wurde der Beigeladenen neben einer Erlaubnis nach dem Denkmalschutzrecht eine Baugenehmigung entsprechend den mit Genehmigungsvermerk der Antragsgegnerin und Prüfvermerk vom 20.06.2021 versehenen Bauvorlagen unter Auflagen und Bedingungen erteilt (Ziffer 1). Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB werde wegen der Überschreitung der Baugrenze im Innenhof, wegen der Überbauung der als „private Grünfläche“ festgesetzten Flächen durch Terrassen, Stellplätze, Gehwege und die Zufahrt, wegen der Überbauung der als „zu Pflanzende“ festgesetzten Bäume durch die Stellplätze, und wegen der Überschreitungen der festgesetzten Anzahl der Vollgeschosse und der abweichenden Dachform in Teilbereichen des nördlichen Verbindungsbaus Befreiungen von den entsprechenden Festsetzungen des Bebauungsplans Nr.103 „…“ erteilt (Ziffer 2). Gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO wurde wegen der Abstandsflächen vor der Nordumfassung des Neubaus zum Altbestand die Abweichung von der Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 Abs. 3 BayBO zugelassen. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 08.07.2021 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
Am 16.07.2021 hat die Antragstellerin Klage gegen die Bescheide vom 16.06.2021 und 06.07.2021 zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen. Die Grundstücke der Antragstellerin und der Beigeladenen lägen im Geltungsbereich des am 26.10.2000 bekannt gemachten vorhabenbezogenen Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr.103 „…“. Gemäß Ziffer 3.3 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans hätten alle Gebäude und Gebäudeteile eine Mindesttiefe der Abstandsflächen von 0,5 H einzuhalten. Die Antragsgegnerin begründe die Nichteinhaltung von Abstandsflächen durch das Vorhaben der Beigeladenen zum Grundstück der Antragstellerin mit der in Ziffer 6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes festgesetzten Bauweise (geschlossene Bauweise). Das Vorhaben verstoße gegen die Abstandsflächenvorschriften. Das Vorhaben habe gemäß den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans eine Tiefe der Abstandsflächen von mindestens 0,5 H und bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplans gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO von mindestens 0,4 H einzuhalten. Bei der Bestimmung der seitlichen Grundstücksgrenzen im Sinne des § 22 Abs. 3 BauNVO sei von der an der öffentlichen Verkehrsfläche liegenden vorderen Grundstücksgrenze auszugehen. Von ihr ausgehend bildeten regelmäßig die mehr oder weniger senkrecht nach rückwärts verlaufenden Grenzen die seitlichen Grundstücksgrenzen. Das Plangebiet wäre über die …gasse und die …gasse erschlossen. Die von der Antragsgegnerin herangezogene Festsetzung einer geschlossenen Bauweise (vorgeschriebener Grenzanbau an den seitlichen Grundstücksgrenzen) entbinde die Beigeladene daher nicht von der Notwendigkeit zur Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen an der parallel zur straßenseitigen (vorderen) Grundstücksgrenze verlaufenden rückwärtigen Grundstücksgrenze.
Mit Schriftsatz vom 06.08.2021 hat die Antragstellerin einen Eilantrag erheben lassen. Die Klage der Antragstellerin sei offensichtlich begründet, da das Vorhaben die Abstandsflächen nicht einhalte. Da mit dem Bauarbeiten begonnen worden sei, bestehe zulasten der Antragstellerin die Gefahr, dass vollendete Tatsachen geschaffen würden. Dem Antrag sei daher stattzugeben. Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO könne im Bebauungsplan eine vom § 22 Abs. 1 abweichende Bauweise festgesetzt werden. Ziffer 6. Der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans der Antragsgegnerin laute, die Art der Bauweise sei geschlossen gemäß § 22 Abs. 3 BauNVO. Im Bebauungsplan der Antragsgegnerin werde durch die Baugrenzen aber nicht eine überbaubare Grundstücksfläche im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 BauNVO festgesetzt, sondern die nicht überbaubaren Grundstücksflächen, was bereits zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen dürfte. Bei der Darstellung der geplanten Bebauung im Bebauungsplan handele es sich nicht um eine planliche Festsetzung, sondern um einen Hinweis. An der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts könne kein öffentliches Interesse bestehen. Etwaige bautechnische Notwendigkeiten begründeten nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Dass gegebenenfalls nur so gebaut werden könne, wie genehmigt, bedeute nicht, dass auch so gebaut werden dürfe.
Auch im Falle einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans der Antragsgegnerin sei das Vorhaben nicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO von der Pflicht zur Einhaltung der Abstandsflächen befreit. Entlang der Straßenfronten der …gasse und der …gasse liege geschlossene Bauweise vor. Teilweise werde bis an die hintere Grundstücksgrenze gebaut. Hieraus könne nicht abgeleitet werden, dass die Beigeladene berechtigt wäre, nach freier Entscheidung in beliebiger Breite ohne Einhaltung des erforderlichen Grenzabstands an die Grenze des Grundstücks der Antragstellerin zu bauen. Eine sich an den rückwärtigen Grundstücksgrenzen der straßenseitig ausgerichteten Grundstücke grenzständig entwickelnde Innenhofbebauung gebe es im gesamten Geviert zwischen der …gasse und der …gasse nicht, was daran liege, dass das mit Ausnahme der im Eigentum der Beigeladenen stehenden Bestandsgebäude …gasse 14 und …gasse 16 bislang unbebaute Grundstück der Beigeladenen das einzige Innenhofgrundstück in den Geviert sei. Die nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen zu den Grundstücksgrenzen der Nachbargrundstücke seien grundsätzlich einzuhalten. Die Beigeladene hätte im unterstellten unbeplanten Innenbereich auf dem rund 2500 m² großen Grundstück auch die Möglichkeit den eigenen Bestand nach Süden unter Einhaltung des gebotenen Grenzabstands zum Grundstück der Antragstellerin an der rückwärtigen Grundstücksgrenze weiterzuentwickeln. Die Bestandsgebäude auf dem Grundstück der Antragstellerin ( …gasse 15) und auf dem westlichen Nachbargrundstück …gasse 11 hielten den erforderlichen Grenzabstand zum Grundstück der Beigeladenen deutlich ein. Im Rahmen des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses werde verlangt werden können, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene diese Beschränkungen ebenfalls beachteten.
Die Antragstellerin lässt beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 16.07.2021 gegen den Bescheid der Stadt Deggendorf vom 06.07.2021 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Klage der Antragstellerin sei nicht offensichtlich begründet. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei abzulehnen, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nach summarischer Prüfung als negativ oder zumindest als offen zu beurteilen seien. Die Ermächtigung erlaube es der Gemeinde beliebige Kombinationen und Varianten der offenen und geschlossenen Bauweise zu schaffen. Dabei seien anerkannte Arten der abweichenden Bauweise insbesondere die halboffene Bauweise, die Gartenhofbauweise, die Kettenbauweise, die Zeilenbauweise und die Traufgassenbebauung. Im vorliegenden Fall sei eine Art der Gartenhofbebauung im Bebauungsplan Nr.103 festgesetzt. Diese knüpfe an die besondere Bauform von Gartenhof- und Atriumhäusern an. Gartenhofhäuser seien Wohngebäude, die in der Regel einen Gartenhof winkelhofförmig oder dreiseitig umschließen würden, während die andere Seite von der fensterlosen Grenzwand des Nachbarhauses bzw. einer Mauer gebildet werde. Bei dieser Bauform werde das Maß des landesrechtlich geforderten Abstands regelmäßig nicht berührt, sondern die offene oder geschlossene Bauweise nur für eine der beiden seitlichen Grenzen, für bestimmte Geschosse oder bestimmte Bautiefen unterschiedlich festgesetzt. Zwar besage die Begründung zum Bebauungsplan, dass das Plangebiet über die …gasse und die …gasse erschlossen werde. Zugleich werde aber die Anbindung der bereits bestehenden Tiefgarage vom nördlichen Stadtgraben her betont, sowie die Schaffung eines vorläufigen Verbindungsweges zwischen der …gasse und der …gasse. Diese Ausführungen zeigten, dass im vorliegenden Fall hinsichtlich der Definition der vorderen – rückwärtigen – seitlichen Grenzen nicht auf das Grundsatzmodell zurückgegriffen werden könne. Weiterhin besage die Begründung zum Bebauungsplan, dass die Fassaden nach Süden (steiler Sonneneinfallswinkel) oder Osten bzw. Westen ausgerichtet sein könnten. Auch dies belege das eindeutige städtebauliche Regelungsziel einer eventuell auch über Grundstücksgrenzen hinwegreichenden geschlossenen Gartenhofbauweise. Die genehmigten Grundrisse zeigten deutlich, dass Zuwegungen und Zugänge tatsächlich aus ganz verschiedenen Richtungen erfolgten, sodass sich eine schlichte Reduzierung auf die Sichtweise …gasse – …gasse nicht aufdränge. Daraus folge, dass die Klage nicht offensichtlich begründet sei. Ließen sich im Einzelfall nicht einmal ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes feststellen, spielte neben den Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle, wie das Gewicht der durch den Verwaltungsakt betroffenen Rechtsgüter, die Grundsatzregelung des § 80 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3, Abs. 2 Satz 2 sowie die Schwere der Beeinträchtigung der Rechtsgüter, die durch die Vollziehung bzw. Aussetzung des Verwaltungsakts betroffen würden. Von erheblicher Bedeutung sei dabei, ob irreversible Folgen zu befürchten sein, wenn die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren von der Entscheidung in der Hauptsache abweiche. Die Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin an Baueinstellung trotz keinerlei negativer Nachteile und den Interessen der Antragsgegnerin an Vollziehung der von der Antragsgegnerin intendierten Ziele (Nachverdichtung im innerstädtischen Bereich und Umsetzung des Bebauungsplans Nr. 103) müsse nach Ansicht der Antragsgegnerin in diesem Fall auch zu Gunsten der Antragsgegnerin vonstattengehen. Dies gelte auch unter dem Blickwinkel, dass der Bebauungsplan Nr.103 an der streitgegenständlichen Stelle nunmehr nach über 20 Jahren umgesetzt bzw. vollendet werden könne. Im anderen Fall bestehe die große Gefahr, dass eine Bebauung aufgrund der schwierigen Nachbarschaftsverhältnisse in einem Geviert, welches sich für eine nach Verdichtung einer innerstädtischen Fläche geradezu aufdränge, möglicherweise niemals mehr umgesetzt werden könne. Auch die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Beigeladenen müssten berücksichtigt werden, wonach ein Baustopp zu unvorhersehbaren finanziellen Nachteilen für die Beigeladene führen könne. Auch die wirtschaftlichen Nutzbarkeit des geplanten Gebäudes sei bei Einhaltung der Abstandsflächen entgegen der Festsetzungen im Bebauungsplan praktisch nicht mehr darstellbar, da dadurch sowohl eine Gewerbeeinheit im Erdgeschoss (Erweiterung eines Friseurgeschäftes) als auch eine Wohnung im 2. Stock (geplant als sozialverträgliche Wohneinheit) nicht mehr sinnvoll nutzbar seien. Die Tiefgarage, die bereits seit Jahren an die streitgegenständliche Grundstücksgrenze zur Antragstellerin reiche, bedinge, dass die geplante und streitgegenständliche Bebauung auf der Grundstücksgrenze aus statischen Gründen so gebaut werden müsse wie geplant und genehmigt. Die Einhaltung von Abstandsflächen an dieser Stelle führe unvorhersehbare statische Probleme in der Tiefgarage herbei. Das Grundstück der Antragstellerin sei an der streitgegenständlichen Grundstücksgrenze von einer mindestens 2 m hohen Mauer komplett umschlossen, sodass ein Einmauerungseffekt auf keinen Fall von der geplanten Bebauung der Beigeladenen ausgehe, sondern von der Antragstellerin selbst verursacht werde. Auch die geplante Geschossigkeit und Höhe des genehmigten Grenzbaus lasse keine Beeinträchtigung des Gartens der Antragstellerin befürchten, da die fensterlose Grenzwand die Grenzmauer der Antragstellerin lediglich um 5 – 6 m an der Nordseite des Gartens überschreiten werde. Die geplante Bebauung sei nur auf eine Länge von 4,80 m entlang der Grundstücksgrenze vorgesehen, sodass die restliche Länge der Grundstücksgrenze von 6,84 m von Bebauung frei bleibe bzw. die genehmigte Bebauung in diesem Bereich wie vom Bebauungsplan vorgegeben zurückspringe. Der Antragstellerin entständen durch die Grenzbebauung auch baurechtlich keine Nachteile, sie habe zukünftig die Möglichkeit bis zur Grundstücksgrenze an die streitgegenständliche Grenzbebauung anzubauen. Dies sei auch im Bebauungsplan festgesetzt. Das Interesse der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen an einer unverzüglichen Umsetzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei höher zu bewerten als das Nachbarinteresse der Antragstellerin, deren ausdrückliches Ziel es sei, die Bebauung in einem Bereich, der nachbarliche Interessen nur unwesentlich beeinträchtige, grundsätzlich zu verhindern, obwohl die geplante Grenzbebauung für die Antragstellerin überwiegend nur Vorteile bringe, da sie zukünftig selbst bis an die Grundstücksgrenze anbauen könne. Die Antragstellerin könne keine wirklich relevanten nachbarlichen Ziele und Beeinträchtigungen ins Feld führen. Es solle eine sinnvolle, sozialverträgliche und der Allgemeinheit dienende innerstädtische Bebauung verhindert werden. Es gehe auch nicht darum, dass ein privater Bauträger die maximale Gewinnmaximierung anstrebe, sondern um eine maßvolle Erweiterung von Büroflächen für eine städtische Gesellschaft, die Erweiterung eines kleinen Friseurladens und die Gestaltung einer sozialverträglichen Wohnung in der Innenstadt.
Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin sprächen die textlichen Festsetzungen in Ziffer 6 des Bebauungsplans nicht gegen die fehlende ausdrückliche Bezugnahme auf § 22 Abs. 4 BauNVO. Dem Normgeber sei es nicht verwehrt im Rahmen des § 22 Abs. 4 Satz 1 auch § 23 nutzbar zu machen und abweichende Bauweise durch die Festsetzung der überbaubare Grundstücksfläche unter Verwendung von Baulinien und Baugrenzen zu bestimmen. Eine Verletzung von Vorschriften der Planzeichenverordnung wäre unbeachtlich, wenn die Darstellung, Festsetzung, Kennzeichnung, nachrichtliche Übernahme oder der Vermerk hinreichend deutlich erkennbar sei. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin stelle der Bebauungsplan die geplante Bebauung (rosa) dar. Es sei unerheblich ob das ein Hinweis oder eine Festsetzung sei. Denn ebenfalls dargestellt bzw. festgesetzt seien private Grünflächen (grün) sowie private Verkehrsflächen (gelb). Allein aus diesen Darstellungen ergäben sich bei vernünftiger und natürlicher Betrachtungsweise keinerlei Zweifel dahingehend, welche Grundstücksflächen überbaubar seien und welche nicht. Dass die geplante Bebauung dabei jeweils bis an die festgesetzte Baugrenze heranrücken dürfe und dass die Flächen jenseits dieser Baugrenze grundsätzlich nicht bebaubar seien, liege zwingend in der Natur der Sache. Es ergebe sich zweifelsfrei, dass der Planungswille der Antragsgegnerin an der Grenze zwischen dem streitgegenständlichen Baugrundstück und dem Grundstück der Antragstellerin eine durchgehende, jeweils seitlich geschlossene Blockinnenbereichsbebauung zur Schaffung ruhiger Wohnhöfe zum Gegenstand habe. Bereits die Begriffe Blockinnenbereich und Wohnhöfe verdeutlichten, dass eine schlichte Reduzierung auf die Betrachtungsweise …gasse/ …gasse als geschlossene Bauweise im vorliegenden Fall das eindeutige Planungsziel konterkariere. Es sei auch § 34 BauGB in Betracht zu ziehen, da im Altstadtbereich, in welchem sich das betreffende Quartier befinde, derartige Wohnhöfe und geschlossene Innenbereichsgrenzbebauung, wie sie durch das geplante streitgegenständliche Bauvorhaben entstehen solle, prägend seien. Im Geviert zwischen …gasse und …gasse seien bereits einige rückwärtige Grenzbebauungen vorhanden. Unter anderem im Gebäude Flurnummer 57 (Gebäude für Gewerbezwecke über alle Geschosse, …gasse 13), Flurnummer 59 (Gebäude für Wohnzwecke, …gasse 17), Flurnummer 60 (Gebäude für Gewerbezwecke, …gasse 19 und …gasse 18), sowie Flurnummer 62 (* …gasse 21 und …gasse 20) sei Grenzbebauung im rückwärtigen Raum, zum Teil auch geschlossen vorhanden, in der gewohnt und gearbeitet werde. Ebenso gelte dies für Flurnummer 40 ( …gasse 14 und 16, Grundstück der Beigeladenen). Auf einen beiliegenden Flurstückplan mit Luftbild werde verwiesen.
Die Beigeladene lässt beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Vor dem Jahr 2000 sei auf dem Grundstück der Antragstellerin eine Nachbarbebauung in Form eines Querriegels vorhanden gewesen, der über einen wesentlich größeren Teil, als jetzt von Seite der Beigeladenen geplant, direkt an der Grundstücksgrenze verlaufen sei. Es habe sich um eine unter Denkmalschutz stehende Bebauung gehandelt, die aufgrund von Witterungseinflüssen verfallen und später eingestürzt sei. Nur dadurch sei die jetzige Nutzung als Garten ermöglicht worden. Bereits 2005 habe die … GmbH bis zur Grenze der Antragstellerin gebaut. Es seien Kellerräume und eine Tiefgarage errichtet worden. Damals habe das Gebäude bereits von der Beigeladenen im Rahmen des Bebauungsplans im selben Umfang errichtet werden sollen. Lediglich aufgrund der damaligen mangelhaften Nachfrage sei auf die Errichtung verzichtet worden, obwohl bereits Kellerräume, Tiefgarage (bis zur Grundstücksgrenze), das Treppenhaus, der Aufzugschacht und die Anschlüsse für die Heizungsanbindung errichtet worden seien. Damals habe von Seiten der Antragstellerin und ihres zwischenzeitlich verstorbenen Ehegatten Einverständnis mit der Bebauung bestanden. Es seien etliche zivilrechtliche Vereinbarungen zwischen der jetzigen Antragstellerin und der Beigeladenen getroffen worden. Insoweit werden Aktennotizen aus dem Jahr 1998 in Vorlage gebracht, wonach der verstorbene Ehemann der Antragstellerin geäußert habe, dass er nichts gegen die Bebauung habe. Für eine notwendige Rückverankerung der grenzständigen Tiefgarage sei damals eine Ausgleichszahlung vereinbart worden. Es sei eine Durchgangsmöglichkeit für die Mieter der Antragstellerin über das Grundstück der Beigeladenen bis zur Bebauung an der Grenze vereinbart worden. Aus einer entsprechenden Vereinbarung vom 7.7.2005, die auch von der Antragstellerin unterschrieben wurde, ergibt sich, das diese Gestattung befristet sei bis zur späteren Bebauung des Grundstücks Fl.Nr.40 im rückwärtigen Bereich parallel zur Grundstücksgrenze entsprechend den Festsetzungen im vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Die Antragstellerin sowie ihr verstorbener Ehemann gestatteten hiernach der Beigeladenen das Betreten ihres Grundstücks „Fl.Nr. 38“ (gemeint wohl 58) und das Aufstellen eines Gerüsts in ihrem Grundstück für den Fall der beschriebenen späteren Bebauung unter Bedingungen. Auf der Gartenmauer der Antragstellerin sei eine Betonabdeckung errichtet worden, die Beigeladene habe sich an den Kosten für die Neugestaltung der Terrasse, Ersatzbepflanzung und Malerarbeiten auf dem Grundstück der Antragstellerin beteiligt. Insoweit werden Unterlagen in Vorlage gebracht. Der Antragstellerin sei das Bauvorhaben am 17.06.2021 vorgestellt worden. In diesem Zusammenhang habe die Antragstellerin erklärt, dass alles in Ordnung sei, dass sie aber die Baugenehmigung noch anwaltlich prüfen lassen werde. Bereits vorab habe die Antragstellerin über das Bauvorhaben Bescheid gewusst. Der Teilbaugenehmigung sei erst mit der Klage widersprochen worden. Für die Beigeladene als sozialorientiertes Wohnungsunternehmen, aber auch für alle Projektbeteiligten, die Mieter der Beigeladenen, die Stadt Deggendorf und die beauftragten Firmen bedeute ein Baustopp der Baumaßnahme drastische Schäden. Die Mietverträge mit einem Ingenieurbüro und einem Friseurgeschäft seien bereits abgeschlossen. Der Friseurbetrieb habe bereits Personal eingestellt. Bis nächstes Jahr müsse die Ladenvergrößerung abgeschlossen sein. Im Übrigen werde ein Vertrauens- und Imageverlust befürchtet. Ferner werde eine Gefährdung von sozialorientierten Bau- und Modernisierungsprojekten für bezahlbaren Wohnraum der Beigeladenen befürchtet, da kein Platz für die benötigten Mitarbeiter vorhanden sei. Im schlimmsten Fall müsse dem Friseurladen wegen Eigenbedarf gekündigt werden, um die Bürofläche zu vergrößern. Bei einem Baustillstand entstehe ein unwiederbringlicher Schaden. Insofern solle eine einvernehmliche Lösung herbeigeführt werden. Eine Umplanung mit der von der Antragstellerin gewünschten Abstandsfläche sei jedoch ausgeschlossen, da schon aus statischen Gründen der Bau mit dem bereits bestehenden Außenmauern an der Grundstücksgrenze fortgesetzt werden müsse. Ein Einsetzen einer Stützmauer in der bereits jetzt engen Tiefgarage sei nicht denkbar. Auch eine Verkleinerung des Friseurladens sei ausgeschlossen. Der Friseurladen weise mit 180 m² die geforderte Mindestgröße auf. Sollte letztlich der Friseurladen nicht einziehen (weil das Gebäude nicht oder zu spät errichtet werden könne), dann entstehe der Beigeladenen ein weiterer massiver Schaden, da dann vollständig neu geplant werden müsse. Gewerbemieter seien schwer zu finden und die Planung mit Wohnungen im Erdgeschoss sei nicht zielführend, da es dafür keine Nachfrage gebe.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten, der gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakten des Verfahrens RN 6 K 21.1434.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 06.07.2021 hat keinen Erfolg. Soweit sich die Beigeladene auf vertragliche Vereinbarungen mit der Antragstellerin aus dem Jahr 2005 bezieht, die das Vorhaben zum Gegenstand haben, kann daraus wohl derzeit weder ein Klageverzicht noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben bei Geltendmachung von Nachbarrechten abgeleitet werden. Dies kann jedoch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes offenbleiben, da der Antrag zumindest unbegründet ist. Das genehmigte Bauvorhaben kann nach summarischer Prüfung auf Grund Bauplanungsrechts grenzständig errichtet werden und verletzt keine Rechte der Antragstellerin.
Die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB)), er kann jedoch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen. Ein derartiger Antrag hat nur dann Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts überwiegt. Das Gericht trifft eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Führt diese summarische Prüfung dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, kann der Antrag abgelehnt werden, ohne dass es einer zusätzlichen Interessenabwägung bedarf. Denn der Bürger hat grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse daran, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, ohne dass es darauf ankommt, ob der Vollzug dringlich ist oder nicht (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 11 CS 08.3273 – juris m.w.N.). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Nach diesen Grundsätzen muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohne Erfolg bleiben.
Ein Nachbar kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – juris; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94 – juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77 – juris; VG Würzburg, U.v. 11.8.2016 – W 5 K 15.830 – juris, Rn. 51). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält.
Nach Auffassung des Gerichts wird die Antragstellerin durch die Erteilung der Baugenehmigung vom 06.07.2021, die wohl die Teilbaugenehmigung vom 16.06.2021 konsumiert, voraussichtlich nicht in eigenen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 BayBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Wird – wie hier – eine Baugenehmigung auf der Grundlage eines (vorhabenbezogenen) Bebauungsplans erteilt, wird ein Abwehranspruch des Nachbarn noch nicht allein dadurch geschaffen, dass der (vorhabenbezogene) Bebauungsplan unwirksam ist. Darauf, ob die Baugenehmigung objektiv zu (Un-)Recht erteilt worden ist, namentlich ob sie in einem geltenden bzw. Geltung beanspruchenden (vorhabenbezogenen) Bebauungsplan eine ausreichende Rechtsgrundlage findet, und welche Vorstellungen die Genehmigungsbehörde dazu hatte, kommt es bei einer Drittanfechtung nicht entscheidungserheblich an (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – juris; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94.94 – juris; BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 39.86 – juris; VG Würzburg, U.v. 11.8.2016 – W 5 K 15.830 – juris, Rn. 52).
Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 06.07.2021 wurde – zu Recht – im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt, da ihr kein Sonderbau i.S.v. Art. 2 Abs. 4 Nr. 1 – 20 BayBO zu Grunde liegt.
Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren prüft die Bauaufsichtsbehörde gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften i.S.d. Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1 a-c), beantragte Abweichungen i.S.d. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3).
Im vorliegenden Fall ist ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfenden Bauplanungsrechts nach der im summarischen Verfahren nur möglichen Prüfung voraussichtlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht gegeben.
Dabei kann im Ergebnis offenbleiben, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit auf § 30 Abs. 2 BauGB oder auf § 34 BauGB stützen kann.
Für den Fall der Wirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass durch die Baugenehmigung einschließlich der erteilten Befreiungen hier nur maßgebliche, die Antragstellerin schützende Rechte verletzt sein könnten. Soweit die Antragstellerseite darauf abstellt, dass der Bebauungsplan keine Grenzbebauung im maßgeblichen Bereich vorsehe und die zeichnerisch dargestellte geplante Bebauung lediglich einen Hinweis darstelle und daher ein festgesetzter Abstand von 0,5 H zur Grenze eingehalten werden müsse, kann dem nicht gefolgt werden. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan setzt im maßgeblichen Bereich der rückwärtigen Grundstücksgrenze der Antragstellerin zeichnerisch eine geplante Bebauung, d. h. eine überbaubare Grundstücksfläche, fest. Dass die Baugrenze die privaten Grünflächen und nicht die geplante Bebauung umschließt, stellt ersichtlich eine irrtümliche Darstellung dar. Aus der zeichnerischen Darstellung ergibt sich nicht, dass ein Abstand zum Grundstück der Antragstellerin wie dann auch beispielsweise zum Grundstück FlNr. 60 einzuhalten wäre. Für den Fall dieser Annahme käme es zu einer Diskrepanz zwischen dem Vorhaben- und Erschließungsplan sowie dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan, der letztlich dessen (gesamte) Unwirksamkeit zur Folge hätte. Im Übrigen ist im Fall der Wirksamkeit der Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans auch keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die Errichtung des Gebäudes zu Lasten der Antragstellerin erkennbar. Diesbezüglich wird im Einzelnen auf die unten stehenden Ausführungen Bezug genommen.
Die Wirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans begegnet allerdings unter weiteren Gesichtspunkten Bedenken. Nach den vorgelegten Unterlagen ist der Bebauungsplan Bestandteil eines Vorhaben- und Erschließungsplans, der ein weiteres Gebiet umfasst und in einer Planurkunde zusammengefasst ist. Das Baugesetzbuch enthält zwar keine Regelung dahingehend, dass zwischen dem Vorhaben- und Erschließungsplan einerseits und den sonstigen Bestimmungen iSd Abs. 3 Sätze 2 und 3, Abs. 4 „formell“, also in der Satzung nachlesbar zu unterscheiden ist (EZBK/Krautzberger, 142. EL Mai 2021 Rn. 121, BauGB § 12 Rn. 121). Aus der zeichnerischen Darstellung und den textlichen Festsetzungen ergibt sich jedoch in keiner Weise, in welchen Bereichen das sich aus dem Durchführungsvertrag ergebende Vorhaben verwirklicht werden soll bzw. in welchem Bereich letztlich ein Angebotsbebauungsplan vorliegt. Ferner erscheint die Einbeziehung der Vielzahl angrenzender Grundstücke nicht unproblematisch. Der räumliche Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans wird grundsätzlich durch den Vorhaben- und Erschließungsplan bestimmt. Jedoch ermächtigt § 12 Abs. 4 BauGB die Gemeinde dazu, einzelne Flächen außerhalb des eigentlichen Planbereichs in die Satzung einzubeziehen. Die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 3 BauGB-MaßnahmenG bezeichnete hierfür als Voraussetzung, dass dies „für eine geordnete städtebauliche Entwicklung erforderlich ist“; dieses Erfordernis ergibt sich für die Neufassung in § 12 unmittelbar aus § 1 (EZBK/Krautzberger, 142. EL Mai 2021, BauGB § 12 Rn. 122). Die Gemeinde darf die Vorhabenplanung nicht zur Grundlage nehmen, um innerhalb des Aufstellungsverfahrens eine umfassende und erheblich über den Vorhaben- und Erschließungsplan hinausgehende Bauleitplanung zu betreiben. In quantitativer Hinsicht – so VGH Kassel U.v. 25.9.2014 – 4 C 1328/12.N – bedeutet dies, dass die einbezogenen Flächen gegenüber dem Vorhabengebiet im Grundsatz nur von untergeordneter Bedeutung sein dürfen (EZBK/Krautzberger, 142. EL Mai 2021, BauGB § 12 Rn. 122). Vorliegend umfasst der Vorhaben- und Erschließungsplan eine Fläche von 2436 m², der gesamte vorhabenbezogene Bebauungsplan 5370 m², wobei für die (damalige) Bestandsbebauung außer der Festsetzung eines Mischgebiets keine weiteren Festsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung getroffen werden. Gleichermaßen erscheint offen, ob die Festsetzungen zur Einhaltung von Abstandsflächen, die zum einen durch Festsetzung einer geschlossenen Bauweise gemäß § 22 Abs. 3 BauNVO widersprüchlich zur Festsetzung der geplanten Bebauung sind, durch Auslegung dahingehend ausgelegt werden können, dass eine eindeutige Bestimmbarkeit des Maßes der baulichen Nutzung gegeben ist. Unabhängig davon erscheint problematisch, ob ein vorhabenbezogener Bebauungsplan, der von der Antragsgegnerin nicht aufgehoben wurde, auch nach einem erheblichen Ablauf der im Durchführungsvertrag festgesetzten Durchführungsfrist des Vorhabens noch Wirkung entfalten kann.
Diese bezeichneten komplexen Rechtsfragen können letztlich nur im Hauptsacheverfahren unter Beiziehung der Akten des Bebauungsplanverfahrens geklärt werden.
Das Vorhaben verletzt voraussichtlich auch bei etwaiger Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „…“ keine die Antragstellerin schützenden Rechte.
In diesem Fall richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens seiner Art nach nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO und im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB. Das Vorhaben fügt sich nach summarischer Beurteilung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Als nähere Umgebung im Sinne der vorgenannten Norm ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits dem bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwGE 369,380). Wie weit die gegenseitige Prägung, die für die jeweiligen Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen ist, reicht, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.
Die Kammer geht unter Berücksichtigung des in den Akten vorhandenen Bild- und Kartenmaterials, der Darstellung der Örtlichkeiten in „Google Maps“ sowie im BayernAtlas (geoportal.Bayern.de) davon aus, dass die für die Beurteilung der oben genannten Kriterien maßgebliche Umgebung der Bereich begrenzt von …gasse, …gasse und …platz (rückwärtiger Bereich) ist. Ob auch der nördlich der …gasse gelegene Bereich im Hinblick auf bestimmte Kriterien auf das Baugrundstück einwirkt, kann offenbleiben, da sich durch dessen Außerachtlassung im vorläufigen Rechtsschutz keine – für die Antragstellerin ungünstigere Beurteilung – ergeben kann.
Ein Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung ist unstreitig gegeben, da im geplanten Gebäude Wohnnutzung sowie nicht störendes Gewerbe (Büros und ein Friseursalon) entstehen sollen. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Umgebung um ein faktisches Mischgebiet handelt. Die etwaige Zuordnung zu einem der in der Baunutzungsverordnung geregelten Baugebiete entscheidet sich allein nach dem faktischen und sichtbaren Zustand des Gebietes zu dem Zeitpunkt, in dem über die Zulässigkeit eines Bauvorhabens zu befinden ist. Es findet sich in der …gasse eine Vielzahl verschiedener Geschäfte und Gewerbebetriebe sowie gastronomische Nutzung. Auch in der …gasse ist neben der Wohnnutzung gewerbliche Nutzung (zum Beispiel im unmittelbaren Bereich des Baugrundstücks Büroräume der Beigeladenen, Friseur, Werkstattladen Lebenshilfe) vorhanden. In einem faktischen Mischgebiet sind die im streitgegenständlichen Bescheid genehmigten Nutzungen in Form von Wohnen und Gewerbe allgemein zulässig, § 6 Abs. 1, 1,2 und 4 BauNVO.
Ob das Maß, die Bauweise und die überbaute Grundstücksfläche des streitgegenständlichen Vorhabens – unabhängig davon, dass nach den vorgelegten Lichtbildern einiges dafür spricht – in vollem Umfang der Bebauung in der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB entsprechen, kann ebenfalls dahinstehen. Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nicht nachbarschützend (BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris; BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris). Eine entsprechende Rechtsverletzung der Antragstellerin ergibt sich nur dann, wenn gleichermaßen das Rücksichtnahmegebot verletzt ist.
Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, ist abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann dieser an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, umso weniger muss der Bauherr Rücksicht nehmen. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris).
Nach Auffassung der Kammer ist im Hinblick auf die Kubatur des Gebäudes sowie die (teilweise) grenzständige Situierung kein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme gegeben. Das geplante Vorhaben fügt sich insoweit hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sowie der überbaubaren Grundstücksfläche in die maßgebliche Umgebung – auch wenn diese hier im Hinblick auf eine Prägung enger gefasst würde – ein. Ergibt sich durch die tatsächlich vorhandene Bebauung eine grenzständige Bauweise, so richtet sich die zulässige Tiefe und Höhe des grenzständigen Baus im unbeplanten Innenbereich nach den Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche. Der Begriff der überbaubaren Grundstücksfläche bezieht sich auf die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung, maßgeblich ist der Standort des Vorhabens i.S. des § 23 BauNVO. Ob sich ein Vorhaben im Hinblick auf seinen Standort in seine Umgebung einfügt, hängt nicht maßgeblich von den Grenzen des Baugrundstücks ab. Auf die Grundstücksgrenzen kommt es im Bauplanungsrecht grundsätzlich nicht an (BVerwG, B.v. 28.9.1988 – 4 B 175.88 – juris Rn. 4).
Im Innenbereich darf nach planungsrechtlichen Vorschriften an die seitlichen Grundstücksgrenzen gebaut werden, wenn die maßgebliche Umgebung sowohl von offener als auch von halboffener oder geschlossener Bauweise geprägt ist. In diesem Fall fügen sich, vorbehaltlich der Beachtung des Rücksichtnahmegebots, beide Bauweisen iSv § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein (vgl. BVerwG NVwZ 1994, 1008; VGH München BeckRS 2017, 111581). Anders als zu früheren Fassungen der BayBO häufig vertreten (vgl. VGH München BeckRS 2007, 29177; NVwZ-RR 1998, 712) ist die planungsrechtliche Rechtfertigung der Grenzbebauung auch dann gegeben, wenn die tatsächlich vorhandene Bebauung aus Gebäuden mit und ohne Grenzabstand regellos erscheint.
Zur Bewertung des Einfügens wird bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen Prüfung anhand von Plänen und Lichtbildern im Bereich der …gasse neben dem Grundstück der Antragstellerin in 1. Linie auf die westlich benachbarten Grundstücke …gasse 13, 11 und 9 sowie die östlich benachbarten Grundstücke Nummer 17, 19 und 21 abgestellt. Ferner wird in die Betrachtung die dem Baugrundstück benachbarten Grundstücke …gasse Hausnummer 12 und 10 im östlichen Bereich sowie im westlichen Bereich Nummer 18 und 20 abgestellt. Im Bereich der …gasse sind sämtliche Gebäude auf der nördlichen Straßenseite einschließlich des Grundstücks der Antragstellerin sowohl mit der vorderen Seite als auch an den seitlichen Grundstücksgrenzen an die Grenze gebaut. Im Bereich der …gasse ist ebenfalls mit Ausnahme einer Lücke Bebauung sowohl an der vorderen als auch an den seitlichen Grundstücksgrenzen vorhanden. Insoweit fügt sich das zu errichtende Gebäude, das im östlichen Bereich an der seitlichen Grundstücksgrenze errichtet wird, in die umgebende Bebauung ein. Die Erfüllung der benannten Maßkriterien gestattet jedoch lediglich den Anbau ohne seitliche Grenzabstände; für die hier inmitten stehende rückwärtige Grundstücksgrenze zum Grundstück der Antragstellerin trifft die sich definitionsgemäß auf die seitlichen Grenzabständen beziehende geschlossene Bauweise (vergleiche § 22 Abs. 3 BauNVO) keine Aussage. Bei der Beurteilung der Frage, ob sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung zu betrachten. Dabei kommt es nicht auf die Grenzen des Baugrundstücks an, da das Einfügensmerkmal der überbaubaren Grundstücksfläche den Standort des Vorhabens im Rahmen der vorhandenen Bebauung regelt. Dies ist nur dann der Fall, wenn die in der näheren Umgebung vorhandene rückwärtige Bebauung so ausgestaltet wäre, dass-spiegelbildlich – auch auf den an die rückwärtige Grundstücksgrenze angrenzenden Grundstücken an diese Grundstücksgrenze kommun angebaut werden könnte oder müsste (BayVGH, U.v. 2.8.2007 – 2 BV 06.497 – juris). Dies ist hier auch der Fall. Das der Antragstellerin westlich benachbarte Gebäude Hausnummer 13 ist auf einer Länge von knapp 33 m grenzständig zur Antragstellerin bis zur rückwärtigen Grundstücksgrenze bebaut. Dass der Antragstellerin östlich benachbarte Gebäude Hausnummer 17 ist auf eine Länge von ca. 24 m bis zur rückwärtigen Grundstücksgrenze sowohl im westlichen Bereich (ca. 4,50 m) als auch im östlichen Bereich (ca. 3 m) bebaut, zwischen den Gebäudeteilen befindet sich ein 3 m breiter Innenhof. Demnach ist planungsrechtlich grundsätzlich ein Anbau an die nördliche Grenze naheliegend. Dass ein grenzständischer Anbau planungsrechtlich angelegt ist, zeigt auch, dass das Nachbargebäude …gasse 13 im Bereich der hofzugewandten Seite keine Fenster aufweist. Das dem Baugrundstück benachbarte Grundstück Flurnummer 60 wurde ersichtlich nach den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans grenzständig mit zur seitlichen Grenze sowie einem zur rückwärtigen Grenze gelegenen Gebäuden bebaut, die einen Innenhof aufweisen. Aufgrund der sich aus dem Plänen ergebenden Bebauung ist es auch für die Antragstellerin möglich – wie auch im Bebauungsplan vorgesehen – in dem Umfang, in dem das Vorhaben an ihre rückwärtige Grenze gebaut wird, an diese anzubauen. Die Breite des grenzständigen Anbaus ist, wie nach den vorgelegten Unterlagen auch vom verstorbenen Ehemann der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Erstellung des Bebauungsplans gewünscht, durch die Breite des bestehenden nördlichen Anbaus (4,50 m) an das Gebäude der Antragstellerin vorgegeben. Auch an den zwischen der …gasse und der …gasse verlaufenden Gebäuden auf Flurnummer 60, 62 und 64 ist im seitlichen Bereich durchgehend bebaut. Freiflächen sind lediglich im Sinne einer Hofbebauung vorhanden. Unter Berücksichtigung der Hofbebauung kann davon ausgegangen werden, dass sich die genehmigte Bebauung auch unter dem Gesichtspunkt einer abweichenden Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO), die geprägt ist durch Innenhöfe, einfügt. Mit dem Gebäude wird, unterbrochen durch einen Hof, eine Bebauung in einer Tiefe, die maximal ca. 30 m von der …gasse entfernt ist, zugelassen. In der näheren Umgebung sind weitere Gebäude vorhanden, die von der …gasse aus bemessen ebenso weit und noch weiter in Richtung Süden situiert sind, wie das geplante Gebäude der Beigeladenen. In der Umgebungsbebauung lässt sich weder eine faktische rückwärtige Baugrenze entsprechend § 23 Abs. 3 BauNVO noch eine Bebauungstiefe entsprechend § 23 Abs. 4 BauNVO feststellen, der das Vorhaben widersprechen könnte. Im Hinblick auf die überbaubaren Grundstücksflächen ist die genehmigte Bebauung im rückwärtigen Grenzbereich daher planungsrechtlich zulässig.
Fügt sich das Gebäude ein, kann im Regelfall nicht von einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots ausgegangen werden. Inhaltlich zielt das Rücksichtnahmegebot darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von den Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden im Betracht. Im vorliegenden Fall ist nach den oben dargestellten Grundsätzen eine Unzumutbarkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Gebäude der Antragstellerin aufgrund der grenzständigen Situierung des Vorhabens der Beigeladenen nicht zu erkennen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben auf das Grundstück der Antragstellerin eine erdrückende Wirkung ausüben könnte (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris). Eine solche Wirkung kommt ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung nur bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris; BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalbgeschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange Siloanlage bei einem 7 m breitem Nachbargrundstück).
Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nicht ersichtlich, dass eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Antragstellerin zu befürchten sein könnte. Das Gebäude der Antragstellerin weist derzeit einen Abstand von mindestens ca. 13 m zur Grundstücksgrenze auf. Das Bauvorhaben ist nicht höher als das Gebäude der Antragstellerin sowie weitere Gebäude in der Umgebung. Ferner verbleibt der Antragstellerin im Norden und Osten ihres Grundstücks eine ausreichende Freifläche. Der Grenzanbau betrifft nur ca. 4,85 m der insgesamt ca. 11 m breiten rückwärtigen Grundstücksgrenze. Das Vorhaben erstreckt sich nur auf dem Bereich der Grenze, der auch von der Antragstellerin entsprechend ihrem bereits bestehenden Vorbau in der Tiefe angebaut werden könnte. Fenster sind an der Grenze zur Antragstellerin nicht situiert. Durch das nördlich gelegene Bauvorhaben ist auch keine Veränderung der Belichtungssituation insbesondere eine unzumutbare Verschattung des Grundstücks der Antragstellerin zu befürchten. Es ist daher keine erhebliche Verschlechterung der Wohnsituation auf dem Grundstück der Antragstellerin feststellbar. Daher kann bei Abwägung der Interessen nicht von einer durch das Bauvorhaben entstehenden unzumutbaren Situation ausgegangen werden. Das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung speziell von Einblicken verschont zu bleiben (BayVGH, B.v. 12.9.2005 – 1 ZB 05.42 – juris). Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten im innerstädtischen Bereich sind oftmals unvermeidbar und führen nicht automatisch zu einer Verletzung des Sozialabstands. Gerade im hier vorliegenden Bereich einer innerstädtischen Randlage hat ein Grundstückseigentümer kein Recht auf Beibehaltung einer ungehinderten oder bislang nur geringerfügiger beeinträchtigten Sicht von seinem Wohngebäude aus (siehe auch BayVGH, B.v.10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris).
Die Zulässigkeit eines Vorhabens, das sich einfügt und das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt, kann unter dem Gesichtspunkt einer Nachbarrechtsverletzung auch nicht zusätzlich entgegengehalten werden, dass etwa wegen seiner städtebaulichen Relevanz oder wegen seiner ggf. nicht erwünschten städtebaulichen Auswirkungen ein „Planungsbedürfnis“ besteht, das dem Vorhaben über die in § 34 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen hinaus entgegengehalten werden könnte (OVG Magdeburg, B.v. 1.9.2021 – 2 M 70/21, BeckRS 2021, 25536 Rn. 25, beck-online unter Bezugnahme auf Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 141. EL Februar 2021, § 34 Rn. 72). Ein solches Planungsbedürfnis ist im Übrigen auch nicht erkennbar. Aus der Verdichtung der Bebauung im Blockinnenbereich ergeben sich keine Spannungen, die nur im Rahmen einer Bauleitplanung gelöst werden könnten. Es wird die Bestandsbebauung noch nicht in der Weise verändert, die gegebenenfalls eine unzumutbare Folgebebauung nach sich ziehen könnte.
Das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen verstößt aus vorgenannten Gründen nicht zu Lasten der Antragstellerin gegen das Abstandsflächenrecht der BayBO. Der Vorrang des Städtebaurechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, sondern auch bezüglich der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich. Da nach dem Planungsrecht an die Grenze gebaut werden darf und sich die Tiefe und Höhe der grenzständigen Bebauung im Rahmen der tatsächlich vorhandenen Bebauung halten, ist hinsichtlich der in Streit stehenden Grenzbebauung – aus der sich einzig eine Verletzung von Rechten der Antragstellerin ergeben könnte – durch das streitgegenständliche Vorhaben eine Einhaltung von Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht erforderlich.
Ohne dass es aus oben genannten Gründen darauf ankäme, ist anzumerken, dass auch bei der Annahme von offenen Erfolgsaussichten, beispielsweise im Hinblick auf eine im Hauptsacheverfahren etwaig erforderliche Feststellung der örtlichen Verhältnisse im Rahmen eines durchzuführenden Augenscheins, im vorliegenden Einzelfall die Abwägung der widerstreitenden Interessen hier zulasten der Antragstellerin ginge. Hierfür spricht neben der gesetzgeberischen Wertung aus § 212a Abs. 1 BauGB die Überlegung, dass die Antragsgegnerin in den in der Antragserwiderung getroffenen Wertungen klar und nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht hat, dass die bei abweichender Betrachtung der Rechtslage ggfs. erforderliche Abweichung im Hinblick auf die Grenzbebauung unter Würdigung nachbarlicher Interessen bei Berücksichtigung der hier vorliegenden Einzelfallgestaltung (bereits (rechtmäßig) erfolgte Errichtung des Kellergeschosses und der Tiefgarage, Lage im verdichteten innerstädtischen Bereich, keine unzumutbare Betroffenheit der Antragstellerin) erteilt werden könnte. Insoweit wäre auch nicht zu befürchten, dass irreversible rechtswidrige Verhältnisse entstehen. Ein Baustopp des bereits begonnenen Bauvorhabens zu Lasten der Bauherrin würde jedoch ersichtlich zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen auf deren Seite führen. In diesem Fall überwiegen die dargestellten Interessen am Vollzug der Baugenehmigung sowie die erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Beigeladenen das Interesse der Antragstellerin, dass das Bauvorhaben nicht vor der rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsacheverfahrens verwirklicht wird.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Es entsprach der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der Antragstellerin aufzuerlegen, weil diese einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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