Baurecht

Erfolgloser Eilrechtsschutz von Nachbarn wegen Genehmigung eines Zwischenbaus zu einem Klosterbiergarten

Aktenzeichen  15 CS 20.1608

Datum:
18.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80, § 80a Abs. 3, Abs. 5, § 146
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauGB § 34
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2, Abs. 2
BiergV § 2 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Zur Verschärfung der Lärmsituation (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 S 20.836 2020-06-18 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer eines benachbarten Grundstücks (FlNr. * der Gemarkung B* …*) gegen eine dem Beigeladenen vom Landratsamt K* … erteilte Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 für einen „Zwischenbau“ im Bereich von Ausschank und Küche mit einer in der Baubeschreibung angegebenen Grundfläche von 13,88 m² und einer Baumasse von 45,81 m³ (im Nordwesten des Biergartens auf dem Baugrundstück = FlNr. * der vorgenannten Gemarkung, das nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt).
Der Beigeladene hatte bereits mit Bescheid vom 10. Dezember 2019 eine Baugenehmigung für das Vorhaben „Sanierung des Klosterbiergartens sowie Bau eines Salettl und eines Musikpodiums“ auf dem Baugrundstück erhalten. Dieser Genehmigungsbescheid enthält eine immissionsschutzrechtliche Auflage Nr. 19, in der es heißt: „Das geplante Vorhaben ist entsprechend den der schalltechnischen Untersuchung der Firma … … GmbH (…) zugrundeliegenden Planungsunterlagen und Betriebsbeschreibungen auszuführen. Wird davon abgewichen, ist ein Nachweis über die Gleichwertigkeit anderer Planungen zu erbringen.“ Gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 10. Dezember 2019 erhoben die Antragsteller am 17. Januar 2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg Anfechtungsklage (Az. RN 6 K 19.1383), über die noch nicht entschieden ist. Ihren Eilantrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juni 2020 (RN 6 S 20.837) ab. Mit Beschluss vom heutigen Tag wies der Senat die hiergegen erhobene Beschwerde der Antragsteller ab (vgl. Parallelverfahren 15 CS 20.1612); auf diese Entscheidung wird Bezug genommen.
Auch gegen den hier streitgegenständlichen Genehmigungsbescheid für den „Zwischenbau“ erhoben die Antragsteller am 17. Januar 2020 Anfechtungsklage, die weiterhin anhängig ist. Mit Beschluss vom 18. Juni 2020 (RN 6 S 20.836) lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den auf § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Eilantrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 2. Januar 2020 erhobenen Klage anzuordnen, ab. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus, ein Verstoß der angefochtenen Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften sei nicht gegeben. Eine subjektive Rechtsverletzung der Antragsteller unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme, das hier entweder aus § 34 Abs. 1 BauGB („einfügt“) oder über § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 15 Abs. 1 BauNVO grundsätzlich Anwendung finde, liege nicht vor. Die Antragsteller würden durch das geplante Vorhaben insbesondere keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt. Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handele es sich um einen zwischen den bereits vorhandenen baulichen Anlagen Ausschank und Küche liegenden Zwischenbau, von dem keine zusätzlichen Lärmimmissionen zu erwarten sei. Das Landratsamt sei im Genehmigungsverfahren nicht gehalten gewesen, das Sachgebiet Immissionsschutz zu beteiligen, da sich durch das Vorhaben die Situation in schalltechnischer Hinsicht nicht in negativer Weise verändert habe. Daraus folge, dass auch kein Erfordernis zur Vorlage eines Nachweises über die Gleichwertigkeit der Planung bestanden habe. Insbesondere sei entgegen dem Vorbringen der Antragsteller eine andere Dämpfung, Beugung oder Reflexion von dem – nicht in Abstrahlrichtung der Instrumente oder Boxen liegenden – Zwischenbau nicht zu erwarten.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Sie tragen mit ihrer Antragsbegründung im Wesentlichen unter Wiederholung ihrer Argumentation im erstinstanzlichen Verfahren vor, der in Auflage Nr. 19 des Baugenehmigungsbescheids vom 10. Dezember 2019 im Falle einer hier vorliegenden Abweichung von dieser Genehmigung geforderte Nachweis über die Gleichwertigkeit in schalltechnischer Hinsicht sei nicht erbracht worden. Der der Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 vorangegangene immissionsschutzrechtliche Bericht (Schallgutachten) des Ingenieurbüros … … GmbH vom 15. März 2019 gehe auf Seite 21 ebenfalls davon aus, dass im Falle einer Abweichung erforderlichenfalls ein Nachweis über die Gleichwertigkeit anderer Planungen zu erbringen sei. Dass bei Umsetzung der Baugenehmigung eine andere Dämpfung, Beugung oder Reflexion zu berücksichtigen sei, erscheine nicht von vornherein ausgeschlossen. In der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 werde auf das Schallgutachten vom 15. März 2019 keinerlei Bezug genommen, obwohl dort auf Seite 13 darauf hingewiesen werde, dass alle Berechnungen mit dem Schallausbreitungsberechnungsprogramm IMMI 2018 unter Berücksichtigung von Dämpfung, Beugung und Reflexionen berechnet worden seien. Es könne daher nicht beurteilt werden, ob die vom Betrieb ausgehenden Geräusche die für das Antragstelleranwesen relevanten Immissionsrichtwerte einhalten oder nicht, zumal (wie im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019) das Berechnungsgebiet nicht auf das Antragstellergrundstück bezogen gewesen sei, obwohl es unmittelbar an das Baugrundstück angrenze. Es sei nicht nachvollziehbar, worauf sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts stützte, dass aus immissionsschutzfachlicher Sicht Einwendungen trotz Abweichung und trotz fehlenden Nachweises über die Gleichwertigkeit der Planung nicht begründet seien und dass die Fachstelle Immissionsschutz des Landratsamts nicht zu beteiligen gewesen sei, weil die Maßnahme zu keiner Veränderung der schalltechnischen Situation führe. Wenn auf eine schalltechnische Ermittlung durch Lärmmessung oder prognostische Berechnung, die zumindest auf Plausibilität überprüfbar sei, gänzlich verzichtet werde und stattdessen in bewusster Unkenntnis der tatsächlichen Immissionslage die Zumutbarkeit für den Nachbarn unterstellt werde, liege keine ausreichende und vollständige Sachverhaltsermittlung i.S. von Art. 24 BayVwVfG vor. Darüber hinaus sei die streitgegenständliche Genehmigung vom 2. Januar 2020 ebenso wie die Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 hinsichtlich des Betriebsumfangs des Biergartens unter Verstoß gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG unbestimmt.
Die Antragsteller beantragen,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 18. Juni 2020 (RN 6 S 20.836) die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage vom 17. Januar 2020 gegen den Genehmigungsbescheid vom 2. Januar 2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
und trägt hierzu vor, die Antragsteller hätten mit der Beschwerde nicht aufgezeigt, weshalb es durch den streitigen Zwischenbau zu einer Verschlechterung und Unzumutbarkeit der Lärmsituation komme. Es sei nicht ersichtlich, dass die Nutzung oder die Lage des Zwischenbaus eine solche Wirkung haben könnte. Nachdem die vorherige Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 ein anderes Vorhaben betreffe, sei ferner nicht ersichtlich, wie aus der Behauptung, diese Baugenehmigung sei unbestimmt, Rückschlüsse für den Betriebsumfang der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Baugenehmigung gezogen werden könnten.
Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten sowie auf die Gerichtsakten zu den Parallelverfahren 15 CS 20.1612 (Verwaltungsgerichtshof) sowie 6 S 20.837 und 6 K 20.136 (VG Regensburg) mit den hierfür beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgelehnt. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Die vom Verwaltungsgericht im Eilverfahren vorgenommene Interessenabwägung in Orientierung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache – insbesondere am Maßstab des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots und des Bestimmtheitsgebots (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) – ist nicht zu beanstanden. Der Senat folgt daher den ausführlichen Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses vom 18. Juni 2020 (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist ergänzend zu bemerken:
a) Nach der im Verfahren gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 146 VwGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheint unter dem Gesichtspunkt einer unzumutbaren Lärmbelastung ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht deshalb als möglich oder wahrscheinlich, weil – wie die Antragsteller unter Bezugnahme auf Satz 2 der Auflage Nr. 19 der vorangegangenen Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 in der Sache rügen – keine erneute Schallbegutachtung vorgenommen wurde.
Das Schallgutachten vom 15. März 2019 geht davon aus, dass im Fall einer Abweichung von den Planunterlagen und Betriebsbeschreibungen, die der Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 zugrunde lagen, e r f o r d e r l i c h e n f a l l s ein neuer schalltechnischer Nachweis vorzulegen ist. Diese Anforderung formuliert die Selbstverständlichkeit, dass Änderungen oder Erweiterungen des Biergartens dann einer ergänzenden immissionsschutzbezogenen Untersuchung und Bewertung bedürfen, wenn diese zu einer Verschärfung der Lärmsituation zulasten der Nachbarschaft führen können. Die Antragsteller haben der Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Errichtung des hier streitgegenständlichen Zwischenbaus aufgrund seiner Situierung außerhalb der Abstrahlrichtung der Instrumente und Boxen keine andere Dämpfung, Beugung oder Reflexion und damit keine Erhöhung der Lärmbelastung zu Folge habe, im Beschwerdeverfahren nicht Substantielles entgegengesetzt. Zudem würde selbst eine – im Genehmigungsverfahren nicht ermittelte – gewisse Verschärfung der Lärmbelastung nicht per se einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme begründen können. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn die höheren Belastungspegel die einschlägigen Immissionsrichtwerte gem. § 2 der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (GVBl 1999, 142) (im Folgenden: BiergV), deren Einschlägigkeit von den Beteiligten nicht infrage gestellt wurde, überstiegen. Die im Parallelverfahren 15 CS 20.1612 vom Ingenieurbüro ergänzend ermittelten und vom Antragsgegner vorgelegten Beurteilungspegel für das Anwesen der Antragsteller von jeweils 49 dB(A) sind von dem für Dorf-/Mischgebiete geltenden Immissionsrichtwert von 65 dB(A) (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BiergV) deutlich entfernt. Sogar eine Verdoppelung der Schallenergie, d.h. eine 100%ige Zunahme der Schallquellen, würde grundsätzlich nur eine Pegelerhöhung um 3 dB(A) bewirken (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 20.4.2016 – 22 ZB 16.9 – juris Rn. 14; B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 27 m.w.N.). Selbst wenn – was im Hauptsacheverfahren ggf. näher aufzuklären ist – die nordöstlich auf dem Biergartenbereich gelegene zusätzliche (vergleichsweise kleine) bauliche Anlage etwa aufgrund veränderter Reflexionswerte zu einer gewissen Erhöhung der Beurteilungspegel auf dem Antragstellergrundstück führen sollte, erscheint es vor diesem Hintergrund nach Aktenlage nicht realistisch, dass hierdurch die Lärmbelastung am Anwesen der Antragsteller ein unzumutbares, gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßendes Maß erreichen kann.
b) Entgegen der Ansicht der Antragsteller wird ihre Anfechtungsklage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 auch im Zusammenlesen mit der vorangegangenen Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 voraussichtlich nicht wegen Unbestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) in Bezug auf die Anforderungen des Rücksichtnahmegebots erfolgreich sein. Unabhängig von der Frage, ob und inwiefern eine Unbestimmtheit des Bescheids 10. Dezember 2019 Auswirkungen auf die nachbarliche Anfechtbarkeit der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 2. Januar 2020 haben könnte (was hier dahingestellt bleiben kann), ist aus Sicht des Senats eine zum Erfolg des Eilantrags führende Unbestimmtheit der Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 nach Aktenlage nicht ersichtlich. Auch im Übrigen geht der Senat nach dem summarisch geprägten Prüfmaßstab im Eilverfahren davon aus, dass die (ältere) Baugenehmigung vom 10. Dezember 2019 von den Antragstellern nicht wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots erfolgreich angefochten werden kann. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Parallelverfahren 15 CS 20.1612 [dort unter II. 1.] verwiesen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Der Beigeladene trägt billigerweise seine außergerichtlichen Kosten selbst, weil er keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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